KlassikWoche_RGB_2020-09

Von Kunst, Politik und Management

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einer pessimistischen Zukunfts-Prognose, einer heißen Debatte über die Politik in der Musik und einer bezeichnenden Absage von Valery Gergiev.

GERHAHER WARNT VOR DÜSTERER ZUKUNFT

Christian Gerhaher
Der Sänger Christian Gerhaher zeichnet ein düsteres Zukunfts-Szenario in einem lesenswerten Gespräch mit Markus Thiel für den Merkur. „Es hat sich viel geändert“, erklärt er, „ich glaube, dass den Institutionen, die im Vergleich zur Laienmusik und zu vielen selbstständigen Solisten oder zur Nachwuchsförderung gut überlebt haben, eines dämmert: Die reduzierten Zuschauerzahlen werden nicht mehr lange als Entschuldigung dafür dienen, wenn die Häuser gar nicht mehr voll werden. Man weiß eigentlich nicht, wie dieses Defizit an Besuchern jemals wieder ausgeglichen werden kann.“ Besonders nimmt Gerhaher das Regietheater auf den Kieker. „Ich verstehe bei Regisseuren diese Aktualisierungsmanie nicht“, sagt er. Aber irrt Gerhaher hier nicht? Ist es nicht so, dass gerade dort, wo Opern nicht in die Gegenwart gestellt werden, in den USA oder in Italien, die Zuschauerzahlen noch mehr wackeln?
Zur gleichen Zeit machen sich die Bewahrer stark, Bernhard Neuhoff vom BR etwa fordert auf Facebook ironisch ein „Phrasenkleingeld der gratismutigen ‚Nestbeschmutzer‘“ für Sätze wie „Weiter-So in der Klassik kann es nicht…hinterfragen…liebgewonnene Rituale…gesellschaftliche Relevanz…selbstrefenzieller Betrieb…wir müssen endlich…Bildungsbürger…und vor allem: unbequeme Wahrheiten aussprechen!!“ Ich bin mir nicht so sicher, ob es „gratismutige Nestbeschmutzung“ ist, oder eher doch die Angst der meist nicht fest angestellten Klassik-Menschen, die ihre Augen vor grundlegenden Veränderungen nicht einfach verschließen können. Aber, hey, lasst uns drüber debattieren!

ZOFF AN DEN BÜHNEN FRANKFURT

Die Entscheidung über den Neubau der Städtischen Bühnen Frankfurt zieht sich hin. Der Betriebsrat von Oper und Schauspiel spricht sich inzwischen gegen eine Sanierung aus. Das berichtet die „Frankfurter Rundschau“. Der Betriebsratsvorsitzende Roland Sittner beschrieb die problematischen Arbeitsbedingungen an der Oper und plädierte für einen Neubau: „Wir haben Orchestermusiker:innen, die sich täglich im Keller ohne Tageslicht oder Frischluftzufuhr einspielen und vorbereiten müssen; Techniker:innen von Schauspiel und Oper, die sich durch verwinkelte Andienungswege körperlichen Gefährdungen aussetzen; Künstlergarderoben, die sich im Sommer wie Öfen aufheizen und nicht zu kühlen sind; für gehbehinderte Menschen sind aufgrund der verschiedenen Ebenen und zahlreichen Treppenverbindungen Teile des Gebäudes nicht zugänglich.“

WIE POLITISCH SOLL KUNST SEIN?

