KlassikWoche_RGB_2020-09

Richtet Justus Frantz für Putin?

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute geht es um viele Personalien, um Zoff bei Jugend musiziert, wir ordnen Russland und seine Kultur und wundern uns über Justus Frantz.

Dudamel und El Sistema

Bereits 2015 habe ich in einem großen Essay für den Cicero über die Rolle der Kultur in bedenklichen politischen Systemen geschrieben – damals, nach der Annexion der Krim, ging es bereits um Anna Netrebko und Valery Gergiev. Aber noch ein Musiker stand in diesem Essay im Zentrum: der zukünftige Chef des New York Philharmonic Orchestra, Gustavo Dudamel. Er war sogar Sargträger bei der Beerdigung von Venezuelas ideologischem Staatschef Hugo Chávez. Die Pianistin Gabriela Montero hat immer wieder zu Recht auf die Nähe von Dudamel zu Venezuelas Führung hingewiesen und auf die Propaganda-Wirkung von El Sistema. Dudamel bleibt diesem Schulprogramm, das immer wieder auch mit Machtmissbrauch assoziiert wird, dennoch verbunden - auch heute. Norman Lebrecht berichtet, dass Dudamel seine Zusammenarbeit bei einem Venezuela-Besuch gerade erneuert hat – bezahlt wird all das vom Sponsor Bancamiga.

Russland im Umbruch

Während die Lage in Russland unübersichtlich ist, hält die Kultur Linie. Der Tschaikowski-Wettbewerb, zu dem Vladimir Putin persönlich einlädt, tut sich schwer, eine internationale Jury zusammenzustellen. Unter anderem sind im Kriegsjahr dabei: Yuri Bashmet, Vadim Repin, der Kreml-Pianist Denis Matsuev, Vladimir Ovchinnikov und natürlich Putins Mann für die Panama-Milliarden, der Cellist Sergei Roldugin. Aber auch der Ex Münchner Philharmoniker, Lorenz Nasturica-Herschcowici, der sich (auch auf Grund von Nachfragen unseres Newsletters) als Putin-Sympathisant outete. Erschreckend: Auch Pianist Justus Frantz wird als deutscher Juror beworben – ob ihm damit seine 80. Geburtstagsfeier beim Schleswig-Holstein Musik Festival vermasselt wird?
Und was gibt es Neues in Sachen Teodor Currentzis? Ach Gottchen: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Der SWR denkt noch immer darüber nach, ob Alexey Tikhomirov bei den anstehenden Konzerten singen soll (ich hatte letzte Woche berichtet). Die Öffentlichkeitsarbeit von SWR-Orchesterchefin Sabrina Haane ist einfach desaströs – es ist kaum vorstellbar, dass diese Frau nicht gemeinsam mit ihrem Chefdirigenten den Hut nehmen muss. Immerhin dürfen im Konzerthaus Wien von Matthias Naske inzwischen selbst niedrige Team-Mitglieder wie David Gajdos vom Audience Development dem russischen Dirigenten beim Auszug aus dem Auditorium nicht in den Rücken schießen (meine Meinung über diesen ekligen Opportunismus habe ich in einem privaten Facebook Kommentar bereits geschrieben). Ach ja, Currentzis ist auch künstlerischer Leiter des Diaghilev Festivals – gefördert von: der sanktionierten Sberbank, der Region Perm und und und … Der Bad Blog of Musick berichtet ausführlich über Currentzis‘ sanktionierten Geldgeber in Perm und darüber, warum das mindestens so schockierend ist wie die Finanzierung von musicAeterna. Leute – wann reicht es endlich?

Personalien der Woche I

Nora Schmid, Intendantin in Graz, nimmt Abschied und bereitet sich auf ihre neue Aufgabe als Chefin der Semperoper in Dresden vor. „Ich bin kein Fan vom austauschbaren Koproduktion-Zirkus“, sagte sie der Kleinen Zeitung, „wo eine Produktion in verschiedenen Städten gezeigt wird. Manchmal habe ich das Gefühl, dadurch gibt es eine Verwässerung.“ Annekatrin Fojuth, lange als Orchesterdirektorin an der Seite von Matthias Schulz an der Staatsoper in Berlin, wird derweil wohl Nachfolgerin von Adrian Jones als Orchesterdirektorin der Staatskapelle in Dresden.
Der Aufsichtsrat der Theater und Philharmonie Essen (TUP) hat beschlossen: Marie Babette Nierenz, derzeit künstlerische Leiterin der Philharmonie Essen, wird ab kommender Spielzeit die Position der Philharmonie-Intendanz übernehmen, die seit dem Ausscheiden von Hein Mulders im Sommer 2022 vakant ist. Für das Aalto Ballett Essen treten Marek Tůma, aktuell stellvertretender Intendant und Manager der Essener Compagnie, und Aalto-Ballettmeister Armen Hakobyan als Doppelspitze ab der Spielzeit 2024/2025 die Nachfolge von Ballettintendant Ben Van Cauwenbergh an. +++ Die Staatsoper Stuttgart hat einen Sieger, was den Interimsstandort bei den Wagenhallen betrifft. Zu sehen ist er hier.

