KlassikWoche_RGB_2020-09

Energie, Kultur und das Positive

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

Wie neugierige, schlaue Füchslein schauen wir heute endlich mal wieder auf die Bühne, entlocken ganz nebenbei Münchens Opernintendant Serge Dorny drei Grundsatzfragen, debattieren die Energiekrise in der Kultur – und uns wird ein wenig schlecht beim Moscow Mule im Wiener Konzerthaus.

Dornys Grundsatzfragen: Stadttheater, Ticket-Preise, Jetset

Die Gedanken von Bayerns Staatsintendant Serge Dorny haben es in sich. Die Krise, sagt er im aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik?“, sei ein Anlass, grundsätzliche Dinge der Klassik auf den Prüfstand zu stellen und neu zu denken. Dabei macht er konkrete Vorschläge: 1. Neudenken der Ticketpreise: Bei Inflation und Energiekrise ist die erste Preiskategorie an der Staatsoper nicht mehr so gefragt: „Wir müssen uns überlegen, ob wir das Konzept von Kartenpreisen nicht grundsätzlich neu denken müssen“, sagt Dorny, „schließlich werden wir staatlich bezuschusst, und es ist unser Auftrag, Kultur für alle offen zu halten.“
2. Unterschiedliche Stadttheatersysteme: Es sei nicht nachvollziehbar, dass Deutschland alle Theater mit einem ähnlichen System (Ensemble und Repertoire) betreibe. „Es wäre viel interessanter, zu schauen, welches System für welches Haus passen würde“, sagt Dorny. Er selber habe sowohl Stagione- als auch Repertoire-Häuser geführt – und in beiden gäbe es Vor- und Nachteile. Warum sollte man diese unterschiedlichen Modelle an unterschiedlichen Orten nicht unterschiedlich handhaben? 3. Neudenken des Ensembletheaters: 12 Millionen Euro gibt die Bayerische Staatsoper jährlich für Gäste aus. „Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, dem Ensemble wieder eine größere Rolle zu geben“, sagt Dorny und erinnert daran, dass Dietrich Fischer-Dieskau einst fast exklusiv an der Bayerischen Staatsoper gesungen hat. Corona habe uns gezeigt, dass der „Jetset in der Krise“ sei – könnte man die Oper vor Ort nicht wieder stärker machen? Debatten, die uns in den kommenden Wochen wohl noch beschäftigen werden.

Theaterkindergarten Wiesbaden

Was ist eigentlich mit unserem Freund Kai-Uwe Laufenberg, dem Intendanten in Wiesbaden? Staatssekretärin Ayse Asar und Kulturdezernent Axel Imholz wollen sich nun persönlich um den Theater-Kindergarten zwischen Kai-Uwe und seinem Geschäftsführer Holger von Berg kümmern (es kam immer wieder zu öffentlichem Zoff zwischen den beiden).
„Die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate haben leider gezeigt, dass die Arbeitssituation und das Betriebsklima deutlich gestört sind“, heißt es. Nun ist eine Mediation zwischen Kai-Uwe und Holger geplant – außerdem sollen Beschäftigte anonym und digital zur Arbeitssituation befragt werden. Eine Schande für das Ansehen eines der schönsten Theater des Landes.

Mit dem Zweiten hören Sie weniger

Man kann sich das nur allzu gut vorstellen, wie es beim Schnitt des Opus Klassik im ZDF-Ü-Wagen gelaufen sein muss. „Huiuiuiui, das ist aber frech“, wird einer gesagt haben, als er Danger Dans Rede für Igor Levit gehört hat: „Abschließen möchte ich diese Laudatio, einfach um Igor eine Freude zu machen, mit einer Nachricht an alle Antisemiten, Rassisten, Antifeministen und AfD-Sympathisanten vor den Fernsehgeräten: Ihr seid Vollidioten. Guten Abend.“ Dann wurde vielleicht gesagt: „Das mit der AfD, das bringt uns Ärger, müssen wir rausschneiden“, und vielleicht hat noch ein Praktikant interveniert: „Aber so wird die Klassik doch endlich streitbar – das war doch der spannendste Satz des Abends!“ Und wahrscheinlich hatte der verantwortliche Redakteur Schiss, weil er Klassik als pure, belanglose Schlager-Schönheit versteht und ließ die AfD aus dem Satz streichen.
Natürlich hätte man sich denken können, dass Influencer-Pianist Igor Levit sich diese Situation nicht entgehen lässt, und er sofort in die Twitter-Suppe spuckt. Hat er dann auch getan, zu Recht! Das ZDF, statt zu sagen, „stimmt, war doof“, hat sich stattdessen selbst die Erklärung noch fast bei der AfD ausgeliehen: Man sei zwar nicht mit der Maus ausgerutscht, hätte aber in der Eile einen Schnittfehler gemacht. Sorry, wird korrigiert. Ende der Durchsage. Natürlich weiß jeder, wie viel Zeit es kostet, zwei Worte aus einem Satz zu schneiden – so etwas passiert selten zufällig! Flüchtigkeitsfehler? Really? Oder nur die Erfüllung der Prophezeiung von Regisseur Enrique Sánchez-Lansch, der im Podcast schon vor drei Wochen erklärt hat: „In den Kulturredaktionen fehlt einfach der Mut.“

