KlassikWoche_RGB_2020-09

Von Abgängen, Orden und »Menschenmüll«

Willkommen in der neuen KlassikWoche

heute geht es drunter und drüber: 20 Kilo weniger und ein Rücktritt in Florenz, zu wenige Frauen in Spitzenpositionen, Neuordnungen in Salzburg, und: Verleiht Österreich Teodor Currentzis einen Orden?

Menschenmüll?

Theater Krefeld
Von der Preisverleihung des Magazins OPER! kann man denken, was man will – zum Beispiel: Gut, dass es Leute gibt, die neben dem Opus Klassik was auf die Beine stellen! Aber dieses Mal gab es einen Giga-Fauxpas, der leider einen Großteil des Klassik-Selbstverständnisses unter dem Brennglas zeigt. Es ist legitim, dass OPER! der Stadt Krefeld den Negativ-Preis verleiht, weil sie sich nicht um den Opernplatz kümmert. Vollkommen daneben, die Erklärung der Jury. „Auf dem Theaterplatz leben die obdachlosen Suchtkranken der Stadt, mit allem, was dazu gehört: Gewalt, Verzweiflung, Zerstörung, Müll, Dreck, Tod“, heißt es, schleichend abgehakt und dem Verfall preisgegeben werde „mit dem modernen Inferno des sozial produzierten Menschenmülls zugleich ein Stück Kultur“.
Kein Wunder, dass NRW Innenminister Herbert Reul mehr als irritiert war und die Stadt der Jury antwortete: „Die Jury geht bei ihrer Begründung offenbar von falschen Voraussetzungen aus und bedient sich zudem einer ungeheuren sprachlichen Entgleisung. Ein Gremium, das in einer offiziellen Stellungnahme den Ausdruck ‚sozial produzierter Menschenmüll‘ verwendet, disqualifiziert sich selbst. Die Stadt Krefeld empfindet die Nutzung des Wortes ‚Müll‘ zur Beschreibung von Drogenkranken als skandalös und menschenverachtend.“ Statt in sich zu gehen, ging die OPER!-Jury erneut in die Offensive und erklärte, dass es sich bei der Stellungnahme der Stadt um ein Ablenkungsmanöver gehandelt habe. Aber was für eine Haltung von KritikerInnen ist das? Frei nach dem Motto: „Es reicht doch, wenn wir uns mit Wozzeck auf der Bühne auseinandersetzen, aber vor dem Theater wollen wir dieses Elend nicht sehen.“ Manchmal wünscht man sich einen Christoph Schlingensief zurück: Statt snobistisch und empathielos nach Schuldigen zu suchen, hätte er den Menschen in Not geholfen, sich durch Kultur selbst zu ermächtigen!

Österreich-Orden für Teodor Currentzis?

Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen
Man glaubt es kaum, aber tatsächlich ist Dirigent Teodor Currentzis vorgeschlagen worden für die österreichische Kultur-Kurie, ein exquisiter Kreis aus österreichischen und internationalen Kulturschaffenden, die das Land repräsentieren – den Vorsitz hat der Architekt Wolf D. Prix, der mit Coop Himmelb(l)au unter anderem das Opernhaus auf der Krim baute. Unter anderem dabei: Michel Houellebecq oder Peter Sloterdijk, aber auch Olga Neuwirth oder Michael Haneke. Was denken die wohl darüber, dass Currentzis’ Orchester bei seiner letzten Tour von ROSATOM gesponsort wurde, also jener Behörde, die das ukrainische Atomkraftwerk in Saporischschja okkupiert, davon, dass im Aufsichtsrat von Currentzis’ Orchester die Chefin der Russischen Nationalbank und der VTB-Chef sitzen, dass einige seiner MusikerInnen Kriegslieder für Putin singen?
Gegenüber CRESCENDO hat das österreichische Kulturministerium die Personalie bestätigt. Hier die Antwort des Sprechers im Wortlaut: „Es stimmt, dass seit kurzem ein entsprechender Vorschlag der Kurie vorliegt. Dieser ist jetzt in Prüfung. Grundsätzlich ist zum Procedere zu sagen, dass der Kulturminister zunächst nur den Antrag auf Vorschlag der Kurie erstellt, die Ernennung erfolgt dann durch den Bundespräsidenten. Mit einer ‚baldigen‘ Ernennung ist jedenfalls nicht zu rechnen.“ Es ist nun also an Österreichs Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer und an Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Bislang waren nur zwei Dirigenten Teil der österreichischen Kultur-Kurie: Leonard Bernstein und Nikolaus Harnoncourt.

