KlassikWoche_RGB_2020-09

Geist ist geil

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

einen schönen Pfingstmontag, der auch das Motto des heutigen Newsletters vorgibt: Geist ist geil! Es geht um einen Geist der Kulturpolitik, um Geister der Zukunft, nur für kleine Quälgeister bleibt heute leider kein Platz.

Der Geist der Claudia Roth

Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth
Diese Woche hat Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien ihren Haushalt erklärt, und es war für mich – nach all den Jahren von Monika Grütters – wohltuend, zu hören, dass der Geist ihres Kulturbegriffes weit gefasst ist: Kultur als Beweis einer Demokratie, als Arena des Ringens um richtige Antworten, als Verantwortung für Verfolgte – Roth betonte die besondere Rolle des kritischen Journalismus als Grundlage gesellschaftlicher Freiheit.
Und trotz der aktuellen Kriegssituation scheint es glaubhaft, dass Roth und ihr Ministerium nun tatsächlich die dringenden Fragen nach KünstlerInnen-Verträgen, nach der Rolle der Künstlersozialkasse und den Lehren aus der Corona-Krise anpacken wollen. Mich persönlich hat das überzeugt. Aber schauen Sie selber: hier die ganze Rede.  

Der Geist des Geldes

Der Hamburger Senat hat den Vorschlag von Geschäftsmann Klaus-Michael Kühne abgelehnt, der Stadt eine neue Oper für 400 Millionen hinzustellen. Richtig so, sagen sowohl NDR-Mann Daniel Kaiser als auch ich in meiner SWR-Kolumne. Und das liegt nicht nur daran, dass ich es als Werder-Fan andauernd beobachte, wie Kühnes Millionen den HSV in die zweite Liga betoniert haben (und ich wünsche mir wirklich mal wieder ein Erste-Liga-Derby!), sondern auch, weil der Geist von „Ich kaufe euch mit meinem Geld eine bessere Welt“, der Geist von Elon Musk und Co., irgendwie vollkommen uncool ist!

Der Geist der Wagner-Ambivalenz

Wagner-Denkmal von Stephan Balkenhol in Leipzig
Vor einigen Wochen ging es an dieser Stelle um den Streit über Wagner-Aufführungen in Israel (dort plant der Wagner-Verband erstmals die Aufführung einer ganzen Wagner Oper), und auch in der Geburtsstadt des Komponisten, in Leipzig, reibt man sich regelmäßig an Wagner – und dessen Antisemitismus. Pünktlich zur Veranstaltung „Wagner 22“ stellte Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) eine Anfrage, ob sich das Festival auch genügend um die Aspekte des Wagnerschen Antisemitismus kümmern würde. Die Stadt antwortete ausführlich mit: „Ja“.
So nervig derartige Positionierungen immer wieder sind, sie gehören, wie Wagner-Experte Alex Ross sagt, wohl zur Ambivalenz, mit der wir es bei diesem Komponisten, seiner Biografie und seiner Vereinnahmung durch die Nazis immer wieder zu tun haben. Mehr noch: Bis heute ist die Deutungshoheit Wagners umkämpft. In meinem Film „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ haben wir uns entschlossen, Positionen aus Abu Dhabi, Israel, Russland (sogar mit Valery Gergiev) und der Gegenthese aus Riga (dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Lettland, Māris Gailis) kommentarlos stehen zu lassen (und auch nachträglich nicht zu entfernen). Denn die Ambivalenz erklärt sich in der Vielstimmigkeit und muss sich im Bewusstsein – oder im Vokabular des heutigen Newsletters – im „Geiste“ der Betrachterin oder des Betrachters immer wieder neu ordnen.

