KlassikWoche_RGB_2020-09

Es wird still für die Klassik

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einem etwas ausführlicheren Schwerpunktthema „Klassik in den Medien“. Die Fülle der Nachrichten stimmt bedenklich: Klassik-Zeitschriften wie Fono Forum oder Opera News sterben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk schafft Klassik-Sendungen ab und plant, ganze Anstalten am Abend zu fusionieren. Gerade hat auch der Klassik-Streamer Takt1 sein Ende verkündet. Grund genug, um in diesem etwas größer angelegten Newsletter zu fragen, was all das für die Welt der klassischen Musik bedeuten wird.

Punkt 1: Der Print stirbt

Nun also auch das Fono Forum: Der Verlag des Klassik-Magazins hat seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterrichtet, dass das Heft am Ende des Jahres eingestellt wird. Erst vor kurzem haben wir gemeldet, dass in den USA das Magazin Opera News aufgelöst wird. Und bei einer großen deutschen Opernzeitschrift wird es – so hört man – in Kürze ebenfalls personelle Einsparungen geben. Die Klassik-Welt ist so klein, dass wir einander nicht wirklich Konkurrenz sind, da wir in einem Boot sitzen. Gerade in Zeiten, in denen Klassik-Berichterstattung auch in den großen Feuilletons (vor allem in den Regionalzeitungen, aber auch in den Programmen der ARD, s.u.) weitgehend verschwindet, fehlt es der Musikszene allmählich an regelmäßiger und fachkundiger Begleitung. CRESCENDO hat auf diesen Trend bereits letztes Jahr reagiert: Wir geben nur noch ein opulentes Printprodukt mit großen Interviews und tiefen Geschichten pro Jahr heraus – eine Art Coffee-Table-Jahrbuch, in dem alle Tugenden des Drucks gefeiert werden. Der Rest des journalistischen Angebots erscheint online: aktuelle Nachrichten, Album-Rezensionen, Veranstaltungstipps und Interviews auf unserer Website, ein Klassik-Video-Guide auf der Seite Foyer.de, dazu dieser Newsletter, der Newsletter zum Festspiel-Guide und zu Foyer.de.
Wenn ich hier persönlich als freier Journalist (und nicht als Kolumnist des CRESCENDO) schreibe, beobachte ich diesen Trend nicht allein mit Frust: Wo Altes geht, entsteht Neues. Ich persönlich merke, wie aktiv, nahe und breit die Kommunikation mit Leserinnen und Lesern in Zeiten der Digitalisierung wird – und wie groß die Möglichkeit, Klassik-Themen auf allen Ebenen (vom Podcast über Videos bis zu Newslettern und in sozialen Medien) zu diskutieren. Da gibt es perspektivisch auch Finanzierungsmodelle. Und ich erlebe täglich, welche Wirkung echte Recherchen, Kommentare und Debatten auf unseren Betrieb noch immer haben. Mit anderen Worten: Journalismus wirkt!
Auch Formate wie das VAN Magazin zeigen regelmäßig, dass inhaltliche Themen durchaus eine Leserschaft haben. Und nur mit Vielfalt und Konkurrenz können wichtige Debatten entstehen, wie etwa über Teodor Currentzis, dessen Russland-Nähe an dieser Stelle seit Monaten intensiv recherchiert wird, während bei VAN eher ihm nahestehende MusikerInnen seine Orchester-Arbeit begleiten. Doch allein mit derart unterschiedlichen Perspektiven bekommt die Klassik, was sie verdient: eine offene und transparente Streitkultur. In Zeiten des Umbruchs wird es wohl darum gehen, dass wir alle gemeinsam diese Kultur der Debatte aufrechterhalten: glaubhaft, ernsthaft und professionell. Im Print, in den Feuilletons, im Radio, im Fernsehen und im Netz. (Der Link oben führt zu einer Video-Debatte zum Thema „Zukunft der Musikjournalismus“ vom Lucerne Festival mit u.a. Michael Haefliger und Franz Welser-Möst)    