Letzte Woche habe ich hier einen FAZ-Text von Max Nyffeler über das Eclat-Festival zitiert. Nyffeler kritisierte die Über-Politisierung des Festivals. Darauf schrieb mir Intendantin Christine Fischer und erklärte mir, dass es neben schlichten Fehlern im Text wichtig wäre, dass Musik politisch sei – immer! Für meinen Podcast „Alles klar, Klassik“ haben wir uns darüber unterhalten. Die Arbeit von Komponistinnen und Komponisten habe sich grundlegend verändert, erklärte Fischer, sie müssen sich heute in einer digitalen Welt positionieren, außerdem sei es klar, dass Festivals sich an den Erwartungen der Politik orientieren müssen – am Ende sei es die Aufgabe von Intendantinnen und Intendanten, Freiräume zu schaffen und ihre Programme zu legitimieren. Im gleichen Podcast erklärte der Kulturjournalist Peter Grabowski, dass Claudia Roths Auffassung, dass Kultur die Demokratie stärken solle (Roth ist übrigens gerade als erste Kulturpolitikerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz gewesen), absurd sei. Grabowski fordert einen öffentlichen Diskurs, ein Aushandeln der Frage, warum wir uns als Land Kultur leisten wollen.
Und auch Max Nyffeler meldete sich noch einmal zu Wort. Lesenswert ist sein Disput mit Christine Fischer in der Kommentar-Funktion des Podcasts. Nyffeler schreibt: „Christine Fischer hat doch früher eine viel breitere Auswahl von Werken und Komponisten vorgestellt, und ich wage noch immer zu hoffen, dass diese zweifellos sehr fähige Organisatorin den Weg zurück ins Offene findet.“ Und Fischer antwortet: „Übrigens kenne ich von Claudia Roth nur Einlassungen, die die absolute Freiheit von Kunst fordern. Bedenke doch, welchem Rechtfertigungsdruck die Kunstförderung derzeit ausgesetzt ist, und wie großartig es ist, wenn jemand die gesellschaftliche Bedeutung, ja die Unverzichtbarkeit von Kunst in einer demokratischen Gesellschaft herausstreicht - um im gleichen Atemzug die Freiheit der Kunst zu postulieren. Die Forderung richtet sich doch an die Gesellschaft und nicht an die Kunst!“ Am Ende steht das Angebot für eine Friedenspfeife von Nyffeler: „Aber lass uns über diese nicht lösbaren Probleme demnächst unter vier Augen ein bisschen ausführlicher sprechen. Es wird bestimmt ein interessantes Gespräch werden.

NETREBKO UND VILLAZÓN – UND JETZT IST MAL RUHE!

Vor einigen Wochen sorgte dieser Newsletter für Aufregung, als es am Anfang um Anna Netrebko und Rolando Villazón ging. Und ich wollte das Thema eigentlich ad acta legen. Damals hieß es, Netrebko sei müde von der Arbeit, Villazón hatte ich kritisiert, weil er die Mozartwoche in Salzburg abgesagt hatte. Ich hatte überlegt, ob das auch an den klammen Kassen liegen könne. Beides sei erstunken und erlogen, erklärte die Managerin der beiden damals. Doch irgendwie wird es nicht still. Auch nach ihrer kurzen Auszeit titelte der Express nun: „Netrebko sieht dunkelschwarz: Tausende Fans sorgen sich um die Diva“. Es heißt: „‚Mein Leben ist nicht wunderbar‘, klagte die weltberühmte Opernsängerin erst kürzlich – und jetzt folgten weitere Instagram-Aufnahmen, die ihre Fans alles andere als beruhigen: Die Diva sieht wirklich nicht gut aus. Und bei einem seltsamen Ausflug in Neapels Hinterhöfe filmt sich die Österreicherin beim Gehen durch die engen Gassen zwischen den schäbigen Fassaden.“ Und auch Rolando Villazón erklärte nun in der Kleinen Zeitung, dass es sehr wohl Finanzprobleme bei der Mozartwoche gäbe. 2023 müsse er ein komplett neues Programm planen. „Aber nach zwei Jahren ohne Besucher in den Mozart-Museen ist die finanzielle Lage der Stiftung Mozarteum schlimm. Ich muss also auch für 2023 meine Pläne adaptieren. Die geplante große Inszenierung wird es nicht geben.“ Netrebko und Villazón verbindet ein Vermarktungs- und Geschäftsmodell, das ihnen eine Rolle zuschreibt, die ein bisschen zu glamourös, ein bisschen zu übertrieben, ein bisschen zu groß für echte Menschen scheint. Vielleicht ist nicht der Urlaub von der Bühne sondern der Urlaub vom Management die bessere Lösung für die beiden? Ich halte jetzt auf jeden Fall erst mal die Klappe. Aber dieses war mir wichtig, um zu zeigen, dass unsere Berichterstattung sich nicht am Management-Diktum orientiert.

