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So wird es nicht weitergehen!

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

die Meldung vom Wochenende hat eingeschlagen: Eine der größten Künstleragenturen, CAMI, meldet Konkurs an. Was das bedeutet? Wohl auch, dass der unausweichliche Umbruch der Klassik begonnen hat.

DAS ENDE VON COLUMBIA ARTISTS

Die Liste der Künstler ist lang: Dirigenten wie Herbert von Karajan, Leonard Bernstein oder James Levine, der Pianist Vladimir Horowitz, Sängerinnen wie Leontyne Price, Renata Tebaldi oder Elisabeth Schwarzkopf. Seit 1930 vertritt die Agentur Columbia Artists die größten Klassik-Künstler und heute noch Stars wie Anne-Sophie Mutter, Gidon Kremer oder Orchester wie die Münchner Philharmoniker, das London Symphony Orchestra oder das Gewandhausorchester Leipzig. Gestern kam die nicht mehr ganz überraschende Nachricht: Es ist Schluss! Die Auswirkungen durch Corona sind zu groß. Eine Zeitenwende.
Das Ende großer Agenturen ist ein Sinnbild für den Anfang eines grundlegenden Wandels der Klassik-Welt: Muss es denn tatsächlich sein, dass ein staatlich subventionierter Veranstalter einer Musikerin, die mehrere 10.000 Euro verdient auch noch gekühltes Kokos-Wasser bereitstellen muss, damit sie keine schlechte Laune bekommt? Die Frage ist, ob wir große Agenturen in Zukunft noch brauchen, zur Organisation großer, internationaler Tourneen. Oder sind sie die Dinosaurier einer alten Klassik-Welt, in der die immer gleichen Orchester und Künstler an allen Orten der Welt zu erleben sind? Vielleicht geht es in Zukunft ja auch eine Nummer kleiner, eine Nummer direkter, eine Nummer persönlicher, eine Nummer intimer. Und vor allen Dingen: eine Nummer weniger arrogant.
Tenor Michael Schade war selber lange bei der CAMI – auf Facebook stellt er nun die kritische Frage, wo eigentlich all die Millionen hin seien, welche die Agentur durch die Künstler gescheffelt habe. Er nennt es das CAMI-System ein „House of cards“ und sieht es nun nicht ganz so erstaunt, wohl aber betroffen, einstürzen – ohne Rücksicht auf die Künstler, die dieses System einst mal fördern wollte. Über den Wandel der Klassik-Szene machen sich auch Katharina Hirschmann und Christoph Irrgeher in der Wiener Zeitung Gedanken – mit einem lesenswerten Pro und Contra zum Starkult um Anna Netrebko und Co.

KÜNSTLER-PROTEST GEGEN KULTURPOLITIK

Zu Recht protestieren immer mehr Klassik-Künstler in Deutschland gegen die international besonders großen Beschränkungen der Aufführungsmöglichkeiten. Die Salzburger Festspiele haben es vorgemacht: Kluge Sicherheitskonzepte lassen „echte“ Konzerte durchaus zu – getestete Künstler, Publikum mit Abstand. So beginnt in Österreich allmählich überall der Konzertbetrieb (und jeder, der ein Konzert besucht hat, wird schnell feststellen, wie großartig es ist, endlich wieder 100 Musiker zu hören!). Ganz anders ist die Situation in Deutschland. Was den besonders lieben Freund dieses Newsletters, Münchens Staatsopernchef Nikolaus Bachler, auf die Palme bringt: „Deutschland ist derzeit mehr oder weniger auf dem Weg in die Planwirtschaft, wo nur noch Anordnungen und Verbote gelten und die Eigenverantwortung schwindet“, sagte er dem österreichischen Kurier. Und auch die bayerischen Orchester werden aktiv: Die Orchestervorstände der beiden großen Münchner Konzertorchester appellieren in einem Offenen Brief an Ministerpräsident Markus Söder, flexible Lösungen zuzulassen und die Größe der Aufführungsorte zu berücksichtigen. Denn 200 Besucher gelten auch im Nationaltheater oder im Gasteig, obwohl unter Einhaltung der geltenden Abstandsregelung von 1,5 Metern erheblich mehr Besucher eingelassen werden könnten. Im Gasteig werden bei den ersten Konzerten der Münchner Philharmoniker nur 200 Besucher sitzen. Wenn das Orchester unter Valery Gergiev dann wenige Tage später in der Alten Oper Frankfurt gastieren wird, spielt es vor 600 Zuhörern, während nebenan in Baden-Württemberg nur 500 Besucher erlaubt sind – noch viel größer sind die Besucherzahlen in Österreich. Und auch in Berlin will man nun den Aufbruch: In einem wie immer kraftstrotzend optimistischen Interview erklärt Barrie Kosky, dass er „die Power“ habe, um drei Premieren selber zu stemmen. An der Deutschen Oper gurgeln Regisseur Stefan Herheim und sein Ensemble bereits regelmäßig, um gemeinsam die Walküre proben zu können. Ausgerechnet Christian Wildhagen stellt in der NZZ allerdings die Gegenfrage:Endlich wieder Live-Konzerte! Doch die Euphorie des Aufbruchs täuscht: Bis auf weiteres spielt die Musikwelt mit denkbar hohem Einsatz. Ist es das wert?“ Meine ganz persönliche Antwort: Ja, wir müssen tanzen, an der Grenze – und trotzdem aufpassen, dass wir sie nicht überschreiten.

