KlassikWoche_RGB_2020-09

Frauen, Schwule und das Salzach in der Suppe 

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit eine Grundsatzdebatte über Regie und Musik, mit einer Polemik über zwei Randgruppen, mit Protesten gegen Kulturstreichungen und einer Wette auf die Salzburger Festspiele!

Prima la musica?

… oder prima le parole? Diese Frage haben ich hier letzte Woche bereits gestellt, als ich über den Unmut des Orchesters am Staatstheater Kassel berichtet habe: 97 Prozent der Musikerinnen und Musiker hatten sich gegen eine Vertragsverlängerung von Intendant Florian Lutz ausgesprochen. Unter anderem, weil der seine Regiekonzepte angeblich über den Wert der Musik stelle. Aber Florian Lutz wurde (wie ebenfalls an dieser Stelle vermutet) dennoch bis 2031 vom Land Hessen und der Stadt Kassel verlängert. Die grundsätzliche Debatte verstummt damit nicht. Ich habe mehrere Anrufe bekommen, in denen Musikdirektorinnen und Musikdirektoren mir erklärten, dass die musikalische Seite an vielen deutschen Häusern vernachlässigt würde und dass die Kommunikation mit Intendantinnen und Intendanten oft schwierig sei. Die GMD-Konferenz plant offenbar eine Umfrage zu diesem Thema. Spannend in diesem Zusammenhang ist das sehr aufschlussreiche Interview, das die beiden regieführenden Intendanten Stefan Herheim (MusikTheater an der Wien) und Tobias Kratzer (bald Hamburgische Staatsoper) in der Süddeutschen gegeben haben. Während Herheim auch deshalb Intendant geworden ist, um ideale Voraussetzungen für einen kreativen Opern-Prozess im Team aus Regie und Musik zu schaffen, gibt Kratzer sich durchaus selbstkritisch: „Im Regietheater interpretiert man dieselben zehn bis vierzig Stücke permanent neu. Das hat einerseits eine Schönheit fast wie mit den Büchern der Bibel. Es gibt ihre alltäglich sonntägliche Neuinterpretation. Das zeigt immer einen Stand der Debatte oder der Gesellschaft. Andererseits denkt man aber auch an Karl Valentin: ‚Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem.‘ Das trifft den Beruf des Opernregisseurs manchmal auch ziemlich genau.“ Es wird an vielen Häusern in Zukunft wohl wieder darum gehen, die Lust am gemeinsamen Neudenken von Oper durch Musik und Szene neu zu beleben.

Keine Frauen, überall nur Schwule!

Gut gemeinte Solidarität kann auch nach hinten losgehen. Das hat BR-Klassik diese Woche eindrucksvoll bewiesen. Die Journalistin Antonia Morin kritisierte in einem Text zum Frauentag, dass es zu wenig Frauen in der Klassik-Kritik gäbe und sortierte dabei Christine Lemke-Matwey von der „Zeit“ und Judith von Sternburg von der „Frankfurter Rundschau“ kurzerhand als „Alibifrauen“ ein, um dann sofort das nächste Fettnäpfchen anzusteuern: „Sie sind halt auch nicht so gut vernetzt wie schwule Opernfreaks“, argumentiert Morin. Abgesehen davon, dass es durchaus legitim ist, sich mehr Frauen in der Kritik zu wünschen (und auch aktiv zu fördern), erscheint es doch kontraproduktiv, jene Frauen, die schon angekommen sind, als „Alibifrauen“ abzustempeln, sie gleichzeitig gegen Schwule auszuspielen und dann auch noch die Augen vor vielen anderen Frauen, die bereits erfolgreich den Diskurs mitbestimmen, zu verschließen. Nur Mal auf die Schnelle aus der männlichen Hüfte geschossen: Julia Spinola, Shirley Apthorp, Julia Kaiser, Susann El-Kassar, Susanne Benda, Maria Gnann, Ida Hermes oder Hannah Schmidt … ganz zu schweigen von den sehr guten Kultur-Ressortleiterinnen großer deutscher Zeitungen, etwa Katrin Sohns beim „Tagesspiegel“ oder Christine Käppeler beim „Freitag“.

