KlassikWoche_RGB_2020-09

Abschiedsbrief des Lieblings-»Parasiten«

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

willkommen am Tag der Arbeit! Lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie, und lassen Sie die Klassik-Woche Revue passieren. Es geht um den Regierungswechsel in Berlin und um ein Geschenk an meinen Freund Kai Uwe. Klassik-Fans aller Länder, vereinigt Euch!

So geht Übergang!

Sarah Wedl-Wilson
Im besten Sinne kultiviert, wie Klaus Lederer (LINKE) seinen Job als Kultursenator in Berlin an Joe Chialo (CDU) übergeben hat: „Einen guten Start im neuen Amt wünsche ich meinem Nachfolger Joe Chialo“, schrieb er auf Twitter. Und der Neue bedankte sich ebenso freundlich: „Ich übernehme eine Verwaltung, die von Klaus Lederer in den letzten sechs Jahren sehr erfolgreich geleitet wurde und die großen Respekt in der Kulturlandschaft genießt. Props and shoutouts dafür und große Vorfreude auf die Arbeit für Berlin.“
Der Ton verrät: Chialo ist pop-sozialisiert. Also hat er sich – sehr klug! – sofort eine Staatssekretärin aus der Klassik-Szene geangelt: Sarah Wedl-Wilson durfte als Kind keine ABBA-Platten hören, ist bisher Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und eine stets lächelnde Strippenzieherin, die man nicht unterschätzen sollte. Einige Kerle, die es getan haben, wie Markus Hinterhäuser, Peter Ruzicka oder Christian Thielemann, wissen ein Lied davon zu singen. Denn Wedl-Wilson war auch im Vorstand der Salzburger Osterfestspiele und hat den dortigen Wandel mit eingeleitet. Aber sie ist kein nachtragender Mensch, sondern Pragmatikerin. Und auch Thielemann könnte sagen: „Schwamm drüber“, wenn es um die Daniel-Barenboim-Nachfolge an der Staatsoper geht. Ich vermute, Wedl-Wilson wird sich genau anschauen, welche „Spätfolgen“ die Personalie haben könnte und zunächst einmal hören, auf wen sich alle Beteiligten, vom Orchester bis zur designierten Intendantin Elisabeth Sobotka (man kennt sich aus Österreich), einigen können. Die Telefonnummern von Mirga Gražinytė-Tyla oder Thomas Guggeis hat sie mit Sicherheit auch. Wedl-Wilsons Job an der Musikhochschule Hanns Eisler übernimmt interimistisch die Prorektorin Andrea Tober. Ach ja, vor anderthalb Jahren habe ich Wedl-Wilson zu einem sehr ausführlichen Gespräch getroffen: Darüber, warum sie als Kind nicht ABBA hören durfte und wie die Musik ihr Leben begleitet. Zu hören ist es hier.

Personalien der Woche I

Stephan Pauly
Er ist in der Stadt nicht wirklich präsent, eher leise und schlägt auch programmatisch keine großen neuen Wellen. Dafür wird Stephan Pauly nun belohnt und als Intendant des Wiener Musikvereins verlängert. Er wird bis 2030 im Amt bleiben, das er 2020 angetreten hatte. Das Theater in Regensburg wird – so will es Markus Söder – zum Staatstheater aufgewertet. Das bedeutet unter anderem: mehr Geld. Das kommt nach dem holprigen Einstand des neuen Intendanten Sebastian Ritschel nicht ungelegen, findet Deniz Aykanat in der Süddeutschen Zeitung. 40 Beschäftigte in allen Sparten mussten gehen. +++ Das Barbican Centre wird zwar nicht umgebaut (dazu fehlten die 332 Millionen Euro), aber immerhin: Nun wird renoviert. Sir Simon Rattle wird die Fertigstellung wohl nicht mehr als Chefdirigent des London Symphony Orchestra erleben, sondern die Dinge aus München beobachten.

Von Nürnberg nach Berlin: Mallwitz’ Abschied

Joana Mallwitz
Nach fünf Jahren in Nürnberg geht Joana Mallwitz nun nach Berlin. Ursula Adamski-Störmer schaut für den BR ziemlich lobhudelnd zurück auf eine Ära: „Erfolge feierte sie in Nürnberg vor allem mit den von ihr präferierten Opern. Was sie anfasste, veredelte sie zu Gold: Prokofjews Krieg und Frieden oder Wagners Lohengrin, Debussys Pelléas et Mélisande, Strauss’ Der Rosenkavalier und Die Frau ohne Schatten. Nürnberg feierte den Mallwitz-Effekt und musste doch klaglos hinnehmen, als die Generalmusikdirektorin bezeichnenderweise kurz nach dem Moratorium des von ihr glühend vorangetriebenen und so dringend benötigten neuen Konzerthauses die Reißleine zog und ihren Weggang aus der Stadt verkündete. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…In Berlin wird es sicherlich rauer werden: Aber in Berlin lockt auch der Aufbruch: an der Staatsoper, der Deutschen Oper – und jetzt auch: am Konzerthaus!