PERSONALIEN DER WOCHE

Generalmusikdirektorin des Theaters Magdeburg Anna Skryleva
Krach-Bumm-Aus: Spontan hat der nimmerkranke Valery Gergiev ein Konzert bei den Wiener Philharmonikern abgesagt. Franz Welser-Möst hat spontan übernommen. Die Gründe: unklar. Irgendwo hieß es, dass nicht klar gewesen sei, wer den Privatjet zahlen sollte. Mit Politik hätte die Absage aber nichts zu tun, wird gesagt. Man darf gespannt sein, ob Vladimir Putins Vorzeige-Musiker bei der anstehenden US-Tour der Wiener Philharmoniker in der Carnegie Hall dabei sein wird. +++ An der Bayerischen Staatsoper wird weiter gespart: Bereits 2020 hatte München den üblichen Zuschuss von 4,9 Millionen Euro um die Hälfte gekürzt, 2021 wurde er ganz gestrichen. Und auch 2022 wird er nicht ausbezahlt, das meldet die Süddeutsche. „Der Mittelausfall macht Planungen natürlich nicht einfacher, zur Disposition steht aber zum jetzigen Zeitpunkt nichts", teilt Staatsopernsprecher Michael Wuerges mit. Von Verstimmungen zwischen Politik und Intendant Serge Dorny sei allerdings keine Rede. +++ Um bei ihren Reisen CO2 einzusparen, hat sich die Pianistin Hélène Grimaud für das Auto als Transportmittel entschieden, das habe mit ihrem Anspruch an die eigene Ökobilanz zu tun, erklärte sie dem Bayerischen Rundfunk. +++ Daniel Barenboim (79) muss weitere Konzerte absagen: Er hat sich am 6. Februar einem chirurgischen Eingriff an der Wirbelsäule unterzogen und plane – auf Empfehlung seiner Ärzte – ab Anfang März wieder aufzutreten. +++ Eine besondere Entdeckung ist der neuen Generalmusikdirektorin Anna Skryleva in Magdeburg gelungen: Sie entdeckte die Oper „Grete Minde“, die der 1875 geborenen Berliner Damenkonfektionist Eugen Engel komponiert hatte. Worum es da geht und warum die Aufführung ein Erfolg war, beschreibt Udo Badelt im Tagesspiegel. +++ Regisseur Frank Castorf poltert mal wieder herrlich laut. Auf der Seite von Bohema erklärt er, dass niemand so geil sei wie er. Es fehle an künstlerischen Intendanten, sagte er, „und die es sind, sind sehr vom Management geprägt, also vom Erfolg. Erfolge sind auch Zuschauer*innen, aber in erster Linie Medien. Und in allererster Linie fehlt es an Kulturpolitiker*innen, die früher überhaupt keine wirkliche Rolle gespielt haben. Heute sehe ich bei vielen Intendanten so ein Untertauch-Prinzip. Im Augenblick geht’s den Theatern nicht mal schlecht, nur Zuschauer*innen sind nicht richtig da, aber sie sind immer das teuerste. Man kommt immer mit dem Geld des Theaters aus, wenn man nicht Theater machen will.“

UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?

Ja, wo zum Teufel steckt es denn? Vielleicht hier: Ich werde an dieser Stelle nur BERICHTEN, dass die Pianistin Yuja Wang bei ihren Auftritten inzwischen mehr anhat als sonst. Natürlich nicht untenherum, sondern sie trägt neuerdings eine modische Sonnenbrille auf der Nase. Wer’s sehen will – das ist die negative Nachricht – muss heute mal selber googeln.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

Fotos: Theater Magdeburg / Andreas Lander, Sony / Gregor Hohenberg

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