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Brüggemanns Klassik-Woche

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Opus: langweilig, #metoo: Fortsetzung, Haitink: stilvoll

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute geht es unter anderem um die #metoo-Fortsetzungen, um Fakten-Checks zu den Berliner Philharmonikern und den Salzburger Osterfestspielen, um die Sanierung der Komischen Oper, um die wirklich großartige Aufnahme von Jan Liesieckis Beethoven-Zyklus und den unprätentiösen Abtritt von Bernard Haitink.

WAS IST

Die Sanierung der Komischen Oper in Berlin beginnt: Die ersten Architekten bewerben sich.

OPUS: LANGWEILIG

Als der ECHO KLASSIK vorletztes Jahr eingestampft wurde, war das eine große Chance: Ein neuer, unabhängiger Klassik-Preis, der echt was Wert sein könnte. Verpasst! Und so nehmen wir auch dieses Jahr die üblichen Verdächtigen als Preisträger des OPUS KLASSIK zur Kenntnis, etwa Joyce DiDonato und Christian Gerhaher als Sänger des Jahres. Das werden nur Exklusiv-Künstler eines Plattenlabels, also keine Anja Harteros und kein Michael Volle. Der ist immerhin Teil der besten DVD des Jahres, der Bayreuther Meistersinger von den Festspielen, die vor – äh, drei Jahren? – Premiere gefeiert haben. Sieht ganz schön alt aus, dieser OPUS KLASSIK! Ausgezeichnet werden außerdem Igor Levit, Sol Gabetta und Andreas Ottensamer. Kein Wunder, dass DG-Chef Clemens Trautmann sich bei so viel Ehre für seine Starschnitt-Künstler auf Facebook über Friede, Freude, Eierkuchen freut: „So vertrauensvoll wie beim Opus Klassik haben die Veranstalter, Verlage, Agenturen und Labels bisher selten (oder vielleicht noch nie?) zusammengearbeitet.“ Mal sehen, welcher Künstlerin Thomas Gottschalk dieses Mal mit anzüglichen Frauen-Witzen nachstellen wird, so wie im letzten Jahr Alondra de la Parra.
#METOO-FORTSETZUNGEN

Während bei einer Hochglanz-Veranstaltung wie dem OPUS KLASSIK Phänomene wie #metoo lieber ausgeklammert werden, geht die Bewegung inzwischen in eine weitere Runde. Das VAN-Magazin legte im Fall Daniel Barenboim nach: Eine ehemalige Orchestermanagerin der Staatskapelle erklärte, Barenboim habe sie bei einer Besprechung gepackt, beschimpft und geschüttelt. Und, noch unangenehmer: Staatsopern-Intendant Matthias Schulz, der versprochen hatte zu vermitteln, zog am Ende den Schwanz ein, da er den Maestro nicht mit seinem Verhalten belästigen wollte. Die Associated Press legte im Fall Plácido Domingo nach: Aus neun Frauen, die dem Tenor sexuelle Übergriffe vorgeworfen haben, sind inzwischen 20 geworden. Opernhäuser hätten, im Wissen um die Vorlieben des Tenors, ihre Dienstpläne so organisiert, dass nach Möglichkeit keine Frau allein in seine Garderobe geschickt wurde. Eine Sängerin wehrte sich gegen Domingos Entschuldigung, dass vor 30 Jahren eben alles anders gewesen sei und fragte zurück, ob Frauen es vor 30 Jahren etwa gut gefunden hätten, wenn man sie ungefragt an den Busen gefasst hätte.

Und dann ist da noch der Münchner Uni-Professor und Komponist Siegfried Mauser. Der Bad Blog of Musick berichtet, dass Mauser, dem sexuelle Nötigung und Bereicherung im Amt vorgeworfen werden, nun eine Festschrift zum 65. Geburtstag gewidmet werden soll – mit prominenten Kontributoren wie Aribert Reimann, Wolfgang Rihm oder Jörg Widmann. Die anspielungsreichen Titel einiger Werke und Aufsätze sind fast gespenstisch: „Darfst mich niedre Magd nicht kennen“, „Schlafendes Tier“, oder „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht“. Wolfgang Rihm steuerte ein „Intermezzo für Sigi“ bei – 470 Seiten Geschmacklosigkeit für knapp 80 Euro.

KOMISCHE OPER STEHT VOR SANIERUNG

Der Tagesspiegel berichtet, dass die 200 Millionen teure Generalsanierung der Komischen Oper in Berlin vorangeht. Derzeit laufen die Architektur-Ausschreibungen, für die Preisgelder in Höhe von 864.000 Euro zur Verfügung gestellt werden: „Einige sehr renommierte Namen wurden bereits angesprochen, darunter Rem Koolhaas und sein Rotterdamer OMA, David Chipperfield, Snohetta aus Norwegen, die Erbauer der Osloer Oper, sowie Diller Scofidio aus New York, die jüngst einen spektakulären Entwurf für das von Simon Rattle betriebene Projekt eines neuen Londoner Konzerthauses vorgelegt haben.

