KlassikWoche_RGB_2020-09

Die Folgen der Causa Currentzis

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

ja, es gibt sie noch, die guten Nachrichten und Themen, die nichts mit dem Krieg gegen die Ukraine zu tun haben – und sie spielen heute eine große Rolle in diesem Newsletter. Aber natürlich geht es auch um die großartige russische Kultur und die russischen MusikerInnen, die Musik als Ausdruck der Zwischenmenschlichkeit verstehen, ebenso wie um die wenigen KünstlerInnen, die jahrelang vom System Putin profitiert haben und sich heute nur schwer distanzieren können. Warum zum Beispiel glaubt der SWR weiter an Teodor Currentzis, während sein Ensemble musicAeterna im RBB nicht mehr auf der Playlist steht? Letzte Woche war hier zum ersten Mal zu lesen, dass Anna Netrebko und ihr Management sich getrennt haben, eine Geschichte, die dann an vielen Stellen weiter gedreht wurde (übrigens, auch wenn Netrebko oft mit Wladimir Putin aufgetreten ist, hat sie ihren 50. Geburtstag im Kreml, anders als hier geschrieben, offenbar nicht „an der Seite“ des russischen Präsidenten gefeiert). Ich habe in den letzten drei Wochen gerade auf Grund dieser Themen unglaublich viel Zuspruch, aber auch blanken und ziemlich erschreckenden Hass gelesen - und mache einfach mal weiter als das, was ich bin.

TEODOR CURRENTZIS – SWR: HUI! RBB: PFUI!

Der Dirigent Teodor Currentzis
Vor drei Wochen habe ich an dieser Stelle vorgeschlagen, die Sparkasse möge das Ensemble von Teodor Currentzis, musicAeterna, übernehmen. Denn der aktuelle Geldgeber, die VTB Bank, gehört zu großen Teilen Russland, und ihr Vorstandsvorsitzender wird vom Kreml eingesetzt. Seit einigen Jahren hat sich Currentzis – offensichtlich nicht ganz unfreiwillig – in russische Abhängigkeiten begeben, hat von russischen Steuergesetzen profitiert und ist offensichtlich nicht mehr in einer Position, sich konkret von Wladimir Putin, dessen menschen- und freiheitsverachtendem System und seinem Krieg zu distanzieren. Pikant ist all das auch, weil Currentzis Chef des SWR Symphonieorchesters ist. Seit letztem Montag habe ich bei Orchester-Chefin Sabrina Haane angefragt, ob sie mit Currentzis gesprochen habe, wie das Orchester sich positioniere – keine Antwort. Ähnlich ging es dem „Mannheimer Morgen“, der an den SWR schrieb: „Wenigstens ein Statement, bitte. Eine Erklärung. Eine Positionierung. All die Toten und Verletzten haben das verdient.“ Doch der Südwestrundfunk schwieg auch hier. Am Donnerstag erreichte mich eine Mail von Frau Haane. Mit merkwürdigem Zungenschlag ließ sie mich wissen: „Sehr geehrter Herr Brüggemann, Ihr Warten wird morgen ein Ende haben, so dass Sie dann mehr vom SWR bzgl. der Causa Teodor Currentzis erfahren werden.“ Tatsächlich war die Erklärung dann ziemlich schmallippig: Man setze ein Zeichen, indem man einen ukrainischen Komponisten auf das Programm hole, wisse über die „problematische“ Unterstützung der VTB Bank für musicAeterna, würde sie aber akzeptieren. Kurzum: Currentzis sei „gegen Krieg und für die Musik oder so ähnlich“ (wie das VAN-Magazin kopfschüttelnd kommentierte).
Friede-Freude-Eierkuchen, der SWR will noch mal sein Glück versuchen und endlich ungestört auf lukrative Europatournee gehen. Wirklich? Wirklich! Das Statement des Senders blieb weit hinter dem von Anna Netrebko zurück, Currentzis persönlich musste sich gar nicht zu Wort melden. Es soll einfach weitergehen. Wenn sich der SWR da mal nicht verkalkuliert. Proteste bei der Europa-Tournee dürften vorprogrammiert sein. In der Presseaussendung heißt es, das „gesamte Ensemble“ stünde hinter der Entscheidung – wirklich? Und wie passt das verkrampfte Festhalten des SWR an Currentzis damit zusammen, dass der Dirigent und dessen musicAeterna etwa beim RBB derzeit nicht gespielt werden sollen (wie ein Mitarbeiter auf meiner FB-Seite erklärte). Öffentlich-rechtlicher Rundfunk muss eindeutig, transparent und klar sein, doch genau das lässt die Erklärung des SWR vermissen. Und mehr noch: Mit der Erklärung, dass man Currentzis’ Abhängigkeit von der VTB Bank „problematisch“ findet, legt man ganz nebenbei den Salzburger Festspielen und seinem Intendanten Markus Hinterhäuser ein Ei ins Nest. Hinterhäuser hat nämlich ein klares Bekenntnis von Currentzis eingefordert (hier ein weiterer Artikel vom ORF) und es noch immer nicht bekommen. In Salzburg stehen die Auftritte von Currentzis, von musicAeterna und der Oper „Blaubarts Burg“ auf der Kippe, und österreichische Kollegen beginnen nun ebenfalls, genauer hinzuschauen. Currentzis ist am Ende ein weiteres Beispiel für einen führenden Musiker, der jahrelang vom System Putin profitiert hat und dessen persönliche und finanzielle Bande es nicht mehr zuzulassen scheinen, sich klar zu positionieren. Den SWR dürfte dieser Fall noch lange begleiten. Hätte die Sparkasse doch vor drei Wochen einfach übernommen!