Mehr Kultur im Rundfunk

Die Rundfunkräte haben Angst, dass Deutschlands öffentlich-rechtliche Sender ihren Kulturauftrag vernachlässigen. Man solle den Bedarf nicht nur „decken, sondern vielmehr auch Bedarfe wecken und Vielfalt bieten“, fordern die Gremien laut FAZ. Das betreffe auch Themen, die nur Minderheiten erreichen. In der Debatte um eine Reduzierung der Klangkörper fordern die Kulturrundfunkräte deren unbedingten Erhalt. Die Einzelredaktionen der Anstalten sollten bestehen bleiben und Lokalredaktionen in ihrer kulturvermittelnden Aufgabe gestärkt werden. Die Entscheidungsfindung der Sender müsse nach innen und außen transparenter werden. FDP-Politiker Gerhart Baum sagte der Süddeutschen Zeitung, es sei völlig unverständlich, dass die Axt angelegt werden solle an die kulturelle Vielfalt, die das Hörspiel biete. „Diese Kunstform wird von den Intendanten gleichgesetzt mit anderem, etwa mit Verbraucherthemen. Das ist aber etwas komplett anderes.“ Eine spannende Debatte, die eine große Öffentlichkeit braucht.

Ungerechtigkeit bei Jugend musiziert

In einem offenen Brief, der mir gesendet wurde, beschwert sich der Bayerische Landesausschuss von Jugend musiziert über den jüngsten Wettbewerb in Zwickau. Wolfgang Graef und Andreas Burger befürchten, dass die Kriterien der einzelnen Bundesländer zu unterschiedlich (und damit unfair) waren: „Etwa eine Woche vor der Austragung der Landeswettbewerbe stellte die Projektleitung fest, dass der Bundeswettbewerb personell, logistisch, finanziell und terminlich nicht mehr wie gewohnt durchführbar wäre“, heißt es. „Sollten die Teilnehmerzahlen nicht drastisch gesenkt werden, drohten Absagen von Beratungsgesprächen, die Reduzierung der Anzahl der Juroren/Wertung oder gar die Durchführung von Wertungen per Video, insbesondere in den Wertungen für Klavier.“
Bayern habe seine Wertungen angepasst, aber „mit großer Enttäuschung mussten wir feststellen, dass dem Aufruf zur Solidarität nur einige wenige Bundesländer folgten, andere änderten kaum etwas, wieder andere erweiterten ihre Weiterleitungen sogar teilweise deutlich (...), so dass der Bundeswettbewerb durch die Verlässlichkeit einiger weniger zwar durchführbar wurde, aber auf Kosten derer, die durch unsere Maßnahmen durchs Raster fielen. Das hat uns nicht nur geschmerzt, sondern verärgert.“ Es gibt etwas aufzuarbeiten in Sachen Fairness in der musikalischen Jugendarbeit.

Personalien der Woche II

Max Wagner verlässt im Herbst den Gasteig in München. Der Kulturmanager, seit 2016 mit der Geschäftsführung des Gasteig betraut, hat den Aufsichtsrat der städtischen Tochtergesellschaft um eine vorzeitige Auflösung seines Vertrages als Geschäftsführer gebeten. Hat Wagner die Nase voll von der ewigen Verzögerung der pannenreichen Sanierung? Das will niemand offiziell bestätigen, aber auch nicht ausschließen. Münchens Denkpause führt allmählich zum brain-drain.
Zwei ehemalige Intendanten des Nordharzer Städtebundtheaters fordern von den kommunalen Trägern und dem Land Sachsen-Anhalt eine ausreichende Finanzierung des Theaters samt Orchester. Sie beobachteten „aus der Ferne mit großer Sorge, wie ungewiss die Zukunft des traditionsreichen Dreispartentheaters aktuell ist“, schrieben André Bücker und Kay Metzger in einem am Freitag veröffentlichten offenen Brief. Es müsse eine mittel- und langfristige Sicherung für das Theater und die Harzer Sinfoniker geschaffen werden. „Es steht hier ungemein viel auf dem Spiel, was sich mit Geld nicht aufwiegen lässt.“ +++ Gabriele Schnaut ist tot. Und damit eine meiner größten Jugend-Erinnerungen an die Oper: Schnaut als Isolde in Ruth Berghaus’ Mond-Tristan an der Staatsoper in Hamburg. Seither war ich ihrer mächtigen Stimme verfallen, ihrem allzu menschlichen Charme. Eine Große ist gegangen. So schade. So traurig.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Ein wichtiger Mozart-Brief an die Baronin von Waldstätten wird versteigert. Der Komponist wollte mit einer schnellen Heirat seine künftige Frau Constanze Weber vor Skandal bewahren. Ein Brief, der die Querelen des Komponisten erklärt, steht am 6. Juli bei Christie’s zur Auktion. Erwartet werden bis zu 570.000 Euro. Etwas weniger schlüpfrig geht es im letzten Podcast von Alles klar, Klassik? vor der Sommerpause zu. Ich bin in Lübeck und Doro ist allein zu Haus: Wir plaudern über den Bauchnabel der Klassikszene, über Motivation und Frustration. Doro hat ein Gespräch belauscht, und ich rede über Bewegung in der Frage um Teodor Currentzis. Außerdem blicken wir nach Wiesbaden, besprechen unsere Pop-Hits des Sommers und reisen am Ende noch einmal zu den Festspielen. In Bayreuth heißt es dann: „Da basst die Brill'n."
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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