Strohgeige u.a.
Ingenious Instruments
von Dagmar Penzlin
7. Juni 2015
Je älter die Geige, desto süßer ihr Klang, heißt es zumindest. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe liegen historische Instrumente, die selbst Musikwissenschaftler noch erstaunen.
Sehr aufwändig zwar, aber möglich: Man nehme zwei Metalltrichter, einen großen und einen kleinen, verbinde sie mit einer Metallscheibe, diese wiederum mit einem Griffbrett, Saiten und anderem Violin-Zubehör – fertig ist die Trichtergeige. Der Clou: Ihre Töne klingen vier Mal lauter als um 1900 üblich. Nur so war es möglich, dass der Phonograph von Thomas Alva Edison Geigenklänge gut auf einer Wachswalze aufzeichnen konnte.
Mit diesem Ziel vor Ohren hatte Johann Matthias August Stroh jene etwas andere Violine entwickelt. Und die leicht nasal klingende Erfindung des Uhrmachers trifft den Nerv der Zeit. Die so genannte Stroh-Geige boomte: Bis in die 1920er-Jahre hinein gab es ganze Orchester, die speziell für Musikaufnahmen Trichtergeigen verwendeten. Später tauchten sie dann in der Jazz-Szene auf, und heute hört man sie noch in der rumänischen Volksmusik.
Die silbern blitzende Trichtergeige und ihre Verwandten, die Phonofiddle und das Cellophon, gehören zu den Prunkstücken der Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. „Patente Instrumente“ – der hintersinnige Titel der Schau bringt das Besondere auf den Punkt: Die rund 100 gezeigten Streich- und Blasinstrumente stammen aus den Werkstätten von Tüftlern, also von praktisch begabten, eben patenten Menschen. Nicht wenige haben zudem ihre Ideen patentieren lassen, und so liegt auf einem kleinen Pult ein Ordner mit Kopien einiger Patentschriften.
„Auf Englisch heißt unsere Ausstellung noch vieldeutiger ‚Ingenious Instruments«“, sagt Kurator Olaf Kirsch. Aus dem wendigen Mann im Tweed-Jackett sprudelt nur so das Wissen, wenn er durch den langgezogenen Ausstellungsraum führt – vorbei an dem Berg von alten Instrumentenkoffern, deren rote, lilafarbene und dunkelgrüne Innenfutter einem gleich am Eingang entgegenleuchten. Ihnen sind sie entstiegen, die kuriosen Exponate. In großen, silbern gerahmten Vitrinen zeigen sich die Raritäten vor hellgrünen Gaze-Bahnen. Echte Hingucker wie etwa die detailreich verzierten Geigen mit verschiedenen Korpus-Formen – von trapezförmig bis gewellt – oder gleich ohne Korpus zum stummen Üben. Einige Vitrinen weiter fasziniert den Betrachter eine riesige Bratsche von Herrmann Ritter, einem Violavirtuosen im 19. Jahrhundert; sein Instrument eignet sich nur für große Musiker mit Armkraft, aber kein Geringerer als Richard Wagner orderte für sein Bayreuther Orchester gleich einen Satz Ritter-Bratschen.
In Endlosschleife laufen Filme. Auf die weiße Wand projiziert, erlebt man, wie Profis den betagten Instrumenten Melodien entlocken. Manch schräger Ton verrät, wie selten die guten Stücke in den vergangenen Jahren gespielt wurden. Klang-Rost hat sich quasi breitgemacht. An anderer Stelle erklärt ein Naturwissenschaftler physikalische Finessen des Geigenbaus, und am Ende des Rundgangs erfährt man mehr über den schon verstorbenen Biotechnologie-Professor Wolfgang Hanneforth, dessen Sammlung die Grundlage für diese Schau liefert. Um sein Hobby zu finanzieren, hat er das Rauchen und das Autofahren aufgegeben.
Wenn Olaf Kirsch jetzt von den Ausstellungsstücken spricht, nennt er sie gern „archäologische Objekte“. Denn wie hier im 19. und 20. Jahrhundert Techniker und Wissenschaftler, Ingenieure und Mediziner ihr Können genutzt haben, um Instrumente zu entwickeln, das erzählt viel über ihre Entstehungszeit. „Es ist paradigmatisch, dass sich Leitthemen wie Industrialisierung, Technik und Wissenschaft auch im Instrumentenbau widerspiegeln“, sagt der Musikwissenschaftler und wendet sich hin zur Zoller-Geige.
Julius Zoller hat eine flaschenförmige Violine entwickelt. Die Schalllöcher verlegte er in die Seitenwand, also in die Zarge. Seine These: Der Geigenklang wird um so schöner, je schadloser die Instrumentendecke. Und ein gutes Jahrzehnt bis in die 1950er Jahre hinein hatte der Karlsruher Ingenieur Erfolg mit seinem patentierten Konzept und produzierte in einer eigenen Werkstatt monatlich bis zu 60 Instrumente. Denn auch das war ein Anliegen von Zoller und anderen Geigenbau-Tüftlern: der Nachfrage entsprechend, Instrumente industriell fertigen zu können.
Die Launen des Marktes sorgten rund 150 Jahre zuvor für eine Renaissance des mittelalterlichen Flageoletts: einer Art Blockflöte mit schnabelförmigem Anblasmundstück aus Elfenbein – perfekt geeignet für Dilettanten, denen die neue Traversflöte Schwierigkeiten bereitet. Netterweise helfen Elfenbeinzähnchen in der Nähe der Flötenlöcher den Fingern, ihren Weg zu finden. Aber auch der Laie wollte gefordert sein. Zum Beispiel indem er sich selbst begleitet: Zu diesem Zweck entstand das Doppelflageolett – es besteht aus zwei parallel montierten Flöten. Heute ist das Doppelflageolett Geschichte. Wie so viele der gezeigten Instrumente. Und es wird einem in der Hamburger Ausstellung wieder klar, dass einiges in der Klassik-Szene ein Zeitgeist-Phänomen ist.