Es wird kalt in unseren Häusern

Inflation und Energiekrise, dazu: neue Tarifverträge und sinkende Zuwendungen vom Staat (die Stadt München hat gerade ihren Fünf-Millionen-Zuschuss für die Staatsoper gestrichen, und auch in Frankfurt muss gekürzt werden). Es wird immer schwerer, Theater- und Orchester-Haushalte für die kommende Saison aufzustellen. Wer früh in Nachhaltigkeit und Klimaschutz investiert hat, steht in der Krise besser da. Die Wiener Staatsoper ist ein Beispiel dafür – bereits 2015 wurde mit einem aktiven Energiemanagement begonnen. Der Geschäftsführer der österreichischen Bundestheater-Holding, Christian Kircher (Foto), erklärt im Podcast „Alles klar, Klassik?“: „Wir erwarten zwei Millionen Euro Mehrkosten durch steigende Energiekosten. Was mich aber mehr sorgt, ist die Frage, wie das Publikum reagiert, wenn das Geld knapp wird. Wenn wir an der Ticketkasse zehn Prozent verlieren, bedeutet das für die Bundestheater einen Einnahmeverlust von 5,8 Millionen Euro.“
In Wien werden die Temperaturen im Winter gedrosselt und die Klimaanlagen im Sommer kleiner gestellt, da 60 Prozent der Energie an den Bundestheatern für Wärme ausgegeben wird. Österreichs Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer hat gerade eine 30 Millionen-Erhöhung des Kulturetats angekündigt, Deutschland Kulturstaatssekretärin Claudia Roth versprach im Bundestag allein eine Milliarde Euro für Energie-Kompensationen aus alten Corona-Mitteln. Seit 2009 berät Annett Baumast Kulturinstitutionen in Sachen Nachhaltigkeit. Sie erkennt derzeit eine große Nachfrage von Seiten der Kultur, verweist aber auch darauf, dass es jetzt um langfristige Einsparungen gehen sollte und nicht um kurze Effekte. Gerade staatliche Unterstützung dürfe nicht dazu führen, dass man einfach weitermache, sondern dass man umstrukturiere. Überhaupt müsse Nachhaltigkeit nicht nur von der Energie gedacht werden, sondern auch von Teilhabe. Auch sie kommt im Podcast „Alles klar, Klassik?“ zu Wort. Lesetipp zum Thema: Christian Gampert über das Neudenken an unseren Theatern in der FAZ und Christiane Peitz über die Kultur in der Energiekrise im Tagesspiegel. Den zweiwöchentlichen Podcast „Alles klar, Klassik“, können Sie übrigens für jeden Player kostenlos abonnieren.

Mord und Moscow Mule

Als Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus dirigierte, konnte man in der Pause gemütlich einen Moscow Mule am Buffett bestellen (siehe Foto). Derweil erschwert Putins Krieg die Klassik-Welt immer tiefer. Das Morden macht vor MusikerInnen und Musikern keinen Halt: Der Chefdirigent der Kherson-Philharmonie, Yurii Kerpatenko, wurde diese Woche erschossen, durch seine Haustür im ukrainischen Cherson. Er hatte es offensichtlich abgelehnt, mit den russischen Besatzern zu kooperieren. Ukrainische Sicherheitskräfte haben die Spurensicherung in diesem Kriegsverbrechen inzwischen aufgenommen. Noch unbestätigt, aber durchaus naheliegend, ist die Twitter-Meldung von Igor Sushko, nach der russische Theater in Moskau aufgefordert werden, je 11 Mitarbeiter für Putins Mobilmachung vorzuschlagen. Putins Krieg ist auch ein Kultur-Krieg.

Weil es sein muss – Ordnung des Diskurses

Mit Teodor Currentzis können wir es heute schnell machen: Es gibt keine Reue nirgends – und auch keinen Abstand vom System Putin. Der musicAeterna Choir singt dieses Mal wieder beim Gazprom-Festival in St. Petersburg, bevor er dann nach Baden-Baden und Dortmund reist. Am 2. Februar soll Currentzis auch beim Concertgebouworkest auftreten. Ich habe letzte Woche die Situation noch einmal visuell aufgedröselt (siehe Video oben) … Mehr ist dazu heute eigentlich nicht zu sagen. Please, don’t mention the war!