Nachklatsch: Männer in Bayreuth

Was ich aus dem letzten Newsletter gelernt habe: Man sollte sich NIE (!) über alte Männer lustig machen – auch nicht als alter Mann! Es war schon spannend, was für ein kleiner (aber lustiger) Shitstorm sich da zusammengebraut hat, nachdem ich mit Ausrufezeichen in die Altersstruktur der Gesellschaft der Freunde der Bayreuther Festspiele vorgedrungen bin – obwohl ich mich bewusst selber als „alter Hofberichterstatter“ eingeschlossen habe!
In Wahrheit ging es ja auch nicht um alte Männer, sondern um Menschen, die gern in alten Kultur-Formen verharren: Alles soll bleiben, wie es war, auch wenn die Welt sich weiter dreht. Inzwischen hat der Chef der Gesellschaft der Freunde Georg von Waldenfels selber ein wenig zurückgerudert: Er stehe hinter Katharina Wagner, sagte er dem Nordbayerischen Kurier, „ich komme gut mit ihr aus“. Auch einen Machtverlust seiner Gesellschaft, die zu einem Drittel an den Festspielen beteiligt ist (neben Bund und Land), schließt Waldenfels nicht mehr aus: „Überall, wo es sinnvolle Veränderungen gibt, werden wir uns beteiligen.“

News: Männer in Florenz

Alexander Pereira
Bämm - das war ein Knall: Alexander Pereira tritt als Intendant des Maggio Musicale in Florenz zurück – er sagt. aus „privaten Gründen“. Doch Pereira soll in den nächsten Tagen auch von der Florentiner Staatsanwaltschaft vernommen werden. Neben Veruntreuung wirft sie ihm Geldunterschlagung im Zusammenhang mit der Verwendung eines Teils eines Fonds in Höhe von 35 Millionen Euro vor, der von der Regierung in Rom zur Tilgung der in den vergangenen 15 Jahren angesammelten Schulden des Theaters ausgezahlt wurde.
Pereira beteuert seine Unschuld, verweist auf die Einnahmen im Sponsoring, die er erwirtschaftet hat und versteht sich vor allen Dingen als Opfer der Presse: „Abgesehen davon, dass ich eine sehr schwierige Aufgabe hatte, war ich ständig Angriffen innerhalb und außerhalb des Theaters ausgesetzt, insbesondere von der Presse. Ich hatte also nie einen ruhigen Moment, und diese Situation hat dazu geführt, dass ich 20 Kilo abgenommen habe und Anfang Dezember in eine gesundheitliche Krise geriet", erklärte Pereira in einem Brief an Florenz’ Bürgermeister Dario Nardella. Ein Selbstbild, das wir von Pereira kennen: Schuld sind fast immer die anderen! Ach ja, und klar: der Ösi-Opi hat zu all dem auch eine Meinung: Gustav Kuhn, Alexander Pereira – das sind für ihn noch echte Männer! 

Und was machen die Frauen?

Ich habe es noch nicht geschafft, den Film TÁR zu sehen, werde es aber definitiv tun. Interessant, dass Dirigentin Marin Alsop das Dirigentinnen-Bild aus dem Film kritisiert: „Ich fühle mich als Frau, als Dirigentin und als Lesbe beleidigt.“ Nun nahm auch US-Schauspielerin Cate Blanchett Stellung: „Ich habe mit Dirigentinnen wie Simone Young und Nathalie Stutzmann gesprochen, die ein Verständnis für die, nennen wir es elastische, Tarkowski-artige Deutungsebene unseres Films haben", sagt Blanchett der Welt am Sonntag, „aber wenn du, wie Marin Alsop, selbst die gläserne Decke durchbrochen hast, wenn du für sehr lange Zeit ganz allein auf diesen Sockel gestellt wurdest, wenn du eine außergewöhnliche Führungspersönlichkeit und ein Vorbild für Frauen warst – dann kann ich schon nachvollziehen, dass sie einen bestimmten Blick auf unseren Film hat. Sie hat ein Recht auf ihre Meinung. Absolut.“
Spannend in diesem Zusammenhang ein Text vom BR, der sich um Frauen in Orchestern dreht. Anlass ist, dass Vineta Sareika-Völkner seit Februar Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker ist – die erste Frau auf dieser Position. Dazu passen die Forschungen von Timo Varelmann vom Deutschen Musikinformationszentrum: Die ersten Geigen haben bei deutschen Orchester einen Frauenanteil von etwa 60 Prozent. „Im tutti waren sogar zwei Drittel der Stellen durch Frauen besetzt“, sagt Varelmann. „Je höher man aber kommt, bis hin zu den ersten Konzertmeisterinnen und Konzertmeistern, landet man nur noch bei etwa 30 Prozent Frauen.“ Vielleicht hilft die Beschäftigung mit der Vergangeheit: Autor Bruno Monsaingeon hat seine Erinnerungen an Gespräche mit der Komponistin Nadia Boulanger herausgegeben. Das Buch Ich denke in Tönen gibt Einblicke in ihr Leben und Denken und in den Kampf gegen die Konventionen ihrer Zeit.

