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Teodor Currentzis wurde 1972 in Athen geboren

© Foto: Anton Zavjyalov

Teodor Currentzis: Der umstrittene Maestro

Wie lange kann es sich der griechische Dirigent noch leisten, zu Putins Krieg zu schweigen? Jetzt hat die Kölner Philharmonie ihn ausgeladen.

Von Axel Brüggemann

„Ein halbes Jahr nach Kriegsausbruch“, erklärte der Intendant der Kölner Philharmonie, Louwrens Langevoort, „sollte doch eine Haltung zu der politischen Lage erkennbar sein.“ Angesprochen war Dirigent Teodor Currentzis. „Die Aktivitäten und Finanzierung seiner Ensembles MusicAeterna und Utopia lassen vermuten, dass er dem russischen Regime sehr nahesteht“, schrieb Langevorrt und zog eine Konsequenz: Er hat das Currentzis-Konzert mit dem SWR-Orchester kommenden Januar abgesagt.

Kurz vor den geplanten Europa-Terminen von Teodor Currentzis löst das ein ein Beben von Wien über Baden-Baden bis Dortmund aus. Dirigent Currentzis, sein Ensemble MusicAeterna und die russische Kulturpolitik bekommen derzeit zu spüren, dass ihre Sogkraft nachlässt, dass der Widerstand gegen eine kulturelle Vereinnahmung wächst, und dass Putins Kultur-Propaganda ins Stocken gerät. 

Deutsche Sänger sagen ab

Um so wichtiger scheinen dem Orchester in Russland derzeit Solisten und Solistinnen aus dem Westen zu sein, besonders für Wagners „Tristan“, der im November in Moskau aufgeführt werden soll. Man sucht Sängerinnen und Sänger, am liebsten aus Deutschland. Als Zeichen, dass Russland nicht ganz im Abseits steht, dass Putins Kultur-Propaganda noch funktioniert, dass man etwas hermacht als Kulturnation. Doch seit Wochen hagelt es Absagen. Zunächst ließ Bayreuth-Tenor Andreas Schager seinen Namen von der Vorankündigung streichen, Bariton Matthias Goerne erklärte, sein Name sei vollkommen ohne sein Wissen und Zutun auf die Seite des Moskauer Konservatoriums gekommen.

Und der Sänger Torsten Kerl, der mündlich zugesagt hatte, die Titelpartie unter Teodor Currentzis zu übernehmen, schickte letzte Woche einen Brief nach Russland: „Durch die Teil­mo­bil­ma­chung hat sich die Situa­tion für mich und meine zum Teil Russi­sche und Ukrai­ni­sche Familie verän­dert. Durch diese neuer­liche Eska­la­tion ist es für mich zum jetz­igen Zeit­punkt sowohl mensch­lich als auch mora­lisch nicht mehr vertretbar in Russ­land als Künstler aufzu­treten.“ 

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2020 hatte das System Putin den damals durchaus systemkritischen, griechischen Dirigenten aus der russischen Provinz Perm in die Metropole St. Petersburg geholt. Offensichtlich mit dem Plan, die internationale Wirkung des Dirigenten und seines Orchesters zu nutzen. Die Geschichte war gut: Ein europäischer Musiker, der ausgerechnet in Russland alle Freiheiten für seine Visionen bekommt. Putin als Heimat exzentrischer Kunst-Experimente! 

Doch damit Currentzis als Werbefigur für den Kreml taugte, musste der anarchische Querdenker zunächst ein wenig domestiziert werden. Die neue Heimat des Ensembles wurde der Saal des ehemaligen Radiosenders „DOM Radio“, der heute von einer Medien-Holding betrieben wird, deren Vorsitzende die Putin-Geliebte Alina Kabajewa ist. Das Geld für MusicAeterna kam plötzlich nicht mehr von einem Putin-kritischen Oligarchen, sondern von der in Europa sanktionierten VTB-Bank, und das Orchester bekam kurzerhand einen neuen Vorstand, der fortan über die internationalen Geschicke des Ensembles bestimmen sollte.

Neben VTB-Chef Andrei Kostin gehören Russlands Nationalbankchefin Elwira Nabiullina und der Gouverneur von St. Petersburg, Putin-Freund Alexander Beglov, dazu. Jetzt hatten Orchester und Dirigent zwar neue Privilegien, waren aber in finanzieller und organisatorischer Abhängigkeit vom Putin-Staat. Zu Vorstands-Sitzungen erschien der gern schwarz-gekleidete Currentzis plötzlich in kleinkariertem Anzug. Nach der Annektion der Krim ernannte Kreml-Chef Putin Currentzis sogar zum mit allen Steuerprivilegien ausgestatteten Staatsbürger.