Daumen drücken in Heidenheim

Die Opernfestspiele in Heidenheim sind eine 60-jährige Erfolgsgeschichte: Qualitativ hochwertige Opern-Entdeckungen für ein breites Publikum. 61 Prozent Eigendeckung, 33 Prozent der Ausgaben bleiben in der Stadt – die internationale Kritik feiert die Festspiele, ihre Stadt und Dirigent Marcus Bosch besonders für Verdi-Trouvaillen, musikalische Qualität, Leidenschaft und für Publikumsnähe. Dennoch will der Gemeinderat am Dienstag darüber entscheiden, ob die Festspiele radikal ausgebremst werden. Der Zuschuss von knapp 1,2 Millionen Euro steht zur Disposition. Corona, Energiekrise und Inflation werden ins Feld geführt, um das Budget zu „deckeln“ und der Weiterentwicklung der Festspiele einen Riegel vorzuschieben (sie machen nur 17 Prozent des städtischen Kulturetats aus). Auf meine Nachfrage sagt Intendant Marcus Bosch: „Es haben so viele Menschen 12 Jahre lang mit mir so leidenschaftlich für die Festspiele gearbeitet, für ihre Strahlkraft in die Stadt hinein und nach außen, für Qualität und Freude – ich hoffe auf die Vernunft der Zahlen und darauf, dass wir uns alle bewusst sind, dass gerade in Krisenzeiten Investitionen in die Kultur Investitionen in die Zukunft bedeuten.“

Personalien der Woche

Der Sänger Simon Estes war wahrscheinlich einer der besten Jochanaane überhaupt. In einer Rede in Iowa, hat er nun die Geschichte seines Großvaters erzählt, eines Sklaven, der für 500 Dollars verkauft wurde. Estes redete über seine Karriere, die zunächst nur in Europa möglich war, weil in den USA keine Sänger mit dunkler Hautfarbe erwünscht waren. „Ich glaube, ich werde den Tag der endgültigen Gleichheit nicht mehr erleben – aber wir müssen dafür kämpfen und dürfen nicht aufgeben.“ +++ Hübscher Tweet von Dirigent Cornelius Meister, der selber bemerkt, er sei nicht der Urheber dieser Idee, würde sie aber befürworten: „Warum ändern unsere Handy-Hersteller den ‚Flugmodus’ nicht einfach in ‚Konzertmodus‘“ – das würde die Bedeutung der Musik gegenüber dem Fliegen durchaus heben. +++ Die New Yorker Philharmonie im Lincoln Center ist für ihre miserable Akustik bekannt: Nun wird der Konzertsaal komplett neu gestaltet: Die völlig entkernte und dann neu gestaltete Konzerthalle hat nur noch Platz für 2200 Besucher statt 2738, die Bühne ist fast acht Meter nach vorne verlegt, um das Orchester näher ans Publikum zu bringen.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ist es ja schon ganz nahe, denn inzwischen hat die neue Saison wirklich fast überall begonnen. Eine neue Spielzeit mit neuer Musik, mit Konzerten und Opern - und auch wir hier im Newsletter nehmen uns vor, ab sofort wieder mehr um das zu kreisen, was AUF der Bühne stattfindet. Heute mit einem Blick nach Wien, wo Stefan Herheim sein Intendanten-Regie-Debüt mit dem Schlauen Füchslein gegeben hat. In der Ausweichspielstätte ließ er Komponist Janáček selber seine Oper bestaunen und – so wie die Presseagentur es schrieb – die „Bühnenmaschinerie glühen“. Für den Standard war es ein Abend, als wolle Herheim sagen: „Oper kann uns in eine spezielle Sphäre heben. Sie ist der unverzichtbare magische Ort geistiger Freiheit, in dem alles möglich ist, auch in einem Ausweichquartier wie der Halle E des Museumsquartiers.“ Währenddessen hat der Intendant des Liceu in Barcelona, Valentí Oviedo, seit der Corona-Pandemie an einem neuen, digitalen Angebot getüftelt, das sich an den Wünschen seines Publikums ausrichtet. „Liceu+LIVE“ beginnt am 5. November mit einer Aufführung von Il trovatore. Für ein 60-Euro-Abo (30 Euro für Abonnenten) gibt es fünf Live-Opern der aktuellen und der nächsten Saison. Ich persönlich glaube ja: Oper in Gänze gehört auf die Bühne, der Stream verdient eine vollkommen eigene Programm-Planung.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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