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Der Steiger kommt – das Publikum noch nicht.

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit der politischen Ignoranz gegenüber Kultur, aktuellen Bayreuther Planungen und ein bisschen Leni Riefenstahl.

POLITIK VS. ÖFFNUNGSVERSUCHE

Um klar zu machen, was möglich ist, hier das Zitat aus einem wie immer klug geführten Interview mit Markus Thiel im Merkur , in dem Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser diese Woche rückblickend sehr kluge Dinge über die Corona-Politik in der Kultur sagte: „Risikolos war es nicht, das gebe ich zu. Aber, und da möchte ich uns jetzt gar nicht auf die Schulter klopfen: Es war außerordentlich wichtig, diesen Versuch zu unternehmen. Nicht nur, um 100 Jahre Salzburger Festspiele zu feiern, sondern auch als Signal an die europäische Kultur und Politik: Es kann etwas möglich sein! Wir durchleben zurzeit etwas, das in dieser Drastik noch nie da war. Alles, was mit Bildung, mit Kultur zu tun hat, mit der „Erziehung des Herzens“, wie es Flaubert formulierte, wird nicht nur infrage gestellt, sondern sogar verunmöglicht. Man kann in Restaurants gehen, man kann reisen, man kann ins Büro zum Arbeiten – aber Bildungsstätten und Kultureinrichtungen sind geschlossen. Das ist gefährlich. Uns droht gerade, Entscheidendes verloren zu gehen.“
Ja – Salzburg und Grafenegg, in den nächsten Wochen aber auch die Wiener Konzert- und Opernhäuser könnten als Vorbild für Deutschland dienen. Aber Fehlanzeige! Hier hadert die Politik, während die Künstler umso kreativer werden. Wie Hohn klingt es da, wenn Bayerns Staatsminister für Kultur, Bernd Sibler, davon spricht, dass längst noch nicht alle Künstler-Hilfen abgerufen wurden (was an der Komplexität der Bewerbung und den zum Teil absurden Bedingungen liegt und nicht an den Künstlern in Not!) und dass man nicht daran denke, dem österreichischen Vorbild zu folgen. Man würde sich schließlich auch an Italien und den USA orientieren – und da liefe eben noch nichts (beide Länder waren ja auch vorbildlich in der Pandemie-Bekämpfung!!!)! Immerhin redet Sibler noch öffentlich, während seine Kollegin auf Bundesebene, Monika Grütters, sich inzwischen in Luft aufgelöst zu haben scheint. Immerhin: Ein Pilotversuch ermöglicht der Bayerischen Staatsoper vier Wochen lang 500 statt 200 Besucher zuzulassen. In Berlin hat das Bezirksamt Mitte derweil den Aufführungs-Alleingang im Boulez Saal in allerletzter Minute gestoppt und stellt weiterhin die Premiere der Walküre von Stefan Herheim an der Deutschen Oper infrage – das berichtet Frederik Hanssen im Tagesspiegel. Wer soll das verstehen? Und wer versteht, wenn die BILD-Zeitung in dieser Zeit auch noch den Neid schürt und fragt, warum in Konzerthäusern Publikum möglich sei und in Fußballstadien nicht. In diesen Tagen scheint es umso wichtiger, solidarisch zu sein – und das Spiel der Aufhetzung einfach zu ignorieren.

AGENTUR FORDERT NEUE SPIELREGELN
Letzte Woche haben wir hier über den Konkurs von Columbia Artists Management berichtet – und ihn eingeordnet. Der Spiegel hat unsere Argumentation großflächig in der aktuellen Berichterstattung zitiert. Spannend war die Debatte auf meiner FB- und Instagram-Seite, auf der es hin- und herging: Gefährden Agenturen wie CAMI künstlerische Qualität auf Kosten des Profits? Und wie genau könnte eine Klassik der Zukunft aussehen? Klar wurde: Der Diskurs ist offen und äußerst spannend! Konkreteres habe ich von Nora Pötter gehört, der Leiterin der Agentur „Raab & Böhm“ in Wien. In unserem Interview forderte sie unter anderem eine neue Verteilung des Risikos zwischen Künstlern, Veranstaltern, Agenturen und Publikum. Von der Politik erhofft sie eine Gewährung von europäischen Reisen wenigstens für Dienstreisende, um überhaupt handlungsfähig zu werden. Grundsätzlich glaubt Pötter, dass es in Zukunft eher kleinere Spieler geben wird, dass sich Qualität statt Quantität durchsetzen und dass einige Spitzengagen geringer ausfallen werden.

