Pinot Noir

Made in Germany

von Paula Bosch

2. März 2023

Die Renaissance des deutschen Rotweins ist in vollem Gang, und kaum jemand merkt es. Höchste Zeit, das zu ändern ...

Glück­li­cher­weise hat die neue Gene­ra­tion der deut­schen Winzer die Zeichen der Zeit in Sachen Rotwein vor mehr als einem Jahr­zehnt erkannt – damals, als es zunächst noch um den deut­schen Weiß­wein ging, genau gesagt: um den Ries­ling.

Dieser Nach­wuchs ist dank der sozialen Netz­werke im inter­na­tio­nalen Geschehen völlig anders posi­tio­niert, die jungen Winzer netz­werken rund um den Globus und denken mit neuen Stra­te­gien völlig global auf dem Welt­markt. Im Dunst des großen Quali­täts­po­ten­tials des Ries­lings, der zu unvor­stellbar güns­tigen Preisen Aufmerk­sam­keit erregte, sich Aner­ken­nung auf den welt­weiten Märkten geschaffen hat, es immer noch tut, und dabei geduldig auf einen Partner wartet, hat die Nach­wuchs­ge­ne­ra­tion der Winzer scheinbar klar erkannt: Des Ries­lings Partner wird ein Rotwein sein, vermut­lich ein Spät­bur­gunder, der inter­na­tional unter dem Synonym Pinot Noir bekannt ist. Wer hätte je gedacht, dass einem deut­schen Rotwein – und ausge­rechnet dem Spät­bur­gunder –, dem oft hell­roten, blass­far­bigen, leichten roten Wein, jemals so viel inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit geschenkt werden würde.

Julia Baltes, Eigen­tü­merin des Wein­guts Bertram-Baltes in Dernau

Pinot Noir, warum bei uns, weshalb „Made in Germany“? Die Wild­rebe Pinot Noir war eine der frühesten im west­li­chen Europa, der Legende nach wurde sie 884 an den Bodensee gebracht. Andere Quellen benennen ihren Ursprung ab dem 4. Jahr­hun­dert in Burgund und eine spätere Verbrei­tung im 13. Jahr­hun­dert durch Mönche im Rheingau. Ihre Herkunft ist bis dato aller­dings nicht eindeutig geklärt, doch scheint die Bour­gogne so gut wie sicher. Tausend­fa­chen gene­ti­schen Unter­su­chungen zufolge handelt es sich bei Spät­bur­gunder um eine natür­liche Kreu­zung aus Traminer.

Der Legende nach wurde die Wein­rebe Pinot Noir 884 an den Bodensee gebracht.

Völlig unbe­merkt, wie aus dem Nichts, ist der stets unter­schätzte Wein nicht nur zum welt­be­rühmten Klas­siker aufge­stiegen, seine Beliebt- und Berühmt­heit aus der histo­risch großen Wein­re­gion Burgund führte ihn an die Spitze der Preis­skala in Londons Aukti­ons­häu­sern, inzwi­schen sind die Preise in der ganzen Bour­gogne explo­diert. Still und leise schli­chen sich vor zwei, drei Jahren Weine wie Romanée-Conti von DRC oder Musigny von D’Auvenay vorbei an der Merlot-Ikone Petrus aus Bordeaux. Diesen Erfolg feierte die Rebsorte aus den groß­ar­tigen Lagen aller­dings schon seit vielen Jahr­zehnten, aber eben nur bei ihren Lieb­ha­bern, Verehren und Kennern. Auch dank dieser Tatsache schwappte ihre Beliebt­heit nach Deutsch­land über, wo ihre Anbau­fläche seit Jahren beacht­lich zunimmt.

Von der deut­schen Rebfläche, also von 102.000 Hektar, hat der Spät­bur­gunder, sprich: der Pinot Noir unter den roten Rebsorten inzwi­schen weit über zehn Prozent, also mit Abstand den größten Anteil – Tendenz weiterhin stei­gend. Das wich­tigste Anbau­ge­biet ist vor allem Baden. Die Ahr, die vor der großen Flut 2020 zu 80 Prozent mit ihr bepflanzt war, mausert sich wieder langsam, die Pfalz, Rhein­hessen und Würt­tem­berg folgen. Im ganzen Land ist die bestens ausge­bil­dete Nach­wuchs­ge­ne­ra­tion mit ihrer Pinot-Euphorie kaum zu bremsen.

