KlassikWoche_RGB_2020-09

Viele alte Männer – und trotzdem: Hoffnung!

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute öffnen wir die Türen zum Klassik-Knast, streiten uns mit einem Kollegen und freuen uns, dass wenigstens in einigen Opernhäusern wieder Tumult ist!

ENDGÜLTIG: MAUSER FÄHRT EIN

Der wegen sexueller Nötigung verurteilte Ex-Präsident der Münchner Musikhochschule Siegfried Mauser muss seine Haft am 1. Februar antreten. Das hat das Landesgericht Salzburg entschieden. Insgesamt vier Frauen hatten Mauser wegen sexueller Nötigung angezeigt, aber er war der eigentlichen Inhaftierung durch seine Einsprüche (vor allen Dingen auf Grund gesundheitlicher Beschwerden) bislang entgangen.
Auf der Seite Harfenduo haben „Laura und Daniel“ den Fall kritisch begleitet. Sie kommen nun zum Ergebnis: „Was von dem Fall bleibt, ist vor allem großes Leid und teils viele verlorene Jahre bei allen Betroffenen – unabhängig davon, ob sie den juristischen Weg erfolgreich gegangen sind. Diese Tatsache darf nicht in Vergessenheit geraten. Siegfried Mauser ist vor allem eines: Ein Täter. Man muss vielleicht nicht hämisch werden, aber Mitleid muss man mit ihm auch nicht haben. Wir gehen davon aus, dass er zu jeder Zeit wusste, was er tat. Dies betrifft sowohl die Taten selbst, als auch seine mediale Selbstdarstellung, wie wir in unserem Blogbeitrag ‚Ein netter älterer Herr‘ ausführlich nachgezeichnet haben.“  

LESEEMPFEHLUNG: CORONATAGEBUCH AUS TÜBINGEN

Dieter und Peer Mia Ripberger
Wie lustig das Ernste zuweilen ist oder wie ernst das Absurde werden kann, das macht ein wirklich gut gelaunter Text über die schlechte Laune während der Corona-Pandemie im Zimmertheater Tübingen klar. Hier ein Auszug aus dem Text von Dieter und Peer Mia Ripberger: „Die Häuser sind ja überall voll, klar, aber seit 2Gplus, plusminus, 50 Prozent Kapazität, 25 Prozent Kapazität, kein Abo, Noshows, katastrophaler Freiverkauf, Maske, FFP2, die-Kinos-ja-auch, keine Rumsprache, Absagen und Programmumstellungen, Nachfragemangel, Bierrepublik, es ist einfach zu kompliziert geworden. Der Präsident: ‚Die Klebekraft der Couch.‘ Der andere Präsident: ‚Reduzieren wir unsere Kontakte!‘ Die gewesene Kanzlerin: ‚Wir brauchen drastischere Maßnahmen.‘ Der Kanzler: ‚Schönen Dank für Ihre Frage.‘ Der Gesundheitsminister, mahnend: ‚Noch reichen die Maßnahmen aus, aber…‘. Der Drosten: ‚Omikron hat breite Reifen.‘ Der Palmer: ‚Jetzt hilft nur noch beten.‘ Der Papst: ‚Macht Kinder, nicht Katzen.‘Zum ganzen Text in der Deutschen Bühne hier entlang.

30 JAHRE NACH DEM WELTUNTERGANG

Der Regisseur Peter Konwitschny
Wissen Sie, wer Heinz Sichrovsky ist? Wenn Sie, wie unsereins, regelmäßig die wichtigen deutschsprachigen Feuilletons durchackern, dann: sicher nicht. Es sei denn, Sie wohnen in Österreich, lesen auch die „Kronen Zeitung“, schauen zu Nachtzeiten ORF oder blättern beim Friseur mal in „News“: Der alte, weiße Boulevard-Hallodri Sichrovsky erinnert ein wenig an das Sprichwort von Gustav Mahler, der sinngemäß erklärte, dass man in Österreich Sichrovsky lesen sollte, denn für den findet selbst der Weltuntergang 30 Jahre später statt. Das war schon so, als er den Wechsel bei den Salzburger Osterfestspielen verpennt hat, und es ist jetzt so wie im „Fall Konwitschny“ in Nürnberg (Sie erinnern sich: An dieser Stelle haben wir vor über einem Monat davon berichtet, dass Peter Konwitschny rausgeschmissen wurde, weil er eine dunkelhäutige Chorsängerin beleidigte, andere Medien berichteten auch). Nun wirft sich Kultur-Populist Sichrovsky für Konwitschny (von dem schon lange auch ernsthaftere Ausraster bekannt sind) in den News-Schützengraben, erklärt Nürnberg-Intendant Jens-Daniel Herzog zu „nichts Gutem“ und verteidigt in einem Bausch noch schnell alle Ausraster von Claus Peymann – dabei ist er sich nicht zu schade, noch schnell die Verfolgung von Künstlern durch die Nazis ins Feld zu führen. Wer gegen die „riesenformatigen Quotenbringer“ (Peymann und Konwitschny) schmollt, solle „mit der zart besaiteten Nürnberger Chordame einen Gesangverein gründen“, empfiehlt Sichrovsky. Als Medien-Macho möchte man gern anmerken, wie schade es ist, dass weder der ORF noch sein Chef bei „News“ die Eier eines Jens-Daniel Herzog haben!

