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Leinwand-Klassik und Goldberg-Abschied

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mal mit einem Schnelldurchlauf. Zwei Ikonen kommen ins Kino: Leonard Bernstein und Maria Callas. Ich habe ein bisschen nackte Haut und ein bisschen Debatte für Sie vorbereitet – und ganz viel gute Laune. Leider auch einen traurigen Abschied.

Klappe für Callas und büffeln für Bernstein

Die Klassik wird gleich zwei Mal ins große Pop-Corn-Kino ziehen. Wir haben an dieser Stelle bereits berichtet: Noch im Dezember wird Bradley Cooper bei Netflix Leonard Bernstein verkörpern. Da war bereits die „Aneignungs-Debatte“ um seine (angeklebte) Nase, die Bernsteins Erben mit dem wunderbaren Satz: „Leonard hatte eben eine große, schöne Nase“, parierten. Und, klar, man befürchtet Kritik der Klassik-Experte, die schon Cate Blanchett in „Tár“ vorwarfen, nicht wirsch dirigieren zu können (ich fand das eigentlich ziemlich gut geschnitten damals). Auch deshalb erschien in der New York Times nun wohl ein Text, der erklärt, wie Cooper zahlreiche Konzerte besuchte und Dirigier-Stunden bei großen Dirigenten nahm – unter anderem bei Yannick Nézet-Séguin (siehe Foto, Netflix). Und Cooper bekam bereits Vorschuss-Lorbeeren: „Er hat alles mit einen wachen Auge beobachtet“, sagte Jaap van Zweden über die Konzerte des New York Philharmonic Orchestra, die Cooper besucht hatte, „er wollte in Bernsteins Seele vordringen.“ Cooper selber erklärte in der Late-Night-Show von Stephen Colbert: „Ich war besessen von der Idee, klassische Musik zu dirigieren. Es gibt diese Dinge, die man nie macht und in die man trotzdem 10.000 Stunden investiert. Bei mir war es das Dirigieren.“ Nach all dieser Berichterstattung liegt der Taktstock ziemlich hoch, würde ich sagen.
Bradley Cooper
Und dann ist da noch Angelina Jolie: Sie will 2024 Maria Callas spielen – merkwürdigerweise ein Jahr nach dem 100. Jubiläum der Sängerin. Regisseur ist Pablo Larraín, der unter anderem auch Bio-Pics von Lady Di und Jacky Kennedy vorgelegt hat. Thema sind (natürlich) auch hier die letzten Tage der Diva in Paris. Kennen wir das nicht ähnlich schon von Franco Zeffirellis intimer Abarbeitung am Mythos Callas in seinem Film Callas Forever mit Fanny Ardant und Jeremy Irons? Wie auch immer: Für alle, die es nicht abwarten können: Im Podcast Alles klar, Klassik? mit den beiden aktuellen Callas-Biografen Eva Gesine Baur und Arnold Jacobshagen kommt man dem Mythos schon mal näher.

Reiner Goldberg 1939-2023

Schon wieder einer weg. Schon wieder so ein Großer. Schon wieder so ein: Mensch. Reiner Goldberg war einer der wichtigsten Sänger der DDR, begann seine Karriere in Radebeul und sang in kürzester Zeit an allen großen Häusern der Welt: an der Staatsoper Berlin (wo er Ehrenmitglied war), an der MET und – natürlich – bei den Bayreuther Festspielen: Hier war er zwischen 1986 und 1994 als Tannhäuser, Siegfried, Walther von Stolzing und Erik zu hören. Goldberg war ein leidenschaftlicher Sänger, ein Herzblut-Künstler und ein Mann der Lebenslust. Zum letzten Mal habe ich ihn an seinem 82. Geburtstag getroffen – damals, um mit ihm (für eine noch unveröffentlichte Dokumentation) über die Musikkultur in der DDR zu sprechen und über das Dresden in Zeiten des Mauerfalls. Mit strahlenden Augen erzählte er seine Geschichten: Wie er und seine Studenten-Freunde in die zerbombte Semperoper eingestiegen sind und heimlich in den „heiligen Hallen“ geschmettert haben, wie er bei seinen West-Engagements Ersatzteile für sein Auto rübergeschmuggelt hat, wie man sich in den Kantinen darüber lustig gemacht hat, dass die Stasi mithörte, wie er nur wenige Wochen nach dem Mauerfall mit Jessye Norman den Fidelio in der Lukaskirche in Dresden aufnahm („man konnte der Jessye beim Singen durch den Mund bis in den Magen schauen!“) Am Ende stimmte der alte Mann den Florestan-Beginn an, Wort für Wort – glasklar und erklärte beim Singen seine Gestaltung. Plötzlich war der 82-jährige Mann wieder 32. Reiner Goldberg liebte es, Geschichten zu erzählen, auf der Bühne ebenso wie im Leben. Und: Er war ein großartiger Stimmlehrer, der vielen jungen Sängerinnen und Sängern mit gutem Rat zur Seite stand. Am 7. Oktober ist er in Berlin gestorben.

Staatsopern-Rechtfertigungs-Verknotungen

Die Staatsopern-Aida in Berlin dürfte – glaubt man den Kritiken – auch musikalisch sehr viel Luft nach oben gehabt haben. Dirigent Nicola Luisotti gelang es offenbar nicht, Calixto Bieitos Macht-Kuddelmuddel wenigstens klanglich zu ordnen – und dass Yusif Eyvazov es als Radamès schwer haben würde, hätte im Vorfeld eigentlich jeder ahnen können. Warum eigentlich hat Intendant Matthias Schulz ihn überhaupt eingeladen (war es ein Freundschaftsdienst an Eyvazov-Gattin Anna Netrebko?). Diese Frage stellte Helmut Mauró dem Intendanten im SZ-Interview nicht, stattdessen ging es grundsätzlicher zu: „Was muss eine Oper für die Gesellschaft leisten?“ Schulz antwortete – mit Blick auf die Auftritte von Anna Netrebko in Berlin – unter anderem: „Eine Haltung und eine differenzierte Auseinandersetzung – ohne Schwarz-Weiß-Denken – gehört dazu. Man will einfache Antworten, auch in der Kunst. Aber eine Oper, die einfache Antworten gibt, ist keine gute Oper. Da muss es eher darum gehen, die Ambivalenzen und Widersprüche des Daseins herauszuarbeiten. Die muss man auch aushalten. Was Anna Netrebko betrifft: Dass man ihre Statements nicht für glaubwürdig hält – so eine Haltung kann man einnehmen, man muss aber zulassen, dass es auch andere Positionen gibt.“
Es ist allmählich fast amüsant, wie sich jeder Intendant seine eigenen KünstlerInnen zurecht erklärt: Haben wir nicht vor kurzem gerade bei Markus Hinterhäuser gehört, dass er einen Auftritt von Teodor Currentzis für vollkommen richtig hält, einen von Anna Netrebko in Salzburg derzeit aber ausschließe, da – Achtung! – man bei ihr die „Sympathie zum System Putin“ sehe? Oder wie Hinterhäuser es sagte: „Ich weiß, dass es das gibt.“ Schräg, oder? Aber es wird noch schräger: Die Berliner Rundfunkanstalt rbb verzichtet schon seit einiger Zeit darauf, Aufnahmen mit sowohl Anna Netrebko als auch Teodor Currentzis zu spielen, während die Radio-KollegInnen beim SWR (Sabrina Haane) uns mal wieder antworten, dass sie keine „grundsätzlich neue Qualität“ darin sehen, dass Currentzis gerade wieder Gelder direkt bei Putins Präsidentenfonds abkassiert hat. Das verstehe, wer wolle!

Das Bikini-Gate, das keines ist

Ich habe zu meiner Schande noch nie von der Geigerin Esther Abrami gehört, bis ich die BILD gelesen habe. Da regt sich die französische Musikerin darüber auf, dass sich andere darüber aufregen, dass sie auf Instagram ein Foto im Bikini gepostet habe und überhaupt freizügig mit ihrem Körper und ihrer Musik umgehe. „Ich wurde ziemlich heftig von meinen Mitschülern und meinen Lehrern auf dem Musikinternat und danach auf dem College kritisiert – wegen der Fotos und weil ich überhaupt auf den sozialen Netzwerken war“, sagt sie. „Sie meinten, dass ich damit die Klassik seicht und billig machen würde.“ Das Lustigste kommt aber erst: Denn jetzt regt Abrami sich auf ihrem Twitter-Account auch über die Berichterstattung der BILD auf, weil diese das Bild von ihr und dem Bikini gezeigt habe: „Würde ein Mann je eine Überschrift dafür bekommen, dass er im Urlaub ein Bild in Badehose auf Instagram postet?“ … Ey, Esther Abrami, wo lebst Du eigentlich? Natürlich ist die Gleichberechtigung in diesem Fall schon längst angekommen – nur die anderen machen da schon lange keinen „PR-Beleidigten-Kindergarten“ mehr draus! Und deshalb an dieser Stelle ein ganz explizites Dankeschön an Lorenzo Viotti, Andreas Ottensamer, Yuja Wang, Aida Garifullina und all Ihr anderen, dass Ihr einfach macht, was Ihr macht (und wunderbare Musik!) – und keinen Skandal daraus!

Spielen für die Zukunft

Vor einem guten Jahr, am 5. September, starb der Pianist Lars Vogt. Einer, der so viele gute Gedanken, so viel Freude, so viel Musik hinterlassen hat – und eine geniale Idee: „Rhapsodie in School“. In diesem Newsletter gibt es eigentlich keine Veranstaltungshinweise, aber: Am 17. Oktober (19.30 Uhr, Laeiszhalle) veranstalten musikalische Freunde von Vogt ein Gedenkkonzert für den Pianisten. Mit dabei sind unter anderem Christian Tetzlaff, Sabine Meyer, Alban Gerhardt, aber auch Frank Dupree, Asya Fateyeva und junge Jazz-Musiker wie Alma Naidu oder Lisa Wulff. Die Einnahmen gehen an das Projekt „Rhapsodie in School“, das Vogt ins Leben gerufen hat. Hingehen! Oder einfach spenden!

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Die Hochschule für Musik und Theater in München (HMTM) hat endlich den Planungsauftrag für ihre „Campusentwicklung“ bekommen! Ein äußeres Zeichen für einen inneren Aufbruch, der unter Präsidentin Lydia Grün begonnen hat. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hat den Planungsauftrag erteilt – es geht um Baumaßnahmen und die Entwicklung des Campus Arcisstraße, mit der die Hochschule für Musik und Theater München in Zukunft international konkurrenzfähig bleiben kann. „Ein großer Erfolg und ein wichtiges Signal für die Zukunft“, sagt HMTM-Präsidentin Grün. „Wir werden alles dafür tun, alle Potenziale zu nutzen und gemeinsam und verantwortungsvoll eine stabile Zukunft für die Kunst und Kultur von morgen zu schaffen.“

Und dann ein großes Dankeschön: Die Nachfrage nach meinem Buch Die Zwei-Klassik-Gesellschaft (F.A.Z. Buch) war letzte Woche so groß, dass es bei Amazon zu Lieferengpässen kam! Aber es ist mir eh am liebsten, wenn Sie beim Buchhändler Ihres Vertrauens anklopfen. Hier noch ein ausführliches Gespräch über das Buch, das ich mit Gabi Szarvas vom Saarländischen Rundfunk geführt habe.

Ach so, und der neue Podcast Alles klar, Klassik? Ist auch online (hier für apple Podcast und Spotify). Dorothea Gregor von der Bertelsmann Stiftung und ich plaudern über all das, was in der Klassik-Woche liegengeblieben ist: über Lorenzos Streichel-Katze, über unseren Podcast-Dackel, über den Strukturwandel der Klassik, über „Captain Obvious“ und die neue Rolle von Intendantinnen und Intendanten.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

P.S.: Ach ja, in der letzten Ausgabe ist mir ein lustiger Tippfehler passiert: Springer-Mann Mathias Döpfner ist natürlich nicht der „Body“ von Christian Thielemann, sondern sein: „Buddy!“

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