NFT-Kunst
Der Beginn einer neuen Ära?
von Jutta Kautny
15. Februar 2023
Was ist NFT-Kunst überhaupt? Reines Investment oder Statussymbol für die einen, unbekanntes Terrain für die anderen. Wird sie unsere Sehgewohnheiten, unser Verhältnis zur Kunst verändern? Oder hat sie das bereits?
Einmal vor dem Meisterwerk von Leonardo da Vinci stehen, das Lächeln, den Pinselstrich, die Ausstrahlung des Gemäldes auf sich wirken lassen, das zieht viele in den Pariser Louvre. Da können Bored Apes (kursive Begriffe siehe Glossar) nicht mithalten. Keiner geht für sie auf Reisen – ist ja auch nicht nötig, denn sie sind digital und nur ein paar Klicks entfernt. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Aberwitzig? Nein, keineswegs.
Einige denken vielleicht zunächst an den Preis. Ja, unerschwinglich sind sie tatsächlich beide. Der Bekanntheitsgrad? Den haben sie ebenfalls beide – je nach Altersklasse mal mehr, mal weniger. Aber es gibt noch etwas, das bis vor Kurzem im digitalen Bereich gar nicht existierte: Beide sind Unikate, und ihre Besitzer können sie verkaufen, verleihen oder was auch immer damit tun. Zugegeben, bei der Mona Lisa vielleicht nicht ganz so einfach, da hat schließlich auch der französische Staat ein Auge drauf. Dennoch, was bei Gemälden schon immer eine Selbstverständlichkeit war, gibt es in der digitalen Welt erst seit dem Non-Fungible Token, kurz: NFT, was so viel bedeutet wie „nicht austauschbare Wertmarke“. Die Betonung liegt auf non-fungible (nicht austauschbar). Was man sich darunter vorzustellen hat? Das Gemälde von Leonardo da Vinci bleibt einzigartig, auch wenn es das Bild als Poster, Postkarte, auf Kaffeetassen gibt und es zigfach fotografiert wurde. Das Original hängt im Pariser Louvre. Es ist diese Einzigartigkeit, die seinen Wert ausmacht. Nicht anders bei den Bored Apes: Man kann sie zwar nicht als Postkarte kaufen, aber jeder kann sie sich aus dem Internet herunterladen – Eigentümer ist derjenige allerdings nicht. NFTs machen den Unterschied.
„Wir befinden uns in einer digitalen Revolution, die die Gesellschaft verändern wird wie damals in den 1990er-Jahren das Internet“, ist NFT-Evangelistin und Founding-Partner der NFT-Plattform Xcircle.io, Dr. Annette Doms, überzeugt. NFTs haben einen wichtigen Anteil daran. Lässt man die technischen Errungenschaften und doch eher verwirrenden Begriffe wie Blockchain, Smart Contract, Minten, Gas Fee etc. erst einmal außen vor, verbrieft ein NFT das Besitzverhältnis in der digitalen Welt. Und wo Besitz ist, ist auch Handel – die Nachfrage bestimmt den Preis. Das kennt man aus der analogen Welt. Kleiner Unterschied: Bei NFTs läuft natürlich alles digital.
Wer jetzt ans Onlineshopping denkt, liegt nicht ganz falsch. Allerdings kommen nicht die üblichen Zahlungsmittel zum Einsatz, sondern ein digitales Wallet, in dem sich im besten Fall ein hübsches Sümmchen der Kryptowährung Ether (ETH) befindet. Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht? Der Grund für eine bestimmte Kryptowährung ist die jeweilige Blockchain-Technologie (so ganz ohne technische Errungenschaften geht’s halt doch nicht), auf der das NFT abgesichert wird – in den meisten Fällen eine Ethereum-Blockchain. Auch der größte Online-Handelsplatz mit Millionen von NFTs im Angebot, OpenSea, basiert auf dieser Technologie. Und bei internationalen Auktionshäusern wie Christie’s können NFTs eben-
falls nur mit Ether ersteigert werden.
