KlassikWoche_RGB_2020-09

Kaviar und der russische Mittelfinger

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

die Festspielsaison steht vor der Tür: Und auch bei uns dreht sich alles um Bregenz, Bayreuth und Salzburg. Dazu, wie immer: die aktuellen Debatten der Klassik!

Frankfurter Opern-Debatte

Oper Frankfurt
„Wenn die Klimaanlage im voll besetzten Zuschauersaal ausfallen würde, müsste (der Intendant) ihn sofort räumen lassen. Denn die Atemluft reiche dann nur noch für drei Minuten“, berichtete die FAZ diese Woche über den Zustand des Opernhauses in Frankfurt.
Dort wurden nun, trotz aller Haushalts-Einsparungen drei Neubauvarianten debattiert: Ein Neubau mit beiden Bühnen an der bisherigen Stelle (was zwei Interimsbühnen nötig machen würde), eine „Spiegelvariante“, bei der das Schauspielhaus auf Höhe des Euro-Zeichens errichtet würde und die Oper an der bisherigen Stelle des Theaters neu gebaut würde, oder: eine Bühne am Willy-Brandt-Platz, eine andere auf dem Grundstück der Frankfurter Sparkasse an der Neuen Mainzer Straße. Intendant Bernd Loebe macht Druck, besteht auf schnellem Handeln – während Frankfurt (ebenso wie München) parallel schon mal den Kulturhaushalt kürzt.  

Resonanz zur Auslastungs-Debatte

Teatro La Fenice in Venedig, 1829
Große Resonanz hatte unser Thema über die oft noch immer schwachen Auslastungszahlen im deutschen Klassik-Betrieb (den ich auch im Podcast „Kommt doch mal näher“ besprochen habe). Auch die Süddeutsche widmete sich noch mal dem Thema unter dem Titel „Restkarten an der Abendkasse“. Mich erreichten wirklich viele Mails, die ich gar nicht alle beantworten konnte: Einige schickten mir die vollen Saalpläne ihrer Häuser, andere leere Saalpläne der Konkurrenz. Aber es ging auch um die Sache. Ein Agent schrieb mir, dass ein Großteil der Krise auch mit der Krise des Journalismus zusammenhänge, es gäbe immer weniger Raum für Ankündigungen: „Inzwischen habe ich mir überlegt, ob ich überhaupt noch Aufträge von Veranstaltern und Festivals annehme, da es so frustrierend geworden ist. Alle wollen wieder auf die Bühne (.)… Schade, wenn am Ende 45 Menschen im Großen Saal sitzen. Ich rate seit Jahren allen Künstlern, eigene Verteiler zu pflegen. Nichts ist effektiver, als sein Publikum direkt anzusprechen und einzuladen. Je persönlicher, desto besser. (Viel Arbeit!) Dennoch war es auch vor Corona immer wieder wichtig, Ankündigungen in Form von Interviews, Vorberichten, Konzert-Tipps und Empfehlungen von Redaktionen zu bekommen.“ – Doch genau die würde es heute kaum noch geben. Ein anderer Leser schrieb mir: „Ich sage das ja jetzt schon seit über 20 Jahren: Gebt neuen Komponisten, die ihr Handwerk verstehen und dabei auch noch tonal komponieren können, mehr Raum und Aufmerksamkeit.“ Auch an dieser Stelle fehlte ihm Vielfalt: „Als interessierter Leser geht es bei Deinem Newsletter immer um die gleichen Namen und Problemstellungen ... Nur so eine Randbeobachtung am Montagmorgen ...“
Tatsächlich bricht die Klassik-Berichterstattung weg, und, ja: Es ist leicht, dafür die Zeitungen verantwortlich zu machen. Vielleicht wäre es wichtiger, neue Wege der Öffentlichkeit zu finden. Und, ja: Dieser Newsletter und der Podcast sind zwei solcher Wege. Und, ja, vielleicht müssen wir uns auch an dieser Stelle nicht breiter aufstellen. Vielleicht reicht es nicht, dass wir allein in den Podcasts der letzten zwei Monate so unterschiedliche Menschen wie Till Janczukowicz von IDAGIO, Johannes Kernmayer von Capriccio, Tina Lorenz von der Digital-Sparte des Theaters Augsburg, Presse-Agenturen, das Trickster Orchestra oder den Philosophen Konrad Paul Liessmann, die Journalistin Hannah Schmidt und die Dirigentin Oksana Lyniv zu Wort kommen ließen … Klar, mehr Vielfalt geht immer. Und ich verspreche: Das wird auch weiterhin unser Anspruch sein. Denn ich bin sicher, dass nur eines nicht zum Ziel führen wird: Die Augen zu verschließen und positive Beispiele als Regel in den Raum zu stellen, um – so wie Gerald Mertens von der Deutschen Orchestervereinigung – einfach die Augen vor den Problemen zu verschließen und die Überbringer der nackten Fakten als Nestbeschmutzer zu beschimpfen. Kann man machen, ist aber wohl kaum im Interesse des Fortbestandes unserer Orchester.

