Das Festival de Pâques 2024 in Aix-en-Provence
Große Emotionen und starke Zahlen
27. Juni 2024
Geht es um bewegende Musik, um zu Herzen gehende Momente und die ganz großen Gefühle auf und vor der Bühne, haben schnöde Fakten und Zahlen dort nichts zu suchen. Eigentlich.
Denn manchmal sagen die Daten schwarz auf weiß eben doch auch etwas aus über die weitreichende Kraft und den Erfolg eines kulturellen Großereignisses. Beim Festival de Pâques in der malerischen südfranzösischen Stadt Aix-en-Provence ist das der Fall, denn nicht nur die künstlerische Exzellenz und Bandbreite dort sind faszinierend, sondern auch die umfangreiche und tatsächlich über den Horizont der klassischen Zuhörerschaft hinausgehende musikalische Arbeit. Im Jahr 2013 fand das Festival erstmals in der provenzialischen Hauptstadt statt, vom 22. März bis zum 7. April 2024 wurde in diesem Jahr die mittlerweile 11. Auflage des Festivals präsentiert, die abermals begeistert aufgenommen wurde von den Menschen aus der Region und Besuchern aus aller Welt.
Und da sind sie, die Zahlen:
Mehr als 30.000 Zuschauer haben das Festival besucht. Mehr als 100 Veranstaltungen wurden in 35 verschiedenen, über die gesamte Region verteilten Orten durchgeführt. 24 kostenpflichtige Konzerte standen im Mittelpunkt. Fast 900 Künstler waren zu Gast. Die Auslastung der Konzerte: 89 Prozent.
Was sich hier in Aix Jahr um Jahr ereignet, hat viel zu tun mit dem Initiator des Festivals, dem Geiger und umtriebigen Netzwerker Renaud Capuçon. Vor zwölf Jahren bot sich ihm, der immer schon viel mehr wollte als „nur Geige spielen“, die Gelegenheit, finanziert von einem Großsponsor und komplett frei in der Programmgestaltung, ein Klassikfestival auf die Beine zu stellen. Für Capuçon, den kaum etwas mehr reizt, als ungewöhnliche Konzertprogramme zu kreieren und begnadete Künstler zusammenzubringen, war das ein Geschenk. Bis heute ist der Musiker der kreative Kopf und künstlerische Leiter des Festivals, an seiner Seite steht Dominique Bluzet als geschäftsführender Leiter.
Auch in diesem Jahr haben sich Künstler von Weltrang in Aix die Hand gereicht, dazwischen herausragende Talente der jungen Generation. Solisten ebenso wie Ensembles waren zu erleben, Vokalwerke ebenso wie Orchesterstücke, kammermusikalische Kleinode und solistische Darbietungen. Der farbenreiche Mix ist Programm in Aix, Motti gibt es mit Ansage keine, stattdessen kreiert Capuçon mit einer Mischung aus „Intuition, Instinkt und Logistik“ das Festivalprogramm und fügt gleich einem Puzzle Konzert um Konzert zu einem großen Ganzen zusammen. In den vergangenen Jahren hat er sich so das Vertrauen des Publikums erarbeitet, das mittlerweile auch dann in Konzerte komme, wenn es nicht wisse, was es erwartet. „Ich will die Menschen glücklich zu machen“, sagt Capuçon, und zwar nicht nur „dadurch, dass sie Dinge hören, die sie schon kennen und lieben, sondern auch dadurch, dass sie Dinge entdecken“. So ergänzt er gerne bekanntes Repertoire mit selten gespielteren Werken, bringt junge Künstler mit gefeierten Koryphäen zusammen und versucht mit erschwinglichen Ticketpreisen möglichst niedrigschwellig Kultur zu den Menschen zu bringen. Gleichwohl finden sich freilich auch attraktive Schlüsselwerke und Ausnahmekünstler in dem Festivalprogramm, dieses Jahr etwa ein Auftritt der Bamberger Symphoniker und der Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller unter Leitung von Christoph Eschenbach mit Strauss‘ „Vier letzten Liedern“, die Aufführung der „Johannespassion“ von Bach mit La Cetra, ein Abend mit Gil Shaham und Gerhard Oppitz mit Werken von Brahms und Schostakowitsch, ein Schubertabend mit Elisabeth Leonskaja bis hin zum Großwerk der „Missa solemnis“ von Beethoven, die am letzten Festivalwochenende vom Orchester Cercle de l’Harmonie, der Audi Jugendchor Akademie und renommierten Solisten unter Leitung von Jérémie Rhorer interpretiert wurde.
„Ich suche für das Festival nicht nur exzellente Musiker, sondern ganz bewusst Menschen, die Musik teilen und kommunizieren wollen“, sagt Capuçon. „Musique en partage“ – übersetzt „Gemeinsame Musik“ oder „Musik zum Teilen“ lautet auch der Titel eines außergewöhnlichen Sozialprojekts, das sich insbesondere an Zuschauer richtet, die weit entfernt von der Öffentlichkeit leben und oft noch kaum in Kontakt mit Kultur gekommen sind. Für Capuçon ist dieses Projekt Teil einer „kulturellen Demokratisierung“, durch die neue und insbesondere auch jüngere Hörer für die Musik gewonnen werden sollen. Konkret bedeutet das, dass die kostenpflichtigen Konzerte nur einen Teil des Festivalprogramms darstellen, das restliche Angebot ist kostenfrei und weit über die Stadtgrenzen hinausgehend. So sind die Musiker in diesem Jahr bewusst auch in die Dörfer südlich von Aix gefahren, haben Konzerte in Krankenhäusern gegeben und sich in Gesprächsrunden den Fragen der Zuhörer gestellt. Ein besonderer Fokus lag zudem auf der jungen Generation. Schon für Kinder ab bereits 6 Monaten wurden Veranstaltungen angeboten, darunter eine „Symphonie für kleine Ohren“, aufgeführt von Thierry Weber und dem Ensemble ParteMus, zudem Workshops für musikalische Früherziehung und spezielle Kinderkonzerte für Kinder ab 8 Jahren. Mehr als 3.000 Kinder wurden auf diese Art erreicht. Da ist sie wieder, einer dieser aussagekräftigen Zahlen des Festivals, die ergänzt, was in Köpfen und Herzen passiert.