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Brüggemanns Klassik-Woche

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Von Wagnerianern und Mozart-Ignorieren

Willkommen in der neuen Klassik-Woche,

heute mit einem vergessenen Mozart, Kanye Wests „Nabucco“ und einer herrlich lustigen Simone Kermes. All das aber wird überschattet von Mariss Jansons Tod.

WAS IST

Der Palazzo Vendramin-Calergi – hier starb Wagner, und hier wurde der neue Vorsitzende des Richard-Wagner-Verbandes International gewählt.

MARISS JANSONS GESTORBEN

Er war einer der Größten! Und er redete ungern über die Musik. Denn die Musik war seine eigentliche Sprache. Nun ist Mariss Jansons mit 76 Jahren in St. Petersburg gestorben. In CRESCENDO hat er sich immer wieder zu Wort gemeldet – eines der letzten Gespräche, die ich mit ihm führen durfte, war dieses. Darin spricht er auch über das Sterben: „Ich glaube, dass es erst einmal darum geht, die Fragen eines Komponisten möglichst genau zu formulieren. Denn die sind ja schon sehr groß: Gibt es ein Leben nach dem Leben? In der Zweiten Symphonie ist Mahlers Antwort da ziemlich eindeutig: Er lässt uns hören, dass es irgendwo einen Himmel gibt, in dem es wunderschön sein muss. Aber schauen Sie auf die Neunte Symphonie, da sieht die Sache schon ganz anders aus. Gerade in der Neunten beschreibt Mahler ziemlich klar, dass es so etwas wie den vollkommenen Tod durchaus geben könnte. Wenn wir das verstehen, wissen wir, dass ein Großteil der Musik selber eine Art Glaubensfrage ist. Die einen glauben an Gott und das ewige Leben, die anderen nicht. Allgemeingültige Antworten werden Sie nicht finden, mit viel Glück und Arbeit aber ein Gefühl des Verstehens."

WHO THE F… IS MOZART?

Eine Schock-Studie aus Großbritannien: 70 Prozent der Briten zwischen 18 und 34 Jahren können nichts mit dem Namen Mozart anfangen. 94 Prozent wissen dagegen, dass Adele eine Sängerin ist. 20 Prozent der Briten glauben, dass Bach noch lebt, 33 Prozent wissen immerhin, dass Simon Rattle Dirigent ist, aber nur 14 Prozent kennen den Komponisten von Englands heimlicher Hymne „Land of Hope and Glory“, Edward Elgar. Wäre das bei uns anders? Ich zweifle. Wie viel Prozent kennen den Komponisten unserer echten Hymne? Ich befürchte, auch wir sind inzwischen Klassik-Haydn. „Mozart in the Jungle“ und „Little Amadeus“ haben nur wenig gebracht. Und seien wir ehrlich: Wer, bitteschön, auf der Straße kennt Thielemann, Zimmermann oder Widmann? Vielleicht ist es gar nicht so unwichtig, sich manchmal bewusst zu werden, dass manche ohne die Kunst leben, die uns das Leben bedeutet.

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Paavo Järvi dirigiert Brahms-Sinfonien

Paavo Järvis langjährige Zusammenarbeit mit der Kammerphilharmonie Bremen resultierte in mehreren, hochgepriesenen Sinfoniezyklen. Nun liegt Järvis aktueller Brahms-Zyklus auf DVD und Blu-ray vor.

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SCHAGERS KLASSIK-KLIMA-WALD

Die Klassik kann durchaus ein Klima-Killer sein: Allein ein Orchester von 100 Leuten durch die Weltgeschichte zu fliegen. Die Frankfurter Rundschau berichtet nun über ein Projekt von Operntenor Andreas Schager. Mit der Initiative „Opera meets nature“ will er Bäume gegen den Klimawandel pflanzen. Wiesbaden stellt für die Aufforstung des künftigen „Nibelungenwaldes“ Land bereit. Der erste Baum wird vom Hessischen Staatstheater gesetzt – natürlich eine wagnerische Weltesche. Das Ziel ist, dass sich andere Opernhäuser anschließen. Passend dazu ein Bericht von Susann El Kassar im Deutschlandfunk. Sie beschreibt das Verhältnis von Klassik und Klima: „CD-Labels könnten die Plastikverpackungen ihrer Produkte hinterfragen, das schwedische Label BIS leistet hier Pionierarbeit." Vladimir Jurowski setze auf Aufklärung durch Musik und reduziere die Anzahl seiner Flüge. Das Konzerthaus in Helsingborg wird ab der Saison 2020/21 Solisten und Dirigenten auffordern, per Bahn, Zug oder Schiff anzureisen. Fliegen verboten.

SALZBURGS PUTIN?

