Joep Beving
Eine Stadt für alle: Amsterdam
28. März 2023
Faszination der Gegensätze: Ein Spaziergang mit Joep Beving, Komponist, Pianist und selbst ein Mensch voll spannender Kontraste
Das „Venedig des Nordens“ ist hip und traditionell, futuristisch und charmant, schick und verspielt zugleich. Schon lange zählt Amsterdam zu den beliebtesten Reisezielen in Europa und fasziniert bei jedem Besuch mit neuen Facetten und Eindrücken. „Diese Stadt vibriert“, sagt Joep Beving an einem kühlen Frühlingstag und fährt sich mit seinen langen Fingern durch das graublonde Haar. Der Musiker liebt den vielstimmigen Klang und den kreativen Geist der niederländischen Hauptstadt und nennt sie längst sein Zuhause. Geboren in Doetinchem, lebt er mittlerweile seit 24 Jahren in Amsterdam – es ist zu seiner Heimat geworden, seinem Ruhepol und seiner Kraftquelle.
Die Klischees der niederländischen Kulturstadt sind weithin bekannt. Tulpenmärkte, Käsegeschäfte, Cannabis am Straßenrand und prachtvolle Grachten. Nichts davon ist falsch, doch mit dem Amsterdam von Joep Beving hat das alles wenig zu tun. Er liebt jene Winkel und Straßenzüge, die abseits der touristischen Pfade liegen und mit spannender Architektur und begrünten Fassaden faszinieren, mit dem familiären Charme der Fahrradstadt und dem Nebeneinander der Kulturen. Es sind Orte wie das Joordan-Viertel, der weitläufige Vondelpark oder auch der legendäre Club Paradiso, in dem Beving unzählige Konzerte erlebt hat und öfter auch selbst auftritt.
»Ich möchte mit meiner Musik beitragen zur Harmonie auf dieser Welt«
Doch auch die großen Kunstoasen Amsterdams haben es dem Musiker angetan und inspirieren ihn immer wieder aufs Neue. „Ich liebe das Reichsmuseum“, sagt Beving. Schon etliche Male sei er dort durch die Gänge gelaufen und eingetaucht in die Welt eines Vermeer oder eines Rembrandt. „Was dort zu sehen ist, ist einfach fantastisch, und ich entdecke immer wieder neue Facetten und Bilder“, so Beving. Dieses Neben- und Miteinander der Künste ist es, was er selbst besonders an seiner Wahlheimat schätzt: dort die Popkultur, der Underground-Charme und die alternative Szene, hier das Who-is-Who der Kunstwelt, die renommierten Bühnen und die Kultmuseen.
Ein Café am Straßeneck, Joep Beving bestellt Minztee und ein Croissant. Der Komponist und Pianist, dessen außergewöhnliche Karriere einst bei Spotify ihren Anfang nahm, ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Mit über zwei Metern Größe, wallendem Haar und langem Bart erscheint Beving als imposanter Hüne mit weicher Stimme und freundlichem Blick. Früher arbeitete er in der Werbebranche, heute trifft er mit seiner Musik direkt in die Herzen seiner Hörer. Was den besonderen Zauber seiner Schöpfungen letztlich ausmacht, bleibt ein Geheimnis. Da sind die eingängigen, feinen Melodielinien. Das sind die melancholisch umgarnenden Harmonien, die wiederkehrenden Klangmuster, und da ist diese eigenwillig sinnlich-raue Mischung aus Poesie und Handarbeit, die suggestiv in den Bann zieht. Die beste Erklärung für das Wunder seiner Kunst gibt vielleicht Beving selbst: „Die Menschen fühlen sich umarmt von meiner Musik“, sagt der Künstler schlicht. Komponiert als „einfache Musik für komplexe Gefühle“ ist sie frei von Sarkasmus, soll gut tun und verbinden. Der Anspruch: „Ich möchte mit meiner Musik beitragen zur Harmonie auf dieser Welt“.