Ein Netzwerk von deutschen und österreichischen Intendanten ist wie berauscht von Currentzis

Axel Brüggemann

Seither schweigt der Dirigent, der einst gern Position für die Kreml-Opposition ergriffen hatte, zu russlands Politik und natürlich auch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das Haupt Augenmerk der russischen Leitung lag auf der Eroberung der Konzertsäle im Westens – dafür wurden 2020 die MusicAeterna Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein gegründet.  Diese Konstruktion bringt westliche Kulturmanager spätestens seit Kriegsausbruch ins Schwitzen.

Jahrelang haben sie vom Phänomen Currentzis profitiert, ein Netzwerk von deutschen und österreichischen Intendanten scheint wie berauscht von Currentzis zu sein: Markus Hinterhäuser stand ihm bei den Salzburger Festspielen nibelungentreu zur Seite, Christoph Lieben-Seutter von der Elbphilharmonie und Benedikt Stampa ließen keine Gelegenheit aus, den schweigenden Currentzis vor Kritik zu verteidigen, legten ihre vier Hände für ihn ins Feuer.

Und Wiens Konzerthauschef, Matthias Naske, feierte sogar noch am Tag des Kriegsausbruches den 50. Geburtstag des Dirigenten in St.Petersburg. Lange war Naske zeichnungsberechtigtes Mitglied der MusicAeterna-Stiftung in Liechtenstein. Er hat den Posten erst auf politischen Druck aufgegeben. Zuvor musste er ein Pseudo-„Benefiz-Konzert“ von Currentzis absagen, nachdem das „Rote Kreuz“ kein Geld von MusicAeterna wollte und auch der Ukrainische Botschafter protestierte. 

In Salzburg dirigierte Currentzis im Sommer ein Orff-Bartok-Doppel

© Foto: Gindl/dpa

Besonders brisant ist die Lage beim öffentlich-rechtlichen SWR. Seit 2018 ist Currentzis hier Chefdirigent und soll als eine Art Musik-Messias von der Fusion der beiden Radio-Orchester ablenken – was ihm auch gelang. Nach Kriegsausbruch hieß es vom Sender, man sei überzeugt, dass Currentzis auf der richtigen Seite stehe, habe Verständnis für sein Schweigen, allein die Förderung von MusicAeterna durch die VTB-Bank sei ungünstig, aber der Dirigent würde – früher oder später – sicherlich Wege finden, sich vom russischen Geld zu lösen.

Doch es passierte das Gegenteil. Nach Kriegsausbruch hatte Teodor Currentzis kein Problem damit, auf Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg aufzutreten, distanzierte sich nie davon, dass VTB-Chef Kostin erklärte, der Dirigent habe Russland die Treue geschworen, noch am 2. September spielte Currentzis vor Gazprom-Chef Alexey Miller in St. Petersburg und ließ sich von ihm per Handy fotografieren. Zuvor gingen Currentzis und MusicAeterna noch auf Gazprom-Tour quer durch Russland und spielten vor den Firmen-Belegschaften an unterschiedlichen Standorten.

Die Amtszeit von Currentzis beim SWR endet 2025

Im Ensemble gibt es durchaus russlandfreundliche Musiker, die auf Instagram Bilder gepostet haben, wie sie auf russischen Rollfeldern mit Kaviar empfangen werden. Der Cellist Vladimir Slovachevsky macht keinen Hehl daraus, für wen sein Herz schlägt. Seine Facebook-Seite schmückte zu Kriegsbeginn die Flagge Russlands, heute zeigt er sich gern an der Seite des russischen Nationalkünstlers Valery Gergiev, der wegen seiner Putin-Treue in Europa in Ungnade gefallen ist.

Damit änderte sich auch der Blick von außen: Unter den Facebook-Einträgen des SWR-Orchesters wurde die Wut der Gebührenzahler gegen die Verpflichtung von Currentzis immer lauter. Der Chefdirigent übernimmt nur noch eine minimale Anzahl an Abo-Konzerten, und der Artist in Residence, Percussionist Martin Grubinger, dessen Vater das Verhalten von Currentzis in österreichischen Medien kürzlich scharf verurteilte, wird in Stuttgart und Baden-Baden gar nicht erst gemeinsam mit Currentzis auftreten. Auch Pianist Igor Levit hatte diesen Sommer in Salzburg einen Schleichweg um Currentzis herum gefunden – ohne sich allerdings öffentlich vom Dirigenten zu distanzieren.