Diplomatie sieht anders aus: Die Salzburger Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Markus Hinterhäuser waren eher auf Kuschelkurs, als sie in Russland für die Festspiele warben (Gazprom ist neuer Sponsor). Man weiß nicht, ob es Gewieftheit oder Naivität ist, wenn Rabl-Stadler von der „großen Bedeutung, die Sänger, Pianisten und Regisseure aus Russland für das Festival stets gespielt hatten“, schwadroniert und nach einer Gesangseinlage von Nadezhda Pavlova hofft, bald von „unserer Nadezhda Pavlova“ sprechen zu können – so wie bei der österreichischen Staatsbürgerin Anna Netrebko. Hoffentlich wird Vladimir Putin nicht irgendwann von „meinem Salzburg“ sprechen. Sein Team verriet bereits: „Es wird erwartet, dass die Premiere von 'Boris Godunow' zum wichtigsten kulturellen Ereignis im Rahmen des Österreich-Besuchs unseres Staatsoberhaupts wird.

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WAGNER-VERBAND MIT NEUEM VORSITZ

Im Palazzo Vendramin-Calergie, Sterbeort Wagners und heute ein kleines Museum und großes Casino, fand die Tagung des Internationalen Richard-Wagner-Verbandes statt. Der Vorsitzende des Wagner-Verbandes Berlin-Brandenburg, Rainer Fineske, ist neuer Präsident und löst den Bayreuther Horst Eggers ab. Nach der Wahl sagte Fineske mir, dass er sich um den Generationenwechsel kümmern und die internationalen Wagner-Verbände stärken wolle. „Es geht darum, dass wir uns öffnen, moderner werden und junge Menschen begeistern.“ Am Rande des Jahrestreffens wurde auch über die Vertragsverlängerung von Christian Thielemann als Musikdirektor gemunkelt – die wird es wohl nicht geben.

WAS WAR

Lustigster Post der Woche: Die Sängerin Simone Kermes über Cecilia Bartolis neues Album

DER POP-NABUCCO

Der Rapper Kanye West ist als Provokateur bekannt, als Gatte von Kim Kardashian, als Donald-Trump-Versteher, der den aktuellen Präsidenten auch gern bewerben würde – oder am liebsten gleich den Job als Messias antreten möchte. Dafür hat er nun den ersten Schritt getan und eine Gottesdienst-Oper geschrieben. Im Hollywood Bowl in Los Angeles wurde Wests „Nebuchadnezzar“ uraufgeführt. Der Guardian war per Livestream dabei – und enttäuscht: Kein Libretto, ein summender Chor und ein durchgeknallter West, am Ende aber große Oberfläche und Leere.

AUF UNSEREN BÜHNEN

Brett Deans Oper „Hamlet“ an der Oper in Köln war ein großer Erfolg – so jedenfalls sieht es Guido Krawinkel in der Deutschen Bühne: „Packende Musik, ein fantastisches Ensemble, kurzum, ein großartiger Musiktheater-Abend. Gut drei Stunden dauert die Oper ohne Pause (…). Dean, dessen Oper 2017 beim Festival in Glyndebourne uraufgeführt und bereits dort gefeiert wurde, hat mit Hamlet ein Meisterstück abgeliefert (…) Das Libretto stammt von Matthew Jocelyn, der in Köln auch Regie führt.“ +++ Peter Konwitschny hat in Weimar die vergessene Oper „Lanzelot“ von Paul Dessau inszeniert – mit Erfolg, wie Egbert Tholl in der SZ findet: „Zusammen mit den 30 Solopartien und der Bühnenmusik stehen dann schätzungsweise 150 Menschen dort oben, unten, im Graben, brilliert die Staatskapelle Weimar. Deren erster Kapellmeister Dominik Beykirch, gerade mal 29 Jahre alt, nahm sich ein Jahr Zeit, um das Werk zu erarbeiten.“ +++ Die Staatsoper Hamburg sucht dicke Menschen für ihre „Falstaff“-Produktion. Anforderung: Kleidergröße jenseits von XL, oder wie Regisseur Calixto Bieito es wünscht: „extrem korpulent“.