Ein Blick auf das Wein­an­bau­ge­biet Kied­rich im Rheingau

Bei der Wahl des Stand­orts stellt der Spät­bur­gunder genauso hohe Ansprüche wie die Königin Ries­ling. Er bevor­zugt die nicht zu kalten, aber auch keine sehr warmen Lagen. Er mag weder Wind noch zu viel Nässe, denn seine dünne Schale neigt schnell zur Fäulnis. Durch seinen frühen Austrieb ist er empfind­lich für Spätfröste und Verrie­se­lung. Wer seine inneren Werte als Traube während des Reife­sta­diums nicht ganz genau beob­achtet oder nicht erkennen kann, darf später in der Flasche keine Höchst­leis­tungen erwarten. Neugier, Unge­duld und mangelnde Bereit­schaft, auf ihn zu warten, bis er sein Reife­sta­dium auch in der Flasche erreicht hat, bedeutet Höchst­strafe. Auf einen einfa­chen Nenner gebracht heißt das: Große Quali­täten lassen auf sich warten. Erst ein paar tausend Kilo­meter weiter, genau gesagt Jahr­zehnte später winkt Pinot dann freu­de­strah­lend aus der Flasche und bezirzt auch noch die ärgsten Feinde, wickelt sie locker um den kleinen Finger, und dann ist es geschehen, für immer. Wehe denen die dann nicht vorge­sorgt haben!

In der immer größer werdenden Runde seiner Verehrer wird Pinot Noir in erster Linie geschätzt, weil er – wenn entspre­chend im Wein­berg wie im Keller verar­beitet – alle Reize und Attri­bute eines perfekten Rotweins verkör­pern kann. Optimal gela­gerte Flaschen werden zum Trink­ver­gnügen nach zehn, besser zwanzig Jahren und mehr, danach aber präsen­tieren sie sich als sinn­liche Verfüh­rung, auf die es sich unbe­dingt und in jedem Fall zu warten lohnt.

Das bischöf­liche Weingut ist mit über 900 Jahren Geschichte eines der ältesten Wein­güter des Rhein­gaus

Den Typ bzw. Charakter würde ich folgend beschreiben: In der Farbe von hellem, funkelndem Rubinrot, teils blass bis zu reifem Granat und Ziegelrot. Das Aromen­spek­trum ist bunt geprägt von dunkel­far­bigen Blüten, rotbeer­igen Früchten wie Erdbeeren, Himbeeren, Johan­nis­beeren, Sauer­kir­schen. Mit der Reife kommt Wald­boden, Moos, Laub und Unter­holz dazu. Je nach Reife und Machart fruchtig, würzig, mit mehr oder weniger Holz­noten. Im Geschmack tendiert er zu feiner Säure, fein­kör­nigem Tannin, kernig straff bis seidig, weich mit velour­ar­tiger samtiger Textur. Von einer in der Regel mittel­kräf­tigen Statur reicht sein Span­nungs­bogen bis zum athle­ti­schen, körper­rei­chen Body – tief­gründig, voll­mundig und trotzdem unver­gleich­lich fein und sinn­lich, das rich­tige Trink­ti­ming voraus­ge­setzt.

Die besten und größten Weine dieser Sorte sind von einer uner­reichten Fülle, bezau­bernden Eleganz und Deli­ka­tesse, verbunden mit einer geschmack­li­chen Tiefe und Viel­schich­tig­keit. Die belang­losen Frucht­kon­zen­trate – Sweeties –, die es auch unter ihnen gibt, vergessen Sie gleich wieder.

Meine Top of the Tops

„Hall­burg“ Spät­bur­gunder, Franken
www​.weingut​-richard​-oestrei​cher​.de

„Wilfried Privat“ Spät­bur­gunder, Pfalz
www​.weingut​-voelcker​.de

Esch­ba­cher Hasen Pinot Noir, Pfalz
www​.he​-weine​.de

Dottinger Castell­berg Pinot Noir >GG>, Baden
www​.weingut​-wassmer​.de

Hand­werk Spät­bur­gunder, Ahr
www​.bertram​-baltes​.de

Unter­türk­heimer Gips Mari­en­glas, Würt­tem­berg
www​.weingut​-aldinger​.de

Assmanns­hausen Pinot Noir S, Rheingau
www​.bischoef​li​ches​-weingut​.de

Graa­cher Himmel­reich*** Pinot Noir, Mosel
www​.markus​mo​litor​.com

Spät­bur­gunder Land­wein, Baden
wein@​wasenhaus.​de

Fotos: Andreas Durst, Paula Bosch, Pixabay