KlassikWoche_RGB_2020-09

Der König von Salzburg

Willkommen in der neuen KlassikWoche,

heute mit einer letzten und monothematischen Ausgabe vor der Sommerpause. Es dreht sich alles um den Zustand der Salzburger Festspiele, oder genauer gesagt: Ich werfe einen Blick auf die enttäuschten Hoffnungen in den Intendanten Markus Hinterhäuser.

Rückblick: Hoffnung der Vergangenheit

Markus Hinterhäuser war einst Hoffnungsträger: Er hat Journalistinnen und Journalisten in Restaurants und Bars getroffen, ihnen von der existenziellen Größe der Musik vorgeschwärmt, intellektuell mit Leonard Cohen, Gustav Mahler und Salvatore Sciarrino jongliert und ganz nebenbei nachvollziehbar klar gemacht, warum zunächst Peter Ruzicka, dann Jürgen Flimm und später Alexander Pereira die Salzburger Festspiele an die Wand gefahren haben – und: was er besser machen würde. Er, der Mann aus Salzburg, hatte Salzburg stets als großes Ziel vor Augen. Und viele von uns (auch ich) haben ihm die schönen Worte abgenommen. Als er 2016 Intendant der Salzburger Festspiele wurde, galt Markus Hinterhäuser als Erneuerer, als einer, der das konservative Klunker-Banken-Österreich mit linksintellektuellem Weltgeist vereinen könnte. Ein neuer Gerard Mortier – endlich!

Die Enttäuschung

Aber Markus Hinterhäuser hat als Intendant leider vor allen Dingen künstlerisch enttäuscht. All seine Vorgänger haben wenigstens irgendetwas „hinterlassen“, große Stimmen entdeckt (Anna Netrebko), geniale Dirigenten geholt (Nikolaus Harnoncourt) und den Festspielen eine eigene Richtung gegeben: vom Mozart-Spektakel (Ruzicka) über den Regie-Jet-Set (Flimm) bis zum erbarmungslosen Glamour-Festival (Pereira). Nichts davon bei Hinterhäuser, im Münchner Merkur schrieb Markus Thiel diese Woche: „Das Festival hat es sich behaglich im Bewährten eingerichtet“. In der Süddeutschen heißt es über Salzburg: „fad“ und „mutlos“.
Und tatsächlich, sobald Hinterhäuser Chef wurde, regierte er mit sehr persönlicher Agenda: Publikumslieblinge wie der Pianist Rudolf Buchbinder wurden von den Festspielen verbannt (stattdessen wurden Mode-Pianisten wie Igor Levit verpflichtet). Und mit Salzburgs erfolgreichsten Produktionen (etwa Franz Welser-Mösts Strauss-Dirigaten) schien Hinterhäuser sich nie so richtig identifiziert zu haben. Während er persönlich auf etablierte Klassik-Marketing-Stars setzte (Igor Levit, Daniel Barenboim, Anna Netrebko, Plácido Domingo), gingen die wenigen echten Salzburg-Entdeckungen (wie Asmik Grigorian) eher auf das Konto der Dirigenten als auf das des Intendanten. Der mutierte derweil vom intellektuellen Bohemien zum handzahmen Schoßhund der alten Festspielpräsidentin: Helga Rabl-Stadler zog die Strippen, und er, der einstige Revolutionär, entpuppte sich als zerbrechliche, unselbstkritische und selbstmitleidige Mimose. Schnell zeigte sich, dass dem klavierspielenden Schöngeist der Mumm zum Intendanten fehlte. Und seit Helga Rabl-Stadler die Festspiele verließ, wirkt ihr Zögling besonders verloren.

Kritik ist doof

Was viele Wegbegleiter von Markus Hinterhäuser wohl erschreckt hat, war, wie unsouverän er mit offensichtlichen Fehlentscheidungen umgegangen ist. Ausgerechnet der Mann, der vor seiner Intendanz die existenzielle Bedeutung der Kunst für die Welt beschworen hatte, schien in einer realen Krisensituation den Blick dafür verloren zu haben, dass eine Welt im Wandel klare Kante in der Kunst benötigt (und keine persönlichen Befindlichkeiten). Da war zunächst die völlig naive Hoffnung auf das große Geld aus Russland (Hinterhäuser stand hinter dem verheerenden Gazprom-Deal der Festspiele), sein fast schon manisches Festhalten an Teodor Currentzis und das Ignorieren der Tatsache, dass der Dirigent sich bis heute willentlich abhängig vom System Putin, von VTB Bank, Gazprom und der russischen Regierung macht. Das hat weniger mit Geradlinigkeit als mit Sturheit zu tun (selbst Intendanten wie Louwrens Langevoort oder Matthias Naske – beide einst sehr nahe Currentzis-Freunde – haben verstanden, dass dem Dirigenten derzeit eher nicht zu vertrauen ist).
Hinterhäuser erklärte, dass sein Kompass die juristischen Grenzen seien, nicht das moralische Gewissen. Und so gab er ausgerechnet den von ihm so oft als existenziell beschriebenen Kunst-Raum als Ort auf, in dem Moral verhandelt werden kann (über dieses Phänomen habe ich in diesem Podcast übrigens ausführlich mit Hinterhäuser-Fürsprecher, dem Philosophen Konrad Paul Liessmann, debattiert). Das diesjährige Motto „Die Welt ist aus den Fugen“ wirkt im Angesicht von Hinterhäusers realem Handeln wie eine hohle und inhaltsleere Phrase. Statt seinen Kritikern direkt zu antworten, zog Hinterhäuser es irgendwann auch vor, seine Wahrheiten lieber aus gesicherten Räumen heraus zu verkünden. Statt eine wichtige, weltmännische Debatte anzunehmen, schrumpfte er den Diskurs oft auf persönliches Klüngel-Niveau. Fast schien es, als witterte Hinterhäuser plötzlich überall jene Hinterzimmer-Gespräche, die er früher selbst so gerne führte.

