KlassikWoche_RGB_2020-09

Was bringen Roth und Hammer? Und wie politisch korrekt ist Berlin?

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

es war viel los diese Woche: Claudia Roth wird Kulturstaatsministerin, Kristina Hammer Festspielpräsidentin in Salzburg – außerdem streicht Berlin den Nussknacker, ein Cellist verbreitet Fake-News, und der Corona-Wahnsinn geht weiter.

NEUGIER AUF CLAUDIA ROTH

Claudia Roth und Igor Levit
Okay, dann oute ich mich hier mal: Ich kann mich grundsätzlich mit vielen Grünen Zielen identifizieren, aber was die Grüne Kulturpolitik betrifft – da bin ich eher skeptisch. Ich habe zu oft erlebt, dass dort, wo die Grünen etwas zu sagen hatten, Hand an die Kultur gelegt wurde. Zuerst habe ich das – noch als Student – beobachtet, als die Grünen in Freiburg das Amt des Kulturbürgermeisters abgeschafft haben, auch in meiner Heimatstadt Bremen wird Kultur – seit die Grünen mitregieren – eher klein geschrieben, und nun also eine Grüne Kulturstaatsministerin? Claudia Roth, Ex-Managerin der Band Ton Steine Scherben, wird das Amt von Monika Grütters übernehmen. Was wir wissen: Roth ist für Grünen-Pianist Igor Levit so etwas wie eine Übermutter, und sie ist durchaus klassikaffin. Ich habe sie mehrfach bei den Bayreuther Festspielen erlebt, wo Roth nicht nur als Festival-Jetsetterin unterwegs war, sondern als durchaus schlagfertige und interessierte Musik-Liebhaberin.
In einer unrepräsentativen Umfrage auf meiner Insta-Seite war das Meinungsbild (es haben mehrere hundert Menschen mitgemacht) noch ausgeglichen: Kritiker und Befürworter hielten sich die Wage. Es ist zu hoffen ist, dass Roth, anders als ihre Vorgängerin, Monika Grütters, das Amt nicht zur eigenen Machtbestätigung unterhält, sondern wichtige Aufgaben jetzt auch anpackt: Statt um altpreußischen Kulturglanz sollte es in Zukunft eher darum gehen, Kultur als Grundgesetz-Ziel anzupacken, um die Neuordnung der KSK und vor allen Dingen eine perspektivische Absicherung soloselbstständiger KünstlerInnen. Dazu natürlich das unbedingte Eintreten für die Kultureinrichtungen des Bundes und breite Unterstützung der Klassik-Betriebe in Ländern und Kommunen.

BERLINER WEIHNACHT OHNE NUSSKNACKER

Nussknacker-Ballett an der Berliner Staatsoper
Was ist denn das, Berlin?!? Die Direktorin des Berliner Staatsballetts, Christiane Theobald, will Tschaikowskys Weihnachts-Ballett „Der Nussknacker“ dieses Jahr nicht spielen. Der Grund: Das Ballett sei „ein klarer Fall von Rassismus“, besonders in der Berliner Fassung, einer wissenschaftlich fundierten, russisch geleiteten Rekonstruktion des Originals von 1892. Ey, Leute, ich habe mit meiner fünfjährigen Tochter neulich „Dumbo“ auf Disney+ geschaut, wo vorher eine Tafel eingeblendet wurde, dass nun geraucht würde, dass klischeehafte und rassistische Stereotype gezeigt würden, von denen Disney sich distanziere, aber der Film sei eben aus den 1950er-Jahren. Ja, genau, das ist, was Kultur bedeutet: Wir müssen uns heute immer wieder neu zum Alten positionieren. Wenn wir es ausradieren, können wir uns auch nicht dazu verhalten.
Ich empfehle dazu den Kommentar der FAZ von Wiebke Hüster. Und weil wir gerade bei Weihnachten sind: Jonas Kaufmanns klischeeweißes Puppenspiel kann auch keine echte Weihnachts-Alternative sein! Der Tantiemen-Tenor wird immer mehr zur One-Man-Wham-XMas-Show: alle Jahre wieder! Anstrengend. Aber seinem eigenen Gabentisch wird es nicht schaden.

