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Wo bleibt das Klassik-Radio? Und wo ist Frau Haane?

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit Funkstille im Radio, einer schwierigen Suche in Berlin, einer Nachbetrachtung der Festwochen-Absage und einem Buch-Tipp für junge Ohren.

Klassik-Funkstille beim rbb?

Ist das das Ende der Klassik im Radio? Jörg Thadeusz wird vom 2. April an die Morgenstrecke beim Sender rbbKultur übernehmen (von 6 bis 10 Uhr) und damit das kluge Kulturprogramm des rbb durch eine Morning-Show ablösen. Aber das ist noch nicht alles, denn der Sender gibt sich auch einen neuen Namen: aus „rbbKultur“ wird „radio3“. Wellenchefin Dorothea Hackenberg erklärte im Tagesspiegel, dass in diesem Programm weniger Klassik gespielt werden soll. Ihre Worte machen Angst: „Wir stre­ben einen anspruchs­vol­len Mix ver­schie­de­ner Gen­res an, Jazz, Soul, aus­ge­wählte Sin­ger­Song­wri­ter. (…) Wir wis­sen aus Befra­gun­gen, dass viele Men­schen Klas­sik vor allem zur Ent­span­nung hören. Wenn also nach einem Bei­trag über mora­li­sche Vor­be­halte gegen Waf­fen­lie­fe­run­gen Vivaldi gespielt wird, ent­steht für die Leute ein emo­tio­na­les Hin und Her, das wir ihnen erspa­ren möch­ten.“ Das Motto des neuen öffentlich-rechtlichen Kulturradios scheint also zu sein: „Bloß keine Aufregung!“ Klassik wird zum Tranquilizer. Nun warten wir noch auf den angekündigten Zusammenschluss der regionalen Kulturwellen im ARD-Abendprogramm und die vollkommene Eliminierung alles Komplexen aus den Programmen. Aber hey, Ihr Leute beim rbb: diese Art von Kuschel-Radio machen private Sender längst viel besser. Bleibt für anspruchsvolle Klassik-Gespräche bald etwa nichts anderes mehr als „Alles klar, Klassik“?

Helfen Sie Radio Stephansdom!

Echte, gute Klassik im klugen Dialog mit Künstlerinnen und Künstlern sendet seit Jahren das österreichische Radio Klassik Stephansdom. Doch das Konzept ist nicht mehr tragfähig, da auch die Erzdiözese ihren Kulturauftrag nicht mehr ernst nehmen kann oder will. Eine breit angelegte Spendenkampagne wurde ins Leben gerufen.

Der Tod und die Musik

Ausgeruhte Gespräche über Tabuthemen der Klassik hören Sie im Podcast „Alles klar, Klassik?“. Diese Woche geht es um den Tod und die Musik. Können wir in der Musik das Sterben lernen? Wie schauen wir im Angesicht des Todes auf die Kunst? Welchen Trost kann die Musik uns geben? Ich treffe den Dirigenten Roberto Paternostro zu einem sehr privaten und intimen Gespräch. Paternostro hat ernsthaft Krebs und kämpft, um ihn zu besiegen. Welche Rolle spielt dabei die Musik? Kann die Musik helfen? Oder verliert sie im Angesicht des Todes ihren Wert? Antworten gibt auch Hermann Reigber: Er ist geschäftsführender Akademieleiter am LMU Klinikum in München in der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin. Also jemand, dessen Alltag es ist, Sterbende auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Eine Stunde über die Kraft des Lebens, die Kunst des Sterbens – und die Rolle der Musik (hier für alle Player, oder für Spotify).

Mäkelä in Baden-Baden

Ist das die Rettung oder pure Verzweiflung? Wenn die Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko ihre Osterresidenz Baden-Baden 2026 in Richtung Salzburg verlassen, werden sie nun durch zwei Orchester ersetzt: Das Königliche Concertgebouworkest Amsterdam unter Leitung seines designierten Chefdirigenten Klaus Mäkelä soll den symphonischen Teil abdecken, das Mahler Chamber Orchestra unter Leitung von Joana Mallwitz die Opernaufführungen. Außerdem will das auf Hochglanz getrimmte Baden-Baden plötzlich auch „Vermittlungsarbeit“ und „Salons“ veranstalten und den „Spielort Baden-Baden“ ausbauen. Kommt da nicht jemand etwas spät zur partizipativen Klassik-Party?