BAYREUTHER PLANUNGEN
Nachdem die Bayreuther Festspiele viel Protest dafür geerntet hatten, dass sie das Karten-Bestellsystem außer Kraft gesetzt und angekündigt haben, Kunden zu bevorzugen, die ihre Karten für 2020 nicht zurückerstatten lassen haben, verteidigte Pressesprecher Hubertus Herrmann das Vorgehen nun: „Für 2020 gekaufte Karten bleiben auch 2021 gültig, ‚Ring‘-Tickets bis 2022. Das bewährte Karten-Bestellverfahren ist auf Mai 2021 verschoben, alles andere wäre grob fahrlässig.“ Außerdem sagte Hermann: „Die folgenden Festspieljahre müssen neu geplant, mit jedem Künstler einzeln neu verhandelt werden. Eins zu eins sind die für heuer geplanten Aufführungen ins nächste Jahr nicht zu übertragen. Geplant sind die Neuinszenierung ‚Der fliegende Holländer‘ und die Wiederaufnahmen ‚Tannhäuser‘, ‚Lohengrin‘ und ‚Die Meistersinger von Nürnberg‘, sowie konzertante Aufführungen als Ersatzprogramm für verschobene Spieltage der ‚Ring des Nibelungen‘-Neuproduktion.“ Derweil hat Tenor Piotr Beczała in einem Interview das Geheimnis gelüftet, dass er 2022 in Bayreuth den Parsifal singen will (mit Anja Harteros und Ludovic Tézier) – und dass das seine letzte neue Wagner-Rolle sein wird. Er wird die Partie zuvor mit Franz Welser-Möst in Cleveland einstudieren.

WIE SINGEN DIE PROMS?
Was für ein Hickhack! Simon Rattle hatte die Debatte begonnen: Lieder mit imperialistischen Texten wie „Rule, Britannia" und „Land of Hope and Glory“ hätten ihn bei der Last Night of the Proms schon immer gestört. Und auch der BBC schien die Tradition ein Dorn im Auge zu sein. Man würde 2020 auf diese Lieder verzichten, hieß es – genau aus diesem Grund. Dann das Zurückrudern: Beide Stücke würden zwar nicht in der Halle gesungen, wegen der Covid-Verordnungen (wie es nun hieß), aber die Zuschauer seien frei, zu Hause mitzusingen. Dann folgte die dritte Wendung: Der neue Generaldirektor der BBC, Tim Davie, hat nun entschieden, dass die Lieder in der Last Night of the Proms nun doch gesungen werden. Auch wenn ich mich mit meiner Meinung unbeliebt mache: Was ist denn so schlimm daran, diese Texte nicht mehr zu singen? Wir haben uns doch auch gut daran gewöhnt, „Schokokuss“ zu sagen, weil sich Menschen durch den „Negerkuss“ diskriminiert fühlen, wir gewöhnen uns gerade daran, dass auch in der Klassik (wenn auch langsam) Gleichberechtigung einzieht (besonders in Führungspositionen), und ich persönlich finde es auch verdammt legitim, keine imperialistischen Lieder von Blut, Schweiß und Feinden mehr anzustimmen – das machen wir in unserer deutschen Hymne doch auch nicht mehr. Und das ist doch auch gut so! Warum, bitteschön, kann die humanistische Kunst der Klassik in diesen Dingen nicht einfach vorangehen? Also: Mehr Mut, BBC!

