KlassikWoche_RGB_2020-09

Fusioniert, verschoben und verzockt?

Willkommen in der neuen Klassik-Woche

Heute fragen wir, ob Serge Dorny sich gerade verzockt, feiern eine andere Münchner Institution, hören ein wenig ins fusionierte Radio und staunen über Norwegen. Also los!

Was ist los in München?

Verzockt sich Intendant Serge Dorny gerade bei seiner Vertragsverlängerung als Intendant der Münchner Staatsoper? Erst war da sein öffentlicher Flirt mit den Salzburger Festspielen, dann eine unmotivierte Positiv-Pressemitteilung – und nun folgte eine Art »konzertierte Aktion« in Münchens Feuilleton. Irgendwie warb plötzlich ein Großteil der Kollegen für eine schnelle Vertragsverlängerung. Robert Braunmüller von der Abendzeitung schrieb: »Es wäre an der Zeit, das Pokern zu beenden«, und noch deutlicher war Egbert Tholl in der Süddeutschen: »Im Grunde ist er (Dorny) ein an Gerard Mortier geschulter Humanist. Inzwischen sucht er das Gespräch, lernte loszulassen. Er holte wieder die Gesangstars ans Haus.« Trotzdem scheint Bayerns Kunstminister Markus Blume keine Eile mit der Vertragsverlängerung zu haben. Auf BackstageClassical erkläre ich, dass im Hintergrund offensichtlich noch andere Konflikte schwelen. Da geht es eher um Führungsstil. Die Personal-Fluktuation am Hause ist hoch, einige Mitarbeiter haben es nicht einmal geschafft, ihren Job am Haus anzutreten, weil es bereits im Vorfeld gekracht hat, und uns liegt mindestens eine schriftliche Beschwerde über den Führungsstil am Hause vor. Erklärt das etwa Blumes Zögern? Oder geht es hier einfach um einen Machtkampf zweier Alpha-Männer? Übrigens auch Dirigent Vladimir Jurowski müsste verlängert werden, der in der New York Times gerade erklärt hat, dass jeder Künstler immer auch politisch sei. Diese Woche soll es offenbar erste Gespräche zwischen Dorny und Blume geben – Ergebnis: offen.


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André Schuen - Tiefe Emotionalität und starke Rollen
Ullrich Matthes - „Kleist steht mir näher als Goethe“
Elīna Garanča - Porträt einer der Großen unserer Zeit
Andreas Döllerer - Autorenküche über den Alpen
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Wie das Radio an Kultur spart

Letzte Woche haben wir uns mit Tränen des Lachens und der Trauer in den Augen über das neue Vormittagsprogramm des zu RadioDrei umgetauften Senders rbbKultur amüsiert und über die Ahnungslos-Moderation von Jörg Thadeusz. Aber das war ja nur ein Anfang der großen Programm-Reform, auf der viele Klassik-Linien unter die Räder geraten. Ich habe alle Strukturänderungen hier einmal aufgelistet. Unter anderem wird die Klassik am Montag, Mittwoch und Samstag als Gemeinschaftsprogramm präsentiert, daran nehmen teil: HR, SR, SWR, NDR, MDR und RBB. Am Dienstag und Donnerstag kooperieren zuweilen auch BR und WDR. Freitags und Sonntags gibt es regionale Aufnahmen. Journalistische Musikmagazine werden am Abend gemeinsam von Bayern 2, Bremen 2 und Radio 1 gesendet. Ob diese Fusionitis am Ende ihr Geld Wert ist?

Viva la Chaos!

Was denn jetzt, Mailand!?! Die Opern-Ragazzi rangeln weiter um die Macht. Angeblich soll Fortunato Ortombina nun doch als Intendant der Mailänder Scala antreten – und damit Nachfolger von Dominique Meyer werden. Ortombina leitet derzeit noch das La Venice und hatte erklärt, dass er kein Interesse habe, nach Mailand zu gehen. Nun soll man sich aber geeinigt haben. Es hieß zunächst, Meyer und sein Dirigent Riccardo Chailly sollten um ein Jahr – bis 2026 – verlängert werden. Danach solle der Wechsel stattfinden. Doch nun erklärte der italienische Kulturminister Gennaro Sangiuliano, dass er die Pläne des Scala-Verwaltungsrats für falsch halte und am liebsten schneller handeln würde. Es kursierten auch Gerüchte, dass Daniele Gatti als Musikdirektor auf Riccardo Chailly folgen soll. Viel los also, und noch wenig entschieden!

Betrug für billige Opernkarten

So richtig klappt es mit dem Publikum an der Hamburgischen Staatsoper schon seit einiger Zeit nicht mehr. Und nun hat das Haus am Gänsemarkt einen weiteren echten Opern-Groupie verloren: Die 61-jährige Christina H. war sogar bereit, für ihre Opernleidenschaft zu betrügen. Um billiger an beste Karten zu gelangen, fälschte sie einen Mitarbeiter-Ausweis samt Foto. So bekam sie dicke Rabatte für die besten Plätze. Statt 230 Euro für die Oper Lady Macbeth zahlte sie lediglich 32 Euro. Mindestens 21 Betrugsfälle (auch an anderen Theatern) konnte die Staatsanwaltschaft der Opern-Enthusiastin nachweisen. Ihr Trick flog letztlich an der Abendkasse auf. Nun fällte das Gericht ein Urteil: 90 Tagessätze à 70 Euro! BILD berichtet, dass die Opern-Freundin seither nicht mehr in die Oper geht: »Es ist zu emotional. Jedes Mal, wenn ich an der Staatsoper vorbeigehe, wird mir mein begangenes Unrecht bewusst.«

Lübeck kämpft um neue Musiklehrer

In der Musiknation Deutschland fällt an Grundschulen fast die Hälfte des Musikunterrichts aus. Der Grund: Lehrermangel. Ein neuer Studiengang in Lübeck soll nun eine Lösung bringen. Das Programm »MusikPlus« wendet sich besonders an Quereinsteiger. Geplant ist ein so genannter »Umstiegs-Master«, der sich an Musikerinnen und Musiker mit einem Bachelor in einem Musikfach wendet. Sie können sich pädagogisch und musikpädagogisch weiterbilden lassen und gleichzeitig auch in anderen Fächern wie Mathe oder Deutsch zertifiziert werden. So sollen schnell Lehrkräfte auf den Markt gebracht werden.