Salzburger Neuordnungen

Es herrscht erst einmal Ruhe im Karton – das scheint Landeshauptmann Wilfried Haslauer vor den anstehenden Landtagswahlen in Salzburg besonders wichtig zu sein. Also hat er die Fronten zwischen Intendant Markus Hinterhäuser und Präsidentin Kristina Hammer bei den Salzburger Festspielen erst einmal geglättet: Hammer muss die Hoheit über die Pressearbeit wieder an Hinterhäuser abgeben. Salzburgs Bürgermeister Harald Preuner sprach von einem „eher suboptimalen“ Innenverhältnis im Direktorium, Landeshauptmann Haslauer hingegen von einer „aufgeblähten Geschichte“. Immerhin: Trotz eines der langweiligsten Programme überhaupt, läuft der Kartenvorverkauf in Salzburg gut – und über die Zukunft der Festspiel-Intendanz wird dann wohl nach der Wahl entschieden. Wenn die Wogen keine Abstimmungen mehr beeinflussen können.

Personalien der Woche

Heiß her ging es auch um die Benennung von Omer Meir Wellber als zukünftigen GMD in Hamburg. In der Hansestadt ist man erstaunt, dass er zum Nachfolger von Kent Nagano ernannt wurde, angeblich ohne je mit dem Orchester zusammengearbeitet zu haben. Und in einem anonymen Brief im Standard wurde beklagt, dass Meir Wellber seinen Verpflichtungen an der Volksoper nicht nachkommen würde. Das Haus, das Orchester und die Intendantin in Wien haben das inzwischen dementiert – und sich geschlossen hinter den Dirigenten gestellt. Meine Meinung dazu: Vielleicht wäre es kulturpolitisch klug gewesen, das Hamburger Orchester mehr mitzunehmen. Aber der designierte Intendant Tobias Kratzer braucht auch einen GMD, der ihn beim Neudenken begleitet – Meir Wellber ist da sicher eine gute Wahl. Und Wien hat noch einige Zeit gemeinsam mit ihm, Zeit, das Orchester auch in sinfonischen Konzerten zu positionieren und einen gemeinsamen Volksopern-Geist zu entwickeln. Seine Unterschrift in Hamburg ist keine Flucht, sondern ein weiterer Schritt, von dem – wenn alles gut geht – alle profitieren könnten. Spannend war die Saison-Vorschau an der Bayerischen Staatsoper, in der auch ein Hauch Hamburg zu entdecken ist: Tobias Kratzer inszeniert Die Passagierin, und Kent Nagano kehrt zurück nach München. Es gibt acht Opern- und drei Ballett-Premieren. Wermutstropfen: „Die Bayerische Staatsoper kämpft mit finanziellen Problemen. Die Tarifsteigerungen müssen aus dem eingefrorenen Etat bezahlt werden – was bedeutet: Für die Kunst ist immer weniger Geld da.“ So fasst es Markus Thiel im Merkur zusammen. Nicht nur deshalb wolle Intendant Serge Dorny Ja, Mai, das Festival mit zeitgenössischer Ausrichtung, erst 2025 wieder ansetzen. Auch weil man 2024, so sagt er im Gespräch, nicht in Konkurrenz zur ähnlich ausgerichteten Münchener Biennale treten wolle.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht finden wir es hier: Nachdem der letzte Podcast über die Kirchenmusik so viele Reaktionen und Debatten ausgelöst hat, diskutiere ich im Update diese Woche wieder die Klassik-Welt mit Dorothea Gregor. Atmet Christian Thielemann nach den Koalitionsverhandlungen in Berlin auf? Wie wurde Omer Meir Wellber GMD in Hamburg? Warum haben Journalisten Schuld, dass Alexander Pereira 20 Kilo verloren hat? Wie werden sich die Dinge bei den Bayreuther- und Salzburger Festspielen entwickeln? Und warum setzt die MET in New York auf die Moderne? Hören Sie doch mal rein.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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