REINSTER OPERN-SNOBISMUS

Dieses vorweg: „Wozzeck“ ist eine meiner Lieblingsopern. Weil sie so fürchterlich ist, so unerschrocken, weil sie mir immer wieder das Herz herausreißt und mich erdet – in der Gosse, und Hoffnung schöpfen lässt, dass wir das alles besser machen könnten als die Personage in dieser Oper. Also bin ich voller Freude in die Wiener Staatsoper zur Premiere gefahren. Ich schwöre: Ich war in Erwartung eines großen Opernabends. Aber als ich am Ende wieder auf die Straße trat, hatte ich ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr hatte – ich habe mich gefragt: „Warum das alles?“ Was hatte diese Oper mit unserer Welt zu tun? Regisseur Simon Stone hat selbst Wozzecks Darmspiegelung gut aussehen lassen – alles war ästhetisch, seine Inszenierung hätte auch vom Arzt oder vom Hauptmann kommen können: jemand, der Wozzeck zur Stilisierung der eigenen Schönheit benutzt.
Lustig, dass der wunderbare Christian Gerhaher (er hat die Titelrolle wirklich getragen) plötzlich auf den Stepper steigen musste, obwohl er in meinem letzten Podcast noch erklärt hat, dass zumindest „Parsifal“ nichts im Fitness-Studio zu suchen habe. Wirklich erschreckend aber war der Chefdirigent der Staatsoper, Philippe Jordan, der kein einziges Piano hervorzaubern konnte und „Wozzeck“ ebenso uninspiriert führte wie zuvor seinen „Don Giovanni“. Meine Kollegen in Österreich versuchten, im Großen und Ganzen irgendetwas „Schönes“ zu finden – aber ich halte es da eher mit Kollege Reinhard Kager von der FAZ. Auch „Tristan“ ist übrigens eine meiner Lieblingsopern – sie steht als nächste Jordan-Premiere auf dem Spielplan der Staatsoper.
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MÜNCHENS KONZERTHAUS VOR DEM AUS?

Keine Ahnung!“, „Natürlich wird gebaut!“, „Da bringst Du was durcheinander“ – so schrieben mir einige Münchner Kulturschaffende, als wir an dieser Stelle vor einem halben Jahr berichtet haben, dass das geplante Münchner Konzerthaus im Werksviertel eventuell doch nicht kommen könnte. Nun hat Markus Söder erklärt, den Bau erneut auf den Prüfstand zu stellen. „Wir können nicht alles unendlich finanzieren", sagte Söder und rechnet inzwischen mit Baukosten von mehr als einer Milliarde Euro, am Anfang der Planungen waren es noch 350 Millionen. In Bayern wurde der Kulturetat bereits gekürzt – argumentiert wird mit den Kosten von Corona und des Krieges. Ich befürchte, das ist nur der Anfang.

PERSONALIEN DER WOCHE

Die Sopranistin Anna Netrebko
Noch einmal zurück zu Anna Netrebko: Ihr neuer Agent, Maxim Berin, erklärte der Zeitung Iswestija, dass Netrebko ihren Vertrag bei der Deutschen Grammophon habe auslaufen lassen und dass er darüber nachdenke, ein eigenes Label zu gründen. Um Netrebko müsse man sich nicht sorgen, viele Labels wollen sie haben, und ihr Auftritts-Kalender sei gut gefüllt. Berin promotet nach eigenen Angaben u.a. Max Raabe, Till Brönner und Julio Iglesias. +++ Nach einem Wasserschaden im Richard Wagner Museum erklärt der Leiter des Museums Sven Friedrich, dass etwa ein Drittel des Bestandes der Bibliothek beschädigt sei. Bei 12.000 Büchern sind das etwa 4.000 nass gewordene Schriften. +++ Was soll man dazu sagen: Die Musikerin Ronja Maltzahn wurde auf Grund ihrer Dreadlocks („kulturelle Aneignung“) vom Auftritt bei einer Friday-for-Future-Demo ausgeladen. Es wird so langsam wirklich verrückt, und ich bin sicher, wir werden das Thema von Kunstfreiheit, Spiel und politischer Correctness in einem der nächsten Newsletter und Podcasts noch mal eingängiger beleuchten.
Ist das ein Zeichen der Hoffnung? Das Ticketing-Portal CTS Eventim feiert neue Erfolge. Die Ticketverkäufe haben nach drastischen Rückgängen infolge der Corona-Krise im Frühjahr 2021 wieder angezogen. Dazu trugen auch die Vorverkäufe für Konzerte von Künstlern wie Ed Sheeran bei. Im dritten Quartal 2021 legte der Konzernumsatz im Vorjahresvergleich um 279,2 Prozent auf 114,7 Millionen Euro zu. +++ Auch die Geigerin Anne-Sophie Mutter entdeckt eine neue Relevanz der Musik: „Ich stelle einen Ansturm auf die Konzerte fest, auch seitens der Politiker, die nun diesen öffentlichen Raum suchen und sich plötzlich – im Gegensatz zu den Pandemiejahren – der Wichtigkeit von Musik bewusst werden“, sagt sie im Merkur. „Es ist großartig zu sehen, was Musikerinnen und Musiker zurzeit schaffen in ihrer tatkräftigen Hilfe für humanitäre Organisationen.