DEUTSCHLANDFUNK GEGEN LIVE-KONZERTE

Ich habe gedacht, ich hör’ nicht richtig, als eine sonore Stimme im Deutschlandfunk mir zuflüsterte, ob ich mir auch lieber keine Konzerte mit Mundschutz antun wolle, ob ich es auch zu anstrengend fände, mich online zu registrieren und mir suggerierte: „Hey, geh da lieber nicht raus, ins richtige Leben! Zu gefährlich!“ Stattdessen schlägt der Deutschlandfunk vor: Hört die Konzerte doch gemütlich zu Hause, bei uns im Radio und „on demand“. Hallo, Mann im Radio!?! Merkt Ihr eigentlich noch, was Ihr da tut? Abgesehen, dass von einer Deutschlandfunk-Übertragung kaum ein Ensemble (außer die öffentlich-rechtlichen Orchester) leben kann, warnt der Sender nun auch noch aktiv davor, in diesen Tagen ins Konzert zu gehen. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Konzertlandschaft sich endlich ein bisschen berappelt und nichts mehr erwartet, als eine Öffnung. Nicht ganz so marktschreierisch eröffnet arte seine virtuelle Opernsaison am 1. September mit den „7 Deaths of Maria Callas“ aus der Münchner Staatsoper mit dem Dirigenten Yoel Gamzou. Und noch eine Meldung aus der Welt der Medien: Österreichs radio klassik Stephansdom geht mit DAB+ auf Sendung und ist so von 83% aller Österreicher zu empfangen.

WIENER PHILHARMONIKER IN ZUKUNFTSSORGE

Künstlerisch haben die Wiener Philharmoniker - gerade auch in Salzburg – begeistert. Finanziell kommen sie allmählich in Schwierigkeiten, erklärt Vorstand Daniel Froschauer dem ORF: „In der Oper sind wir angestellt, als Wiener Philharmoniker sind wir selbstständig. Als in der Oper Angestellte haben wir 80 Prozent Kurzarbeit bekommen, und als Philharmoniker haben wir nichts bekommen, weil wir nicht gespielt haben. Wir haben 31 Konzerte nicht gespielt, das sind schon einige Millionen Euro, die da nicht erwirtschaftet wurden. Aber das ist als Unternehmer einfach so. Wir blicken mit großer Sorge in die Zukunft. Wir haben ja eigentlich eine Asienreise geplant für Mitte Oktober bis Mitte November. Natürlich, man kann auch mehr in Europa spielen, aber wir sind nicht nur als Botschafter in der ganzen Welt tätig, sondern das ist auch ein wirtschaftlicher Faktor, der dann wegbricht.“ Mit österreichischer Zurückhaltung reagiert Froschauer auf den neuen Chefdirigenten, Philippe Jordan: „Ich freue mich auch auf Philippe Jordan. Er war jetzt lange nicht bei uns, aber wir sind da offen. Jordan bringt viel Erfahrung von der Pariser Oper mit. Wir Philharmoniker arbeiten gerne, um uns zu verbessern. Wenn jemand sich konstruktiv einbringt, sehen wir das positiv.“ Zuletzt kam die Staatsoper ja ohne Musikdirektor aus, erklärt der ORF und fragt: Braucht es die Position überhaupt? „Es hat immer wieder Zeiten gegeben, in denen es keinen Musikdirektor in der Oper gegeben hat. Wir sind philharmonisch, wir haben so unsere Dirigenten, die das Neujahrskonzert dirigieren. Riccardo Muti und Franz Welser-Möst und einige andere – das sind so unsere Musikdirektoren, wenn man das sagen kann. Wir sind froh, wenn sie kommen, und wir sind auch wieder froh, wenn sie wieder gehen. Das ist aber absolut liebevoll gemeint.

PERSONALIEN DER WOCHE

Cecilia Bartoli wird den Salzburger Pfingstfestspielen noch bis 2026 als Künstlerische Leiterin erhalten bleiben. Ihr im kommenden Jahr auslaufender Vertrag ist am Freitag um fünf weitere Jahre verlängert worden. Die italienische Sängerin leitet das Minifestival der Festspiele bereits seit 2012. +++ Simon Rattle hat channel4 verraten, dass er es schon immer bescheuert fand („I felt rather uncomfortable“), bei der Last Night of the Proms imperialistische Gassenhauer wie „Rule Britannia“ zu spielen. +++ Corona-Regeln machen auch der Justiz zu schaffen. Die Süddeutsche meldet: Der Prozess gegen einen ehemaligen Kompositionsprofessor an der Hochschule für Musik in München, dem unter anderem mehrfache Vergewaltigung vorgeworfen wird, sollte laut Gliwitzky beispielsweise schon im April beginnen. Nun ist er auf Mitte November verschoben. +++ Der deutsche Musikmanager Alexander Neef soll nach Angaben des französischen Kulturministeriums die Leitung der Pariser Oper bereits diese Woche übernehmen. Kulturministerin Roselyne Bachelot habe dem Präsidialamt vorgeschlagen, dass Neef wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Oper den Posten von Stéphane Lissner bereits zum 1. September übernehmen solle. +++ Das Grafenegg Festival unter dem heutigen Chef des Orchestre National de France, Johannes Neubert, stellt sich allmählich als Klassik-Kaderschmiede heraus: Erst wechselte Ursula Haselböck als Intendantin zu den Festspielen nach Mecklenburg-Vorpommern, nun geht Ulrike Niehoff – mit Umweg über die Wiener Symphoniker - zum Concertgebouworkest nach Amsterdam, das sie gemeinsam mit Dominik Winterling und David Bazen leiten wird. +++ Nach beinahe 430 Jahren schließt Ende September die wichtigste Fachbuchhandlung für Musikliteratur und Noten in der Stadt Salzburg – die Mayrische Musikalienhandlung.

Heute feiert übrigens Itzhak Perlman seinen 75. Geburtstag. Nicht nur einer der besten, sondern auch einer der lustigsten Geiger! Alles Gute!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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