KlassikWoche_RGB_2020-09

Noch irgendjemand ohne Nominierung?

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

der Festspiel-Sommer kommt immer näher, noch sind einige Fragen offen. Außerdem schmunzeln wir mal wieder über den OPUS und suchen nach Gleichberechtigung.

Österreich stellt Hinterhäuser in Schusslinie

Hammer, Haslauer, Salzburger Festspiele
Ich habe letzte Woche versprochen, Mitglieder des Kuratoriums der Salzburger Festspiele anzuschreiben, um zu sehen, wie sie sich zu den neuen Erkenntnissen rund um Teodor Currentzis und musicAeterna positionieren. Nachdem bekannt wurde,  dass der Dirigent dem Chef der umstrittenen Putin-Bank VTB angeblich Treue geschworen habe und dass Currentzis mit seinem Orchester auf Gazprom-PR-Tour war, scheint die österreichische Politik eine Standard-Antwort vorbereitet zu haben, die Currentzis offensichtliche Russland-Nähe vollkommen ignoriert und schon jetzt für den Fall der Fälle vorbeugt. Politiker wie Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer schieben die gesamte Verantwortung auf Intendant Markus Hinterhäuser ab. Das Kuratorium wolle nicht in künstlerische Belange eingreifen, heißt es, „die künstlerischen Entscheidungen werden nicht vom Kuratorium oder der Politik getroffen“. Eine Argumentation, die an Claudia Roth in Sachen Documenta erinnert. Dort hat sich gezeigt, dass es ein Fehler ist, wenn die Politik nicht die Notbremse zieht.
Gerade, wenn staatlich geförderte Kultur gegen die Strategie und das Interesse des eigenen Landes agiert (Europas Russland-Boykott wird durch das Handeln der Festspiele konterkariert), muss die Politik eingreifen – genau dafür ist ein solches Kuratorium ja da! Doch Haslauer ignoriert die reale Faktenlage und verliert sich in Allgemeinplätzen: „Die Salzburger Festspiele haben ihre Ablehnung des Krieges und die Distanzierung von allen Personen, die kriegerische Handlungen setzen oder unterstützen oder befürworten, klar ausgedrückt (…) Nach ausführlicher Diskussion hielt das Kuratorium fest, dass man im Sinne des Gründungsauftrages der Salzburger Festspiele keine Stigmatisierung von Künstlerinnen und Künstlern zulassen dürfe, so fern sie sich nicht aktiv für den Krieg aussprechen.“ Kann man Currentzis VTB-Treue und seine neu entdeckte Gazprom-Liebe anders auslegen, als dass er auf Seiten von Putins Russland steht? Trotz mehrfacher Aufforderung – auch von Hinterhäuser –  weigert er sich beharrlich, eine Stellungnahme abzugeben und stellt sich immer tiefer in den lukrativen Dienst Putins. Ebenso wie bei der Documenta scheint da gerade ein Zug vor aller Augen auf eine Wand zuzurasen – die Politik hat sich schon mal in Sicherheit gebracht, Hinterhäuser sitzt ziemlich allein in der Lokomotive. Und seine Präsidentin lackiert sich derweil die Fingernägel.   

Sanierung in Salzburg?

Aber es gibt sie auch eine gute Meldung: Bis 2030 sollen neue Werkstätten, Proberäume und Garderoben auf zusätzlichen 11.000 Quadratmetern für das Salzburger Festspielhaus entstehen. Da die Altstadt nicht angetastet werden darf, erfolgt die Erweiterung größtenteils unsichtbar: im Mönchsberg. Mit den ersten Bauarbeiten soll im Herbst 2024 begonnen werden. Die ursprünglichen Kostenschätzungen von 262 Millionen Euro sind mittlerweile überholt. Kalkuliert wird nun mit 335 Millionen. Die Kosten teilen sich Bund (40 Prozent), Land und Stadt Salzburg (je 30 Prozent). Die Genehmigung der Pläne steht noch aus.

Bayreuther Vorbereitungen

Festspielhaus Bayreuth
Die dpa hat bereits ein wenig hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele geschaut. Den vierteiligen Ring inszeniert Valentin Schwarz, die musikalische Leitung hat Pietari Inkinen inne. Regisseur bei Tristan und Isolde ist Roland Schwab, Dirigent Cornelius Meister. Auf Twitter gibt der Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart immer wieder kleine Einblicke in die Probenarbeit, kürzlich schrieb er, dass Regisseur Schwab alle inspiriere. Und er lobte den Enthusiasmus von Stephen Gould und Catherine Foster, die die beiden Titelpartien singen.
Einblicke gab Roland Schwab auch schon selber (in der letzten Folge des Podcasts „Alles klar, Klassik?“) und erklärte, dass es ihm um das Transzendieren gehe und dass man mit einer technischen Innovation auf der Bühne rechnen könne. Außerdem wird die Götterdämmerung wohl im Kino übertragen, und ich freue mich, das Publikum bei freiem Eintritt am 27. Juli und 2. August durch das Bayreuther Festspiel-Open-Air mit großartigen Stimmen führen zu dürfen (hier der ganze Plan des Sommers). 