Russischer Mittelfinger – interessiert eh keinen!

Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass das Thema von KünstlerInnen, die sich von Wladimir Putin abhängig gemacht haben kaum jemanden im großen Konzert-Zirkus zu interessieren scheint. Am liebsten soll alles einfach nur weitergehen wie immer! Krieg? Doch nicht bei uns! Nehmen Sie diesen Absatz also bitte einfach nur als Chronisten-Bekanntmachung, damit später niemand sagen kann, dass er es nicht gewusst hätte: Dass die Firma Gazprom gerade die Hähne ihrer Pipelines nach Europa zudreht, um den Westen unter Druck zu setzen, scheint Teodor Currentzis und sein Ensemble musicAeterna nicht davon abzuhalten, im Dienste des Öl-Multis zu musizieren. Während Salzburg-Intendant Markus Hinterhäuser erklärt hatte, er warte auf ein „Zeichen“ von Currentzis und der SWR in seiner Erklärung schrieb, man hoffe, musicAeterna würde schnell eine Lösung für das (vom Sender „verurteilte“) Sponsoring der VTB Bank finden, reiste das Ensemble vor zwei Wochen einfach weiter auf der von Gazprom gesponserten Tour durch Standorte des Energie-Multis quer durch Russland (DAS IST russische Propaganda!). Auf den Rollfeldern gab es Kaviar für die MusikerInnen – und überhaupt war es eine große Sause, wie auf den Insta-Profilen der MusikerInnen zu sehen ist.
Ach ja: Wer glaubt, die Salzburger Festspiele hätten den Orff-Abend exklusiv. Das ist nicht der Fall, diesen Sonntag hat musicAeterna das Stück bereits im russischen Perm – also im Umfeld von VTB und Gazprom – aufgeführt (hier die dazugehörigen Telegramm-Bilder). Aber auch das scheint Salzburg nicht zu stören. Dass Currentzis kaum ein Interesse hat, Russland zu verlassen und sich von seinen russischen Geldgebern zu distanzieren (im Vorstand seines Orchesters sitzen immerhin der VTB-Bank-Chef und die Chefin der Russischen Nationalbank), ist hinlänglich erklärt.  Stellt sich die Frage, wie lange der SWR seinem Chefdirigenten nun eigentlich noch das russische Sponsoring gelten lassen will und wie lange Hinterhäuser noch auf ein Statement des Dirigenten warten will (oder war die eigene Ankündigung nur heiße Luft?). Derzeit zeigen Currentzis und sein Orchester dem SWR und den Salzburger Festspielen eher den russischen Mittelfinger. Vielleicht weil sie sicher sind, dass dort im Sommer einfach die Augen und die Ohren verschlossen werden – man tut halt so, als sei alles normal. Wer? Alle: Landeshauptmann Wilfried Haslauer, Bürgermeister Harald Preuner, Mozarteum-Chef Johannes Honsig-Erlenburg, Bundestheater-Holding-Chef Christian Kircher – eben das gesamte Salzburger Who is Who.

Die geheimen Rituale der Intellektuellen-Kreise

Wir hatten an dieser Stelle vor einigen Wochen darüber berichtet, wie Komponist Moritz Eggert bei der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in die Kritik geriet, weil er Fragen an die Institution hatte: Fragen nach Transparenz, Fragen an den Umgang mit alten Fehlern und Fragen an die Vetternwirtschaft. Nun hat Petra Morsbach die Causa in einem sehr lesenswerten Text für die FAZ ausgeweitet, unter anderem auch auf den PEN. Dort heißt es unter anderem: „Kürzlich hat die Musikabteilung in einer ‚Sondersitzung zum Verhalten unseres Mitglieds Moritz Eggert‘ diesen Kollegen aus Sitzungen und Kommunikation der Akademie verbannt, nachdem er in einem Blog einen Programmvorschlag der Generalsekretärin kritisiert hatte. (…) Dostojewskis Großinquisitor wusste, dass die Menschen lieber satt und zufrieden sind als hungrig und frei. Das hat eine gewisse Logik. Doch unsere Geistesvertreter sind gleichzeitig satt und frei, ein historisch einmaliges Privileg. Warum fügen sie sich ohne Not willkürlichen Restriktionen und jagen den kritischen Kollegen aus dem Verbund?“