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WAS WAR

Stilvoll abgetreten: Der Dirigent Bernard Haitink beendete seine Karriere.

HAITINKS STILVOLLER ABTRITT

Das war’s, eine Legende tritt ab: Bernard Haitink hat sein letztes Konzert mit den Wiener Philharmonikern im KKL Luzern gegeben – natürlich mit Anton Bruckner. Christian Wildhagen hat das Konzert für die NZZ besucht: „Dann legt Haitink den Stab auf die geschlossene Partitur und lässt in einer lakonischen Geste die Hände sinken. Das war’s, scheint die gänzlich unsentimentale Bewegung zu sagen. War es das? Das Publikum, das sich ergriffen von der Musik und der Macht des Augenblicks von den Sitzen erhebt, mag es kaum glauben, als Haitinks Frau Patricia den Maestro ein letztes Mal von der Bühne begleitet.“

IN EIGENER SACHE I – SILVESTERKONZERTE

Es ist immer schön, wenn Themen der Klassik-Woche in anderen Medien weitergedreht werden – so wie unser Bericht, dass das ZDF sein Silvesterkonzert in Zukunft eher mit den Berliner Philharmonikern und Kirill Petrenko, als mit der Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann veranstalten wolle. Der geschätzte Kollege Frederik Hanssen hat für den Tagesspiegel noch mal bei den Berlinern nachgehakt und geschrieben, dass er die Information erhalten hätte, dass deren Silvesterkonzert 2019 in der Digital Concert Hall und auf arte geplant sei. Da meine Informationen aus zwei unterschiedlichen und voneinander unabhängigen Quellen stammten, habe auch ich noch einmal bei den Berlinern nachgehakt – und es handelte sich offensichtlich um ein Missverständnis: Die Antwort auf Hanssens Anfrage bezog sich lediglich auf das Jahr 2019, für 2020 und kommende Jahre wollte man in Berlin eine Zusammenarbeit mit dem ZDF und dafür nötige Verhandlungen nicht ausschließen: „Für die Silvesterkonzerte ab 2020 ist die Situation derzeit noch offen“, hieß es, „sollte sich daran etwas ändern, werden wir darüber informieren.

IN EIGENER SACHE II – SALZBURGER OSTERFESTSPIELE

Im vorletzten Newsletter habe ich beschrieben, wie FAZ-Autor Jürgen Kesting in der Frage um die Salzburger Osterfestspiele die Trommel für Christian Thielemann gerührt hat. Unter anderem betitelte er die Salzburger Landesregierung als „Politbanditengesellschaft.“ Nun ließ Kesting mich per Mail wissen: „Das Wort von der ‚Politbanditengesellschaft‘ stammt – dies nur zur Kenntnis – nicht von mir, aber ich bin froh, es bei Karl Kraus gefunden zu haben, der in südlichen Gefilden ja sehr geschätzt wird, weil er gegen solche Gesellschaften so polemisch geschrieben hat.“ Ich antwortete ihm: „Ich verstehe nicht, was das Zitat von Kraus am eigentlichen Sachverhalt ändert, da wir gerade in südlichen Gefilden, wie Sie schreiben, ja ein sehr ausgeprägtes Sensorium – und gerade in diesen Tagen – dafür haben, dass die Polit-Clique, gegen die Karl Kraus einst wetterte, nur schwerlich mit jener weitgehend demokratisch und transparent operierenden Politik der Salzburger Landesregierung zu vergleichen ist (...).“ Inzwischen hat Thielemann so ziemlich jeden ihm nahestehenden Journalisten motiviert, in die Tasten zu greifen, während Nikolaus Bachler weiterhin still abwartet: Christine Lemke-Matwey setzte sich in der Zeit für Thielemann ein (sie ist die Co-Autorin seines Beethoven-Buches), und in Österreich schoss Heinz Sichrovsky den Vogel der provinziellen Ahnungslosigkeit ab, als er trotz aller Dementi behauptete, Nikolaus Bachler wolle die Berliner zurückholen. Sichrovsky watschte neben dem designierten Intendanten (provinziell) gleich auch das Leipziger Gewandhausorchester und Andris Nelsons ab. War es nicht ebenfalls Karl Kraus, der empfahl, beim Weltuntergang in Österreich zu sein, weil hier alles 30 Jahre später passiere? Vielleicht ist Thielemann bei derartig unkritischen und ewig gestrigen Jüngern am Ende doch ganz gut aufgehoben. Der Tag der Entscheidung, an dem Landeshauptmann Wilfried Haslauer mit Christian Thielemann und Nikolaus Bachler reden wird, ist übrigens der 17. September – nach unseren Informationen soll es bereits im Vorfeld Einzelgespräche geben.