Gleichberechtigung – USA vs. Hamburg

Die USA, könnte man derzeit glauben, reisen gerade zurück ins Mittelalter. Allerdings nicht, was die aufgeführten Orchesterwerke von Frauen und farbigen KomponistInnen betrifft. Inzwischen stammen 23 Prozent aller Orchesterarbeiten in den USA aus der Feder von Frauen oder farbigen MusikerInnen – 2015 waren es nur fünf Prozent! Und in Deutschland? In Hamburg hat eine „Kleine Anfrage“ der Linken im Senat ergeben, dass Frauen 41 Prozent der Regiearbeiten übernehmen, aber nur 13 Prozent der Regiegagen kassieren. Männer indes übernehmen 59 Prozent der Regiearbeiten und kassieren 87 Prozent der Regiegagen.

OPUS-absurd

OPUS KLASSIK
Sie wollen die ganze Absurdität des OPUS KLASSIK kennenlernen? Bitteschön! Wieder haben diese Woche zahlreiche MusikerInnen gepostet, dass sie für den Preis nominiert seien. Kein Wunder, denn es wäre wahrscheinlich leichter, die NICHT-Nominierten aufzulisten als die Nominierten.
Allein in der Kategorie „Dirigent des Jahres“ sind  dieses Jahr unter anderem nominiert: Philipp Ahmann, Giovanni Antonini, Daniel Barenboim, Andrea Battistoni, Ingar Bergby, Tabita Berglund, Frieder Bernius, Herbert Blomstedt, Fabrizio Maria Carminati, Daniel Cohen, Teodor Currentzis, Stanley Dodds, Gustavo Dudamel, Maxim Emelyanychev, Laurence Equilbey, Christoph Eschenbach, Bernhard Forck, Riccardo Frizza, Leonardo García Alarcón, John Eliot Gardiner, Reinhard Goebel, Mirga Gražinytė-Tyla, Daniel Grossmann, Peter Gülke, Mathieu Herzog, Heinz Holliger, Jakub Hrůša, Marek Janowski, Philippe Jaroussky, Paavo Järvi, Vladimir Jurowski, Johannes Kalitzke … ach, verdammt: wir sind erst bei „K“ … es folgen noch 31 weitere Namen. Ich glaube, die Willkür und Sinnlosigkeit dieses Preises hat sich damit dann wohl selber offenbart! 

Personalien der Woche

Daniele Gatti
Daniele Gatti also – wir haben es an dieser Stelle bereits befürchtet: Die Sächsische Staatskapelle will ihn als Nachfolger von Christian Thielemann. Warum? Keine Ahnung! Der Dirigent, der 2018 nach Diskussionen um Fehlverhalten beim Concertgebouworkest in Amsterdam gefeuert wurde, steht nicht gerade für sprühende musikalische Ideen, nicht für Nähe zum Publikum und ist auch kein Dirigent, der internationale Gastspiele mit seinem Namen ausverkauft. Gatti ist ein „Zurück in die Zukunft“, oder wie Kollege Manuel Brug es sagt: „Dem Betrieb scheint, allem Rufen nach weiblicher, jüngerer, diverser Leitung, Gatti immer noch wichtig genug. Trotz der Missbrauchsvorwürfe hat ihn im Macholand Italien die Oper Rom sofort als Musikchef engagiert. Gegenwärtig steht er bei dem vom Uralt-Intendanten Alexander Pereira geführten Maggio Musicale Fiorentino als Chefdirigent im Brot.“ +++ Der letzte Film mit Musik von John Williams? Momentan arbeite er an Indiana Jones 5, sagte der 90-jährige Komponist. Der Abenteurer wird erneut von Harrison Ford gespielt, und „der ist ein Stückchen jünger als ich“, sagte Williams. Ford habe angekündigt, dass das sein letzter Film sein könnte – und das Gleiche könnte auch für den Komponisten gelten. +++ Anna Netrebko glaubt offenbar nicht mehr an eine Rückkehr in die USA, sie soll Ihr Penthouse in New York für 7,5 Millionen zum Verkauf angeboten haben. Auch die New York Times widmet der umstrittenen Sängerin nun einen eher kritischen Text, in dem es heißt, dass Netrebko vorhaben solle, in einer arbeitsrechtlichen Beschwerde mehr als 350.000 Dollar von der Metropolitan Opera in New York zu fordern. +++ Der Tenor Peter Maus ist gestorben. Von 1974 bis 2013 war er an der Deutschen Oper Berlin. 1995 wurde er zum Honorarprofessor an der Universität der Künste Berlin berufen und am 2. Juli 2001 zum Berliner Kammersänger ernannt.

Wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Diese Woche vielleicht in Gütersloh – dort beginnt, endlich wieder in Präsenz – der Wettbewerb NEUE STIMMEN. Aber braucht man Wettbewerbe überhaupt noch? Wem helfen sie? Wer kann darauf verzichten? In der neuen Ausgabe meines Podcasts rede ich mit dem Geiger Daniel Hope (er befürchtet, Wettbewerbe verhindern Individualität), mit Ines Koring von NEUE STIMMEN und mit Boris Matchin und Amadeus Templeton von Tonali (sie haben den Tonali-Wettbewerb gegen eine andere Ehrung eingetauscht), außerdem dabei: der Schweizer Mäzen Adrian Flury. Hören Sie doch mal rein (hier der Link zu allen gängigen Podcast-Playern)!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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