KlassikWoche_RGB_2020-09

Klassik-Netzwerke und Regietheater-Debatte

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

das Personalkarussell dreht sich, die Debatte um das Regietheater nimmt an Fahrt auf, und ich habe mir vorgenommen, heute Ihr YouTube glühen zu lassen: So viele tolle Dinge gibt es dort zu entdecken!

München, Rom und Salzburg – Gedanken zum Dirigentenkarussell

Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko kehren Ostern als Residenzorchester zurück zu den Salzburger Festspielen. Die Wiederauflage der Karajan-Idee ist ein echter Scoop von Intendant Nikolaus Bachler. Warum der Abzug der Berliner aus dem Festspielhaus Baden-Baden logisch und problematisch für den dortigen Intendanten Benedikt Stampa ist, erkläre ich hier. Und noch einer dürfte „not amused“ sein: Salzburgs Sommer-Intendant Markus Hinterhäuser sieht jetzt noch ein Stückchen älter aus als sowieso schon.
Tja, und wenn man die Ohren an die Fluren von Kontzerthäusern legt und dem Gossip an Telefonen lauscht, ergibt sich so langsam auch ein Bild, wohin das aktuelle Dirigentenkarussell drehen könnte. Daniel Harding galt lange als Kandidat für die Münchner Philharmoniker, inzwischen hört man immer öfter, es würde ihn nach Italien ziehen, zum Orchester der Santa Cecilia, das derzeit von Antonio Pappano geleitet wird. Und München? Man hört den Namen Mirga Gražinytė-Tyla ( das wäre wirklich cool!), aber, auch, und das Geflüster ist lauter (und Kollege Markus Thiel vom Merkur hat es offenbar ebenfalls gehört), wahrscheinlicher scheint eine Benennung von Lahav Shani.

Kaufmann, Jordan und das Regietheater

Es war das Selfie von Jonas Kaufmann mit Anna Netrebko und Elīna Garanča, das mich zum Schmunzeln brachte. Hauptsächlich wegen der ollen Gold-Kappen-Aida-Kostüme. Letzte Woche hatten wir ja bereits über die Kritik am „Regietheater“ von Jonas Kaufmann und Philippe Jordan gesprochen. Ich habe versucht, das mal in einem Kommentar zu ordnen (siehe Video oben, einfach aufs Bild klicken). Wohl gemerkt: Nicht jede moderne Lesart ist immer auch gut, aber die Befragung der Oper aus dem Heute ist für mich eine wesentliche Konstante der Kunst! Natürlich ist meine Meinung nur EINE Meinung in der Debatte, der Gegenstandpunkt soll hier natürlich auch Platz finden, etwa von Hélène de Lauzun in The European Conservative. Erhellend vielleicht auch die Debatte mit Christian Gerhaher und Katharina Wagner zum Thema.
Kleiner Nachklapp: Am Samstag wurde die besagte Aida in Wien aufgeführt. Interessant war die Medien-Strategie der Wiener Staatsoper. Man postet auf Instagram und Co. eine Beifalls-Nachricht in eigener Sache, die dann in allerhand Kommentaren konterkariert wurde. Sowohl, was die Sänger-Leistungen angeht als auch, was denn Auftritt von Anna Netrebko betrifft. Der Online-Merker (der in diesem Newsletter sehr selten verlinkt wird) steht sicherlich nicht im Verdacht, besonders kritisch mit der Staatsoper umzugehen, diese Kritik aber hat es auf vielen Ebenen in sich.

Netzwerke in der Klassik

Wer bestimmt eigentlich das kulturelle Geschehen? Oft werden Stellen innerhalb von Netzwerken besetzt, die Kulturpolitik schaut viel zu oft ratlos zu! Um die geheime Macht von Netzwerken, darüber, wie sie einen kulturellen Wandel verhindern und wann Netzwerke Gutes bewirken, geht es in der neuen Ausgabe meines Podcasts Alles klar, Klassik? (hier auch für Spotify und apple). Zu Gast: der Kulturmanager und Organisator des Kulturprogramms der Bundesgartenschau 2023, Fabian Burstein.
Er hat gerade das lesenswerte Buch Eroberung des Elfenbeinturms herausgebracht und sagt: „Die Kulturpolitik muss freier und unabhängiger werden.“ Außerdem erklärt er, warum Machtpolitik in der Kultur gar nicht so schlecht wäre. Kultur scheint derzeit eine Leerstelle zu sein, um die gesellschaftlich gerungen wird. Lesenswert in diesem Zusammenhang auch der Text von Margarete Affenzeller im österreichischen Standard. Außerdem zu Gast, die Beraterinnen für digitale Projekte in der Kultur, Kathrin Zeitler und Rebecca Zimmermann vom Konzerthaus Dortmund. Beide haben das Netzwerk alma (Alliance of Leaders in Music and Arts) gegründet. Wer da mitmachen will, dem sei folgende Seite empfohlen.

