KlassikWoche_RGB_2020-09

Rattenscharfes Opern-Europa

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einer Real-Crime-Ausgabe, mit Mord und Totschlag. Außerdem mit einem humorvollen Blick auf den Grand Prix und die Rolle der Oper in Europa. Und mit einer kleinen Frage an den SWR …

Zwei Klassik-Krimis

Wer sagt eigentlich, dass die Musik unschuldig ist. Gleich zwei Kriminalfälle wurden diese Woche bekannt. In Portugal wurden drei Männer und eine Frau verhaftet, weil sie verdächtigt werden, den Jazz-Pianisten Pedro Queiroz ermordet zu haben.
Mindestens so abenteuerlich ist der Vorwurf gegen einen Geiger des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters: Er soll versucht haben, seine Mutter und zwei KollegInnen mit Rattengift zu töten. Offensichtlich erkrankten seine KollegInnen, da der Geiger ihnen Knoblauchpaste auf einer Tournee angeboten hatte. Es klingt etwas makaber, aber das Schleswig-Holsteinische Landestheater meldet auf seiner Website, dass „wegen mehrerer Erkrankungen im Ensemble“ statt des Kirschgartens nun das Stück Achtsam morden auf dem Programm in Husum steht.

Der Klassik-Grand-Prix

Liebe Leute, folgt dem Dirigenten Paavo Järvi auf Twitter. Niemand hat den Eurovision Song Contest (ESC) besser kommentiert als er: Ein Satz zu jedem Kandidaten. Über die deutsche Gruppe Lord of the Lost schrieb er: „Satanic drag queens from the land of Beethoven.“ Sehr lustig!
Ich habe derweil eine Umfrage auf meinem Insta-Profil gemacht. Welchem Land geben meine Follower 12 Punkte, wenn es um das Opern-Land Europas geht. Das Ergebnis: Deutschland liegt mit 59 Prozent vor Österreich mit 25 Prozent, Italien mit 12 Prozent auf Platz drei, dahinter Frankreich mit drei Prozent. Immerhin in der Klassik liegen wir mit unseren 150 Stadttheatern ganz vorne!

Wer wird neuer Erl-König?

Das sieht schon ein bisschen nach beleidigter Opernwurst aus: Der Intendant der Tiroler Festspiele, Bernd Loebe, wird bereits Ende der Saison 2024 das Haus verlassen – und damit eine Saison früher als gedacht. Der Grund: Loebe sollte sich für eine Vertragsverlängerung erneut bewerben. Das empfand der Intendant der Frankfurter Oper aber wohl als Majestätsbeleidigung. Inzwischen gingen 43 Bewerbungen ein, darunter 32 Männer und elf Frauen.
Nun entscheidet eine Jury, bestehend aus dem Unternahmer Hans Peter Haselsteiner, Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, Volksopern-Direktorin Lotte de Beer und der Leiterin der Kulturabteilung im Land Kärnten, Brigitte Winkler-Komar. Bis zum Sommer soll, wie von Erl-Mäzen Haselsteiner angekündigt, die Entscheidung stehen.

Fragen wir den lieben SWR!

Sabrina Haane
Die Lage ist schon skurril: Nachdem die Schweizer Mediengruppe (u.a. die Aargauer Zeitung) fragte, wie die Schweizer Supermarktkette MIGROS es mit Russland hält und mit ihrer Verpflichtung von Teodor Currentzis bei den MIGROS-Konzerten, antwortete ein Sprecher der Firma, der SWR habe ihm versichert, dass der Dirigent die Werte des Orchesters teile und im Übrigen die Ehrenprofessur in Moskau (wir haben letzte Woche berichtet) abgelehnt hätte. Das habe Currentzis dem Orchester gegenüber angeblich schriftlich mitgeteilt. Merkwürdig nur, dass verschiedene russische Zeitungen von der Verleihung des Titels berichtet haben, ebenso wie verschiedene Telegram-Kanäle. Und auch die spanische Zeitung El País berichtet in ihrer aktuellen, sehr lesenswerten Recherche in einem einseitigen, sehr umfangreichen, sehr kritischen Text zu Currentzis’ Russlandnähe über die Ehrenprofessur. Von einer Ablehnung war bislang nirgendwo zu lesen.
Ich wollte wissen, was genau Currentzis geschrieben hatte, wann er die Professur zurückgab und wie der SWR sich inzwischen gegenüber den anderen Russland-Abhängigkeiten ihres Chefdirigenten positioniert. Also schieb ich den Pressesprecher des SWR, Matthias Claudi, an und die Orchester-Verantwortliche, Sabrina Haane. Ich bekam, mal wieder: keine Antwort. Es ist schon befremdlich, dass das Orchester eines öffentlich-rechtlichen Senders, der für Qualitätsjournalismus steht, es nicht für nötig hält, Nachfragen zum eigenen Handeln zu beantworten. Meine Fragen sind hier nachzulesen, wenn Sie an Antworten Interessiert sind, müssten Sie allerdings wohl selber beim SWR Symphonieorchester nachhaken (kommunikation@swr.de).

