KlassikWoche_RGB_2020-09

Au revoir und Dosvidanja, Maestri

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

diese Woche dreht sich alles um unsere Dirigenten: Philippe Jordan und Teodor Currentzis verlassen ihre Orchester, Franz Welser-Möst spricht über Visionen für die Zukunft.

Krach an der Wiener Staatsoper

Philippe Jordan
Das war ein Knall: Der Musikdirektor der Wiener Staatsoper, Philippe Jordan, hat in der Österreichischen Zeitung Kurier ziemlich selbstmitleidig Luft abgelassen. Einer seiner Angriffspunkte waren ausgerechnet jene Regisseure, für die er als Teil des Leitungsteams mit verantwortlich ist: „Die Realität in der Arbeit mit den Regisseuren sieht dann anders aus. (…) Das Resultat ist (…)  leider immer seltener befriedigend.“ Volle Breitseite bekam auch Staatsopern-Intendant Bogdan Roščić ab. Man habe sich auseinandergelebt, erklärte Jordan:  „Ich hatte mir erhofft, dass ich hier in dieser Konstellation mein Ziel noch erreichen würde, aber das war eindeutig eine Illusion meinerseits.“ Viel zu lange hat der Intendant seinem Musikdirektor alle Freiheiten gelassen. Obwohl Kritik als auch Orchester Jordans Arbeit wenig schätzen, überließ Roščić ihm alle großen Premieren. Heuer will Jordan noch Meistersinger, Salome und Figaro dirigieren, nach 2025 will er dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Ob Roščić nach diesem Alleingang so lange an seinem Dirigenten festhalten wird (angeblich wollte er den Vertrag nicht über 2025 hinaus verlängern)?
Der aktuelle Streit birgt die Gefahr, dass die beiden eine Pseudo-Regietheater-Debatte lostreten: Jordan als Held der „Konservativen“, Roščić als innovativer Geist. Dabei war  Roščićs Regie-Wahl bisher weder mutig noch innovativ. Die künstlerische Kompetenz, so schien es über weite Strecken, hatte der einfallslose Direktor an Jordan-Manager Michael Lewin übergeben, aus dessen „Stall“ viele der Staatsoper-Besetzungen kamen. Roščić entpuppt sich immer mehr als eine Art Markus Hinterhäuser mit Tagesgeschäft: Einer, der gern auf Züge setzt, die längst abgefahren sind oder Trends bedient, die keine sind. Dennoch wurde Roščićs Vertrag bereits verlängert – wird er die Kraft (und die Ideen!) zur Neuerfindung der Staatsoper haben?    

Die Zukunft des Dirigierens

Franz Welser-Möst
Wesentlich mehr Mumm als Jordan hatte Franz Welser-Möst 2014. Von einem Tag auf den anderen hat er den Job als Musikdirektor der Wiener Staatsoper hingeschmissen, weil auf Grund von Intendanten-Eitelkeiten (damals regierte Dominique Meyer) keine Qualität mehr zu Stande kam. Welser-Mösts Karriere hat das nicht geschadet: Seit 2002 ist er Chefdirigent des Cleveland Orchestra, hat gerade eine spektakuläre Aufführung aus dem Autograf der Zweiten Mahler-Sinfonie hingelegt und sorgt mit seinen Dirigaten (und SängerInnen-Entdeckungen) in Salzburg regelmäßig für Aufhorchen. Für meinen Podcast „Alles klar, Klassik?“ habe ich mich mit Welser-Möst über Perspektiven des Dirigenten-Berufes unterhalten: Er glaubt daran, dass die Zukunft darin besteht, dass Dirigenten individuelle und langfristige Visionen für ein Orchester entwickeln müssen: ein Repertoire, an dem ein Ensemble wachsen kann, einen Ton, der das Orchester mit einer Stadt verbindet –  und natürlich: „Musik, die mir selber Spaß macht“. 
Im Podcast reden wir auch über das „Event“ Neujahrskonzert, das Welser-Möst 2023 zum dritten Mal dirigieren wird – 14 der 15 Stücke werden zum ersten Mal in diesem Rahmen aufgeführt (zur Offenlegung: Letztes Jahr habe ich gemeinsam mit Welser-Möst das Buch Als ich die Stille fand veröffentlicht). Im Interview erklärt Welser-Möst, dass er jungen Dirigenten empfiehlt, an mittelgroßen Opernhäusern Erfahrungen zu sammeln. Dass ein junger Dirigent durchaus ein großes Orchester leiten kann, sagt dagegen Ulrike Niehoff, Orchesterdirektorin beim Concertgebouworkest in Amsterdam, die gerade den 26-jährigen Finnen Klaus Mäkelä engagiert hat: „Klaus weiß genau, wie er seine Zeit einteilt und hat einen langfristigen Plan für das Orchester.“ Ich finde, beide Gespräche passen perfekt zu dieser KlassikWoche, in der sich so viel um unsere Dirigenten dreht.        

