Axelrods Weinlese
Der Wein des Nibelungen
von John Axelrod
12. Oktober 2012
John Axelrod stellt den Wein vor, der uns die Höhen und Tiefen von Richard Wagners Musik durchstehen lässt, wenn diese das Jahr 2013 dominiert.
Mit Beginn des Jahres 2013 wird es für die Opern- und Konzerthäuser einen Namen geben, der in allen Programmen herausstechen wird: Sein Name ist in der klassischen Musik sowohl Synonym für Ärgernis als auch für Extase. Nennen Sie den Namen „Richard Wagner“ und Sie werden unterschiedliche Reaktionen bekommen: Ihnen können Wellen der Bewunderung entgegenschlagen, aber auch Abneigung und Groll. Er ist Gott und Teufel gleichzeitig. Seine Musik, sein „Gesamtkunstwerk“, ist für manche der Höhepunkt der deutschen Oper, für andere ist es der Anfang vom Ende. Wahrscheinlich gibt es mehr Bücher über Wagner als über irgendwen sonst (außer vielleicht Jesus und Napoleon). Wagners musikalische Ansichten waren revolutionär – seine politischen reaktionär.
Und trotzdem: 2013 wird es Wagner ohne Ende geben. Es gibt kein Werk, das teurer aufzuführen ist als der Ring des Nibelungen. Finanzkrise? Was soll’s! Sollen doch die Götter der Walhalla dafür zahlen – wenn es die Griechen nicht können. Wenn Wagner das musikalische Jahr auf der ganzen Welt dominiert, braucht es einen Wein, der uns die Höhen und Tiefen dieser Musik durchstehen lässt.
Mancher meidet den Rotwein aus Angst vor Kopfschmerzen. Weißwein dagegen kann zwar für die insgesamt 19 Stunden Spielzeit des Rings erfrischend sein, hat aber kaum die nötige Tiefe, um die Seelenpein aus Wotans Arien zu ertragen. Meine Empfehlung wäre, sich für die Wein-Auswahl zum „Ring“ ein Weingut auszusuchen, dessen Weine den intensiven Geist des Wagnerschen Opus aufzunehmen vermag.
Den vollmundig-flammenden Rotwein müssen Sie bis zur Götterdämmerung aufheben.
Ein solches Weingut entdeckte ich auf einer Schulreise nach Frankreich, ins Örtchen Châteauneuf-du-Pape – übrigens meine erste Begegnung mit exzellentem Wein: Mein rebellischer Freund Peter und ich besichtigten die Domaine du Vieux Télégraphe, eines der angesehendsten Weingüter der Gegend. Wir fanden uns plötzlich in einem Raum voller hölzerner Fässer wieder. Wir konnten nicht widerstehen und probierten diesen besonderen Wein, der bis zu 15 Prozent Alkoholgehalt haben kann. Noch heute erinnert mich ein Schluck des Vieux Télégraphe an dieses wunderbare Erlebnis – genauso wie mich Wagners Musik an meine erste Probe in Bayreuth denken lässt.
Beginnen Sie mit dem weißen Vieux Télégraphe für den Lohengrin, er ist ebenso transparent wie die Oper. Als nächstes einen weichen Rotwein zum Siegfried, dann einen Rosé, der ebenso stürmisch wie die Walküre ist. Den vollmundig-flammenden, faszinierenden Rotwein – eine Kombination aus den Rebsorten Grenache Noir, Syrah und Mourvèdre – müssen Sie sich unbedingt bis zum Beginn der Götterdämmerung aufheben. Die mächtige Wirkung dieses Weins werden Sie nie vergessen. Genauso natürlich wie Ihren ersten Ring.