Deutschland soll bis 205 klimaneutral sein. Doch wie ist das zu schaffen?
Klimaneutral – ja, aber wie?
15. April 2024
Deutschland soll bis 205 klimaneutral sein. Das ist das gemeinsame gesellschaftliche Ziel, um die Klimawende zu meistern. Darin sind sich Politik und Wirtschaft einig. Doch wie ist das zu schaffen? Wir trafen die Experten beim Handelsblatt Energiegipfel in Berlin.
Hunderte Teilnehmer strömen ins Berliner Kongresszentrum. Die Teilnehmerliste liest sich wie ein Who-is-Who der Branche: Die CEOs der alten Energiewelt sind da, aber auch die Gründer und Chefs der neuen Welt der Erneuerbaren. Zwei Tage lang wird diskutiert und präsentiert, welche Herausforderungen vor uns liegen und wie man sie bewältigen könnte.
Da die Stromerzeugung aus Kohle bzw. Braunkohle eine der klimaschädlichsten ist, sollen die Kohlekraftwerke bis 2030 durch klimafreundlichere Energiequellen ersetzt werden.
Damit das gelingen kann und die Ausbauziele erreicht werden können, fordern die Experten:
1) Mehr Solar- und Windkraft
Eine deutliche Beschleunigung beim Ausbau von Windkraft on- und offshore und von PV-Anlagen.
Beim PV-Ausbau war Bayern 2023 deutscher Meister – hinkt aber bei der Windkraft mit großem Abstand hinterher.
2) gesicherte Leistung
Da der Stromertrag aus Sonne und Wind stark von Wetter und Tageszeit abhängig ist, sollen für die Versorgungslücken innerhalb des Tages und die sogenannte „Dunkelflaute“ neue Gas(!)kraftwerke gebaut werden, die die „gesicherte Leistung“ liefern..
Das Strom aus Sonne und Wind schon heute deutlich günstiger ist, als aus fossilen Energiequellen lohnt sich der Bau von Gaskraftwerken nicht mehr. Die Kraftwerksbetreiber fordern daher finanzielle Anreize von der Bundesregierung und eine gesicherte Rentabilität für die notwendigen Investitionen.
Die hat inzwischen mit der gerade vorgestellten „Kraftwerksstrategie“ reagiert: Bis 10 GW als H2-ready Gaskraftwerke sollen kurzfristig ausgeschrieben werden und zwischen 2035 und 2040 vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden. Die Förderungen werden aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert.
Diese Kraftwerke sollen an „systemdienlichen“ Standorten stehen. Also da, wo besonders viel Strom gebraucht wird. Am Einfachsten ist das möglich, wenn ein bereits bestehender Kraftwerksstandort umgerüstet oder durch zusätzliche Blöcke erweitert werden kann, weil die Baugenehmigung deutlich einfacher zu erteilen sind, als bei einem neuen Standort auf der grünen Wiese.
Denn der Zeitdruck ist enorm, da diese Kraftwerke ja bereits in sechs Jahren am Netz sein sollen. Damit das überhaupt zu schaffen ist, müssen die Genehmigungen deutlich schneller erteilt werden, also bisher.
Vielleicht wäre es in der Gesamtbetrachtung vor diesem Hintergrund realistischer, klimafreundlicher und wirtschaftlicher einige Kohlekraftwerke noch weiter am Netz zu lassen?
Etwas paradox ist das schon, viele Milliarden aus dem Klimafonds nun ausgerechnet in den Neubau neuer klimaschädlicher Kraftwerke zu investieren …
Darum bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung auch andere Lösungen und Innovationen, die einen Beitrag zur Versorgungssicherheit und Netzstabilität leisten, gleichermaßen finanziell unterstützen wird, wie z. B.:
- Batterien und andere Speichertechnologien sein, die Verbrauchsspitzen oder Überkapazitäten abpuffern können
- intelligente Energiemanagementsysteme, die bei Lastspitzen im Netz den Verbrauch reduzieren.
- Technologien, die den Energieverbrauch insgesamt reduzieren, wie es die Beleuchtungsindustrie bereits vorgemacht hat: Eine LED-Lampe spart 85% Energie gegenüber einer konventionellen Glühbirne.
- „Energy Sharing“ und Quartierslösungen, bei denen der erzeugte Strom möglichst lokal verbraucht bzw. zwischengespeichert wird und dadurch das Netz entlastet. So kann z.B. ein einziges E‑Auto mit seiner 75kWh-Batterie einen Haushalt 10–14 Tage mit Strom versorgen.
3) Netzausbau, um Redispatch-Kosten zu reduzieren
Schon jetzt gibt es regelmässig Engpässe im Stromnetz. Insbesondere die derzeitige Leitungskapazität zwischen den stromexportierenden Bundesländern im Norden und Bayern/Baden-Württemberg reicht bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. In der Folge werden z.B. Windkraftwerke im Norden abgeschaltet und ein (meist konventionelles) Kraftwerk im Süden muss aktiviert werden, um den benötigten Strom zu erzeugen. Das nennt man „Redispatch“.
Der Strom wird dabei zweimal bezahlt: Einmal dem Erzeuger im Norden, der seinen Strom nicht einspeisen durfte und einmal dem Erzeuger im Süden, der mit seiner Kapazität eingesprungen ist. Das hat allein im Jahr 2022 Kosten von über 4,2 Mrd Euro verursacht, die über das Netzentgelt auf die Verbraucher umgelegt werden.
Mit der Nord-Süd-Stromtrasse „SuedOstLink“ soll ein teurer Flaschenhals beseitigt werden. Die Baukosten werden mit ca. 11 Mrd EUR veranschlagt. Also ein gutes Investment, das sich in wenigen Jahren amortisiert. Eigentlich sollte die Trasse schon 2022 fertiggestellt werden. Das haben Trassengegner allerdings lange erfolgreich verhindert. Inzwischen hat die bayerische Staatsregierung die Bedeutung erkannt und treibt das Projekt voran: Am 11. Dezember 2023 war Spatenstich in Landshut. 2027 soll die Leitung dann in Betrieb genommen werden.
Solche Verzögerungen können wir uns nicht mehr leisten. Die Netzbetreiber fordern daher, die Genehmigung deutlich zu beschleunigen. Einwände von betroffenen Bürgern und Kommunen sind nachvollziehbar, müssen aber hinter die Interessen der Gemeinschaft zurücktreten. Es muss, ähnlich dem „Leitungsrecht“ eine hoheitliche Möglichkeit zu geben, eine Stromleitung über fremdem Grund zu verlegen und für die Nutzung dem Grundstückseigentümer eine angemessene Entschädigung zu zahlen.
Greg Jackson, Gründer von Octopus Energy, das in nur sieben Jahren zum größten Stromversorger in England aufstieg, erläuterte, wie er die Anwohner im Umkreis seiner Windparks zu Verbündeten macht: Sie können Mitglied im „Wind-Club“ werden und erhalten dann bis zu 50% Rabatt auf den Strompreis. Inzwischen bewerben sich Bürger und Kommunen sogar selbst darum, Windpark-Standort zu werden! Offensichtlich haben die Menschen gar kein so großes Problem mit der Lärmbelästigung oder dem Landschaftsbild, wenn sie dafür entschädigt werden.
Vielleicht ist das auch eine Lösung für Deutschland, um auch bei der Nutzung von Windenergie voranzukommen?