François-Xavier Roth ersetzt Currentzis

Erwartbar war, dass der SWR nicht mehr an seinem Chefdirigenten Teodor Currentzis festhalten würde. Nun erklärte das Orchester, dass François-Xavier Roth das fusionierte Ensemble von 2025 an erneut übernehmen wird. Currentzis wolle man auch „zukünftig verbunden“ bleiben. Wir haben in den letzten Ausgaben dieses Newsletters verfolgt, wie Orchesterchefin Sabrina Haane um den heißen Russland-Brei herumgeeiert ist. Und daran hat sich noch immer nichts geändert: Der SWR lässt Currentzis (der eh nur noch wenige Dirigate beim Orchester hat und nicht einmal mit dem Artist in Residence gemeinsam auftritt) einfach wegschleichen.
So entgeht man unbequemen Rausschmiss-Verhandlungen, verzichtet aber auch auf dringend nötige Haltung in Sachen Putin-Verbindungen von Currentzis. Haane macht es ihrem Kollegen Peter Müller gleich, der auch nach der Annexion der Krim noch an Valery Gergiev bei den Münchner Philharmonikern festhielt und den Putin-Propagandisten erst um fünf nach zwölf rauswarf, um heute so zu tun, als hätte er nichts mit diesem Versagen zu tun. Ich persönlich finde, gerade in Führungspositionen der Kultur sollte man mehr Haltung verlangen können.  

The slowly ending story

Im Festspielhaus in Baden-Baden scheint Intendant Benedikt Stampa gerade zu merken, wie vertrackt es ist, mit einem Orchester zu verhandeln, das seit Jahren von einem putintreuen Vorstand geleitet wird (was man gern ignoriert hat). Rund um den MusicAeterna-Tristan gibt es offenbar noch viel Unklarheit: Ob nun wirklich in Baden-Baden geprobt wird, ob man das Orchester überhaupt in den Westen bekommt, auf welches Konto man die Honorare bezahlt – all das war bis zu Redaktionsschluss noch offen. Aus dem Festspielhaus heißt es: „Sie müssen sich es so vorstellen, dass der Austausch nicht kontinuierlich ist und oft auch einfach logistische Dinge besprochen werden (…) Wir möchten uns (noch) einen Überblick verschaffen – Ausgang derzeit ungewiss.“ Blicke in einschlägige Social-Media-Kanäle zeigen, dass einige MusikerInnen von musicAeterna sich längst wieder zu Putin orientieren und Nähe zu Valery Gergiev suchen (siehe Foto unten).
Ziemlich klar ist auch, dass das Geschäft mit der Currentzis-Neugründung, dem Orchester Utopia eher schleppend läuft. Dass ausgerechnet Red-Bull-Mann Dietrich Mateschitz die Combo finanziert, ist so sexy wie die Söldner-Geschichte von RB-Salzburg. Zumal sein eigener Sender, Servus-TV die Wien-Premiere aus dem Wiener Konzerthaus übertragen will - natürlich mit Ioan Holender („die Krim ist russischer als russisch“) als Moderator. Die Marke Currentzis fällt ihren Erfindern derzeit ziemlich auf die Füße. Auch, weil sie in ihrer Gier nach Ticket-Geldern auf dem Auge der Weltpolitik blind waren. Es ist eine Frage der Zeit, wer wie schnell welche Wandlung vollzieht. Wie werden sich Matthias Naske, Markus Hinterhäuser oder Christoph Lieben-Seutter positionieren? Jemand wie Intendant Jochen Sandig macht vor, wie es gehen könnte: Er hat die Facebook-Umarmungs-Bilder mit Teodor Currentzis einfach gegen Facebook-Umarmungs-Bilder mit Oksana Lyniv ausgetauscht – und die spielt lächelnd mit. War was? (Ach so, das Foto oben kursiert als Satire auf Twitter, seit der denkwürdigen Lanz-Sendung letzte Woche, das Foto unten zeigt den musicAeterna-Musiker Vladimir Slovachevsky mit Valery Gergiev.)