Der Minztee ist getrunken, wir spazieren weiter durch Wohnsiedlungen, überqueren Brücken, vorbei an Großbaustellen, alternativen Cafés und Trödelmärkten. Joep Beving wohnt mit seiner Familie in einem ruhigen Wohnviertel. Fast alle Wege legt er mit dem Fahrrad zurück, und sein Studio liegt fußläufig zu seiner Wohnung. Dort steht auch das alte Schimmel-Klavier seiner Großmutter. Bis heute ist es das Instrument seiner Wahl, und wenn es sein muss, nimmt er es auch zu einem Auftritt mit nach Hamburg.
Ein blaugetünchtes Hausboot fährt vorbei, Möwen flattern aufgescheucht hoch in die Luft. Wenn es etwas gibt, das Amsterdam prägt, dann ist es das Wasser, und auch Beving liebt seine immerwährende Bewegung, die unzähligen Brücken oder den Blick auf die Stadtkulisse vom Boot aus. Der Vergleich Amsterdams mit Venedig kommt dabei nicht von ungefähr: Die Stadt durchzieht ein weit verzweigtes Grachtensystem mit 165 Kanälen und einer Gesamtlänge von 50 Kilometern. In diesen Wasserstraßen spiegeln sich die schmalen Häuser mit den Giebelfassaden. Schlendert man in den Abendstunden durch die Altstadt, verwandeln sich die Treppen zu den Hauseingängen in soziale Treffpunkte. Scharen von Menschen genießen dann die letzten Sonnenstrahlen des Tages mit einem Glas Wein in der Hand und Blick auf die Grachten.
»Ich fühlte mich damals komplett kontaktlos, wie ein Alien. Die Musik hat mir Hoffnung gegeben«
Wir laufen weiter, bis uns plötzlich über den Kanal Giraffen zunicken – wir sind am Zoo Artis angelangt, einer weiteren Attraktion der Stadt. Schließlich geht es voran durch die Amsterdamer Straßenzüge, vorbei an Bevings altem Arbeitsplatz in einer Marketing-Agentur. Gegenüber liegt jene Fabrikhalle, in der einst das Wunder seinen Anfang nahm, und er denkt zurück: Eines Abends gab der heute 46-Jährige dort ein privates Konzert für seine Freunde und Kollegen. Als die Töne am Klavier verklungen waren, blickte er ihn beseelte Gesichter und sah Tränen in den Augen seiner Hörer. „Damals habe ich zum ersten Mal gemerkt, welche Wirkung meine Musik auf andere Menschen hat“, erzählt er. Es war ein Schlüsselmoment. Bis zu jenem Abend hatte Beving nahezu ausschließlich für sich selbst gespielt. Dabei hatte das Klavier ihm Trost gespendet, hatte ihm auch in den dunkelsten Momenten seines Lebens und während eines Burnouts wieder Inhalt und Kraft gegeben. „Ich fühlte mich damals komplett kontaktlos, wie ein Alien“, erinnert sich Beving, erst durch die Musik hätte der innere Stress nachgelassen: „Die Musik hat mir Hoffnung gegeben“. Und als er schließlich entdeckte, dass sie auch in der Lage war, andere Menschen zu berühren, fühlte es sich für ihn an, als sei ein Bann gebrochen. „Ich konnte auf einmal eine neue Verbindung herstellen zu den anderen Menschen und habe gemerkt, dass ich eine Gabe habe, mit der ich beitragen kann zur Harmonie auf dieser Welt“.
Infolge dieser Erfahrung nahm Beving sein Debutalbum Solipsism auf, eine melodientrunkene Innenschau, simpel, zentriert und von puristischer Schönheit. Auf Solipsism folgte Prehension, diesmal ein Album mit Band, auf dem Beving das zwischenmenschliche Zusammenspiel der Menschen in der Gesellschaft reflektierte, wie er erzählt, bevor er auf seinem dritten Album Henosis schließlich metaphorisch ins All reiste. Nach dieser Trilogie ist der Musiker erst einmal in ein Loch gefallen, erzählt er. „Ich wusste nicht, was jetzt noch kommen soll“, sagt Beving – scheinbar alles war gesagt.
