KlassikWoche_RGB_2020-09

Der Rechte, die Rechte, das Rechte

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute leider mit zu viel Rechtsdrall, mit Netz-Spaß über die Ernennung von Jonas Kaufmann in Erl und einer dramatischen Studie über die Relevanz von Kultur in Deutschland.

Rechte in Österreich: Hinterhäusers Salto Mortale

Neuerdings ist Österreichs Rechts-Partei (FPÖ) Teil der Salzburger Landesregierung von Landeshauptmann Wilfried Haslauer. Zahlreiche KünstlerInnen haben dagegen protestiert, unter anderem Schauspieler Cornelius Obonya. Nur Salzburgs Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser plädiert – wenn auch selber kein FPÖ-Fan – für Zurückhaltung. Im Standard sagt er: „Der Aufruf von Cornelius Obonya ist von einer bemerkenswerten gedanklichen Schlichtheit.“ Klar, Hinterhäuser hat seinen Job dem neuen FPÖ-Koalitionär Haslauer von der ÖVP zu verdanken. Darauf angesprochen, antwortet er in typisch beleidigtem Unterton: „Das musste ja kommen. Aber, verzeihen Sie, so läppisch sollte man das nicht sehen. Noch einmal: Mir ist diese Koalitionsvariante alles andere als sympathisch, ich habe sie mir nicht gewünscht, aber sie ist nun einmal politische Realität.“ Vielleicht sollte Hinterhäuser den Der Standard aus dem Jahre 2000 lesen, da hat er selber noch mit Furor den damaligen Salzburg-Intendanten Gerard Mortier angegriffen, nicht genügend gegen die FPÖ-Regierungsbeteiligung von Jörg Haider getan zu haben.
Als Hinterhäuser noch Haltung hatte, sagte er: „Jeder, der noch über einen Funken politische Intelligenz verfügt, muss in dieser Situation seine Abscheu und seinen Widerstand gegen diese Regierungsform artikulieren.“ Mortier hatte damals mit Rücktritt gedroht und diesen erst zurückgezogen, nachdem 200.000 Menschen in Wien gegen die Rechts-Rechts Regierung protestiert hatten. Wie wichtig wäre es, wenn gerade Intellektuelle wie Hinterhäuser auch jetzt wieder erklärten, dass die äußere Rechte eben KEINE Normalität im Polit-Betrieb sein sollte – erst recht nicht, wenn es, wie in Salzburg, Alternativen gegeben hätte. Hinterhäuser fehlt aber leider das Format eines Mortier – er bleibt inhaltlich wie politisch: ein Opportunist (für meinen ausführlichen Kommentar klicken Sie einfach oben auf das Bild).

Rechte in Deutschland

Ich war gar nicht sicher, ob ich es falsch fand, dass der Cellist und AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Moosdorf bei einer Veranstaltung der Theaterakademie August Everding aufgetreten ist. Ich tendiere dazu, das eher okay zu finden. Aber dann habe ich gelesen, wie Moosdorf verbal auf seine Kritiker losgegangen ist: Von „Ratten“ hat er geschrieben, von „Kakerlaken“, „von Subjekten“, die der „Arbeit zugeführt“ werden müssten.
Moosdorf hat die Kollegen Alexander Strauch, Moritz Eggert und Arno Lücker vom Bad Blog Of Musick hemmungslos mit Nazi-Schimpf überschüttet und seine Kritiker am Ende noch als Antisemiten und als neue Nazis umgedeutet. Klar: Das bedient die eigene, rechte Bubble, und Moosdorfs Facebook-Post wurde mehr als 100 Mal geteilt – immerhin hat auch die Süddeutsche ohne Schaum vor dem Mund berichtet. Am Ende ist es eben doch die Sprache, an der man den Frust erkennt – und die Menschenverachtung der Menschen. Nach Moosdorfs Äußerungen würde ich ihm mein Wohnzimmer auch nicht mehr für Auftritte zur Verfügung stellen. Die Theaterakademie erklärte inzwischen: „Wir bedauern, dass an dieser Gastveranstaltung offenkundig ein Musiker beteiligt war, dessen Werte denen der Theaterakademie August Everding diametral entgegenstehen.“

Finde ich gut, geh’ ich nicht hin!

Letzte Woche sorgte eine Befragung des Liz Mohn Centers der Bertelsmann Stiftung für allerhand Debatten. Der Relevanzmonitor Kultur fand heraus: Ein Großteil der Deutschen (91 Prozent) will Theater zwar der nächsten Generation übergeben und hält sie für einen Teil der deutschen Identität, aber faktisch besuchen nur wenige Menschen die Häuser. 17 Prozent wollen kostenlose Karten, 28 Prozent günstigere Tickets. Müssen wir da vielleicht radikal umdenken? Ist es bei einer mit 150 Euro bezuschussten Karte nicht auch egal, ob sie am Ende fünf oder 50 Euro kostet?
Ebenfalls wurde herausgefunden: Die Mehrheit der Menschen will im Theater lachen. Aber 43 Prozent fordern explizit künstlerische Experimente, 61 Prozent politische Diskussionen auf der Bühne. Nur 63 Prozent wollen Klassiker sehen, 73 Prozent dagegen neue und aktuelle Stücke. Unterschätzt das Publikum nicht! Denn – auch das zeigt die Studie – es hat durchaus kreative Ideen: Ein großer Teil der Befragten wünscht sich mehr Offenheit im Theater, mehr Auftrittsmöglichkeiten für Laiengruppen, oder: mehr Leben in der Bude! Wer keine Lust hat, die ganze Studie zu lesen, Dorothea Gregor vom Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung und ich besprechen sie in unserer neuen Ausgabe von Alles klar, Klassik? mit Dominique Meyer, Matthias Schulz, Sarah Wedl-Wilson, Simone Dollmann, Jacob Bilabel und vielen anderen (hier für alle gängigen Player, wenn Sie den Podcast kostenlos auf Spotify hören wollen, einfach unten aufs Bild klicken).