Der Ungeist von Krieg in der Kultur

Der russiche Botschafter Dmitry Ljubinskij in Östererich, der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler
Wir haben in den letzten Monaten immer wieder über die Kulturpropaganda Russlands in Europa berichtet, namentlich über die Tätigkeit von Sergei Roldugin am Brucknerhaus in Linz (Roldugin hat Putins Milliarden in Panama versteckt und steht seit dieser Woche nicht nur auf der EU-, sondern auch der US-Sanktionsliste), über die problematischen russischen Sponsoren bei den Salzburger Festspielen, und wir haben an dieser Stelle über Teodor Currentzis geschrieben, in dessen Orchester musicAeterna drei der treuesten Putin-Freunde im Vorstand sitzen – ebenso wie über seine Russland-Tour mit Gazprom. Nun beschwerte sich das russische Außenministerium bei der österreichischen Regierung, dass die russische Kultur-Propaganda unterwandert würde: Die längst überfällige Trennung des Brucknerhauses von Roldugin sei „Cancel Culture“, explizit wurde Konzerthaus-Chef Matthias Naske angegriffen, weil er auch als Reaktion auf unsere Berichterstattung angekündigt hatte, fortan nicht mehr mit KünstlerInnen zusammenzuarbeiten, die nicht auf Seiten der Ukraine stünden – und auch Überlegungen der Salzburger Festspiele, ihre Sponsoren neu zu überdenken, stört Russland offensichtlich massiv. Zum einen ist der Protest Beweis, wie wichtig Russland die Kultur als Mittel der Propaganda ist, zum anderen ist die Kultur nun tatsächlich zum Politikum geworden (immerhin hatte sich Sebastian Kurz noch für eine Verlängerung von Roldugin in Linz eingesetzt) – was sicherlich auch für die weiteren Entscheidungen bei den Salzburger Festspielen von Bedeutung sein wird.
Aber irgendwie (Achtung: Ironie!) scheint die österreichische Regierung den Russen-Protest bereits geahnt zu haben und hat zuvor noch schnell die Ex-Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, als „Sonderberaterin für Auslandskultur“ im Außenministerium ernannt. Genau: jene Präsidentin, die den „Gazprom“-Vertrag unterschrieben, die russischen Freunde nach Salzburg geholt und die aktuelle, angespannte Situation der Festspiele überhaupt erst zu verantworten hat – kann man sich nicht ausdenken! Aber klar, das gefällt Russland. Die Botschaft in Wien schickte Rabl-Stadler sofort Gratulationen zum neuen Job im Außenministerium – auf Instagram, Facebook und twitter (siehe Foto)! Seine Freunde kann man sich eben (nicht) aussuchen. +++ Über Anna Netrebko haben wir eigentlich letzte Woche schon alles gesagt, und mehr war in ihrem Interview, das sie der „Zeit“ gab, auch nicht zu lesen. Sie selber hat auf Facebook inzwischen stolz ihren Sommerspielplan gepostet (ach, was war das noch ästhetisch, als Judith Neuhoff und die Universal sich um die Außendarstellung der Künstlerin gekümmert haben!): Neben Verona ist dort nun ein „Concert at Thurn und Taxis Palace“ aufgeführt, oder ein Auftritt in Ljubljana – in Deutschland wird Netrebko bei meinem Freund Louwrens Langevoort in der Kölner Philharmonie, in Stuttgart und natürlich bei Netrebko-Fan Christoph Lieben-Seutter in der Elbphilharmonie singen. Was ich interessant finde, ist, dass sich in ihrem Fall die Veranstalter- und Fanmeinung von einer breiten Wahrnehmung in der Bevölkerung grundlegend zu unterscheiden scheint. Ein Blick auf die Kommentarspalte, etwa im Standard, ist durchaus aufschlussreich.     

Persönliche Geister

Bradley Cooper als Leonard Bernstein
Die Ähnlichkeit ist verblüffend: Erste Bilder vom Netflix-Set kursieren im Netz: Sie zeigen Schauspieler Bradley Cooper als Leonard Bernstein – und der scheint Bernstein wie aus dem Gesicht geschnitten. Eigentlich hatte Steven Spielberg sich die Rechte am Bernstein-Bio-Pick gesichert, hat sie dann aber abgegeben. +++ Auch Robert Braunmüller von der AZ denkt nun über die Nachfolge von Valery Gergiev bei den Münchner Philharmonikern nach und entdeckt bei den DirigentInnen der kommenden Saison einige Kandidaten. Einer seiner Favoriten scheint Krzysztof Urbański zu sein. Dagegen spräche allerdings, dass Gergiev-Freund und Intendant Paul Müller offensichtlich noch immer am langsam sterbenden Tournee-Modell (besonders nach Asien) festhalten will und deshalb nur „auf große Namen“ setzt, mit denen er sein Orchester international verkaufen kann. Aber vielleicht wäre es gerade für die Münchner gut, erst einmal eine eigene Identität vor Ort und jenseits großer Namen zu finden. +++ Wegweisendes Urteil am Bundesgerichtshof: Weil eine Mitarbeitende der Bayerischen Staatsoper ihren Coronatest verweigerte, stellte das Haus sie im Sommer 2020 frei. Zu Recht, entschieden die Richter nun.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel steckt es nur? Wenn es in der Gegenwart schon schwer zu finden ist, vielleicht sollten wir das Positive in der Zukunft aufspüren? Während ABBA mit Avataren auftritt, versucht die Klassik noch immer, dass der Computer programmiert wie Beethoven. Dabei hat die Zukunft längst begonnen, wir müssen das nur noch erkennen, sagt Helga Huskamp, Geschäftsführende Vorständin des ZKM in Karlsruhe in meinem aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik“ (hier für alle Podcast -Formate nachzuhören), und Tina Lorenz, die am Theater in Augsburg die Digital-Sparte leitet, lebt längst in neuen Welten. Das Theater-Haus mit seinen vier Wänden ist in Zukunft nur ein Ort der intimen Begegnung, dem das Netz in Nähe und Sinnlichkeit nicht nachsteht. Ein Podcast über Aufbrüche in neue Welten und die unendlichen Möglichkeiten der Kunst.

Der Geist von Proust

Einen haben wir noch: Ab sofort gibt es auf der Seite von CRESCENDO eine neue Rubrik, Künstler privat. Ein Fragebogen mit 88 Fragen, von denen mindestens 20 beantwortet werden sollen. Den Anfang macht Anne-Sophie Mutter. Was inspiriert sie? Was würde niemand von ihr vermuten? Wobei wird sie schwach? Sie wollen es wissen: dann bitte – hier entlang!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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