DOPPELTE KLASSIK-FAKE NEWS

Der Cellist und das ehemalige Mitglied des Leipziger Streichquartetts, Matthias Moosdorf, ist für die AfD in den Bundestag eingezogen und hat auf seiner Facebook-Seite nun ein angebliches „Meldeformular für Hospitalisierungen“ veröffentlicht und behauptet, dass sechs Booster-Impfungen bis 2023 vorgesehen wären, als die erste noch nicht einmal von der „STIKO“ empfohlen gewesen sei. Das Problem: Das Foto, das Moosdorf gepostet hat, ist ein lange bekanntes Fake. Inzwischen hat der Politiker das Bild sang- und klanglos von seiner Seite gelöscht – war was?
Und noch andere schockierende Fake-News kursierten diese Woche durch das Netz. Es hieß, der Bass Matti Salminen sei gestorben. Das war natürlich Quatsch, schließlich wurde er noch quietschfidel in der Berliner Opernkantine gesichtet. Wie so etwas passieren kann? Eine deutsche „Opernfreundin“ sah die Todesnachricht eines Sängers, verwechselte das Bild mit Salminen und setzte die falsche Nachricht ins Facebook, wo sie sich ungeprüft verbreitete und sogar von renommierten Dirigenten aufgenommen und verbreitet wurde. Leute, gerade in diesen Zeiten: Vertraut doch bitte professionellen Journalisten!

SALZBURGS NEUE FESTSPIELPRÄSIDENTN

Kristina Hammer, neue Präsidentin der Salzburger Festspiele
Eine echte Überraschung: die Juristin Kristina Hammer wird Helga Rabl-Stadler als Festspielpräsidentin in Salzburg folgen. Damit ist klar, dass die Rolle der Präsidentin in erster Linie logistisch und finanziell angelegt ist. Sie soll Sponsoren locken und die Sanierung der Festspielhäuser in gutes Fahrwasser bringen. Von der Klassik ist Hammer weitgehend unbeleckt, dafür hat die Juristin aus Baden-Württemberg gute Österreich-Kontakte. Sie ist mit einem Österreicher verheiratet, will ihren Lebensschwerpunkt nach Salzburg verlegen und hat unter anderem für das Kaufhaus Gerngross in Wien gearbeitet. Von 2000 an arbeitete sie sieben Jahre in Großbritannien für Aston Martin, Jaguar und Land Rover, von 2007 an leitete sie das globale Marketing Communications Team von Mercedes-Benz in Stuttgart. Sicher ist, dass sie den amtierenden Protagonisten kaum im Weg stehen wird: Intendant Markus Hinterhäuser wird keine künstlerische Einmischung zu befürchten haben, und auch der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz wird wahrscheinlich von Hammer unterstützt werden. Eine Win-Win-Win-Situation also in Salzburg – und dennoch: Künstlerisch müssen die Festspiele langsam einen Zacken zulegen – sonst hilft das beste Management nichts.