AUF UNSEREN BÜHNEN

Der designierte Bayreuther Ring-Regisseur Valentin Schwarz hat in Darmstadt eine durchaus spannende Turandot inszeniert, schreibt Roberto Becker in der Deutschen Bühne. +++ Diesen Monat beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte der Wiener Philharmoniker. Sie starten ihre eigene Orchesterakademie, in der zwölf junge Musiker im Alter von 18 bis 27 Jahren den ‚Feinschliff‘ erhalten sollen. +++ Wie immer unterhaltsam und lesenswert, der olle Frank Castorf. Nun poltert er im Tagesspiegel, bevor er Verdis Macht des Schicksals an der Deutschen Oper inszeniert.

PERSONALIEN DER WOCHE

Erleichterung in Mailand und Florenz, Muffensausen in Wien: Scala-Intendant Alexander Pereira geht früher, als gedacht nach Florenz (wo er das Haus zu einem Magnet für Starkünstler machen will), sein Nachfolger Dominique Meyer kommt dafür bereits Anfang 2020 nach Mailand – damit ist die Wiener Staatsoper führungslos, aber Meyer hat schon angekündigt, die Geschäfte weiter zu führen und einen reibungslosen Übergang zu garantieren. +++ In einem großen Interview mit dem MDR erklärt der künftige Leipziger Opernintendant Tobias Wolff, dass er die Nähe zum Publikum suche. Sein Haus wolle Gastgeber „für Bevölkerungsschichten aller Art, für Menschen aus der ganzen Welt“ sein. Zugleich betonte Wolff, auch die internationale Strahlkraft des Hauses sei wichtig. Als eines seiner Kerngebiete nannte er zudem Musikvermittlungsprojekte. +++ Der neue Genfer Opernintendant Aviel Cahn sieht es ähnlich. „Das Publikum holt man nicht mit Namen, sondern mit spannenden Geschichten ins Theater“, erklärte er der NZZ. +++ Am Freitagabend hat im Stadttheater Bozen das große Finale des 62. Internationalen Klavierwettbewerbs Ferruccio Busoni stattgefunden. Der erste Preis ging an den Bulgaren Emanuil Ivanov.

WAS LOHNT

Robert Habeck beklatscht Igor Levit, während Jan Lisiecki mit seinen Beethoven-Aufnahmen so richtig abräumt.

Letzte Woche war das Ausgehen nur eingeschränkt möglich. Seit Monaten lädt mich Holger Noltze ein, seine Streaming-Plattform Takt1 zu nutzen – und ich habe ihn immer wieder vertröstet. Ich würde so lange warten, bis sie als App auf Smart TVs zu haben sei. Das ist inzwischen der Fall, und so konnte ich in Wien im zweiten Bezirk mit dem Kind auf dem Sofa sitzen und live verfolgen, wie Teodor Currentzis im Konzerthaus seinen Mozart-Zyklus mit der konzertanten Version von Le nozze di Figaro eingeläutet hat. Nun ist die komprimierte Ton-Qualität bei Takt1 sicherlich noch ausbaufähig, aber die Möglichkeit, bei derartigen Konzerten live dabei zu sein (mit durchaus passabler Bild-Regie) ist wirklich wunderbar – auch, wenn Currentzis’ fast schon nervig aufgedrehter und etwas sehr selbstreferenzieller Mozart-Zugriff nach seinem Salzburger Idomeneo wirklich nervt und ermüdet, und die Gräfin von Ekaterina Scherbachenko vollkommen überfordert schien. Auf dem Weg zu den Schwiegereltern saß das Kind dann auf dem Rücksitz des Autos, als im Deutschlandfunk die Live-Übertragung von der Eröffnung des Beethovenfestes Bonn lief und Ministerpräsident Armin Laschet in seiner Ansprache ziemlich selbstbewusst versprach, all seinen Verhandlungs-Charme einzusetzen, um bei Monika Grütters endlich Bundesmittel für das Beethovenfest einzufordern. Gut so! Lohnend auch die Pastorale, die Jukka-Pekka Saraste zu diesem Anlass mit der Philharmonia Zürich anstimmte.

Während Igor Levit, der Liebling der Feuilletons, dieser Tage seine Aufnahme aller Beethoven-Sonaten bewarb, indem er seine Berlin-Mitte-Kumpels samt Robert Habeck in die Turnhalle der Willy Brandt Teamschule eingeladen hatte, sorgte Jan Lisieckis Zyklus aller Beethoven-Klavierkonzerte mit der Academy of St. Martin in the Fields bei mir wirklich für Aufhorchen. Sie sind nun im Rahmen des Beethoven-Projektes der Deutschen Grammophon veröffentlicht worden. Eine echte, frische, unverkrampfte, ungeheuer spiellustige, dabei nie überkandidelte und niemals bewusst gewollte Aufnahme.

In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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