ERLedigt: Jonas Kaufmann wird Intendant

Wie das wohl wird? Muss das ZDF zu Weihnachten jetzt von Dresden nach Erl ziehen? Wird Christiane Lutz nun sämtliche Wagner-Opern bis 2056 inszenieren? Oder wird der Festspielort in Tirol zum Sony-Imperium? Klavierabende mit Igor Levit und Strauss-Lieder mit Rachel Willis-Sørensen? Wie auch immer: 43 KandidatInnen, die sich aufwendiger beworben hatten, wurde kurzerhand abgesagt, als Hauptsponsor Hans Peter Haselsteiner witterte, dass Jonas Kaufmann Nachfolger von Bernd Loebe als Intendant am Festspielhaus in Erl werden könnte. Eine Ernennung „primus et unicus“, wie es hieß. Am Ende zählt in Erl nicht die Qualität, sondern der Name. Das erinnert ein bisschen an die Verpflichtung von Oliver Kahn als Bayern-Manager. Dort wurde allerdings schnell klar: Wer gut spielt, plant noch lange nicht gut. Viele Reaktionen im Netz waren humorvolle Höchstleistungen: „ERLedigt“, hieß es auf Twitter, oder „Singt er jetzt wenigstens weniger?“ – Ich spekulierte, ob Österreich dann bald Plácido Domingo für die Salzburger Festspiele benennt, Elīna Garanča für Grafenegg und Anna Netrebko für Bregenz? Auf Facebook kommentierte Marlis Petersen mit Augenzwinkern, man solle sie bitte nicht vergessen! Kaufmann hat in letzter Zeit immer wieder kritisch gegen das Regietheater polemisiert. Erl dürfte zum Hort des Gesterns werden. Kaufmanns Vertrag läuft bis 2030. Und er hat angekündigt, in Erl auch singen zu wollen.

Florenz vor der Pleite

Dass auch alte Intendanten-Haudegen nicht immer alles richtig machen, zeigt sich derzeit in Florenz: Das Teatro del Maggio Musicale Fiorentino räumt die Ära von Alexander Pereira auf und muss 8,5 Millionen Euro Defizit ausgleichen. Gegen den Ex-Intendanten ermittelt die Staatsanwaltschaft: SängerInnen klagen und das Maggio Musicale überlegt, ob es sein Archiv verkaufen muss, um zu überleben.

Personalien der Woche

Die Zeit debattiert mal wieder, ob Milliardär Klaus-Michael Kühne der Stadt Hamburg ein neues Opernhaus schenken soll. Und kommt zur Erkenntnis: Das würde die Akzeptanzkrise des (eigentlich ja schönen) Hauses auch nicht lösen. +++ Aus gegebenem Anlass. Eine Geigerin hatte ihre 100.000-Euro-Geige in einem Zug vergessen. Im rbb erzählt der Direktor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Thomas Schmidt-Ott, über Verlustangst, Musiker im Bistro und Taschentücher.
Anna Netrebko verkauft angeblich ihr New-York-Appartment in der Nähe des Lincoln Square – das berichtet das Onlineportal Operawire. Zuvor hatte die MET bekannt gegeben, dass sie die Sängerin derzeit auf Grund ihrer Nähe zu Russland nicht mehr engagieren will. +++ Seit 1.000 Tagen wird die belarusische Oppositionelle Maria Kalesnikava eingesperrt, seit Monaten dürfen ihre Verwandten nicht mehr sprechen. Auch von anderen bekannten politischen Gefangenen gibt es keine Nachrichten, der Spiegel versucht, sich der politischen Aktivistin und der klassischen Flötistin anzunähern. +++ Sie war eine der meist gespielten Komponistinnen unserer Zeit und wurde von vielen KollegInnen geschätzt. Nun ist die Finnin Kaija Saariaho mit 70 Jahren an den Folgen eines Gehirntumors verstorben.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht diese Woche ja in Basel. Denn dort hat man einige Umfrage-Ergebnisse der Bertelsmann-Studie schon vorausgesehen: Viele Menschen erwarten mehr Laiengruppen an unseren Theatern. Das Theater Basel betreibt dafür ein „Foyer Public“, ein offenes Foyer: Hier können alle, die wollen, zusammensitzen, spielen, lesen, chillen, tanzen, arbeiten oder einfach da sein. Der Raum lädt zu unterschiedlichsten Aktivitäten ein, ist konsumfrei und von Dienstag bis Sonntag jeweils von 11:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. „Nutzt die Bühnen, die Freiflächen, die Workshop-Räume, die Arbeitsplätze, die Zweigstelle der GGG Stadtbibliothek, die Sofagruppen, die Kinderecke und vieles mehr“, heißt es auf der Website des Theaters. So könnte es aussehen, wenn unsere Institutionen ihre Türen öffnen!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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