Hamburg streicht Currentzis

Verdammt! Bis gestern Abend wäre dieser Newsletter endlich mal ohne eine Nachricht über Teodor Currentzis ausgekommen. Doch nun hat die Elbphilharmonie mehr oder weniger still und leise das Konzert von musicAeterna und Teodor Currentzis im April abgesagt, angeblich wegen der „Unsicherheiten“ auf Grund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Es ist müßig, an dieser Stelle noch einmal auf die persönlichen Angriffe gegen unsere Recherchen von Intendant Christoph Lieben-Seutter hinzuweisen. Ebenso wie auf den Fakt, dass die Musiker, die ein Kriegslied für Putins Soldaten ins Netz gestellt haben, nicht suspendiert wurden, sondern noch immer auf der Seite des Orchesters auftauchen. Und, nein, es gab nie eine Entschuldigung – weder vom Ensemble noch von seinem verantwortlichen Leiter Teodor Currentzis – dafür, dass Musiker des Ensembles europäische Journalisten (unter anderem mich) mit Nazis verglichen haben. Unsere aktuellen Recherchen zeigen indes, dass ein wesentlicher Teil der musicAeterna-Personage (nicht nur der MusikerInnen) jener von Utopia sehr ähnlich ist. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

Personalien der Woche

Die Finanzkrise ist größer, als man zuweilen denkt. Nun trifft es die Tournee von Gustavo Dudamel und dem Orchester der Opéra national de Paris. Auftritte in London und Wien werden wohl gestrichen – aus Kostengründen, wie es heißt. +++ Immer größer wird der Widerstand gegen Auftritte des russischen Pianisten und Valery-Gergiev-Freund Denis Matsuev, in Italien haben Klassik-Fans eine Petition gegen seine Auftritte ins Leben gerufen. +++ Mehr Geld für die Opernstiftung in Berlin durch Klaus Lederer: Der Zuschussvertrag hat eine Laufzeit bis 31. Dezember 2027 und sieht in den Jahren 2024 bis 2027 einen jährlichen Landeszuschuss an die Stiftung in Höhe von 161,3 Millionen Euro vor, im laufenden Haushaltsjahr erhält die Stiftung einen Landeszuschuss in Höhe von 160,6 Millionen Euro. +++ In der FAZ schreibt der gerade wieder ausgezeichnete Intendant Bernd Loebe eine Hommage an sich selbst: An der Oper Frankfurt laufe alles super! Er sei ein ziemlich geiler Manager – und Krise? Die mögen die anderen haben! Er bräuchte zukünftig vielleicht nur etwas Geld vom Land Hessen. Na denn! +++ Die Sexismus-Vorwürfe bei den Bayreuther Festspielen haben kein juristisches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft hat die Verfahren wegen des Verdachts der sexuellen Belästigung eingestellt. Das teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Martin Dippold der Deutschen Presse-Agentur mit. +++ Letzte Woche hatten wir über den Vorschlag von Veranstalter Mischa Damev berichtet, Star-Gagen um die Hälfte zu kürzen. Ich habe das für den SWR noch einmal eingeordnet. +++ Wer mal wieder einen echten Verriss lesen will, der sollte sich ansehen, wie der britische Journalist Hugh Morris Igor Levits Buch Hauskonzert für VAN auseinandernimmt.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier! In den letzten Wochen haben wir an dieser Stelle oft über die Existenz von Rundfunkorchestern nachgedacht. Und nun gibt es einen guten Grund, sie ganz groß zu loben! Lieber Bayerischer Rundfunk, dass Ihr über zwei Stunden lang die Kameras bei den Proben von Herbert Blomstedt mit dem BRSO zu Bruckners Vierter Sinfonie mitlaufen lassen habt (siehe Video oben), ist großes Kino. Ich empfehle einfach jedem, da reinzuschauen: Klugheit, Alter, Sympathie, Energie – alles ist da! Ein Lehrbeispiel. Danke, lieber BR für diese Einblicke!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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