Keiner will mit Mallwitz

Es mag sein, dass Baden-Baden sich auf Joana Mallwitz freut, die Berliner bekommen derzeit die Kehrseite ihres Engagements zu spüren. Mallwitz wurde als Chefin des Konzerthausorchesters geholt, kann aber auch über die Inhalte im Konzerthaus mitentscheiden. Dass lässt einer zukünftigen Intendantin oder einem Intendanten an ihrer Seite nur wenig Spielraum. Auch deshalb gestaltet sich die Suche nach einem Nachfolger für Sebastian Nordmann, der Berlin in Richtung Luzern verlassen wird, allmählich offenbar dramatisch. Die Anrufe der Politik bei Intendantinnen und Intendanten in der ganzen Welt sollen inzwischen ziemlich verzweifelt klingen. Offensichtlich haben nur wenige Lust, im Schatten der Chefdirigentin, umzingelt von Deutsche Grammophon-PR, mittelmäßiger künstlerischer Leistung und großem Ego-Programm die tägliche Fleißarbeit zu erledigen. Namen aus der zweiten Reihe, die als Management-Abwickler in Frage kämen, sollen – so hört man – der Dirigentin nicht genehm sein. Mallwitz sucht jemanden auf „Augenhöhe“ … na dann: viel Glück! Immerhin: die letzte Auswahlrunde läuft.       

Kleine Nachbereitung: Wiener Festwochen

Nachdem wir an dieser Stelle vor zwei Wochen exklusiv das Statement von Oksana Lyniv veröffentlicht hatten, die nicht in einem Rahmen mit Teodor Currentzis bei den Wiener Festwochen auftreten wollte, ist viel passiert. Intendant Milo Rau hat Currentzis inzwischen ausgeladen, viele Medien haben berichtet, selbst die New York Times zeigt Verständnis für Lyniv. Österreichs nationalistische Partei, die FPÖ, kritisierte die Ausladung indes und solidarisiert sich mit Currentzis. Passt zum aktuellen Böhmermann-Song mit Toni Tellerlift. Und, klar: Auch Ioan Holender erboste sich, wie es Oksana Lyniv wagen könne, Forderungen zu stellen - dafür blieb ihm allerdings nur ein magerer Platz in den Leserbrief-Spalten der „Presse“. Eine tragische Form des Bedeutungsverlustes.
Hier noch einige Gedanken zum Thema: FRAGE 1: Wo ist Sabrina Haane? Das offizielle Statement des SWR zur Ausladung des Orchesters hat Programmdirektorin Anke Mai abgegeben. Das wundert, denn es hieß stets, Programm und Orchester seien unabhängig. Warum gibt es keine Äußerung von der Orchester-Gesamtleiterin Sabrina Haane? Vielleicht, weil ihre Fatal-Kommunikation der letzten Monate dafür gesorgt hat, dass das Image des SWR-Orchesters immer weiter bergab ging? Muss der SWR jetzt schon seine Verantwortlichen verstecken? FRAGE 2: Hat Milo Rau richtig gehandelt? Keine Frage, der Festwochen-Intendant hat die Situation falsch eingeschätzt. Aber er hat schnell reagiert, Fehler eingestanden und stringent gehandelt. Das ist im Kultur-Zirkus nicht immer selbstverständlich. Vielleicht ging er wirklich davon aus, dass man mit Currentzis reden könne. Nun musste er im Deutschlandfunk eingestehen, dass der Dirigent nicht einmal mit ihm gesprochen hätte. Das ist das wirkliche Problem des SWR: ein Chefdirigent, der dem Orchester auf so vielen Ebenen schadet. FRAGE 3: Wie war die Berichterstattung? Sehr fair und objektiv, die meisten Zeitungen in Deutschland, Frankreich, Italien und den USA zeigten Verständnis für Lyniv. Einige warfen den Festwochen vor, sich von der Dirigentin erpressen zu lassen. Aber wie hätte man reagieren sollen, wenn Currentzis nicht bereit ist zu reden? Frieden zu schließen, mit jemandem, der den Krieg tabuisiert, ist schwer. FRAGE 4: Wie geht es weiter? Die Absage in Wien war nur ein weitere Eklat in der Causa SWR und Currentzis. Das Festhalten eines öffentlich-rechtlichen Senders an einem Dirigenten, dessen russisches Ensemble von jenen Firmen unterstützt wird, die auch die Bomben auf die Ukraine finanzieren, wird nun noch breiter geführt werden. Es geht schließlich nicht allein um Currentzis‘ Schweigen, sondern um seine vielfältigen Verstrickungen in Russland, um seine öffentlichen Auftritte und Abhängigkeiten, die er selber geschaffen hat. Auch darum, dass er noch nach der Annexion der Krim die russische Staatsbürgerschaft haben wollte. Eine Debatte, die sicherlich auch wieder die Salzburger Festspiele erreichen wird.