Alte Freunde wenden sich ab

Vollkommen ohne Not verlor Markus Hinterhäuser dann auch noch den Rückhalt vieler seiner intellektuellen Freunde, als er den Protest vom Publikumsliebling Cornelius Obonya gegen die Beteiligung der rechtsnationalen FPÖ an Salzburgs Rechts-Regierung als „bemerkenswerte gedankliche Schlichtheit“ kritisierte. Nun standen selbst alte Weggefährten wie Stefan-Zweig-Experte Klemens Renoldner öffentlich gegen ihn auf (hier der Standard-Kommentar dazu, und auch ich habe das in einer Video-Kolumne thematisiert). Hinterhäuser wirkte in der Öffentlichkeit plötzlich fahrig, und hinzu kam seine merkwürdige Kreativ- und Mutlosigkeit bei den Festspielen, die Musikjournalist Markus Thiel lakonisch so zusammenfasst: „Der Blick auf die Bilanz gepaart mit einer gewissen Mutlosigkeit und Trägheit gebiert eben Programme wie 2023.“ Thiel vermutet ebenfalls, dass Hinterhäuser die eigene Hausmacht verlor und sich nicht mehr gegen die Wiener Philharmoniker durchsetzen kann. Auf jeden Fall dürften die Philharmoniker über die musicAeterna-Auftritte in Salzburg nur wenig amüsiert gewesen sein (auf meine Anfrage wies Hinterhäuser zurück, dass er Currentzis auch als Ersatz-Dirigenten für Franz Welser-Mösts Macbeth anfragen wollte – nun dirigiert eben Philippe Jordan).
Es ist eine Stilfrage, wie schamlos Markus Hinterhäuser und die Salzburger Kulturpolitik die neue Festspiel-Präsidentin Kristina Hammer zunächst feierten, um sie dann öffentlich zu demontieren (wenn da nicht auch noch Rechnungen offen sind!). Und auch unter Künstlerinnen und Künstlern scheint der Rückhalt allmählich zu bröckeln. Letztes Jahr gab es auf Grund von Hinterhäusers Sponsoring-Modellen Streit mit der Regisseurin Yana Ross und dem Autor Lukas Bärfuss, das Obonya-Bashing kam hinzu, und ein Rechtsstreit, in dem der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gegen das Beschäftigungsmodell der Festspiele klagt, wurde immer wieder verschoben und steht noch aus. Vieles deutet darauf hin, dass Hinterhäuser seine eigenen Festspiele nicht mehr im Griff hat.