Lange hoffte der SWR, dass sich das „Problem Currentzis“ auflöst. Für 2025 hat man mit Francois-Xavier Roth inzwischen einen neuen Chef bestellt. Teodor Currentzis wolle man dennoch weiterhin „verbunden bleiben“. Ob die Kölner Absage beim Sender nun für ein Umdenken gesorgt hat? Noch im Mai wurde SWR-Orchesterchefin Sabrina Haane in der „Stuttgarter Zeitung“ mit Blick auf das VTB-Sponsoring von MusicAeterna so zitiert: „‚Wir erwarten‚ dass sich am Verhältnis des Ensem­bles zu den Geld­ge­bern etwas ändert.‘“ Auf Nach­frage, was sie inzwi­schen davon halte, dass Musi­cAe­terna noch immer von der VTB Bank unter­stützt werde und sogar auf Gazprom-Tour gegangen sei, und wie lange man Curr­entzis beim SWR noch gewähren lassen wolle, erklärte Haane etwas verquast: „Ich habe damals die Vermu­tung geäu­ßert, dass sich bei Verfes­ti­gung der Kriegs­si­tua­tion die Auftritts­mög­lich­keiten von musi­cAe­terna außer­halb von Russ­land zuneh­mend mini­mieren würden. Musi­cAe­terna müsse sich, sofern es weiterhin in Europa gastieren möchte, wohl ein anderes Finan­zie­rungs­system und womög­lich auch einen anderen Standort suchen. Das war meine persön­liche Einschät­zung. Wenn Sie die hier geäu­ßerte Erwar­tung als Forde­rung deuten, ist das eine Fehl­in­ter­pre­ta­tion.“

Teodor Currentzis spielt Katz und Maus mit seinen Partnern und Förderern in Europa. Immer wider hat Baden-Baden-Intendant Benedikt Stampa versucht, mit dem Dirigenten zu sprechen – aber der versetzte ihn regelmäßig. Salzburg-Chef Markus Hinterhäuser hatte die Hoffnung, dass sein Zugpferd sich irgendwann zum Krieg positioniere – Currentzis schwieg weiter.

Jetzt geht Currentzis mit „Utopia“ auf Tournee

Als Teodor Currentzis ankündigte, ein neues Orchester zu gründen, ohne Russland-Beziehungen, allein mit westlichem Geld, schienen die Intendanten in Europa noch einmal Hoffnung zu schöpfen. Jahrelang waren Currentzis und sein Orchester ein Erfolgsmodell, besonders für die Veranstalter. Die Wiener Philharmoniker oder die Berliner Philharmoniker (beide haben Currentzis nach seinen Dirigaten bislang nicht wieder eingeladen) sind teure und oft sehr statische Musik-Tanker. Ganz anders Currentzis, er ist spontan und verspricht größere Gewinn-Margen. 

Doch auch beim Prokjekt „Utopia“ knirscht es gewaltig. Als Geldgeber werden geheimnisvolle „euro­päi­schen Mäzene“ angegeben, von denen einer offi­ziell bekannt ist, die „Kunst und Kultur DM Privat­stif­tung“. Hinter ihr verbirgt sich Red-Bull-Chef und Medien-Unter­nehmer Diet­rich Mate­schitz, der als Förderer von Pop-Musik auf Grund seiner nationalen Töne in die Kritik geraden war. Mate­schitz gehört auch der österreichische Sender Servus-TV, für den Ex-Staats­opern-Inten­dant Ioan Holender das einzige große Currentzis-Interview im Westen seit Kriegsausbruch geführt hat, unter konsequenter Vermeidung des Themas Krieg.

Der Moskauer VTB-„Tristan“ mit MusicAeterna war ursprünglich als Kooperation mit dem Festspielhäusern in Baden-Baden und Dortmund geplant. Dort versucht man derweil zu retten, was zu retten ist. Die Proben sollen inzwischen nach Baden-Baden verlegt werden, aber vieles ist derzeit unklar: Wie bekommt man die MusikerInnen überhaupt in den Westen? Mit wem verhandelt man eigentlich? Wer hört bei den Verhandlungen mit?

Und wohin überweist man das Geld? Etwa auf ein VTB-Konto? Das Festspielhaus rotiert. „Sie müssen sich es so vorstellen“, heißt es aus Baden-Baden, „dass der Austausch nicht kontinuierlich ist und oft auch einfach logistische Dinge besprochen werden, wenn es zum Gespräch kommt. Wir möchten wir uns einen Überblick verschaffen – Ausgang derzeit ungewiss.“ Bis Freitag wolle man an einer Lösung arbeiten – danach die Öffentlichkeit informieren. Ob der Tristan in Baden-Baden und Dortmund dann mit Currentzis und MusicAeterna stattfindet – in der geplanten Form: eher unwahrscheinlich. 

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