DER CORONA-KLASSIK-TICKER

Plakat der Berliner Philharmoniker: Impfen schützt auch die Kultur!
Geht jetzt alles wieder von vorne los? Lockdown in Österreich und in Deutschland: Absagen, Streichungen, Vertröstungen. In Leipzig wird ein Konzert 20 Minuten vor der Premiere abgeblasen. Warum die Aufführung „Viktoria und ihr Husar“ in Halle (Choreografie: Sofia Pintzou) vor dem letzten Akt spontan auf Grund von Corona abgebrochen wurde, erschließt sich mir nicht. Es ist ein Trauerspiel! 2G+ wäre eine ziemlich sichere Möglichkeit, weitermachen zu können. Aber es wird wieder geschlossen: entweder aus „Eigenverantwortung“ der Häuser oder auf politischen Druck. +++ „Aufstehen für die Kunst“ lehnt die willkürliche Reduktion der Saalbelegung in Bayern auf 25 Prozent ab und begrüßt ebenfalls Sicherheitsmaßnahmen wie 2G+. +++ Konkrete Schritte unternimmt die Bayerische Staatsoper. Wie Staatsintendant Serge Dorny mitteilt, sieht man sich gezwungen, alle gekauften Tickets von 24. November bis einschließlich 15. Dezember zu stornieren. „Wir bedauern diese Entwicklung, auf die wir keinen Einfluss hatten, sehr“, so Dorny.
Gefreut habe ich mich über eine Mail des emeritierten Luzerner Hochschulrektors Alois Koch, der mir seine Abhandlung über die Effekte von Corona auf die Klassik schickte, in der unter anderem steht: „Was bleibt, ist die Hoffnung. Die Hoffnung, dass diese schwere Pandemie-Krise auf allen künstlerischen und musikalischen Ebenen auch Anlass zu Selbst-Reflexion, zu neuen Ideen und Initiativen und damit vielleicht sogar zu nachhaltigen neuen Perspektiven für die ‚holde Kunst‘ der Musik führt.“ +++ Ach so, und dann noch zu all den Mails, die mich nach dem letzten Newsletter erreichten. Ich hatte geschrieben, dass ein Grund des österreichischen Lockdowns die verhältnismäßig hohe Zahl von Ungeimpften auf den Intensivstationen sei. Das war einem Leser zu viel, er schrieb mir, wie ich es wagen könne, eine andere Meinung als seine zu vertreten und drohte mir, den Newsletter zu kündigen, „wenn das noch mal vorkommt“. Lieber Leser, also ich lese gern andere Meinungen, reibe mich an ihnen und debattiere sie – das ist der Sinn von Kommentaren! Also: Ich ertrage Sie gern weiter – und würde mich freuen, wenn Sie es auch täten.

GRAMMY, OPUS UND CO – PREIS-KRITIK

Grammy Awards
Wahrscheinlich ist Ihnen aufgefallen, dass ich dieses Jahr an dieser Stelle nicht weiter über den OPUS Klassik berichtet habe (ebenso wie FAZ oder Süddeutsche es seit Jahren halten). Die Gründe habe ich in diesem Newsletter bereits klar gemacht: Ein Preis, für den die Preisträger zahlen müssen, eine Jury, deren Entscheidungen nicht transparent sind und eine TV-Verwertung, die nicht mehr zeitgemäß ist.
Und nun stehen auch die Grammys in der Kritik. Was taugen derartige Preise eigentlich, fragt BR-Redakteur Bernhard Neuhoff. In einem lesenswerten Kommentar arbeitet er sich am US-Preis ab: „Mit Blick auf die Klassik-Kategorien greift man sich an den Kopf: Kaum ein europäisches Orchester ist vertreten. Aber immerhin weiß man jetzt, dass Nashville ein eigenes Symphonieorchester hat. Kann man die Klassik-Grammys überhaupt ernst nehmen? Natürlich nicht!

