KlassikWoche_RGB_2020-09

Jodelt Jurowski statt Currentzis?

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einer mutigen Oksana Lyniv, die Teodor Currentzis Paroli bietet, mit der letzten Klappe für die Alpha-Opis und einem Jodeldiplom!

Lyniv: Kein Whithewashing für Currentzis

Als ich die Ankündigung der Wiener Festwochen gesehen hatte, konnte ich es nicht glauben, die Aufmachung war wie ein Showdown gestaltet: Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv sollte neben Teodor Currentzis antreten – beide mit einem Requiem. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das so abgesprochen war und fragte nach. Lyniv war ebenso erstaunt, erklärte den Wiener Festwochen, dass sie unter diesen Umständen nicht auftreten würde (die ursprüngliche Geschichte hier, hier der Österreichische Blick, der Deutschlandfunk und eine Analyse im Tagesspiegel). Lyniv ließ wissen: „Ich kann es gegen­über den fast 150 Musi­ke­rinnen und Musi­kern, die aus dem Krieg in der Ukraine nach Wien reisen, nicht verant­worten, in einem Kontext mit Teodor Curr­entzis gestellt zu werden und even­tuell sogar an einem White­washing teil­zu­nehmen. Curr­entzis Verbin­dungen nach Russ­land und sein Schweigen zum Angriffs­krieg auf meine Heimat machen es derzeit unmög­lich für mich, in einem Kontext mit ihm aufzu­treten. Es war auch mit den Fest­wo­chen nicht abge­spro­chen, dass die Konzerte mitein­ander in Verbin­dung stehen. Ich hoffe sehr, dass wir in den nächsten Wochen eine gemein­same Lösung mit den Wiener Fest­wo­chen finden.“
Festwochen-Intendant Milo Rau erklärte mir in einem längeren Telefonat, dass das ukrai­ni­sche Kaddish Requiem „Babyn Jar“ für ihn im Zentrum der Fest­wo­chen stehe und er unbe­dingt an einer Auffüh­rung mit Lyniv fest­halten wolle. An allem anderen halte er nicht krampf­haft fest, „da befinden wir uns im Prozess der Abstim­mung mit allen Betei­ligten und bitten um ein wenig Zeit, um zu einer Lösung zu kommen.“ Und der SWR? Der schweigt mal wieder! Dabei geraten das Orchester, seine Gesamtverantwortliche, Sabrina Haane und Intendant Kai Gniffke immer weiter unter Druck. Es ist historisch wohl einzigartig, dass der Chefdirigent eines von Gebühren finanzierten deutschen Radioorchesters nach dem Krieg sowohl im In- als auch im Ausland auf Grund seiner politischer Haltung gemieden wird. Bei den Wiener Festwochen sind nun verschiedene Szenarien denkbar: Das Orchester tritt ohne seinen Chef an oder zieht sich komplett zurück. Ebenfalls nicht ausgeschlossen, dass Currentzis durch einen anderen Dirigenten aus Russland ersetzt wird, etwa durch Kirill Petrenko oder Vladimir Jurowski, die in der Vergangenheit durchaus Gespür und Haltung gegenüber den Opfern des russischen Angriffskrieges gezeigt haben. Oksana Lyniv hat auf jeden Fall klar gemacht, dass sie jemanden, der über den Krieg schweigt nicht für geeignet hält, um den Frieden zu bringen.

Letzte Klappe für Guy und Kai Uwe

Wir haben letzte Woche schon von der greisen Alpha-Bank berichtet: Kai Uwe Laufenberg verlässt Wiesbaden als Intendant, und in Erfurt wurde Guy Montavon zunächst als Intendant wieder eingesetzt, bis er letzten Mittwoch auf einer Stadtratssitzung wieder suspendiert wurde. Ein Gutachten hat zahlreiche Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe und Machtmissbrauch aufgelistet, und Bürgermeister Andreas Bausewein ist mit seinem Vorhaben gescheitert, Montavon eine Art Freibrief zu gewähren. Sein Plan: Keine weiteren Nachfragen, Berater-Job nach Amtsende, dafür mittelfristige Abschaffung des Generalintendanten-Jobs. Also Deckel drauf und zu! Aber das haben sich die Erfurter Stadträtinnen und Stadträte nicht gefallen lassen. Sie stimmten gegen Montavon und für eine gründliche und öffentliche Aufklärung des Falles. In meinem Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier nachhören, hier auf Spotify oder apple Podcast) schaue ich diese Woche detailliert auf die Vorgänge in Wiesbaden und Erfurt und frage auch nach strukturellen Konsequenzen für die Kulturpolitik. Die Linke Landtagsabgeordnete in Thüringen, Katja Maurer, entwirft eine Perspektive für die Kulturpolitik und sieht Hoffnung in einer jungen Politikergeneration. Der Journalist Volker Milch war das liebste Angriffsziel von Kai Uwe Laufenberg – nun erklärt er seine Perspektive auf die letzten Jahre und findet, dass es ein Grundfehler ist, wenn ein Intendant auch ein vielbeschäftigter Regisseur ist. Außerdem erklärt die Kulturpolitikerin der Linken in Berlin, Manuela Schmidt, was Kulturpolitikerinnen sich zuweilen von Künstlerinnen und Künstlern wünschen. Eine Stunde über neue Wege im Miteinander von Kultur und Politik.

