KlassikWoche_RGB_2020-09

Böse Miene und gute Laune

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute geht es um den Gute-Laune-Thielemann, um Zoff in Karlsruhe, um einen Sturm im Bayreuther Wasserglas und West-Verbote in Belarus und allerhand Personalien.

Bayreuther Hickhack

Eigentlich hatten wir im letzten Newsletter das Bayreuth-Regie-Bashing von Ex-Intendanten-Opi Ioan Holender ja bereits als senile Verwirrung abgetan, die es nur durch die Promi-Geilheit der österreichischen Zeitung Die Presse zu einer Meldung geschafft hat. Aber weil die Zeit vor den Festspielen traditionell die Zeit der (realen oder aufgeblasenen) Skandale ist, hat sich diese Woche so ziemlich jeder an Holenders Quatsch abgearbeitet. Nun bin ich als Moderator der Open Airs und des Kinoprogramms befangen. Aber es war schon interessant, zu verfolgen, wie Holender sich mit seinem Text ins eigene Knie geschossen und all jene demontiert hat, mit denen er an einem Strang zieht: In verschiedenen Zeitungen (etwa in der Abendzeitung München) wurde spekuliert, dass Christian Thielemann Holender den Text „diktiert“ habe, um sich an Katharina Wagner für seinen Rauswurf zu rächen, der Münchner Merkur ordnete die Lage sachlich ein, und selbst Jan Brachmann in der FAZ kommentierte, dass es doch gut sei, wenn man endlich spontan nach Bayreuth fahren könne und lobte das Programm. Fakt ist, dass die Kartenpreise (bis zu 459 Euro) sehr hoch sind (was Wagner bereits im Interview eingeräumt hat) und dass ausgerechnet die Freunde der Bayreuther Festspiele um ihren streitbaren Chef Georg von Waldenfels die Situation mit ins Rollen gebracht haben, da sie besonders ihre Ring-Kontingente (die spontan nur schwer zu verkaufen sind) nicht  abgerufen haben.
Robert Braunmüller subsumiert das alljährliche Strohfeuer so: „Man mag den unter ungünstigen Bedingungen herausgebrachten Ring von Valentin Schwarz für misslungen halten. Aber Ring-Leichen gibt es auch anderswo. Die übrigen Inszenierungen bieten eine Vielfalt künstlerischer Handschriften. Roland Schwabs Tristan rückt die Musik in den Vordergrund, Tobias Kratzers Tannhäuser ist mehr satirischer Kommentar. Für die von Holender bestrittene Attraktivität Bayreuths bei Sängern spricht es, dass alle krankheitsbedingten Absagen zuletzt erstklassig ersetzt werden konnten.“ Es war einfach nicht klug, beim Angriff auf die Festspiele auf einen eitlen Ex-Intendanten zu setzen, dem nicht mehr klar zu sein scheint, dass die Welt sich weiter gedreht und die Ansprüche an Opernhäuser und Festspiele heute andere sind. Mehr noch: Ohne neue Lesarten, ohne eine Öffnung zu Kindern und Jugendlichen und zur Stadt wären Festspiele wie Bayreuth schon viel früher in die Kritik geraten. Und so sitzt Katharina Wagner  wegen der argumentativen und strategischen Dummheit ihrer Gegner noch fester im Sattel als sowieso. 

