KlassikWoche_RGB_2020-09

Von Amoral und Wohlstandsverwahrlosung

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einer spannenden Debatte über den Kurs der Salzburger Festspiele, über Handbremsen bei China-Reisen und mit einer vollkommen neuen CRESCENDO-Website!

SALZBURG ALS FEST DER AMORAL?

Die Hofstallgasse in Salzburg während der Salzburger Festspiele
Wenn die Wogen hochschlagen, ist es meist gut, ausgeruht die Lage zu sondieren. „Toxisches Sponsoring“ hat Autor und Regisseur Lukas Bärfuss den Salzburger Festspielen vorgeworfen, bezog sich dabei besonders auf das Unternehmen Solway. Außerdem steht Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser wegen russischer Sponsoren in der Kritik. Den alten Deal mit Gazprom hat er bereits als Fehler eingestanden, von der russischen VCA-Stiftung will er sich aber nicht trennen, und auch an Teodor Currentzis und seinem von der VTB Bank finanzierten Ensemble musicAeterna, in dessen Vorstand drei der engsten Putin-Vertrauten sitzen (wir haben berichtet), will er festhalten. Letzte Woche sprang ihm der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem Essay bei. Kultur sei ein Ort der Amoral, erklärte er darin, auch beim Sponsoring müsse man ein Auge zudrücken. In meinem aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Formate kostenlos nachzuhören)  debattiere ich die Sache noch einmal ausführlich mit Liessmann. Er erklärt, der Maßstab des Handelns in der Kultur müsse das Gesetz, nicht die Moral sein (hier das Gespräch mit Liessmann).
Ganz anders sieht das Christian Kuhnt, der Intendant des Schleswig-Holstein-Musikfestivals. In einem ausführlichen Gespräch über Perspektiven des Sponsorings sagt er, dass er einige Partner der Salzburger Festspiele für „offensichtlich bedenklich“ halte, dass man zunächst  prüfen und erst dann das Geld nehmen solle und dass ein wenig „Hausverstand“ genüge, um das Gute vom Schlechten zu trennen. „Wenn man 450 Euro für eine Karte bezahlt und beim Sponsoring auf Unternehmen wie Solway setzt, kann man da durchaus so etwas wie Wohlstandsverwahrlosung erkennen“, sagt Kuhnt (sein Gespräch ist hier nachzuhören). In einem Standard-Interview wird der/die Essayist/in Masha Gessen, der/die für den „New Yorker“ schreibt und mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, noch deutlicher: „Currentzis hat jahrelang russische Staatsgelder erhalten. Ich habe kein Problem damit, dass er dafür bestraft wird. Ich wünschte, die Kulturgemeinschaft würde endlich klarere Vorkehrungen für KünstlerInnen treffen, die unmoralisch handeln und so tun, als könnten sie außerhalb der Politik existieren.Thomas Knubben, Professor für internationales Kulturmanagement fasst die Situation so zusammen: „Salzburg ist ein Sonderfall. Die Stadt will dieses Sponsoring offenbar, das Land will es, Österreich will es – die Welt will es. Die Künstler wollen es, und das Publikum will es. Wer also soll dieses System aus den Angeln heben?“ Ich persönlich glaube, dass es eine wichtige Aufgabe der Zukunft sein könnte, Nachhaltigkeit, Fairness und – ja auch so etwas wie einen moralischen Kompass – mit großer Kultur in Einklang zu bringen. Die Zeit ist vorbei, dass Amoral als Notwendigkeit für große Kunst verstanden werden muss. Und was sagt eigentlich Igor Levit zu all dem – der hat doch sonst immer eine Meinung.

WIE WAR ICH? GEDANKEN ZUR MUSIKKRITIK

In der dritten Folge der Debatte um die Zukunft der Musikkritik vom Lucerne Festival debattiere ich mit dem Intendanten Michael Haefliger und dem Dirigenten Franz Welser-Möst über die Frage, was MusikerInnen von Kritik erwarten. Muss es immer Joachim Kaiser sein? Wann hilft Kritik, wann ist die desavouierend? Und vor allen Dingen: Wer versteht sie überhaupt noch? Die ganze Diskussion im Video (oben).