Lasst die Zauberflöte in Ruhe!

Vor kurzem haben wir noch über das Fake einer „gegenderten Zauberflöte“ berichtet. Nun überholt die Realität die Parodie. Der Regisseur und langjährige Opernintendant der Wuppertaler Bühnen Berthold Schneider hat die Edition „Critical Classics“ ins Leben gerufen, in der er alternative Textvorschläge für Opernklassiker macht. Als erstes nimmt sich Schneider Mozarts „Zauberflöte“ vor und da – natürlich – der Figur des Monostatos. Aber ist es nicht klar, dass sich jeder, der sich mit dieser Oper auseinandersetzt, eh Gedanken über diese Fragen machen muss? Dass eine historische Partitur immer auch aus ihrer Zeit ins Heute übersetzt werden muss? Durch Bearbeitungen, durch Regie oder andere Einordnungen? Ich habe neulich mit einem Freund über die Rolle des Monostatos gesprochen, sein Argument hat mich überzeugt: Hat Mozart hier nicht als einer der ersten überhaupt einen Schwarzen auf die Bühne gestellt? Und zwar mit typischer Mozart-Empathie und genau der Problematik, dass Monostatos durch sein Umfeld diskriminiert wird? Hat Mozart ihm nicht wunderschöne Musik gegeben, so wie übrigens auch dem Serail-„Bösewicht“ Osmin? Können wir bitte mit der Kunst selber auf diese Fragen antworten, mit dem Spiel, der Kreativität – und nicht mit neuen Editionen?

Personalien der Woche

Finalmente! Eigentlich war die Sache schon lange geritzt, alles was noch fehlte, war ein offizieller Vertrag. Nun ist er da, und der britische Dirigent Leo McFall wird kommende Saison auch ganz offiziell Generalmusikdirektor des Staatstheaters Wiesbaden. Den Neuanfang der Doppelintendanz von Dorothea Hartmann und Beate Heine nach dem Abschied von Kai Uwe Laufenberg steht also nichts mehr im Wege. +++ Wir hatten letzte Woche darüber berichtet, dass Lydia Grün, die Präsidentin der Musikhochschule München das Ansinnen von Dieter Borchmeyer abgelehnt hat, den unbekannten Wagner im einstigen „Führer-Bau“ der Musikhochschule aufzuführen – aus historischen Bedenken und aus Bedenken auf Grund der Rolle Borchmeyers in der Causa Siegfried Mauser. Ich fand ihre Entscheidung richtig und gut. Der Direktor des Hauses Wagner in Bayreuth, Sven Friedrich, ist da allerdings anderer Meinung. Er hat einen Brief geschrieben, der hier zu lesen ist. +++ Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats scheidet am 29. Februar aus seinem Amt. Kommt nun ein radikaler Aufbruch und endlich die nötige Modernisierung der Institution?

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Vielleicht ja hier: Die OceanKIDS sind los – ein wunderbares neues Geschichts-Bilderbuch für Kinder. Ein modernes Märchen über Gemeinschaftssinn, Umweltbewusstsein und das globale Miteinander. Das Besondere: Die Reise durch die Welt ist eine Idee der „Die Nixen“, den Musikerinnen Rahel Rilling, (Geige) Katharina Wildhagen (Geige), Kristina Menzel-Labitzke (Viola) und Nikola Spingler (Cello). Der eigentliche Strom der Geschichte ist die Musik, lässige Klassik-Arrangements, Rap-Songs, die sich nicht anbiedern, humorvolle Lieder zum Mitmachen – immer auf höchster Qualität. Dass Katharina Thalbach das ganze vorliest und Julia Ginsbach als Illustratorin gewonnen wurde, macht das Buch zu einem Gesamtkunstwerk. Nur, die MuBiBu-App – die ist noch ein wenig ausbaufähig! Unbedingte Lese- und Hörempfehlung.

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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