Der verblüffend reiche Herr Roldugin und seine Schweizer Banker – wie Millionen auf Konten des russischen Musikers landeten

In einem aufsehenerregenden Prozess muss ein Zürcher Gericht die Frage beantworten: Gehörten zwei Konten wirklich «Putins Cellisten»?

Fabian Baumgartner 6 min
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Der Cellist Sergei Roldugin (links) zusammen mit Wladimir Putin und Dmitri Medwedew im St. Petersburger «Haus der Musik».

Der Cellist Sergei Roldugin (links) zusammen mit Wladimir Putin und Dmitri Medwedew im St. Petersburger «Haus der Musik».

Dmitry Astakhov / EPA

Vier schweigsame Banker treten in Zürich vor den Richter. Einer antwortet auf die Fragen des Richters freundlich: «Das möchte ich nicht kommentieren.» Ein anderer erklärt: «Ich möchte mich dazu nicht äussern.» Etwas wissen aber alle vier: Sie sind unschuldig.

Am Mittwoch haben sich der ehemalige CEO und drei weitere, teilweise hochrangige Mitarbeiter des Schweizer Ablegers der Gazprombank vor dem Bezirksgericht in Zürich verantworten müssen. Es ist ein Prozess, der auch international für grosses Aufsehen sorgt.

Das «Wall Street Journal», die Agentur Reuters oder die «Süddeutsche Zeitung» – sie alle haben wegen der Verhandlung den Weg in die Limmatstadt auf sich genommen.

Denn es geht beim Prozess um Bankkonten aus dem innersten Zirkel des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Bankern mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften vor. Der Hintergrund: Die Beschuldigten hätten es unterlassen, mit der gebotenen Sorgfalt festzustellen, ob der russische Cellist und Putin-Freund Sergei Roldugin tatsächlich an zwei Konten wirtschaftlich berechtigt gewesen sei.

Alles beginnt mit zwei Konten

Die Geschichte beginnt im Sommer 2014 mit der Eröffnung zweier Konten beim Schweizer Ableger der Gazprombank in Zürich. Die Konten sollen Dividenden empfangen, und zwar von einem der grössten Akteure im Medienwerbemarkt in Russland und Osteuropa.

Es ist gerade eine schwierige Phase für Geschäftsleute aus Russland. Denn wenige Monate zuvor waren bewaffnete russische Streitkräfte auf der Krim gelandet und hatten die ukrainische Halbinsel unter ihre Kontrolle gebracht. Das führte zu internationalen Sanktionen für Personen aus dem engeren Umfeld von Wladimir Putin.

Bei der Kontoeröffnung vermerkt der zuständige Gazprombank-Mitarbeiter in einem Formular den Namen des wirtschaftlich Berechtigten: Sergei Roldugin, Cellist und Dirigent. Zu seiner geschäftlichen Tätigkeit hält er knapp fest, der Russe sei als «private businessman» aktiv. Er verfüge über ein jährliches Einkommen von über 1 Million Franken und Vermögenswerte von über 10 Millionen. Das Geld stamme aus seiner Tätigkeit als Musiker und aus Darlehen. Eine politisch exponierte Person mit Kontakten zur russischen Machtelite sei Roldugin jedoch nicht.

Seltsam ist bloss: In einem Interview mit der «New York Times» behauptet Roldugin einige Monate später, er sei sicherlich kein Geschäftsmann und er besitze schon gar keine Millionen.

Woher stammen die Millionenbeträge auf seinen Konten also wirklich?

Roldugin ist jedenfalls nicht irgendwer, er ist ein Jugendfreund des russischen Präsidenten. Die beiden lernten sich in den 1970er Jahren in St. Petersburg kennen. Roldugin war auch Taufpate von Putins erster Tochter. Ein Bild, das unter anderem die Tamedia-Zeitungen im Zuge der Enthüllungen zu den Panama-Papers veröffentlichten, zeigt den Musiker 1985 zusammen mit den jungen Eltern in der Taufkapelle. Putin sei wie ein Bruder für ihn, erzählte der Musiker fast dreissig Jahre später den Autoren einer Putin-Biografie.