LEIPZIG, LONDON, PEKING? – NICHT MEHR UNBEDINGT

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Als ich im letzten Podcast über die Situation der Orchester debattiert habe, kristallisierte sich heraus, dass die große Zeit der Globalisierung wohl erst einmal vorbei ist. Muss in Zeiten von Krieg und Klimawandel wirklich jedes Ensemble andauernd durch die Welt reisen? Oder werden Gastspiele in Zukunft wieder zu etwas Besonderem. Ein Ende der Routine durch die klare Frage: Warum reist man mit welchem Orchester und welchem Programm an welchen Ort? Und vor allen Dingen, wird der Exportschlager der Zukunft das Klang-Image, das man zu Hause, vor Ort mit seinem eigenen Publikum entwickelt?
Manuel Brug hat das Gewandhausorchester für die Welt begleitet und seinen Intendanten, Andreas Schulz dazu befragt. Der erklärte, dass Ziele wie China bei ihm nicht mehr unbedingt auf der Agenda stehen: „Schulz plant kommende Tourneen verhalten, sucht nachhaltigere Reiselösungen. Eine Chinatour etwa steht schon aus politisch-moralischen Gründen auf schwächelnden Füßen.“ Tatsächlich scheinen Corona und Krieg die Orchester zu zwingen, erst einmal wieder zu Hause das eigene Profil zu entwickeln, um dann mit ihrem ureigenen Image auf Reisen zu gehen.

INTIMERE FORMATE, BITTE

Zum Wandel der Musik passt auch ein lesenswertes Interview, das Christiane Peitz für den Tagesspiegel mit Musikmanager Karsten Witt geführt hat. Nachdem der Dirigent Vladimir Jurowski letzte Woche an dieser Stelle erklärt hatte, dass deutsche Orchester in Sachen Eigenverantwortung einiges von englischen Orchestern lernen könnten, stößt Karsten Witt nun in ein ähnliches Horn: „Die deutschen Orchester sind im Management unterbesetzt, meist haben sie nur fünf bis acht Mitarbeiter. Bei jedem Londoner Orchester kümmern sich rund 30 Leute um Personalentwicklung und Finanzen, Fundraising, Education-Arbeit, Marketing etc.“ Publikumserfolg scheint das allerdings nicht zu garantieren. 
In seinem Reisebericht mit dem Gewandhausorchester berichtet Brug gerade in England von leeren Sälen: „Keines der Leipziger Konzerte, die von den sonst gern spitzzüngigen Lokaljournalisten enthusiastisch beurteilt werden, war ausverkauft, viele Tickets gingen erst in letzter Minute über den Tresen. Man kommt zuweilen in Bermuda-Shorts, nimmt selbstverständlich das Pausenweinglas mit in den Saal; Programmhefte gibt es nur noch als Download.“ Und wie geht es weiter? Karsten Witt erkennt derzeit eine große Verunsicherung in der Klassik-Szene: „Die Abonnenten kommen zurück, auch die Fans der Stars, aber ein großer Teil des Publikums bleibt weg. Wir haben uns ja zwei Jahre lang an ein soziales Leben gewöhnt, das sich vor allem zuhause abspielt. Vermutlich müssen wir versuchen, mit kleineren, intimeren, informellen Konzertformen, auch in neuen Räumen ein neues Publikum zu gewinnen, mit spannenden Programmen, bei denen geredet, musiziert und konsumiert wird, wo ein neues soziales Leben entsteht. Gleichzeitig müssen die großen Häuser ihre Säle schnell wieder füllen, ein Dilemma.“

ELISABETH SOBOTKA NACH BERLIN

Elisabeth Sobotka
Dass die Intendantin der Bregenzer Festspiele, Elisabeth Sobotka, als Intendantin an die Staatsoper nach Berlin geht, war seit Monaten ein offenes Geheimnis. Es war offenbar nicht leicht, eine Nachfolgerin für den scheidenden Intendanten Matthias Schulz (er geht nach Zürich) zu finden, der auch Daniel Barenboim genehm war. Das wirklich Absurde an der Benennung von Sobotka war, dass das Online-Magazin VAN die Nachricht als erste meldete, woraufhin der Pressesprecher der Senatsverwaltung für Kultur, Daniel Bartsch, offenbar versuchte, das Magazin als „digitale Fakenews“ zu verunglimpfen (wie es Volker Blech in der Morgenpost schreibt). Tatsächlich hatte das VAN-Magazin immer wieder die Führungsmethoden von Barenboim beleuchtet und debattiert. Die Diskreditierung von recherchierenden JournalistInnen ist ein Vorgehen, das auch ich schon öfter erleben musste. Ist es nicht gut, dass endlich auch in der Klassik eine Art von Journalismus einzieht, die Gemauschel, rücksichtsloses Verhalten und despotisches Benehmen thematisiert? KulturpolitikerInnen und KünstlerInnen täten gut daran, diesen Umstand nicht zu diskreditieren, sondern ihn dankbar zur Kenntnis zu nehmen.