Das zukünftige München

Es ist ein wenig absurd, wie einige Feuilletons in München ein Konzept am ersten Tag bereits totflüstern, das – davon bin ich überzeugt – eigentlich die Zukunft unserer Kulturrezeption vordenkt. Das Bergson Kunstkraftwerk am Rande der Metropole eröffnet dieser Tage, und ja: es ist schwer zu erreichen. Aber: es bietet viel. Die Unternehmer Michael Amberger und sein künstlerischer Kopf Roman Sladek bauen mit Kommunikator Maximilian Maier etwas in Deutschland einmaliges auf. Ein 25 Meter hohes Industriegebäude auf über 20.000 Quadratmetern. Darin befinden sich unter anderem ein Restaurant, eine Galerie, Konzertsäle und Kammermusik-Locations, draußen auch ein Biergarten. In diesen Tagen finden die ersten Housewarming-Parties statt, die Staatsoper spielt Peter und der Wolf. Im Herbst beginnt dann der eigentliche Betrieb und zeigt Kultur in allen Facetten: Kulinarik, diverse Musik, Literatur, Ausstellungen, Debatten – alles miteinander verzahnt. Maiers Traum: »Man kann jeden Abend ins Bergson kommen, ohne auf das Programm zu schauen – weil immer etwas Spannendes los ist.« Am ehesten ist diese Konzept wohl mit der Harfe in Island zu vergleichen – und die ist eine Erfolgsgeschichte der kulturellen Vielfalt unter einem mutigen Dach. Also aus vollem Herzen: Gratulation zur Eröffnung. Ich glaube an dieses Konzept!

Personalien der Woche

Burgschauspieler Michael Maertens hat in den Oberösterreichischen Nachrichten Stellung zu seinem Rauswurf beim Jedermann der Salzburger Festspiele bezogen und lässt kein gutes Haar an Intendant Markus Hinterhäuser: »Ich bin nicht sehr gut auf Herrn Hinterhäuser zu sprechen«, sagt Maertens, »er hat das wirklich katastrophal kommuniziert. Es war sehr, sehr verletzend und ungeschickt. Ich bin nicht nachtragend, das habe ich von diesen alten, weißen, schreienden Männern gelernt.«. +++ Dass die Orchester zunehmend pädagogische Aufgaben übernehmen sollen, macht überall Schule. Aber Orchester können die mangelnde Ausbildung an den Schulen nicht kompensieren – das ist letztlich Sache der Politik. Kein Wunder also, dass Dirigent Antonio Pappano in der Times erklärt: »Wir sind Musiker und keine Sozialarbeiter!« +++ Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin gibt am 19. April im Konzerthaus am Gendarmenmarkt eine Spendengala unter dem Titel Rebuild Ukraine. Die Einnahmen kommen den Gemeinschaftszentren für traumatisierte Kinder in den vom Krieg stark zerstörten Städten Cherson, Donezk und Saporischschja zugute. Mit dabei Rolando Villazón, Pretty Yende und Stephen Costello. Die Deutsche Welle überträgt das Konzert. +++ Weil wir letzte Woche ausgiebig über die Fluktuation an den Pulten gesprochen haben. Diese Woche hat Paavo Järvi sein 20jähriges Jubiläum mit der Kammerphilharmonie Bremen gefeiert – und was für erfolgreiche Jahre warten das! Gratulation aus gegebenem Anlass von einem Bremer an einen Wahl-Bremer! +++ Norman Lebrecht macht sich in seiner Kolumne lustig über Teodor Currentzis, da dieser seine musikalische Arbeit mit jener von Ärzte ohne Grenzen vergleicht. Lebrecht nennt das »Wahnsinn eines Dirigenten«. +++ Der Klassik-Manager Dieter Rexroth ist tot. Thomas Schmidt-Ott, Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin hat dem »Programmzauberer« nachgerufen.

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Einer der meist gelesenen Texte auf meiner neuen Seite BackstageClassical war letzte Woche der Bericht von Stephan Knies über das Opernhaus in Oslo. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen, weil es eben doch viele Menschen gibt, die nach neuen Inspirationen suchen, und weil die Oper an sich mit vollkommen neuen Wegen ein junges und großes Publikum anspricht. Klassiker wie La Traviata stehen hier neben einer Uraufführung über das Thema Demenz. »Oslo zeigt, was Oper sein soll und kann«, schreibt Knies »heutiges Leben, emotionale Verdichtung unserer täglichen Realität, erfolgreiches Sprachrohr für Tabu-Themen – und Hochkultur, gesellschaftliches Event und alte Opern-Welt.« Was will man mehr?

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüggemann

P.S.: Wenn Sie hören wollen, was in dieser Klassik-Woche los war, empfehle ich Ihnen die neue Folge unseres Podcasts Alles klar, Klassik? (Hier für alle Player unten für Spotify)

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Winfried Hanu­schik, Verleger & Heraus­geber

Fotos: Chicago Symphony, Strauss, Brüggemann