Punkt 2: Teo, der SWR und ich

Umso erschreckender ist, was ich persönlich in den letzten Wochen erlebt habe. Der SWR hat meine monatliche Kolumne, die ich beim Sender hatte, „pausiert“. Der Grund: Ich hätte die Gesamtleiterin des SWR Symphonieorchesters, Sabrina Haane (Foto), an dieser Stelle „herabgewürdigt“ – worin genau die „Herabwürdigung“ bestanden haben soll, wurde mir nicht mitgeteilt. Ich hatte regelmäßig über die befremdliche Öffentlichkeitsarbeit des Orchesters berichtet und, ja, in Frage gestellt, ob es nicht gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wichtig sei, offen und transparent mit Rechercheergebnissen (in diesem Fall zur Causa Teodor Currentzis) umzugehen. Bereits nach Ausbruch des Krieges hatte ich beim Intendanten des SWR, bei Kai Gniffke, nachgefragt, wie sich kritisch-journalistische Recherchen um die Russland-Geschäfte des Chefdirigenten des Symphonieorchesters mit dem redaktionellen Selbstverständnis des SWR vertragen. Es kam damals keine Antwort. Auf meine Frage, warum die kritische Dirigenten-Personalie in den Programmen des SWR nicht (oder kaum) thematisiert würde, erklärte mir Frau Haane persönlich in einer Mail, dass sie darauf keine Antwort geben könne, da die Redaktion unabhängig vom Orchester operiere. Das scheint nun offensichtlich nicht mehr der Fall zu sein.
Der SWR führt in Sachen Teodor Currentzis seit Monaten einen Eiertanz auf, aber ich bleibe dabei: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine existenziell wichtige Einrichtung in Deutschland, und gerade in Zeiten, in denen er von undemokratischen Kräften angegriffen wird, muss er mit vollkommener Transparenz antworten. Beim SWR haben wir derzeit allerdings die Situation, dass das Symphonieorchester von einem Dirigenten geleitet wird, der nebenbei Geld bei VTB und Gazprom verdient, der sagt: „Wer Russland liebt, braucht Russland nicht fürchten“ und dessen MusikerInnen bei musicAeterna deutsche Journalisten „Faschisten“ nennen (Currentzis hat sich davon nie distanziert). Gleichzeitig wird die Kritik am eigenen Handeln „abgestellt“. Ich habe diese Entwicklung lange für ein Kommunikations-Problem gehalten, verstehe nun aber, dass genau das offensichtlich von der Sendeleitung, namentlich von Programmchefin Anke Mai und Intendant Kai Gniffke, gewollt ist und dass viele Redaktionen – ohne aufzumucken – mitspielen. Aus Angst? Aus Verunsicherung? Aus Haltungslosigkeit? Oder gar aus Überzeugung? Ich weiß es nicht! Liebe fest angestellte Redakteure: Seid mutig, kämpft um Räume, Haltung und vor allen Dingen um eine Diversität der Perspektiven und Meinungen in Euren Programmen. Macht die Augen und die Ohren auf – und vor allen Dingen: den Mund. Es geht hier um die Musik, für die Ihr Euren Job einst angetreten habt.

Punkt 3: Radio Einsparungswelle

Spannend war in diesem Zusammenhang auch das 22. Akademie-Gespräch in der Akademie der Künste in Berlin. Kai Gniffke erklärte hier, es gebe in der Kultur keine Streichungen, lediglich einen strukturellen Wandel – kein Wunder, dass die anwesenden Kulturschaffenden gegen den Intendanten auf die Barrikaden gingen.
Zu Erinnerung: Die ARD plant, die regionalen Kultursender am Abend in einem Einheitsprogramm zusammenzuschließen, WDR-Intendant Tom Buhrow hatte bereits die Radio-Orchester in Frage gestellt, und auch beim BR wird über radikale Einschnitte in der Kultur berichtet. Mit „Wandel“ erklärte der BR diese Woche auch, dass er den Twitter-Auftritt von BR-KLASSIK einstellt (er geht in BR24 auf). Nachdem der Sender bereits die Sendung KlickKlack abgeschafft hat, sind wir gespannt, wann, wo und ob die neuen Formate denn wirklich entstehen. Noch ist davon nichts zu sehen. Immerhin wird demonstriert, gegen den geplanten Abbau im Programm von Bayern 2, unter anderem sollen Sendungen wie KulturWelt, das Büchermagazin Diwan, der WeltEmpfänger, das Kulturjournal, das Nachtstudio, der Nachtmix und radioTexte auf der Kippe stehen. Ob es was hilft?

Punkt 4: Das Streaming-Missverständnis

Und noch ein Aus: Der Klassik Streaming-Dienst Takt1 hört auf. Die Plattform, die Medien-Pionier Holger Noltze einst gegründet hat, wird eingestellt. Noltze selber argumentiert, die Konzertveranstalter seien noch nicht so weit, und es bestünde keine Bereitschaft, für seine Dienste zu zahlen. Echt? Oder lag es doch eher an der biederen und weitgehend uninspirierten Aufarbeitung des Angebotes? Dazu passt, dass Regisseur Barrie Kosky gerade in der Sunday Times erklärte, dass Streaming keinen Sinn mache. Aber vielleicht besteht das Problem auch darin, dass viele Streamer, viele Häuser und Verantwortliche noch immer nicht wirklich erkannt haben, dass das audiovisuelle Medium eigene Vor- und Nachteile hat. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass jemand zu Hause auf dem Sofa fünf Stunden lang eine Oper wie Parsifal im Fernsehen schaut (das dient eher der Dokumentation). Aber es gibt durchaus Formate, die funktionieren. Wo sind heute die Sendungen, die Aufführungen miteinander vergleichen? Wo die spannenden und ehrlichen Talks über Musik? Wo die kontroversen Debatten? Wo der Zusammenschluss, in denen Angebote unterschiedlicher Häuser redaktionell aufgearbeitet werden? Das Fernsehen hat diese Formate längst aufgegeben – sie wären perfekt für Häuser und Streaming-Dienste. Wir haben doch längst gelernt: Der Fernseher oder das Tablet ist kein Spiegel (oder Ersatz) für die Bühne, sondern ein eigenes Medium, in dem die Kunst der Bühne aus anderer Perspektive und mit anderen Möglichkeiten abgebildet werden kann. Letztlich haben audiovisuelle Klassik-Angebote eine ähnliche Aufgabe wie der Print, sie sind Plattformen und Marktplätze, auf denen die Inspirationen, Provokationen und Deutungen der Bühne ausgestellt und debattiert werden können.