PERSONALIEN DER WOCHE

Teresa Berganza
Der The­ater­regis­seur Ivo van Hove übern­immt ab Novem­ber 2023 die kün­st­lerische Leitung der Ruhrtri­en­nale. Das gab Nor­drhein-West­falens Kul­tur­min­is­terin Isabel Pfeif­fer-Poens­gen bekan­nt. Der Bel­gi­er gestal­tet die drei Spielzeit­en 2024 bis 2026. Er fol­gt tur­nus­gemäß auf die aktuelle Inten­dan­tin Bar­bara Frey. +++ Claude Meisch, Luxemburgs Minister für Erziehung hat bekannt gegeben, dass sein Land das erste in Europa ist, das allen Kindern kostenlosen Musikunterricht außerhalb der Schule anbietet: „Diese Entscheidung stärkt nicht nur die kulturellen Möglichkeiten unseres Landes, sondern gibt den Kindern auch nützliches Wissen für ihre Zukunft an die Hand.“ +++ Aufgrund einer angeblichen Krankheit hat Anna Netrebkos Mann, Yusif Eyvazov seine Auftritte als Rodolfo in „La Bohème“ an der Metropolitan Opera in New York abgesagt. Zuvor hatte Intendant Peter Gelb erklärt, dass er Netrebko nicht auftreten lassen wird. +++ Valentina Lisitsa wurde als YouTube-Pianistin weltbekannt, nun hat sie ihre Loyalität zu Putin bekundet, indem sie im angeblich „befreiten“ Mariupol russische Soldatenlieder gespielt hat. +++ Fabrice Bollon wird Chefdirigent der Staatskapelle Halle und Generalmusikdirektor der dortigen Oper. Der Vertrag startet mit der Spielzeit 2022/2023 und hat eine Laufzeit von fünf Jahren. +++ Berlins Kul­turse­n­a­tor Klaus Led­er­er will bis Ende 2022 einen Nach­fol­ger für den Inten­dan­ten der Deutschen Oper Berlin, Diet­mar Schwarz, gefun­den haben. „Das halte ich für real­is­tisch”, sagte der Linken-Poli­tik­er dem Tagesspiegel. Schwarz hat­te seinen Ver­trag zulet­zt nur um drei Jahre bis Juli 2025 ver­längert. Er leit­et das Haus seit 2012. +++ Die große Teresa Berganza ist tot. „Sie wies mit Leichtigkeit, Wärme und Präzision der Rossini-Renaissance den Weg und war eine Carmen von gefährlicher Intelligenz. Jetzt trauert ihr Heimatland Spanien um eine seiner größten Sängerinnen der Nachkriegszeit“, so ruft ihr Jan Bachmann in der FAZ nach.

UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Manchmal liegt es besonders nahe, nämlich genau hier, auf Ihrem Bildschirm – die neue CRESCENDO-Website. CRESCENDO hat sich zwar nicht neu erfunden, sich aber ein Facelift verpasst. Aktualität in einem modernen Format – die Idee bleibt die gleiche: qualitativ hochwertiger Journalismus und gut recherchiert Beiträge und Informationen über Oper, Konzert, Ballett, Theater, Kunst – Musik und Kultur als Lebensform. Getoppt mit Reisen, Kulinarik und Inspirationen jeglicher Couleur. Besuchen Sie doch mal die neue CRESCENDO-Seite – die einfache Navigation, die selbsterklärende Struktur und die intuitive Nutzerfreundlichkeit werden Sie begeistern. Und weil nichts so beständig wie der Wandel ist, freut sich das CRESCENDO-Team, Sie in den nächsten Monaten immer wieder mit neuen Rubriken, Ideen und Funktionen zu überraschen. Bleiben Sie also neugierig, und entdecken Sie die neuen Seiten von CRESCENDO!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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