Der Gute-Laune-Thiele-Mann

Sylt und Salzburg sind die Stationen von Christian Thielemann diesen Sommer. Und es ist schon ein wenig verwunderlich, dass der Dirigent derzeit hauptsächlich dazu befragt wird, wie es ist, wenn er irgendwo nicht dirigiert – wie diese Festspiele in Bayreuth (die dpa hat dieses vielzitierte Interview geführt). Ich wurde immer wieder dafür kritisiert, dass ich in diesem Newsletter berichtet hatte, dass sein Vertrag bei den Salzburger Osterfestspielen wohl nicht mehr verlängert würde, ebenso wie sein Vertrag bei der Sächsischen Staatskapelle und dass auch Thielemanns Job als Musikdirektor bei den Bayreuther Festspielen wackelte. Für viele Leserinnen und Leser schien das undenkbar, und ich bekam (als Überbringer der Nachrichten) allerhand Schmähbriefe. Doch es ist so gekommen, und Thielemann scheint das Freisein nun auch erst einmal zu genießen (was er auch in unserem Gespräch betonte). Letzte Woche feierte er beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) Erfolge, davor bei der Staatskapelle Berlin (und natürlich immer wieder in Wien). In einem sechsseitigen Artikel über den Wandel der Berliner Klassik-Szene für den Cicero habe ich letzte Woche noch spekuliert, dass Thielemann für viele nun wohl als der richtige Chef für die Staatskapelle Berlin gelte (das Haus könnte sich mit ihm in Berlin in der eigenen Tradition einrichten). Tatsächlich ist derweil hinter vorgehaltenen Händen aber immer öfter zu hören, dass die designierte Intendantin Elisabeth Sobotka dem Berliner Orchester (das intern bereits für Thielemann gestimmt habe) erklärt hätte, dass er nicht zu ihrem Favoritenkreis zähle (bestätigen wollte das niemand). Und auch politisch scheinen die Bedenken zu wachsen – wohl auch mit Blick auf die Ioan-Holender-Intrigen bei den Bayreuther Festspielen. Niemand will einen Chef, bei dem Loyalität (auch gegenüber seinen alten Arbeitgebern) nicht Grundlage des Deals ist. Es bleibt also spannend in Berlin.

Personalien der Woche I

In Erl läuft der Ring des Nibelungen in der Regie von Brigitte Fassbaender, und die nimmt kein Blatt von den Mund, was den designierten Intendanten Jonas Kaufmann betrifft und den Umgang mit dem amtierenden Intendanten Bernd Loebe. Der sei „kaltschnäuzig abgefertigt“ worden, sagt Fassbaender der Tiroler Zeitung und kritisiert damit auch Erl-Geldgeber Hans Peter Haselsteiner. +++ So weit ist es gekommen: Anna Netrebko will im Wiener Konzerthaus auftreten, in einer konzertanten Version von La traviata – natürlich mit ihrem Mann Yusif Eyvazov, begleitet von der Philharmonie Baden-Baden. Na denn. +++ Woher kommt eigentlich die Wut der älteren Generation? Nun polterte auch Riccardo Muti in El País gegen jüngere DirigentInnen, die sich nicht vorbereiten (die MusikerInnen sind oft besser vorbereitet als die DirigentInnen) und gegen RegisseurInnen, die sich angeblich nicht mit der Oper auseinandersetzen. Ist ein Dirigent für eine derartige Entwicklung nicht mitverantwortlich? Und wo bleibt das Wohlwollen des altersweisen Mannes? +++ Der deutsche Direktor der Uffizien in Florenz, Eike Schmidt, verliert seinen Posten. Die maximale Amtzeit für den Posten wurde auf acht Jahre begrenzt. Schmidt betont, seine Absetzung habe nichts mit Ausländerfeindlichkeit der Meloni-Regierung zu tun. Aber es ist offensichtlich, dass Italiens Rechte Ausländer in Kultur-Jobs nicht gerne sehen: ein Trend, der auch den Intendanten der Mailänder Scala, Dominique Meyer, treffen könnte (hören Sie auch den Podcast zu Klassik in nationalistischen Regierungen mit Fabio Luisi und Ádám Fischer). 
Die neue rbb-Intendantin Ulrike Demmer hatte es bereits vorweggenommen, nun wird immer klarer: Die ARD-Hörfunkprogramme in Sachen Kultur werden wohl in Zukunft am Abend zusammengelegt. Das ist ein harter Einschnitt. Was das für Radioorchester bedeutet und für den Stellenwert der Kultur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk generell, ist ein großes Thema, dem wir uns an anderer Stelle widmen. Der Bad Blog of Musick beschäftigt sich seit 2020 mit der Abschaffung der Kultur im Radio – und schlägt schon mal Alarm!