PERSONALIEN DER WOCHE I

Dirigentin Erina Yashima
Gut Ding braucht Weile! Es hat eben etwas länger als in Bamberg, Würzburg oder Köln gedauert mit der Revolution bei den Domspatzen. Nun erklärt der Regensburger Domkapellmeister Christian Heiß in der FAZ, warum der Regensburger Domchor erst jetzt auch Mädchen aufnimmt: „Nachdem jetzt unser gesamter Campus mit Chorbereich, Gymnasium, Tagesbetreuung und Internat erweitert und renoviert wurde, haben wir räumlich und personell die entsprechenden Kapazitäten, um diese Entscheidung zu treffen.“ (Ein bisschen Domspatzen in der Playlist am Ende des Artikels)
Die Dirigentin Erina Yashima wird Erste Kapellmeisterin an der Komischen Oper in Berlin. Nun hat sie dem VAN-Magazin ein Interview gegeben, in dem sie unter anderem erklärt: „Bei meinem Vordirigat an der Komischen Oper mit der Zauberflöte habe ich relativ schnell gemerkt, dass das Orchester sehr flexibel ist und total mitkommt. Man bekommt da vorher eine DVD mit der Produktion, mit der man sich ein bisschen die Tempi zurechtlegen kann. Aber mir war dann beim Dirigieren schnell klar: Die kennen die Musik so gut, wissen genau, wo die Tempi variieren können, sind total flexibel. Das hat wirklich Spaß gemacht. Wir haben das vorher nie geprobt in der Besetzung und es war trotzdem, als kenne man sich.“ +++ Es dauert nicht mehr lange, und der Schlagzeuger Martin Grubinger wird seine Karriere beenden, der Presse erklärt er: „Mein Talent habe ich ausgereizt.“ (ich habe Grubinger noch Mal auf unsere Playlist gesetzt) +++ Die Wiener Philharmoniker müssen einen Teil ihrer geplanten Tournee in Deutschland und Frankreich kommender Woche kurzfristig absagen - „aufgrund der hohen und stetig anwachsenden Covid-19-Fallzahlen im Orchester“, wie es von den Philharmonikern heißt. Betroffen sind die Konzerte in Köln (24. Januar), Hamburg (25. Januar) und Paris (26. Januar).

ABOUT LAST WEEK

Rolando Villazón in Salzburg
Ich habe an dieser Stelle sowohl über Anna Netrebko als auch über Rolando Villazón berichtet. Beide haben die gleiche Managerin, und die hat mir (genauer gesagt: meinem Herausgeber) einiges erklärt: Also, Anna Netrebko meinte das mit dem temporären Rückzug auf Instagram offenbar nicht so langfristig wie es wirken konnte – sie wird „natürlich“ in Berlin und in Zürich auftreten (interessant, dass die FAZ Benedikt Stampa, den Intendanten des Festspielhauses Baden-Baden, heute ebenfalls just mit ihrem Post konfrontierte). Und dann noch: Rolando Villazón habe die Mozartwoche nach Angaben seiner Managerin nicht auf Grund der geringen Auslastung abgesagt, sondern einzig wegen der Corona-Warnungen der Politik (es gab allerdings kein Verbot). Desweiteren sei man derzeit bemüht, Einigungen über Verschiebungen oder Ausfallzahlungen mit allen KünlsterInnen zu finden (gut zu hören: auch über die 20 Prozent hinaus, die mir von Agenturen genannt wurden). Natürlich habe ich auch noch einmal direkt bei der Mozartwoche nachgefragt. Während mir Informationen vorlagen, dass KünstlerInnen erst aus der Presse von der Absage der Mozartwoche erfahren hätten, erklärt die Mozartwoche nun, dass alle KünstlerInnen oder ihre Agenturen am Tag vor der Absage informiert worden seien. Außerdem gibt es nun auch mehr Klarheit über den Kartenverkauf vor der Absage: 78 Prozent der Tickets seien verkauft worden, heißt es aus Salzburg, allerdings hätte es auf Grund der Corona-Situation immer mehr Verunsicherung beim Publikum gegeben. Soviel zu den Fakten. Bleibt die Kunst: In einem sehr netten Telefonat haben wir beschlossen, gemeinsam über die Ausrichtung und die Visionen der Mozartwoche in einem der nächsten Newsletter zu streiten – in diesem Sinne: Peace, ey!