Quo vadis Salzburg?

Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen, die Hearings sollen noch im März stattfinden, mit einer Entscheidung wird im April gerechnet. Wird Markus Hinterhäuser Intendant der Salzburger Festspiele bleiben, oder wird jemand anderes den anstehenden Umbau organisieren und endlich wieder frische Luft und neue Begeisterung an die Salzach bringen? Offensichtlich gab es nur acht Bewerber, drei aus Österreich, nur eine Frau. Namen und Gerüchte kursieren seither: In Berlin fällt immer wieder der Name Barrie Kosky – ich halte es für unwahrscheinlich, dass er sich überhaupt beworben hat. Dominique Meyer von der Mailänder Scala wäre sicherlich interessiert, das wird auch Nikolaus Bachler von den Osterfestspielen nachgesagt. Matthias Schulz wird erst einmal von Berlin nach Zürich ziehen, unwahrscheinlich, dass er nach kurzer Zeit schon wieder weiter nach Salzburg geht, eher vorstellbar wäre das von Serge Dorny, dem derzeitigen Intendanten der Bayerischen Staatsoper – es wäre ein kurzer Weg. Unwahrscheinlicher wäre wohl die Wahl von Stuttgarts Intendant Viktor Schoner. Bleibt am Ende doch alles beim Uralten? Etwa drei weitere Jahre für Markus Hinterhäuser? Dann wäre er 70. Das wäre sicherlich die absolute Mutlos-Lösung und eine weitere, sehr lange, bleierne Zeit für die schon jetzt müden Festspiele. Aix en Provence zieht mit Meilenstiefeln davon. Aber unwahrscheinlich ist das bei der Salzburger Mutlos-Politik nicht. Die Probleme der Ära Hinterhäuser beleuchte ich noch einmal in diesem Video.   

Junge Grüne gegen Wagner und Strauss-Straßen

Wer diesen Newsletter kennt, weiß, dass ich durchaus dafür bin, Kulturschaffende auch moralisch zu hinterfragen, sowohl im Heute, als auch im historischen Rückblick. Es gehört zur Geschichte, auch den gesellschaftlichen Kompass neu zu justieren und historische Äußerungen einzuordnen, zu kommentieren und zu thematisieren. Doch was Hessens Grüne Jugend da nun fordert, ist genau das Gegenteil. Die Aktivisten wollen unter anderem Straßennamen von Richard Strauss oder Richard Wagner umbenennen, da beide Komponisten sich antisemitisch geäußert hätten. Doch Namen einfach auszuradieren, verhindert auch unsere Auseinandersetzung mit ihrem Schaffen, ihrem Weltbild und ihrer Einordnung ins Heute. So wird ein historischer Diskurs nicht thematisiert, sondern tabuisiert. Das sorgt nicht nur bei Historikern der Gegenwart für Kritik, sondern könnte auch bei Aktivisten der Zukunft für Unmut sorgen.