Personalien der Woche

Letzten Freitag kam es im Konzerthaus in Luzern zu einem Zwischenfall (Video oben): Klimaaktivisten haben ein Konzert von Vladimir Jurowski unterbrochen – der reagierte souverän und ließ die Aktivisten ausreden. Im Publikum kam es zu tumulthaften Unmutsbekundungen. +++ Es ist eine Stilfrage: Seit nur einem Jahr ist Omer Meir Wellber Chef an der Volksoper in Wien, angetreten war er mit großen Zielen und massiven Personalentscheidungen. Nun will er vorzeitig gehen, und zwar „aus persönlichen Gründen“ – schon zum Jahresende. 2025 wird er GMD an der Hamburgischen Staatsoper. In Wien wird ihm Ben Glassberg nachfolgen. +++ Mein Freund Wiesbaden-Intendant Kai Uwe Laufenberg und sein Geschäftsführer Holger von Berg haben das Haus zum Kindergarten geschrumpft – nun bekommen sie schon zu Beginn der Saison professionelle Hilfe: Die Landesregierung hat eine Unternehmensberatung beauftragt, das Betriebsklima zu verbessern. +++ Berlins Kultursenator Joe Chialo kritisiert Anna Netrebko vor ihrem Auftritt an der Staatsoper Berlin: „Es ist bedauerlich, dass bei ihrem Auftritt in Berlin eine wichtige Facette ihrer Persönlichkeit und ihres Standpunkts fehlt, nämlich eine klare und unmissverständliche Distanzierung zum russischen Regime im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine.“ So zitiert die BZ den Politiker.

Krebs ist ein Arschloch

Tenor Stephen Gould erklärte in einem persönlichen Statement, dass er unheilbar an Gallenblasenkrebs erkrankt sei. Er schrieb über eine Lebenserwartung von wenigen Monaten (maximal zehn) und dass es keine Heilung gäbe. Er wollte mit dieser Nachricht das Ende der von ihm so geliebten Bayreuther Festspiele abwarten, feierte seine Kolleginnen und Kollegen. Ein guter Grund, in dieser Klassik-Welt daran zu erinnern, dass es nicht nur um Applaus, Erfolge und Machtkämpfe geht, sondern auch um Menschen, um gemeinsame Wege, Siege und Niederlagen. Stephen Gould ist ein Fels hinter der Bühne, einer, der lustvolle Leichtigkeit in Momente großer Anspannung bringt, der keine Konkurrenz, sondern tiefste Kollegialität lebt, einer bei dem jede Sekunde klar wird: Das Leben ist lebenswert. Ein Heldentenor als Mensch. Und, ja: Krebs ist ein Arschloch!

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Manche sagen: hier – beim Beethovenfest in Bonn! Dort begann im dritten Satz der Neunten Beethoven-Sinfonie ein Baby zu schreien. Große Aufregung und eine breite Debatte. Auch ich habe auf meinem Insta-News-Profil nachgefragt: Dürfen Babys ins Konzert oder nicht. Das Ergebnis ist erstaunlich, 57 Prozent haben für „ja“ gestimmt, 43 Prozent für nein. Das Beethoven-Fest und Intendant Steven Walter haben eine lustige Grafik gepostet (siehe oben). Was erstaunt: Das Theater Bonn schien bisher keine Linie in dieser Sache gehabt zu haben, schaut man in die Geschäftsbedingungen anderer Häuser, etwa des Konzerthauses in Wien, ist die Kinderfrage klar geregelt: Es wird auf die vielen Kinderkonzerte und -angebote hingewiesen und erklärt, dass Karten für Abendkonzerte nur an Personen über fünf Jahre verkauft werden. Meine Partnerin Dorothea Gregor war live in Bonn dabei und berichtet in der neuen Folge von Alles klar, Klassik? über den Vorfall – außerdem diskutieren wir natürlich auch wieder den Rest der Klassik-Woche (unten für Spotify, hier für ApplePodcast oder für alle anderen Player). Ach so, und wer einen echten, wahnsinnigen Konzert-Marathon in Bonn miterleben will: Kommenden Samstag dirigiert Yoel Gamzou erstmals sein neues Orchester OneMusic – ein Abend in drei Teilen, mit 50 Prozent Uraufführungen und 50 Prozent Klassikern – und zwischendurch gibt es auch noch Diskussionen im Foyer, zu denen ich Sie herzlich einlade!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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