Wenn die Männer und die Frauen…

Es war ein bisschen bizarr, was da in den letzten Tagen in musikwissenschaftlichen Kreisen – vor allen Dingen im Netz – gelaufen ist, und ich habe überlegt, ob ich überhaupt darüber berichten soll. Aber es ist vielleicht auch sehr exemplarisch. Wir haben an dieser Stelle bereits über ein sehr lesenswertes Buch berichtet: „250 Komponistinnen“. Geschrieben hat es Arno Lücker, mit dem wahrscheinlich schon so ziemlich jeder mal ein Scharmützel hatte – ja, auch ich! Aber: Es ist ein gutes Buch. Ein wichtiges Buch. Und ein Buch, das nun in der Kritik steht, besonders bei Musikwissenschaftlerinnen. So kommentierte die Journalistin Hannah Schmidt im SWR, dass Lücker sich auf die Vorarbeit von Wissenschaftlerinnen gestützt habe und nun (als Mann!) die Meriten einheimse. Damit nicht genug, Hannah Schmidt wirft Lücker „internalisierte Misogynie“ vor. Genau, Schmidt hatte schon die Hundekot-Attacke in Hannover gegen eine FAZ-Kritikerin weniger als Angriff auf die Kritik denn als „Vorstufe zum Femizid“, also zur Auslöschung der Frauen beschrieben. Eine Nummer kleiner haben wir es nicht? Zumal Lücker in seinem Buch explizit den Wissenschaftlerinnen dankt, Quellen benennt und nichts, was nicht seines ist, als seines ausgibt. Dürfen denn irgendwann nur noch Astronauten über Astronauten und Goldfische über Goldfische schreiben? Sorry, ich kann dem in dieser Vehemenz nicht mehr folgen. Ebenso wenig übrigens wie dem Knallkopf, der in den sozialen Medien plötzlich unter Pseudonym in genau diese Debatte mit untergriffigen Kommentaren eingegriffen hat… you, know, whom I mean! Also, Klarnamen raus, Debatte auf den Tisch, und können wir uns jetzt Mal wieder aufs Wesentliche konzentrieren: auf den Inhalt? Danke und aus.

Musikhochschulen für Musikwettbewerb

Die Deutschen Musikhochschulen zeigen sich „entsetzt“: Auf der Rektorenkonferenz kritisierten sie die Kürzungspläne beim ARD-Musikwettbewerb. Die Intendantinnen und Intendanten der ARD hatten im Sommer 2023 angekündigt, die Mittel für den international renommierten Musikwettbewerb ab 2025 um die Hälfte zu kürzen. Das widerspreche „in allerhöchstem Maße dem Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“, sagt Prof. Christian Fischer, Vorsitzender der Rektorenkonferenz. Und ordnet gleich die Bedeutung des Wettbewerbs ein: „Der ARD-Musikwettbewerb hat für die internationale Klassikszene einen Stellenwert wie die Berlinale für den Film oder das Wimbledon-Turnier für die Tenniswelt.“

Personalien der Woche

So langsam muss Markus Hinterhäuser sich mal Gedanken machen, ob ihm sein Job als Salzburger Festspiel-Intendant eigentlich noch Spaß macht oder nicht. Denn seine Stelle wird schon mal ausgeschrieben (das wäre, wenn weiter politisches Interesse an Hinterhäuser bestünde, sicherlich leiser geschehen, und dann hätte der Intendant sicherlich auch gewusst, ob er sich bewirbt). Außerdem interessant: Man ermuntert ausdrücklich internationale Berwerbungen. +++ Und noch eine Austro-Personalie: Der Geschäftsführer des Grafenegg-Festivals, Philipp Stein, verlässt das Festival. Rudolf Buchbinder, Künstlerischer Leiter hat noch einen Vertrag bis 2026. Dann soll auch der Rudolf Buchbinder Saal in Grafenegg eröffnet werden: aus Dank für die großen Verdienste des Pianisten. Über Buchbinders Nachfolge gibt es derzeit nur Spekulationen: Besonders laut wird über einen Kulturmanager spekuliert, der in Italien gerade Erfahrungen mit einer Rechtsregierung sammelt. Wird er nach Niederösterreich kommen, wo die populistische FPÖ inzwischen ebenfalls mitregiert? +++ Und wenn wir schon im rechten Italien sind: Die Dirigentin Beatrice Venezi, Freundin von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, organisiert sich als Beraterin der Kulturabteilung selber immer mehr Dirigenten-Aufträge, etwa am Theater in Palermo oder beim Sizilianischen Symphonieorchester. Etwas, das der Dirigent Fabio Luisi in unserer Podcast-Ausgabe über Kultur in national-populistischen Regierungen bereits vorgesagt hat.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Loriot lebt! Am vergangenen Mittwoch hat Dayana Pfammatter Gurten als erste Schweizerin einen Master of Arts in Musikpädagogik mit Hauptfach Jodeln abgeschlossen. Quasi ein: JODELDIPLOM! Gratulation.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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