PERSONALIEN DER WOCHE

Letzte Woche haben wir noch darüber geschrieben, dass Peter Gelbs MET große Investitionen in Angriff nehmen muss – nun wurde der Vertrag des Intendanten erst einmal bis 2027 verlängert. +++ Opern-Intendant Jürgen Flimm hatte sich bei einem Reitunfall auf dem Familienhof schwer verletzt und schied für mehrere Monate aus. Das beklatsche und betratschte er nun mit der BZ. +++ Ich mag ja diese spontan-offenherzige Art der Sängerin Simone Kermes. Unter der neuen CD von Cecilia Bartoli, die sich mit Bart und halbnackt als Farinelli präsentiert, schrieb Kermes auf Facebook: „Es ist etwas altmodisch überholt nichts Neues spektakuläres, denn Conchita Wurst gibt es garnicht mehr! farinelli hatte keinen Bart das nur nebenbei!“ +++ Es ist schon einige Zeit her, dass das Festspielhaus Baden-Baden Parfüm von Teodor Currentzis mit den Worten verschickte „Ein Duft, aus meinen Erinnerungen für mich komponiert. Er kommt von Herzen. Möge es das flüchtige Band zwischen Ihnen und mir auf magische Weise stärken.“ Ich habe neulich Mal probiert, wie es dem Dirigenten wohl so im Alltag mit seinem Odeur geht – und wurde von meiner Familie erst einmal unter die Dusche geschickt. +++ Plácido Domingo nimmt zum ersten Mal Stellung zu den #metoo Vorwürfen – und weist sie gegenüber einer spanischen Zeitung weitgehend zurück.

IN EIGENER SACHE

Wunderkinder, ihre Eltern und ihre Kritiker – ein schwieriges Terrain: schon einst bei Franz Liszt (Foto).

DEUTSCHER WIRFT EGGERT NAZI-ARGUMENTE VOR

Dieser Newsletter führt immer wieder zu intensiven Debatten in anderen Medien. Bei der Verleihung des Europäischen Kulturpreises an ein 14-jähriges komponierendes Mädchen irritierte mich ihr abschließendes Statement. In offenbar vorgefertigten Worten bemerkte das junge Mädchen, dass wir in einem Zeitalter der Intoleranz leben würden, dass ein „Tonalitätsverbot“ herrsche, Harmonie und Melodie bei klassischen Komponisten nicht geduldet würden. Da ich an der Preisverleihung beteiligt war, habe ich an dieser Stelle nur vorsichtig nachgefragt, wer genau denn in Europa Musik verbiete und ob es nicht eigentlich reaktionär sei, unser offenes, vielseitiges und diverses Kulturleben als intolerant zu kritisieren. Mein Komponisten-Freund Moritz Eggert hat den Gedanken aufgenommen und sehr klug weitergeführt. Nun bekam er einen Brief vom Vater der jungen Komponistin, von Guy Deutscher. Der stellte Eggert in seiner Replik in die Nähe des Nationalsozialismus: „Wie ich verstehe, unterrichten Sie an der Hochschule für Musik in München, im schönen ehemaligen Führerbau des NSDAP. Da fällt einem ein: früher gab es schon manche in München, die ein kleines Problem mit Toleranz hatten. Ihre Vorgänger im Führerbau hatten Toleranz auch als unzeitgemäß und reaktionär empfunden, und wurden nie müde, dies zu verkünden.“ Eggert setzt sich in seinen Werken oft mit der Musikgeschichte – besonders der verfolgter jüdischer Musiker – auseinander und ist vehementer Aufklärer der #metoo-Vorwürfe an der Münchner Musikhochschule. Kein Wunder, dass Vater Deutscher nun auch von anderen Journalisten kritisiert wird und jüdische Musiker zum Fremdschämen bringt (wie in zahlreichen Kommentaren abzulesen ist). Eggert hat ausgeruht und diplomatisch geantwortet, und in Anbetracht der Tatsache, dass plötzlich zwei ältere Herren über ein 14-jähriges Mädchen reden, mit pädagogischem Feingefühl reagiert. Die Replik ist unbedingt nachlesenswert! Deutscher verfasste eine weitere Antwort, in der er sowohl mich als auch Eggert mit „Kindesmissbrauch“ in Verbindung brachte – das ist der Moment, jede weitere Diskussion für beendet zu erklären.

Und da dieser Newsletter sich nicht als Zentralorgan versteht, sondern als Debatten-Forum, sei hier noch der Brief von Harald Röhre zitiert, der mir freundlich schrieb, dass er meine Meinung über die Arbeit von Florian Lutz an der Oper in Halle nun gar nicht teile: „Herr Lutz und sein Team haben mit ihren ‚ambitionierten‘ Inszenierungen das Stammpublikum weitgehend vertrieben. Da hilft auch keine überregionale Aufmerksamkeit und diverse Preise, die der Oper Halle verliehen wurden. (…) Wenn man aber wie in Halle die ‚Ariadne‘ in der jetzigen Spielzeit mangels Alternativen wieder auf den Spielplan setzt, ist es nicht verwunderlich, dass der Saal leer bleibt. Ich sehe mir öfter mal auf der Website die Kartenbestellung der Vorstellungen an – für den Bereich der Oper katastrophal.

Im Sinne der Vielfalt und der Toleranz halten Sie – tonal oder atonal – die Ohren steif.

Ihr Axel Brüggemann

brueggemann@crescendo.de

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