WIENER ALLERLEI
An der Wiener Volksoper hat Intendant Robert Meyer nun endgültig eine Absage von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer für seine Vertragsverlängerung erhalten. Und antwortete darauf nun betont: „Ich hatte einen entspannten Sommer. Denn ich musste mich nicht fürs Hearing vorbereiten.“ Tatsächlich hat Mayer das Haus mit seinem Musical-Kurs in gute Verkaufszahlen gelenkt, gleichzeitig haben Ensemble und Haus unter genau diesem Trend auch gelitten. Für die Neuausrichtung wird offensichtlich in Richtung Komische Oper Berlin geschielt. Die gebürtige Salzburgerin Susanne Moser gilt derzeit als erfolgversprechendste aller 32 Kandidaten – möglich wäre auch eine Lösung mit Wiener Charakter. Derweil meldete sich Burgtheater-Chef Martin Kušej zu Wort und erteilte Ego-Shootern der Wiener Kulturszene im Standard eine Absage: „Ich habe das (die öffentlichen Streitereien der Kulturschaffenden) als österreichisches Phänomen wahrgenommen. In der österreichischen Kulturszene herrscht ein gewisser Vampirismusreflex, der mir fremd ist.“ Er meint nicht nur Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger, sondern auch den aufgeblasenen Streit zwischen Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder und Staatsopern-Intendant Bogdan Roščić. Der gab Armin Wolf von der ZIB2 ein ausführliches Interview, in dem er seinen Angriff auf Schröder verteidigte und ansonsten in epischer Langeweile die Situation seines Hauses erklärte. Übrigens, da in Wien Gerüchte kursieren: Auf Anfrage unseres Newsletters erklärte Roščić, dass Ex-Intendant Ioan Holender keinerlei beratende Funktion an der Staatsoper innehabe. Roščić will in dieser Saison hauptsächlich internationale Regie-Klassiker wie Calixto Bieitos Carmen an seinem Haus zeigen, das einst selber Regie-Klassiker geschaffen hat.

PERSONALIEN DER WOCHE
Es sah – nun ja – ziemlich (lokal)patriotisch aus, als Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden mit Musikern des Landesbergmusikkorps Sachsen und einem – nicht ganz so patriotisch schmetternden – Klaus Florian Vogt das „Steigerlied“ anstimmten: spektakulär illuminiert, im Fußballstadion und in echt schnieken Uniformen. Das Fest „30 Jahre Sachsen“ (übrigens dabei: Opernball-Projektleiterin und Hajo-Frey-Vertraute Trixi Steiner) sah ein bisschen aus wie „84 Jahre Olympische Spiele“. Typisch sächsisch? +++ Nun ist es sicher: Dirk Kaftan wurde für fünf weitere Jahre als Generalmusikdirektor in Bonn bestätigt. Sein Vertrag läuft nun bis 2027. +++ Intendant Klaus Zehelein wurde 80 Jahre alt – eine Würdigung in den Stuttgarter Nachrichten. +++ Schlimmer als befürchtet: Nun sind wohl auch Teile des Mariinsky-Chores mit Covid-19 infiziert, einige Sängerinnen und Sänger mit schwerwiegenden Symptomen. +++ Die Preisträger des Opus Klassik wurden bekannt gegeben. Überraschung!!! Anne-Sophie Mutter und Elīna Garanča sind dabei. Komponist des Jahres ist Detlev Glanert.

UND DAS NOCH
Ich habe zwei Schmankerl am Ende: Im Netz habe ich eine großartige Aufführung von Wagners „Ring“ gesehen – in einem US-Hof, mit Kammer-Ensemble in Corona-Zeiten. Der Clou: Alle Mitwirkenden waren People of Colour – die Idee hatte der Sänger Kevin Maynor. Ich habe ihn ausfindig gemacht und mir seine Idee erklären lassen. Alles dazu: hier.

Wofür steht „WAP“? – Finden Sie es heraus. Die Sängerin Sara Hershkowitz singt die volle Bedeutung dieses Wortes auf ihrer Facebook-Seite gleich in ganz verschiedenen Kompositionsstilen: Wagner, Puccini oder Glass? – So klingt die kleine Perversion ganz klassisch!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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