9-Euro-Ticket: Werbung oder Dumping?

Eine Aktion des Theater Hagen sorgt für Aufregung: Für neun Euro kann man fast alle Vorstellungen des Theaters bis zum Ende des Jahres anschauen. Einmal zahlen und immer wieder hingehen. Ein Scoop der Marketing-Leiterin Mareike Hujo oder Wettbewerbs-Verzerrung zu Ungunsten freier Ensembles? Ich finde, gerade subventionierte Theater müssen die Krise derzeit aushalten. Langfristiges Dumping wäre die falsche Antwort! Lösungen müssen im langfristigen Alltag gefunden werden, im Programm, in der Verankerung vor Ort, im Sinn der eigenen Institution. Und trotzdem: Ein einmaliges, zeitlich befristetes 9-Euro-Ticket schafft Aufmerksamkeit und nutzt die Krise mutig als Chance. Wenn es um Marketing geht, ist das 9-Euro-Ticket also durchaus gelungen!

Personalien der Woche

Vera-Lotte Böcker
Die Jahres-Preise der Zeitschrift Opernwelt wurden bekannt gegeben. Überraschungen gab es eher nicht, gefeiert wurde das Alt-Bewährte: Die Oper Frankfurt von Bernd Loebe wurde „Opernhaus des Jahres“ (zum sechstem Mal in Folge), Kirill Serebrennikov wurde „Regisseur des Jahres“, Orchester des Jahres wurde das Bayerische Staatsorchester (zum zehnten Mal), Vera Lotte Boecker wurde Sängerin des Jahres. +++ „Viele Musiker hören Wörter im Kopf während sie spielen. So auch bei mir. Und zur Zeit höre ich Sätze gegen Putin“ – diesen Satz sagte der Pianist Evgeny Kissin in einem bewegenden Interview mit der BBC, in dem er auch über Demütigungen als jüdisches Kind in Russland sprach. +++ Preis-Verdoppelung: Die Kostenschätzung für die Renovierung der Komischen Oper in Berlin liegt nach Angaben der Senatsbauverwaltung bei 437,4 Millionen Euro. Vor vier Jahren waren noch rund 227 Millionen Euro veranschlagt worden. +++ Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst in Bayern will, dass der Bund den Theatern in der Energiekrise hilft: „Eine Reihe von Kultureinrichtungen sind ja jetzt schon mit exorbitanten Energiekosten konfrontiert. Da ist zunächst erstmal der Bund gefordert. Aber wir werden auch gleichzeitig in Bayern schauen, dass wir hier niemanden im Regen stehen lassen.“ Der BR hat zusammengefasst, wie Bayerns Bühnen auf die Energiekrise reagieren.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Ein Dirigent scheint vom ganzen Wirbel der Woche unbeeindruckt zu bleiben. Einer, der überall, wo Posten vergeben werden, im Gespräch scheint. Aber Daniel Harding hebt lieber ab – der Air-France-Pilot und sein Orchestre Philharmonique de Radio France sind Protagonisten in einem schrägen Video mit dem Feuervogel für AirFrance.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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