Männer und Frauen und alle dazwischen

Gender hat in der klassischen Musik seit jeher keine (oder deshalb: eine große) Bedeutung gehabt. Und in dieser Woche gab es allerhand Männer-und-Frauen-Meldungen. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (DSO) wird kommende Saison kein Programm ohne Kompositionen von Frauen aufführen, von der 1961 geborenen Unsuk Chin beim Eröffnungskonzert am 30. August bis zur Mozart-Zeitgenossin Marianna von Martines beim Finale am 28. Juni.
Vincent König hat uns geschrieben (für die „Perlen in der Provinz“ beim Podcast Alles klar, Klassik) und über sein Herzensprojekt geschwärmt: Illimité, ein Opernabend am Staatstheater Kassel über Rollenbilder in der Oper. Unter anderem wird die wunderbare Mezzosopranistin Katia Ledoux die Schmiedelieder aus dem Siegfried singen – ein Experiment, das neugierig macht. Außerdem ist dieses Wochenende das Festival Feminale an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg über die Bühne gegangen. Vier Studentinnen haben das Festival gegründet, weil sie beklagen, dass Werke von Komponistinnen auch in der Ausbildung nicht vorkommen. Es tut sich viel zwischen den Welten von Mann und Frau – gut so!

Die Woche im Gespräch

Weil diese Woche nicht so viel los war und heute Feiertag ist, erlauben Sie mir ein wenig Eigenwerbung. Seit über einem Jahr betreibe ich, gemeinsam mit der Liz Mohn Stiftung der Bertelsmann Stiftung, den Podcast Alles klar, Klassik? Alle zwei Wochen debattiere ich ein wichtiges Thema der Klassik mit Klassik-KünstlerInnen, PolitikerInnen oder anderen Kulturschaffenden, und die Wochen dazwischen spreche ich mit Dorothea Gregor über Klatsch, Tratsch und die wichtigsten Nachrichten aus der Klassik. Dieses Mal war Doro bei mir zu Hause in Bremen. Ein Kaffeekränzchen mit warmem Kaffee und heißen Themen: Wie viel verdienen Musikerinnen und Musiker? Wie wird sich Sarah Wedl-Wilson als Berlins Kulturstaatssekretärin machen? Doro wünscht sich eine Playmobil-Figur von Lorenzo Viotti, und ich erkläre den Unterschied zwischen Aida Garifullina und Yuja Wang. Außerdem kündigt Doro eine große Studie zur Situation der Kultur in Deutschland an. Sie wird in einigen Wochen bei Alles klar, Klassik? vorgestellt. Hören Sie doch mal rein, auf der Website, bei Apple, oder bei spotify.

Personalien der Woche II

Natürlich reden wir in Alles klar, Klassik? auch über Lorenzo Viotti – als Fotomodell, aber auch darüber, dass er (rein in die Klamotten, raus aus den Klamotten) seinen Vertrag als Chefdirigent des Nederlands Philharmonisch Orkest sowie der Nationalen Oper in Amsterdam nicht verlängern wird. Er will seinen Vertrag bis 2025 erfüllen, danach aber nicht verlängern.
Gazprom, dessen CEO großer Teodor-Currentzis-Fan ist und auch die Gastspiele des Currentzis-Orchesters musicAeterna finanziert, hat nun eine eigene Armee für Putin gegründet. In England sorgen solche Nachrichten für Alarm, beim SWR scheint man selbst da noch die Augen zuzumachen. +++ Die Musterklage gegen die Salzburger Festspiele und ihre Beschäftigungspolitik ist vertagt worden. Eigentlich sollte Anfang April verhandelt werden, das Gericht hat den Termin nun verschoben. +++ Bayreuth hat ein neues Opernhausmuseum. Es liegt direkt neben dem Markgräflichen Opernhaus, das 2012 zum Unesco-Welterbe ernannt wurde. Seit dem 22. April kann man das neue Museum besuchen.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Mein lieber Freund Kai Uwe Laufenberg muss das Staatstheater in Wiesbaden als Intendant verlassen. Das macht er natürlich nicht, ohne der Stadt noch mal ins Gesicht zu spucken. In seinem Vorwort zur neuen – seiner letzten – Saison lässt Kai Uwe nichts und niemanden aus: Ohne sie zu nennen führt der Intendant zwischen den Zeilen seinen ehemaligen GMD, Patrick Lange, vor („nicht immer habe ich, wenn es ums Orchester ging, die richtigen Partner gefunden“). Der Intendant wundert sich, dass er Wiesbaden überlebt habe und erzählt, wie viele Kleingeister ihm das Leben schwer gemacht hätten. Für ihn dürften das auch Politikerinnen wie Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn gewesen sein, der kritische Journalist Volker Milch – und, ich hoffe: auch ich! Umso mehr singt er seinem Anna-Netrebko-Dirigenten Michael Güttler ein Hohelied. Ich finde, Kai Uwe, Du hast Dich in Deinen Worten ein bisschen zu sehr zurückgehalten: Ich habe mal ein Vorwort aufgenommen, das Dir sicher auch gefällt - nimm es als kleines Abschiedsgeschenk Deines Lieblings-„Parasiten“.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

(brueggemann@crescendo.de)

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