PERSONALIEN DER WOCHE

Lego-Spiel zum Franz-Xaver-Mozart-Denkmal
Schön, wenn Geschichten weiter laufen: Letze Woche habe ich an dieser Stelle zum ersten Mal über den Kampf berichtet, den die Dirigentin Oksana Lyniv für eine Skulptur von Mozart-Sohn Franz Xaver Mozart in der Ukraine führt. Diese Woche haben viele andere Medien berichtet, und viele Prominente, unter anderem Katharina Wagner, haben sich der Sache angeschlossen. Erstaunlich, wie viel Gegenwind es noch immer in Lemberg gegen Neue Kunst gibt – abzulesen allein an den Kommentaren bei Facebook. Die entscheidende Stadtratssitzung über die Zukunft der Skulptur wurde auf Dienstag verschoben. Dafür haben Fans der Skulptur schon eine LEGO-Edition gebastelt (siehe Foto) +++ Die französische Zeitschrift „Le Point“ rechnet mit dem amtierenden Intendanten der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, ab. Als Direktor der Opéra de Lyon habe er unverhältnismäßig viel Geld unter die Leute gebracht, unter anderem für kostspielige Reisen und 5-Sterne-Hotels. In München wundert man sich indes ebenfalls über einige Personal-Entscheidungen des Intendanten und vor allen Dingen darüber, warum Dorny die ausgezeichnete Website der Oper derart unübersichtlich neu gelauncht hat.
Barrie Koskys Chefdramaturg der Komischen Oper, Ulrich Lenz, wird neuer Intendant der Grazer Oper. Ein Glücksfall für Österreich, für das Haus in Berlin ein weiterer Abgang, der die planlose Zukunft offenbart. +++ Letzte Woche habe ich mich ein bisschen lustig gemacht über den Auftritt von Roberto Blanco als Verteidiger des „schwarzen Beethoven“ beim Podcast der österreichischen Zeitung „Der Falter“. Dann hat meine Tochter aus Frankreich mir dieses Video geschickt – Beethoven als PoC, ein alter Hut! +++ Der Dirigent John Lidfors ist Preisträger des Deutschen Chordirigentenpreises 2021. Die Dirigentin Franziska Kuba erhielt den Publikums-Preis, weitere Finalistin war Julia Selina Blank. Der Deutsche Chordirigentenpreis wurde zum vierten Mal vom Deutschen Musikrat in Zusammenarbeit mit dem RIAS Kammerchor Berlin vergeben. +++ Guinness-Rekord mit Beigeschmack: 12.000 Musikerinnen und Musiker des venezolanischen „El Sistema“ haben in der Hauptstadt Caracas Tschaikowskys „Slawischen Marsch“ gespielt. Den wahren Rekord aber hält das Orchester im Missbrauch seiner MusikerInnen durch die Orchesterleitung und in Sachen Propaganda für ein menschenverachtendes System. Ein Trauerspiel! +++ Neue Preisschilder in Nürnberg: Die Schätzungen der Kosten für das neue Opernhaus in Nürnberg belaufen sich inzwischen auf 500 Millionen, und darüber gibt es nun handfesten politischen Streit. +++ Der österreichische Opernsänger und Schauspieler Hans Kraemmer ist tot. Er starb nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren in Wien. +++ Er war Mr. Musical und für mich besonders und ein Leben lang der Librettist der „West Side Story“. Stephen Sondheim ist tot. Er war eine Legende des Broadways. Noch im September hatte er ein neues Musical namens „Square One“ angekündigt, nun ist er mit 91 Jahren in seinem Landhaus in Connecticut gestorben.

UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?

Der Große Zapfenstreich
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn! Am kommenden Donnerstag ist Großer Zapfenstreich für Angela Merkel. Und: Sie wählte folgende drei Songs: „Für mich soll's rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef, „Du hast den Farbfilm vergessen“ von Nina Hagen und „Großer Gott, wir loben Dich“. Gerhard Schröder wählte damals „Summertime“ aus „Porgy and Bess“, die „Moritat von Mackie Messer“ und „My Way“, bei Helmut Kohl waren es „Des Großen Kurfürsten Reitermarsch“, die „Ode an die Freude“ und „Nun danket alle Gott“. Übrigens, der Dirigent Franz Welser-Möst hat in der FAZ gerade seine persönlichen Begegnungen mit der Klassik begeisterten Kanzlerin beschrieben.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

FOTOS: Instagram, Staatsoper Berlin, Salzburger Festspiele, Grammy, Facebook, APA

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