Apropos Christie’s: Mit einer einzigen Auktion im Februar letzten Jahres katapultierte das Auktionshaus NFTs in das Bewusstsein der Massen. Rund 22 Millionen waren online dabei, als das bis dahin teuerste NFT „Everydays: The first 5000 Days“ von Beeple für 42.329,453 Ether (ca. 69,3 Millionen US-Dollar) den Besitzer wechselte. Das sorgte in der Kunstszene für Furore. Ob man Kritikern zustimmt und Beeples Werk nicht als Kunst, sondern als reine JPG-Datei bezeichnet, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Was darauf folgte, war ein NFT-Hype, der sich zwar schon wieder beruhigt hat, aber den Anfang einer neuen Ära markierte. „Der Kunstmarkt wird sich verändern und damit auch die Künstler, ihre Kunst und die Sehweise“, so die Expertin Annette Doms.
Daniel Man ist so ein Künstler. Einst der Street-Art verschrieben, kreiert er heute NFTs mit sich bewegenden Elementen und hat viel Spaß am Umdenken (zu sehen auf Xcircle.io). Bekanntere Namen wie Jeff Koons, Takashi Murakami und Marina Abramovic haben inzwischen ebenfalls NFTs aufgelegt. Und auch Damien Hirst hat den digitalen Markt für sich erkannt. Das berühmte britische Enfant terrible der Kunstwelt, das nicht nur mit spektakulären Arbeiten wie dem Tigerhai in Formaldehyd, sondern auch durch das Finden neuer Vertriebskanäle auf sich aufmerksam machte, brachte vor einem Jahr die NFT-Reihe „The currency“ auf den Markt. Käufer der NFTs hatten die Wahl: das digitale Kunstwerk in eine Papierarbeit umtauschen oder behalten? Nach einem Jahr lief die Umtauschfrist aus. Rund die Hälfte entschied sich für die haptische Variante. Obwohl mit dem Besitz des NFTs Benefits verbunden waren wie Besuche in Hirsts-Studio inklusive dem Kennenlernen des Künstlers. Ob es an der Wertsteigerung der Papierarbeiten lag? Oder hatten die Käufer nicht das richtige Alter und entschieden sich deswegen für das Altbewährte? Laut Statistiken sind es wohlhabende Millennials, die NFTs sammeln und Experimentierfreude mitbringen.
Die Lust am Experimentieren haben auch Anbieter entdeckt. Ein Schweizer Bankhaus zum Beispiel hat ein physisches Werk von Picasso als NFT herausgegeben und fraktioniert, also in Tausendstelanteile aufgeteilt. Wer schon immer einen Picasso sein Eigen nennen wollte, hat damit die Möglichkeit, zumindest ein klitzekleines Stückchen davon zu besitzen.
Grundsätzlich lässt sich durch NFTs alles im digitalen Bereich fälschungssicher abbilden und registrieren. Modemarken und Luxuskonzerne haben die NFT-Technologie ebenfalls entdeckt und bieten digitale Produkte an, die ihre Besitzer dann im virtuellen Raum zur Schau stellen können. Zukunftsmusik? Weit gefehlt, denn laut Dr. Annette Doms wird vieles, was heute noch analog passiert, schon bald auch im virtuellen Raum stattfinden. Web 3 nennt sich das sogenannte neue Internet. Während wir bisher im Web 2 interaktiv sein können, lesen, schreiben und über Social Media kommunizieren, kommt bei Web 3 der Besitz hinzu. Die digitale Wallet dient dann als Identitätszertifikat. Kunstsammler können ihre Werke im virtuellen Raum ausstellen, Mode-Fans ihre Gucci-Taschen in virtuellen Vitrinen zeigen. Die digitale Revolution ist in vollem Gange, Parallelwelten sind derzeit die Regel.
Wem jetzt ganz schwindelig ist beim Gedanken an virtuelle Räume und Kunst, die sich digital präsentiert, der kann durchatmen: Die Mona Lisa erwartet ihn heute und garantiert morgen noch mit einem zauberhaften Lächeln auf Leinwand im Louvre.
NFT-Glossar – mitreden, ausprobieren, dabei sein:
Blockchain
… ist eine große Datenbank, die aus einzelnen „Blöcken“ besteht. Das Besondere: Es handelt sich um eine verteilte Datenbank. Jeder „Block“, der an dem Blockchain-System teilnimmt, speichert eine vollständige Kopie eines Datensatzes. Das sorgt für Manipulationssicherheit, denn wird eine Kopie manipuliert, sind noch viele korrekte Kopien auf den einzelnen „Blöcken“ vorhanden, sodass der manipulierte Datensatz einfach aussortiert werden kann.
Bored Apes
… schräge Affen-NFTs, die nach den CryptoPunks zu den erfolgreichsten NFT Drops zählen. