KlassikWoche_RGB_2020-09

Bomben, Stimmen und Musik

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit viel Leidenschaft. Begeisterung über Leonard Bernstein, über junge Stimmen der Oper und über den Rückhalt der Bürgergesellschaft für die Kultur. Aber auch mit etwas schrägen Posts aus dem Umfeld der Barenboim-Said Akademie.

Deutschland-Bashing in der Barenboim-Said Akademie

Die Social-Media-Welt von Studierenden und Lehrenden an der Barenboim-Said Akademie in Berlin wird immer verrückter. Diese Woche postete eine Akademistin auf Instagram sogar einen Boykott-Aufruf gegen deutsche Geschäfte: „Jeder sollte die nächsten drei Tage die deutschen Geschäfte meiden und am besten auch nicht tanken. Deutschland soll sehen, wie es ist, wenn Ausländer zusammenhalten.“
Wohl gemerkt: Die Akademie bekommt eine nicht unerhebliche institutionelle Förderung des Bundes von Claudia Roth. Außerdem stellt das Auswärtige Amt von Annalena Baerbock die Stipendien für die Studierenden zur Verfügung. Wann kommen der Institution endlich Zweifel darüber, dass selbst die eigenen Professoren auf ihren Facebook-Seiten regelmäßig die Institutionen unseres Landes infrage stellen, die ihren Job finanzieren? Liebe Akademie, könnt Ihr da nicht mal etwas genauer hinschauen? Ihr habt da offensichtlich gerade echt ein bisschen Klärungsbedarf!

Die großen Lieben des Leonard B.

Bald ist es so weit: Bradley Cooper wird im November im Kino (und ab 20. Dezember auch auf Netflix) in die Rolle von Leonard Bernstein schlüpfen. Jetzt ist der offizielle Trailer (oben auf das Bild drücken) erschienen. Er zeigt, worum es geht – um Bernsteins Liebe: zu einer Frau, zu Männern und – natürlich – zur Musik von Gustav Mahler. Opulenter Sound, private Einblicke, filmische Rückblicke in schwarz-weiß. Also ich freue mich auf dieses Biopic. Und das tut auch Dirigent Yannick Nézet-Séguin. In einem Instagram-Video erzählt er über seine Rolle als Berater für Coopers Dirigier-Aufnahmen. Eine Liebeserklärung an Leonard Bernstein.

Konstanz: Protest hilft!

Das Theater Konstanz muss ab der Spielzeit 2024 jährlich 297.000 Euro einsparen. Das hat der Gemeinderat beschlossen. Es hätte schlimmer kommen können: Der Weiterbetrieb aller drei Spielstätten kann aufrechterhalten bleiben. Die Theaterleitung um Intendantin Karin Becker bedankt sich auf Facebook besonders für die öffentliche Unterstützung. Sie habe einen Total-Kahlschlag verhindert. „Ohne die große Unterstützung und die Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung, durch KünstlerInnen, KollegInnen, Kulturinstitutionen und, um nur einige namentlich zu nennen, Deutscher Bühnenverein, die GDBA und die Theaterfreunde Konstanz e.V., wäre dieser Ausgang der Einspardebatte nicht möglich gewesen“, heißt es in der Mitteilung des Hauses.

About last week: Salzburg

Das Schöne an diesem Newsletter ist ja, dass er oft Anstoß für weitere Geschichten ist, die von Kolleginnen und Kollegen im Laufe der Woche aufgegriffen werden. Eine waren die Gerüchte um die Programmplanung der Salzburger Festspiele im Sommer (Christian Thielemanns konzertanter Capriccio, Teodor Currentzis Don-Giovanni-Wiederaufnahme und die Pfingstfestspiel-Tito-Koproduktion mit Cecilia Bartoli). Die österreichische Zeitung Der Kurier nimmt unsere Vermutungen auf und kommentiert: „Kein neuer Mozart also, kein szenischer Strauss. Wenn es dabei bleibt – die enorme inhaltliche Streuung bei diesem Programm und das lange Vorspiel bis zur ersten szenischen Neuproduktion dürften jedenfalls für einige Diskussionen sorgen.“ Ich persönlich glaube, die wirkliche Diskussion sollte sich derweil darum drehen, ob der Vertrag von Markus Hinterhäuser über 2026 verlängert wird oder nicht. Noch gibt es keine Ausschreibung – das ist kulturpolitisch fahrlässig, denn die Planungen für die Zeit danach müssten eigentlich längst beginnen!

Ja! Nein. Vielleicht doch …

Wenn jemand die Bedeutung der Kultur in Deutschland messen will, sollte er vielleicht nach München schauen. Dort wurde sie in den letzten Monaten zum Spielball des Wahlkampfes. Zunächst sollte ein neues, großes und modernes Konzerthaus gebaut werden. Dann legte Markus Söder eine „Denkpause“ ein. Und wie in Konstanz wurde auch in München von einer Bürgergesellschaft protestiert. BRSO-Chef Sir Simon Rattle machte sich ebenfalls für einen Neubau stark. Nun soll das Haus vielleicht doch entstehen.
Zweieinhalb Wochen nach der Landtagswahl ist das im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern auf Seite 27 festgehalten: „Wir stehen zu unserer Verantwortung, in München einen Konzertsaal im Werksviertel zu errichten, der der internationalen Bedeutung seiner Klangkörper gerecht wird. Mit Blick auf die sich abzeichnenden Kosten werden wir die Planungen überarbeiten und redimensionieren." Im letzten Satz steckt der Teufel im politischen Detail. Kein Wunder, dass Rattle weiter mahnt: „Ein Konzerthaus im 21. Jahrhundert muss so viel mehr sein als ein Auditorium: Es muss ein Leuchtturm für Musik sein, der mit seinen räumlichen und digitalen Möglichkeiten weithin strahlt und inspiriert."

Personalien der Woche

Das Marketing rund um Jonas Kaufmann nimmt immer bizarrere Formen an. Für sein neues Album arbeitet Kaufmann erstmals mit einem internationalen „Content Creator“. TikTok-Star Babatunde Akinboboye hat einige Videos mit dem Tenor aufgenommen und jetzt auch die Uralt-Idee des Carpool-Caraoke mit ihm nachgespielt – puh, das haben wir vor vier Jahren schon mit Barrie Kosky und vielen anderen Bayreuth-Stars gemacht) … na dann: Wir freuen uns schon auf das nächste total authentische Weihnachtsalbum. +++ Umbruch in Karlsruhe – aber: vollkommen ohne Frauen! Der neue Intendant Christian Firmbach präsentiert sein neues Leitungsteam: Operndirektor wird Christoph von Bernuth, Oliver Kersken wird Orchesterdirektor. Beide bringt Firmbach aus seiner bisherigen Arbeitsstätte, dem Oldenburgischen Staatstheater, mit. Neuer Ballettdirektor wird Raimondo Rebeck, der zuletzt am Ballett Dortmund war. Neuer Schauspieldirektor wird Claus Caesar, er kommt vom Deutschen Theater Berlin. +++ Alessandra Ferri wird neue Chefin des Balletts der Wiener Staatsoper und damit Martin Schläpfer nachfolgen. Hier eine Hommage aus der New York Times.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Ich war diese Woche bei der Meisterklasse des Internationalen Gesangswettbewerbs Neue Stimmen in Gütersloh, habe dort das Abschlusskonzert moderiert und Medien-Coaching für die Sängerinnen und Sänger gegeben. Und was ich erlebt habe, war: eine Hoffnung für die Zukunft der Oper. Junge, leidenschaftliche Menschen, die unsere Welt und die Kunst, das Leben und die Oper als Zusammenspiel betrachten und fest daran glauben, dass wir in der Musik die Zerrissenheit unserer Gesellschaft debattieren können. Annette Dasch hat die Meisterkurse als Sängerin geleitet (hier spricht sie über die aktuelle Situation für junge Stimmen), und beim Abschlusskonzert gab es Momente des Ohrenöffnens: Wie Priya Pariayachart die Sorge der Anne Trulove von Igor Strawinsky gestaltet hat – das war bereits: Meisterklasse! Und (stellvertretend für alle anderen SängerInnen) Alexandra Urquiola als vokale Verkörperung der Carmen-Leidenschaft, oder der Countertenor Gerben van der Werf, der mit seiner emotional-klugen Tancredi-Interpretation ein vollkommen neues Rossini-Fenster geöffnet hat. Mit anderen Worten: Es gibt sie, die gute Zukunft! Und wer sie kennenlernen will: Im Podcast „Alles klar, Klassik?“ (für alle Player, für apple) rede ich dieses Mal (in einer englischen Ausgabe) mit den Stimm-Coaches John Norris und Ralph Strehle, mit Annette Dasch und mit einigen der jungen Sängerinnen und Sänger des Wettbewerbs. Ach ja, und dann durfte ich noch mit dem Mann plaudern, der damals in Bremen das Fußball-Trikot gegen den Smoking getauscht hat und als Werder-Trainer bei fast jeder Premiere am Goetheplatz war: Otto Rehhagel. Er hat mir Franz Lehárs Maxim vorgesungen, dann Elvis’ Ghetto, er hat davon erzählt, wie er bei der WM 1986 in Mexiko Plácido Domingo vom Flughafen abgeholt hat und sich eine Fußball-Opern-Freundschaft ergeben hat und welche dollen Dinger er mit seinem wirklich sehr guten Freund Jürgen Flimm gedreht hat! Gebt Otto die Nationalmannschaft – oder wenigstens die Salzburger Festspiele!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

P.S.: Und dieses noch in eigener Sache: Wer Lust hat mehr über mein Leben mit der Musik zu erfahren, ich durfte beim Hessischen Rundfunk in der Sendung Menschen und ihre Musik von Susanne Pütz zwei Stunden über meine Opern-Sozialisation erzählen, wie ich als Kind eine Maria-Callas-Schallplatte „verbilligt“ erstanden habe, warum Wagner eine Droge ist und warum Element of Crime mich durch das Leben begleitet.  Ich durfte für die zwei Stunden meine eigene Musik mitbringen: Mozart, Kreisler, Cohen, Wagner und Schubert …

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