Die Lösung fand der sensible Sinnsucher in der Auseinandersetzung mit nichts weniger als der „Essenz des Seins“. So ist Beving für sein jüngstes Album Hermetism tief eingetaucht in die Grundprinzipien des Lebens, die universellen Gesetzen gleich wirken. Inspiriert vom Buch Kaballion hat er sich mit verschiedenen Energien beschäftigt, mit der Kraft der Emotionen und deren Einflüssen auf das menschliche Bewusstsein. „Ich habe sehr viel gelesen und mich gefragt, in welcher Realität wir eigentlich leben und wie sich diese bildet“, erinnert er sich. Dabei hat Beving verstanden: „Letztlich geht es immer um Balance und Harmonie“. Diese zelebriert er nicht zuletzt in seiner Musik. Der offensichtlichste Beweis: „Ich bin ein extrem großer Mann und spiele am Klavier extrem schlichte, weiche Stücke“, sagt Beving und lacht.
»Amsterdam ist eine sehr offene, sehr tolerante Stadt, und es ist ein großes Privileg, hier zu wohnen«
Auch in seiner Wahlheimat Amsterdam findet Beving die Harmonie der Gegensätze wieder. Als er sich 1998 dort niederließ, erlebte er eine pulsierende, wilde Metropole. „Das war total aufregend. Damals sind viele spannende Dinge hier passiert, und Amsterdam war eine extrem bunte Stadt mit starken Kontrasten.“ Heute, gut zwei Jahrzehnte später, erlebt er die Stadt „weniger progressiv und weniger punk“, nach wie vor aber ausgesprochen international und verbunden mit dem Rest der Welt. „Amsterdam ist eine sehr offene, sehr tolerante Stadt, und es ist ein großes Privileg, hier zu wohnen“, sagt der Komponist. Gemütlich, kleinteilig und charmant, sei die Hafenstadt, gleichzeitig „groß genug, um jeden Tag etwas Neues zu entdecken und neue Menschen kennenzulernen. Alles ist möglich hier“, sagt Beving und lächelt. Auch ein Wunder wie das seiner Musik.
KULINARIK
Amsterdam ist multikulturell, was sich auch an der breiten Palette an Restaurants, Pubs und Cafés zeigt. Deftige Burger gibt’s bei The Butcher, asiatische Küche im Amsterdamer Chinatown, feinsten Gourmet-Genuss im Wolf Atelier oder Kaffee und Kuchen im Café Winkel 43 im Stadtteil Jordaan. Tipp für Kaffeeliebhaber: das loftartige Café Bocca, in dem Getränke aus besten Bohnen der beliebten Amsterdamer Rösterei serviert werden.
KULTUR
Egal, ob einem nach Konzert oder Kunst ist, geschichtlicher Zeitreise oder wissenschaftlichem Höhenflug – Amsterdam bietet für jedes Interesse kulturelle Attraktionen, vom Van Gogh Museum angefangen über das Anne-Frank-Haus bis zum NEMO-Science-Center. Joep Bevings Favoriten sind dabei das legendäre Reichsmuseum ebenso wie die musikalischen Zentren der Stadt, das Concertgebouw und natürlich der Konzertsaal im Paradiso.
HOTELS
Es gibt viele Möglichkeiten, den besonderen Charme der Stadt am Wasser zu genießen. Ein ganz besonderes Erlebnis ist dabei die Übernachtung in einem der zahlreichen Hausboote, die in den Grachten liegen. Wer es besonders luxuriös und stilvoll mag, ist zum Beispiel im Eden Hotel direkt am Rembrandtplein richtig. Modern und zentral gelegen sind das Hotel MAI oder das Hotel OKURA.