Der Provinzielle

Und auch ein Großteil der österreichischen Presse, die Hinterhäuser einst als Erlöser feierte (und überhaupt erst ins Amt schrieb), steht ihm heute eher kritisch gegenüber. Der Standard, der Falter oder der Kurier kritisieren seinen Kurs regelmäßig, und überregional scheinen die Salzburger Festspiele eine immer kleinere Rolle zu spielen (der deutsche Journalist Markus Thiel kommentiert: „Opernpremieren wie Falstaff und Macbeth von Verdi plus Mozarts Figaro, inszeniert von Christoph Marthaler, Krzysztof Warlikowski und Martin Kušej, all dies hat wenig mit Kultur-Speerspitze zu tun.“). Früher tanzte wenigstens Anna Netrebko auf den Tischen im Triangel: Heute wird Hinterhäuser hier vielleicht wie bei Western von gestern mit seinen alten „Fuzzy-Freunden“ abhängen, mit Kušej, Peter Sellars oder Ioan Holender – ein Senioren-Stammtisch. Und auch Hinterhäusers letzte Fürsprecher sind hauptsächlich alte Männer, die den Anschluss an eine neue mediale Wirklichkeit längst verloren haben und am liebsten weiter in der Welt von gestern leben würden.
Dass Heinz Sichrovsky vom Ösi-Magazin News (Sie kennen ihn nicht? Macht nix, wir haben ihn hier bislang immer „Opi“ genannt) Hinterhäuser auf seiner Titelseite als „Der König von Salzburg“ kürt, dürfte ein Bärendienst für den Freund gewesen sein (der Original-Titel und die Originell-Variante hier). Denn der Text zeigt zum einen, dass Hinterhäuser seine feingeistigen, intellektuellen Freunde von damals inzwischen gegen den Querschützen aus dem billigsten Blätter-Boulevard eingetauscht hat. Zum anderen zeigt sich in solchen Artikeln, wie der Intendant und seine Freunde das Salzburger Amt verstehen: der Intendant als „König“, ein Monarch, der vollkommen ohne Rücksicht auf Realität und reale Kritik, stur seinen Weg geht – einer, der keine Widersprüche erträgt, der macht, was er will und beleidigt ist, wenn man ihm widerspricht. Die Festspiele als Spielzeug eines kleinen, trotzigen Kindes. Das Schlimmste aber ist, dass die einst so stolzen und internationalen Salzburger Festspiele durch derartige PR-Desaster auf das Debatten-Niveau tiefster Provinzialität gesunken sind. Die Festspiele unter Markus Hinterhäuser scheinen hauptsächlich noch um Salzburg selber zu kreisen – wie um eine geschmolzene Mozartkugel. Oder sie schrumpfen noch kleiner, auf die individuelle Befindlichkeit des Intendanten. Wie auch immer: So langweilig, unbedeutend, provinziell und irrelevant wie heute waren die Festspiele nach dem Krieg jedenfalls noch nie.

Und wie geht es nun weiter?

Markus Hinterhäusers Vertrag läuft 2026 aus. Dass er bislang noch nicht verlängert wurde, spricht Bände (jede Aufführung wird so zur Gretchenfrage seiner Zukunft). Die Karten scheinen sich gut zu verkaufen, fraglich allerdings, wie nachhaltig das 0/8/15 Problemlos-Programm ist und was Salzburg in Zukunft noch von Bregenz, Grafenegg oder anderen Sommer-Spektakeln unterscheidet (Aix-en-Provence ist längst der spannendere Festspielort). Der Intendant wirkt amtsmüde, genervt und unausgeglichen (schwant ihm etwa, dass er schon bald mit Holender, Sichrovsky und anderen uncoolen Zeitgenossen ziemlich einsam seine Wunden lecken muss?). Sein Landeshauptmann Wilfried Haslauer aus der Rechts-Regierung würden ihm sicherlich noch mal zwei Vertrags-Jahre schenken. Aber hinter den Kulissen wird wohl bereits über Alternativen nachgedacht: Dem Regisseur und Ex-Intendanten der Komischen Oper in Berlin, Barrie Kosky, wird demnach Interesse nachgesagt (aber ist er inzwischen nicht auch etwas ausgelaugt?).
Spannender wäre sicherlich Frankfurts erfolgreicher Intendant, der gerade in Erl geschasste Bernd Loebe, ein Mann mit Strategie und Konzept. Oder doch eine österreichische Lösung mit internationaler Ausstrahlung? All das könnte diesen Sommer ganz entspannt im Café Bazar an der Salzach debattiert werden, wenn die Aufführungen zu wenig Debatten hergeben (das mit dem „Bazar“ ist ein Insider-Joke, den Markus Hinterhäuser sicherlich versteht, einfach mal bei ihm nachfragen).

Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Ich setze dieses Jahr mal aus in Salzburg und freue mich dennoch auf einen Sommer mit viel Musik an anderen Orten, auf Ferien, auf das Paddeln und auf ein ausgeruhtes Wiederlesen in vier Wochen. Wenn Ihnen zwischenzeitlich langweilig wird: Verfolgen Sie doch, was die CRESCENDO Redaktion auf Instagram treibt, besuchen Sie unsere Streaming-Plattform foyer, hören Sie doch mal in den Festival-Podcast mit Katharina Wagner rein, hören Sie die Themen-Podcasts von Alles klar, Klassik? nach (hier zum Thema Stimmen, hier zum Thema Die Zukunft der Kultur), oder schauen Sie mal auf meiner YouTube-Seite vorbei, auf der ich einige neue Videos hochgeladen habe. Via Insta oder Twitter berichte ich natürlich auch live von den Bayreuther Festspielen und anderen Kultur-Veranstaltungen. Also: Wir sehen uns.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

facebook twitter website 
Gefällt Ihnen die KlassikWoche? Dann sagen Sie´s weiter!
Wir versenden keine Spam-Mails und verkaufen keine Email-Adressen. Versprochen!
Kontakt