Italien macht Ernst

Vor einigen Wochen habe ich an dieser Stelle über die Situation der Kultur in autoritären Ländern berichtet: Im Podcast haben wir mit Ádám Fischer und Fabio Luisi auf die Situation in Ungarn und Italien geschaut. Nun hat auch der Standard das Thema aufgegriffen, denn Italien macht nun Ernst.
Die Regierung von Giorgia Meloni erlässt ein Gesetz, dass Leiter von Kulturinstitutionen nicht über 70 Jahre alt sein sollten. Gerichtet eigentlich gegen den Chef der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt RAI, hat es auch Auswirkungen auf die Klassik: Der Intendant des Teatro San Carlo in Neapel, der Franzose Stéphane Lissner, ist ebenfalls betroffen – und hat Beschwerde eingelegt. Betroffen wäre auch der Scala-Intendant Dominique Meyer, derzeit 67 Jahre alt – sein Vertrag läuft 2025 aus. Der Staatssekretär für Kultur, Vittorio Sgarbi, fordert schon seit einiger Zeit, dass zumindest der Intendant der Scala und der Direktor der Uffizien in Florenz einen italienischen Pass haben sollten. Die Uffizien werden seit 2015 vom Deutschen Eike Schmidt geführt.

Personalien der Woche

Die Sängerin Pretty Yende hatte sich vor ihrem Auftritt bei der Krönung von Charles III. bei einer Aufführung in Wien das Bein verknackst. Sie sang trotzdem – danach kurierte sie ihre Verletzung in einem Krankenhaus aus. Alles Gute! +++ Wiesbaden soll heute mal eine Fußnote bleiben, um Kai Uwe Laufenbergs Ego nicht weiter zu schmeicheln: Zum einen hat sich das Orchester klar gegen den Auftritt mit Anna Netrebko (und damit auch gegen den Intendanten) positioniert, zum anderen sorgte ein Bild für Aufsehen, das den Cast der Oper Nabucco zeigt – viele schneiden lustige Grimassen. Geschmacklos, nicht nur gegenüber den DemonstrantInnen, sondern auch, weil es sich um eine Veranstaltung zu Gunsten von politischen Gefangenen handelte. Das System Laufenberg reißt sich hier selber die Masken des Mitgefühls aus dem Gesicht.
Welche Rolle spielte Kurt Masur wirklich im Herbst 1989 – eine andere als die des Revolutionärs, schreibt Claudius Böhm, der Leiter des Gewandhausarchivs, in einem lesenswerten Essay im VAN Magazin. +++ Der Gründer der 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker, Rudolf Weinsheimer, ist im Alter von 91 Jahren gestorben.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht ja hier: Der Landesmusikrat Berlin bietet kostenlose Dirigier-Workshops für junge Menschen zwischen 15 und 19 Jahren an: Der mehrteilige Kurs findet in diesem Jahr mit den Schwerpunkten Orchester, Chor, Big Band sowie dem neuen Schwerpunkt Drums & Impro in der Sophie-Scholl-Schule in Schöneberg statt. In dem Kurs erlangen SchülerInnen musikalische, organisatorische und soziale Kompetenzen und sind dann in der Lage, Ensembleproben bzw. Teilproben oder Stimmgruppenproben qualifiziert anzuleiten. Die TeilnehmerInnen erhalten ein Zertifikat über ihre Ausbildung zur/zum „MusikmentorIn“. Mehr Infos: hier.

Ach ja, und wenn Sie hören wollen, was Dorothea Gregor und ich über die Klassik-Woche zu sagen haben, dann geht es hier direkt zu unserem aktuellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Formate)
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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