DER KRIEG IN DER UKRAINE UND DIE KLASSIK

Der Dirigent Kirill Petrenko
Wie man auch mit dem Krieg in der Ukraine umgehen kann? Wie Berliner-Philharmoniker-Dirigent Kirill Petrenko: Er spendet nicht nur 100.000 Euro für die UNO-Flüchtlingshilfe, sondern zeigt bei den Osterfestspielen in Baden-Baden auch, dass russische Komponisten wie Tschaikowsky NATÜRLICH noch immer auf die Spielpläne gehören! +++ Die Berliner Philharmoniker zeigen diese Woche aber auch, wie Solidarität ziemlich daneben gehen kann: Frank-Walter Steinmeiers Pressesprecherin zeigte sich enttäuscht, als der Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, nicht am Solidaritätskonzert des Bundespräsidenten teilnehmen wollte, in dem russische und ukrainische MusikerInnen (und Mitglieder der Philharmoniker) gemeinsam auftreten sollten. Melnyk antwortete darauf: „Mein lieber Gott, wieso fällt es dem Bundespräsidenten so schwer zu erkennen, dass, solange russische Bomben auf Städte fallen und Tausende Zivilisten Tag und Nacht ermordet werden, wir Ukrainer keinen Bock auf ‚große russische Kultur‘ haben?“. Ein vollkommen gerechtfertigter Seitenhieb gegen das Deutschland, das glaubt, sein Gewissen mit ein paar guten Worten und ein bisschen Musik entlasten zu können.
Ich habe in den letzten Wochen immer wieder gehört, dass ich die Musik doch einfach Musik sein lassen soll. Ich erinnere noch einmal an die Texte der letzten Ausgaben, es ging im Schatten des SemperOpernballs und des Brucknerhauses in Linz (in der Causa Hajo Frey) selbst um die Einmischung des österreichischen Kanzleramtes, es ging um Reisen von großen Wirtschaftsunternehmen nach Russland – nur angeblich im Namen der Kultur (ich fasse das hier für den Sender Puls 24 noch einmal zusammen). Man darf nicht vergessen, dass Kultur für Wladimir Putin eines der wichtigsten Propaganda-Mittel ist, mit dem er ausländische Politiker und Wirtschaftsführer lenkt (dazu eine dringende Leseempfehlung im Monopol-Magazin, der Text von Elke Buhr). Auch diese Woche war das zu sehen, als Putin Kulturschaffende in seinem Staatsfernsehen vorführte, unter anderem Valery Gergiev, dem er vorschlug, neben dem Mariinski-Theater in St. Petersburg auch das Bolschoi in Moskau zu übernehmen. Nach seiner Entlassung in München (hier wird wohl über eine Auszahlung all seiner Bezüge gestritten) soll er so etwas wie ein zaristischer Super-Intendant Russlands werden und will „die Tradition stärken“. Immerhin: Sein Rauswurf aus München bestätigt sich als richtige Entscheidung. +++ Es ist mir an dieser Stelle ein Anliegen, noch einmal auf die Initiative der Dirigentin Oksana Lyniv aufmerksam zu machen, die sich für die MusikerInnen des Ukrainischen Jugendorchesters einsetzt und auf Spenden angewiesen ist.

WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht sehen wir es gerade nicht, weil es zu nahe ist! Begonnen hat alles mit einem Text von Komponist Moritz Eggert, der schrieb, dass die Landesbühnen Sachsen mit ihrer Ausschreibung für einen Kompositionswettbewerb alle jungen Komponisten enttäuschen: Am Ende winke eine unterbezahlte Oper als Preis (5.000 Euro für eine abendfüllende Jugendoper, 3.000 Euro für eine 20-minütige „Talentprobe“). Anlass für mich, mal nachzufragen: Steht die Neue Musik eigentlich noch in unserer Gesellschaft? Und: WAS IST NEUE MUSIK – Wolfgang Rihm, John Williams oder New Classics? Ich spreche in meinem neuen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (mit diesem Link geht es zum Anhören auf allen Podcast-Formaten) unter anderem mit dem Präsidenten des Komponistenverbandes, Moritz Eggert, mit Komponist Christian Jost und Wolfgang Rihm – keine Angst: Ich finde da durchaus anregende und kurzweilige Argumente. Etwa über die Komplexität als Schlüssel zur Einfachheit, über das Grunzen und Raunen von Yoko Ono und John Cage, über Klassik, Pop und Jazz.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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