Personalien der Woche

Erinnern Sie sich an den Geiger Illia Bondarenko, der aus dem Bunker in Kiew eine ukrainische Weise angestimmt und hunderte von GeigerInnen animiert hat, mitzumachen? Ich habe Illia getroffen und mit ihm darüber gesprochen, wie wichtig Musik als Mittel der Kommunikation ist, wie es sich anfühlt, zwischen Festspielsommer und Krieg hin- und herzupendeln, und wie er die aktuelle Situation in seiner Heimat wahrnimmt. Das gesamte Interview unten im Player. +++ Simon Rattle erklärte in einem Interview mit dem Britischen Telegraph (Bezahlschranke), dass ihm nach der Pandemie die Zeit im Nacken sitze: „Was man in den 50ern schaffen wollte, kann man gerade noch in den 60ern schaffen, aber nicht mehr in den 70ern“, sagte er. +++ Der Bratschist Yuri Bashmet wurde von Wladimir Putin als „Held der Arbeit“ ausgezeichnet und gab der russischen Zeitung AIF danach ein Interview, das sich gewaschen hat: „Wir tun das Richtige und werden gewinnen“, sagte er über den Krieg in der Ukraine (so berichtete es der BR) und: „Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt, ich habe kein Interesse am Ausland.“ Sowieso spiele er lieber in Bugulma (eine Stadt in der russischen Republik Tatarstan) als in Paris, Amsterdam oder New York. „Warum sollte ich meine aufrichtigen Gefühle Fremden schenken?", fragt Bashmet rhetorisch. Zumal Fremden mit einer „verbogenen Haltung", womit der Bratschist offenbar die Kritik an einem völkerrechtswidrigen Krieg meint. Bashmet orakelt über düstere Zeiten im Westen: „Das Niveau da drüben im Westen wird bald und spürbar sinken. Wir russischen Musiker waren schon immer die Besten. Nicht Sandkörner in der Masse, nein, wir waren schon immer die Gagarins in der Welt der klassischen Musik.“ +++ Ganz andere Töne kommen vom russischen Dissidenten und Regisseur Kirill Serebrennikow. Dem britischen Guardian sagte er: „Wie kann man nicht wütend sein über das, was passiert. Ukrainer sterben an russischen Bomben. Ganze Städte werden wegradiert. Zivilisten werden ermordet. Wie zum Teufel kann man da noch schweigen? Wie? Wie kann man all dieses Morden eine ‚Spezialoperation‘ nennen?” +++ Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte hat endlich die Potenzial- und Machbarkeitsanalyse für das Konzerthaus die Glocke in Auftrag gegeben. Ein Erfolg für Bremens Landesmusikrat, der sich gegen eine Straßenbahn-Linie neben dem Haus und für Investitionen einsetzt. +++ Der Vertrag von Bogdan Roščić als Intendant an der Wiener Staatsoper wird erwartungsgemäß um fünf Jahre, bis 2030 verlängert.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Der Festspiel-Sommer beginnt. Und im aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier geht es zum Player für alle Formate) gibt es erste exklusive Einblicke. Zum Beispiel, wenn Bayreuths Tristan-Regisseur Roland Schwab über die Kunst des Transzendierens spricht, wenn Katharina Wagner die Cliffhanger-Qualitäten des neuen Ringes feiert, oder wenn Bregenz-Intendantin Elisabeth Sobotka erklärt, was die Festspiele (die diesen Sommer mit Madame Butterfly eröffnen von einem Repertoire-Haus wie der Staatsoper in Berlin (wohin es Sobotka verschlägt) unterscheidet. Mit Camilla Nylund rede ich über die Anstrengungen für die Stimme, die ein Festspielsommer zwischen Isolde und Elsa mit sich bringt. Ich lade Sie herzlich ein, im aktuellen Podcast schon mal auf Festspiel-Reise zu gehen.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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