Proteste gegen Kürzungen in Bayern

In einem Interview über „Gott und die Welt“, spricht Bariton Christian Gerhaher über die Pandemie, die Rolle der Kultur in der Öffentlichkeit und die Bayerische Schulpolitik. Er kritisiert „die geradezu schamlosen Versuche der Bayerischen Staatsregierung seit Jahrzehnten, die Kultur als etwas Obsoletes, als ‚Salz auf der Breze‘ zu charakterisieren“. Auch 28 Künstlerinnen und Künstler haben nun gegen das Vorhaben des bayerischen Kulturministeriums protestiert, Musik, Kunst und Werkunterricht zusammenzulegen (ich habe das letzte Woche in einem Video kommentiert). Die Staatsregierung, heißt es in dem Schreiben, wolle ihrem „schon längst realen Unvermögen“, der kreativen Erziehung der Schüler angemessen nachzukommen, nun „eine gesetzliche Grundlage“ geben. Das Vorhaben sei der „offene Versuch, die Künste als verzichtbare Nebensache zu erklären“. Das seien „Kürzungen am völlig falschen Ort“. Zu den Unterzeichnenden gehören unter anderen Anne-Sophie Mutter und Simon Rattle. Eine Petition hat inzwischen fast 200.000 Unterschriften gesammelt. Und dennoch: außerhalb der Musik-Bubble bleibt der Aufschrei ziemlich leise. Haben wir unsere Kunst vielleicht doch etwas zu sehr in die Nische geführt?

Personalien der Woche

Der Dirigent Vladimir Jurowski wünsche sich eine Oper über Alexei Nawalny. Er sei ein Ideal der Freiheit und ein moderner Märtyrer. Jede künstlerische Aktion, die sich gegen die Verhältnisse in Russland ausspreche, sei ein Angriff auf Putins System: „Ich sehe meine Tätigkeit persönlich inzwischen auch als eine Form des politischen Kampfes“, so Jurowski weiter. +++ Tenor Vittorio Grigolo, dem in Covent Garden sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden, kündigte nun an, ein Recital in Moskau zu geben. „Der letzte Fluchtort“, kommentierte Norman Lebrecht, „fragt Domingo!“ ++++ „Wunden und Wunder“ ist das Motto der Salzburger Osterfestspiele 2025, und man kann sich durchaus auch über das Programm wundern, das Intendant Nikolaus Bachler aufgestellt hat, bevor die Berliner Philharmoniker 2026 an die Salzach zurückkehren: Die Oper „Chowanschtschina“ und einige Konzerte mit Esa-Pekka Salonen und dem finnischen Radioorchester, außerdem kommen das Mahler Chamber Orchestra, das Mozarteumorchester und Gianandrea Noseda und Tabita Berglund. +++ Das Label Chandos wurde gerettet. Chandos-Chef Ralph Couzens erklärte, dass er im Amt bleibe und sein Label von Naxos-Chef Klaus Heymann gekauft wurde. „Die Marke soll mit gleicher Leidenschaft und Liebe zum Detail weitergeführt werden“, erklärte Couzens. Chandos hat einen Katalog von über 3000 Aufnahmen, unter anderen mit Mariss Jansons oder Neeme Järvi. +++ Lucas Reuter wird neuer künstlerischen Leiter der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Der 40-jährige Musik- und Theaterwissenschaftler, der bereits seit 2011 die Spielzeit im Forum am Schlosspark Ludwigsburg leitet, wird die künstlerische Verantwortung vom eher erfolglosen Jochen Sandig übernehmen. +++ Das Tiroler Landestheater bekommt ab September 2024 einen neuen Chefdirigenten: Gerrit Prießnitz wird der Musiktheatersparte des Tiroler Landestheaters ab Sommer musikalisch vorstehen.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier. Die Oper im Ukrainische Kharkiv spielt wieder! Die Stadt liegt nur 40 Kilometer von der russische Grenze entfernt und ist unter Dauerbeschuss. Lange waren öffentliche Versammlungen nicht möglich, nun ist die Oper in den Untergrund gezogen und spielt im Bunker. „Wir wollen Kharkivs kulturelles Leben zurückbringen“, sagt er Generalintendant Ihor Touluzov, „gerade in diesen schweren Zeiten ist die Nachfrache nach Kultur besonders groß.“

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

P.S: die großen Themen der Klassik-Woche debattiere ich auch dieses Mal wieder im Podcast „Alles klar, Klassik?“ mit Dorothea Gregor von der Liz Mohn Stiftung (hier für alle Player, unten für Spotify).
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