FAIR PAY – EIN VORBILD FÜR DEUTSCHLAND?

Der Deutsche Bühnenverein sollte sich das bitte mal ganz genau anschauen, was da gerade in Salzburg stattfindet. Das österreichische Bundesland nimmt die ersten Schritte in Richtung „Fair Pay“. Eine Umfrage hatte ergeben, dass 2,5 Millionen Euro nötig seien, wenn alle Beschäftigten in allen Kultureinrichtungen angemessen verdienen sollten. Nun stellt das Land zunächst 250.000 Euro zur Verfügung, es ist die erste Phase eines mehrstufigen Zuschuss-Plans. Für den ersten Teil der Umsetzung von „Fair Pay“ sind in Salzburg insgesamt eine Million Euro vorgesehen. Mehr als fünfzig Salzburger Kulturinitiativen und -einrichtungen werden davon künftig profitieren und können dann die Entlohnungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anheben. Perspektivisch wird es aber wohl eine grundlegende Frage von Verträgen sein, faire Bezahlung zu sichern – und da schläft der Bühnenverein schon seit Jahren.

PERSONALIEN DER WOCHE II

Die Preisträger des „Classical Music Awards“ ICMA stehen fest: Der Dirigent Ádám Fischer wird für sein Lebenswerk ausgezeichnet, der Klarinettist Martin Fröst ist Künstler des Jahres, Nachwuchskünstler des Jahres: der Geiger Gennaro Cardaropoli. Frauen in der Preisträgerliste? Fehlanzeige! +++ Die Münchner Staatsoper ist nun auch auf TikTok, das ist Teil der neuen Online-Philosophie von Intendant Serge Dorny. Sowas kann nie schaden – eine überschaubare Homepage wäre für den Anfang allerdings auch eine Strategie gewesen, oder? +++ Die designierte Intendantin des Aalto-Musiktheaters, Merle Fahrholz, hat die ersten Ideen für ihre im Sommer beginnende Amtszeit vorgestellt: „Ich möchte Menschen berühren, Leidenschaft weitergeben. Die Oper ist etwas sehr Sinnliches. Es gibt kaum eine Kunstform, die so vielschichtig ist und in der sich Menschen auf so verschiedene Weise wiederfinden können.
Sebastian Freitag heißt der neue Domorganist der Dresdner Kathedrale. Der 36-Jährige tritt die Nachfolge von Johannes Trümpler an. Zu seinem neuen Arbeitsplatz – der berühmten Silbermannorgel der Kathedrale – sagt Sebastian Freitag: „Ich freue mich darauf, hier Musik zu machen. Man geht mit Ehrfurcht an dieses Instrument.“ +++ Die Verkündung des britischen Adelstitels „Knight Bachelor“ hatte bereits ein Jahr zuvor stattgefunden. Im Dezember wurde der Chef der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles nun auch real von Prince Charles zum Ritter geschlagen. Außer den Briefbögen habe sich nicht viel verändert, scherzte Sir Donald später in der „Morgenpost“ – britischer Humor scheint noch wichtiger für den Titel als musikalisches Können. 

UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur! In einer Welt der vollkommenen Unsicherheit war es ein Genuss, im Theater an der Wien die „Tosca“ zu sehen: Voll bis auf den letzten Platz - geimpft und getestet und alle mit: guter Laune! Jubel für den chilenischen Tenor Jonathan Tetelman und ein herrlicher Bravo-Buh-Streit im ganzen Theater um die Schnee-Inszenierung von Martin Kušej. So muss Oper sein! Und noch etwas Gutes: Das prognostizierte Chorsterben im Osten scheint auszufallen! Die Verbands-Präsidentin des Sächsischen Chorverbandes, Luise Neuhaus-Wartenberg, teilte mit, dass insgesamt sieben Laienchöre mit 300 Sängerinnen und Sängern den Lockdown nicht überstanden hätten, das seien zwar Verluste, aber in „weitaus geringerem Maße", als erwartet. Bei den betroffenen Chören seien auch welche dabei gewesen, die schon vor der Pandemie mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Vor einem Jahr hatte sie noch befürchtet, dass 50 bis 60 Chöre verschwinden würden, „das ist bis dato nicht eingetreten“, freute sie sich im MDR.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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Fotos: Philipp Schmidt, Bernd Weissbrod/Picture Alliance/BR24, Todd Rosenberg Photography

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