Es ist genau die Zeit, in der sein Name bei der Gazprombank Schweiz auftaucht.

Zu viele gravierende Verdachtsmomente

Die Hintergründe hat die auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Zürcher Staatsanwaltschaft III in ihrer Anklageschrift festgehalten. Laut dieser stand Roldugins Name zwar auf dem Papier, doch die Fäden soll jemand anders gezogen haben. Die Spur führt zur Bank Rossija.

Das Geldhaus nimmt eine Schlüsselrolle im Finanzgeflecht rund um den Kreml ein. Rossija war das erste Unternehmen, das die USA ins Visier nahmen, als sie im Jahr 2014 wegen der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Verbündete von Präsident Putin verhängten. Mehrheitsaktionär ist Juri Kowaltschuk, der auch als «Putins Banker» bezeichnet wird.

Die Eröffnung der Konten bei der Gazprombank wurde durch Rossija vermittelt. Als Kontakt für die Konten wurden laut Anklageschrift ausschliesslich E-Mail-Adressen der Bank Rossija angegeben. Für die Staatsanwaltschaft ist deshalb klar, dass Roldugin in Wahrheit nicht an den beiden Konten wirtschaftlich berechtigt war.

Der Verdacht: Der Cellist Roldugin war bloss ein Strohmann. Die grossen Geldsummen auf den Konten in Zürich wurden nicht von ihm verschoben, sondern von seinem Jugendfreund – dem Kremlchef Wladimir Putin. In der Anklageschrift hält die Staatsanwaltschaft fest, die beschuldigten Banker hätten bei der Kontoeröffnung davon ausgehen müssen, dass Drittpersonen in Wirklichkeit wirtschaftlich berechtigt gewesen seien.

Und: «Es ist notorisch, dass der russische Präsident Putin offiziell nur ein Einkommen von gut 100 000 Franken hat und nicht vermögend ist, tatsächlich jedoch über enorme Vermögenswerte verfügt, welche von ihm nahestehenden Personen verwaltet werden.»

Vor Gericht sagt der Staatsanwalt, es gebe ein zentrales Prinzip, das jeder Bankmitarbeiter kennen müsse: «Know your customer.» Doch die vier Banker hätten sich nicht daran gehalten, deshalb müssten sie bestraft werden. Für dieses Vergehen verlangt die Anklage bedingte Freiheitsstrafen von sieben Monaten für die vier ehemaligen Gazprombank-Mitarbeiter.

Die Gazprombank Schweiz hatte Roldugin zwar im Herbst 2014 als politisch exponierte Person nachgeführt und die Geschäftsbeziehung in die höchste Risikokategorie 4 heraufgestuft. Die Geschäftsbeziehung beendete die Bank jedoch erst im Herbst 2016.

Der Staatsanwalt führt vor Gericht aus, Roldugin habe in einem Interview mit der «New York Times» erklärt, er habe keine Millionen. Dennoch sei er angeblich wirtschaftlich Berechtigter von zwei Offshore-Gesellschaften mit Vermögenswerten in Millionenhöhe gewesen. Der Staatsanwalt fragte: «Wie passt das zusammen?» Das Geld auf Roldugins Konten sei jeweils rasch an eine Drittgesellschaft weitergeleitet worden. Auch hier frage er sich, wie das zusammenpasse, sagt der Staatsanwalt. Doch ausgerechnet die vier beschuldigten Banker hätten sich diese Frage nie gestellt.

Die Mitarbeiter hätten nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Pflicht gehabt, weitere Abklärungen zu treffen. «Es geht hier nicht um die Frage, ob der wirtschaftlich Berechtigte sein Geld legal erwirtschaftet hat. Es geht darum, ob es plausibel war, dass Roldugin als wirtschaftlich Berechtigter geführt wurde.» Eine Frage, die der Staatsanwalt mit einem klaren Nein beantwortet. So viele «red flags» wie in diesem Fall gebe es selten.