Zoff in Karlsruhe

Der designierte Intendant Christian Firmbach hat sich beim Machtpoker bereits vor Amtsantritt verzockt und steht nun vor einem Scherbenhaufen: Generalmusikdirektor Georg Fritzsch darf bis Sommer 2027 in Karlsruhe bleiben (85 Prozent der MusikerInnen haben sich für ihn ausgesprochen). Über ein halbes Jahr lang gab es erbitterten Streit um seine Vertragsverlängerung. Marie-Dominique Wetzel erklärt den Machtpoker am Badischen Staatstheater für den SWR: „Eins ist klar geworden: Die Mitarbeitenden des Badischen Staatstheaters wollen keinen Alleinherrscher mehr an ihrer Spitze. Das Machtgebaren von Christian Firmbach hat böse Erinnerungen wachgerufen an den autoritären Führungsstil des früheren Generalintendanten Peter Spuhler. Dem neuen Mann an der Spitze nur den Titel ‚General‘ aus der Stellenbeschreibung zu streichen, reicht eben nicht aus, um wirklich einen neuen Führungsstil zu etablieren.“

Minsk will keine westlichen MusikerInnen

Es ist wunderbar, wenn dieser Newsletter zu Diskussionen führt. Mich hat der Dirigent Wilhelm Keitel angeschrieben: Er hat jahrelang im belarusischen Minsk gewirkt und – aus alter Verbundenheit – auch nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am Bolschoi in Minsk dirigiert. Wir haben telefoniert, und Keitel erklärte, dass es viele Menschen gäbe, für die gerade die Orchester ein Rückzugsort waren – viele Musikerinnen und Musiker seien inzwischen allerdings geflohen oder suchten nach Stellen im Westen. In seiner deutschen Heimat hat Keitl ein Orchester mit hauptsächlich ukrainischen MusikerInnen und Musikern gegründet und ihnen erklärt, warum er auch weiterhin (in Absprache mit dem deutschen Botschafter) nach Belarus fahre („viele haben meine Erklärung akzeptiert, einigen fiel es schwer“). In unserem Gespräch wurde klar, wie unüberschaubar die Situation zuweilen ist. Dass Teodor Curretzis in Russland dirigiert, hält Keitel für unzumutbar, da der sich nicht erklärt und sich nicht eindeutig gegen die Invasion in der Ukraine ausgesprochen habe. Keitel selber beobachtet, dass die Politik von Alexander Lukaschenko längst erbarmungslos sei. Inzwischen hat er auch erfahren müssen, dass Minsk inzwischen kein Interesse mehr an Offenheit hat: Westliche Musiker werden von Belarus nicht mehr eingeladen – das gilt neuerdings auch für Keitel.

Personalien der Woche II

Experiment Klassik: Während Simon Rattle den Siegfried dirigiert hat, trug er eine Brille, mit der Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität München und der University of London seine Augenbewegungen gemessen haben: Mit den Ergebnissen will man der KI beibringen, besser mit Gruppen zu interagieren. +++ Es kommt einem so vor, als habe er die Sächsische Staatskapelle schon seit einiger Zeit abgetakelt, in Wahrheit hat der Italiener Daniele Gatti erst jetzt seinen Vertrag als Chefdirigent unterschrieben. Sein Amt tritt er am 1. August 2024 an. Spannend geht anders. +++ „Mit seiner schönen, umfangreichen Stimme, die sich durch eine glänzende Höhe auszeichnete, seinem engagierten Schauspiel und seiner humorvolle Art gehörte Graham Clark von 1981 bis 2004 zu den großen Publikumslieblingen der Bayreuther Festspiele.“ So verabschiedete sich der Nordbayerische Kurier vom Opernsänger Graham Clark, der am Donnerstag im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Auch für mich persönlich war sein Tod Anlass für eine gedankliche Zeitreise durch Aufführungen, denen er durch seinen fesselnden Spielcharakter so viele Ecken und Kanten gegeben hat.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Alle reden über den Nachwuchs in der Musik. Daniel Hope und ich haben uns beim Schleswig-Holstein Musik Festival mit jungen Menschen unterhalten - für ein Podcast-Projekt. Das Thema: Musikmetropole London. Daniel Hope beantwortet Fragen zu Klassik und Popmusik, zur Krönung, zur britischen Hofmusik und zur Tradition der Kastraten.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brüggemann@crescendo.de

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