«Es ist das erste Mal, dass ich vor Gericht stehe»

Ganz anders sehen es die vier Beschuldigten. Sie bestreiten sämtliche Vorwürfe der Anklage und verlangen einen vollumfänglichen Freispruch. Bei der Befragung machen sie auch auf ihre persönlichen Konsequenzen bei einer Verurteilung aufmerksam. So sagt einer der Männer: «Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich vor Gericht stehe. Das ganze Verfahren bedeutet einen grossen Reputationsschaden für mich.» Eine Verurteilung bedeute das Ende seiner Karriere und zöge einen riesengrossen persönlichen Schaden nach sich.

Die Anwälte der vier Banker argumentieren, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht belegt seien. Es sei nicht genügend dargelegt, wer wann was gewusst oder getan haben soll. Es sei deshalb nicht klar, wie sich die Beschuldigten strafbar gemacht haben sollen. Die Verteidiger erklären in ihren Plädoyers, die Staatsanwaltschaft bringe in ihrer Anklage keinerlei Beweise dafür vor, dass Sergei Roldugin gar nicht wirtschaftlich Berechtigter an den Konten gewesen sei. Einer der Anwälte sagt: «Es braucht mehr als bloss Zweifel an der Richtigkeit, es braucht Beweise.»

Für den Verteidiger ist klar, dass gerade die freundschaftliche Beziehung zu Putin es wahrscheinlich mache, dass die beiden Konten dem Musiker gehörten. «Sergei Roldugin gehört zu den Günstlingen des Kremls. Gerade Leuten wie ihm stehen Investitionsmöglichkeiten zur Verfügung, die anderen niemals offenstehen würden.» Es liege auf der Hand, dass er als enger Freund Putins ohne weiteres Darlehen habe erhalten können.

Das Urteil in dem Fall ist noch nicht gesprochen. Es wird auch von Fachleuten mit Interesse erwartet. Denn: Einige juristisch relevante Fragen zum Artikel 305ter im Strafgesetzbuch, auf den sich die Anklage stützt, haben die Gerichte offenbar noch nicht abschliessend beantwortet.

Etwa, wie weit die Sorgfaltsanforderungen der Banker reichen, wenn sie überprüfen, ob ihr Gegenüber der wirtschaftlich Berechtigte eines Kontos ist. Und inwiefern die Anforderungen, wie sie andere Rechtstexte, allen voran das Geldwäschereigesetz, stellen, zu berücksichtigen sind. Der Richter hat die Urteilseröffnung für den Morgen des 30. März angesetzt.

Bloss ein selbstloser Kulturschaffender?

Und Sergei Roldugin? In einer schriftlichen Erklärung bestätigte er laut Angaben der Anwälte der vier Bankmitarbeiter zuletzt im Februar 2022, dass er wirtschaftlicher Berechtigter an den beiden Konten sei.

Seinen verblüffenden Reichtum verteidigte Putins Freund bereits nach den Enthüllungen in den Panama-Papers im Jahr 2016. Er führte damals ein Team des russischen Staatsfernsehens durch das von ihm geleitete St. Petersburger «Haus der Musik» und erklärte, er habe jahrelang um Spenden gebettelt – für die Anschaffung erstklassiger ausländischer Instrumente, für Professuren und Konzerte. Irgendwann hätten ihm Mäzene einen «kleinen Anteil» an ihrem Geschäft angeboten, damit er fortan über eigenes Geld verfügen könne.

Seine Freundschaft mit Putin, räumte Roldugin ein, habe wohl geholfen, dass Wirtschaftskreise seine Projekte so gerne unterstützten. Glaubt man ihm, so flossen die Erträge allesamt in die Förderung des Musikwesens. Der Cellist wurde in dem Beitrag von Kollegen, aber auch von Putin als selbstloser Kulturschaffender gelobt.

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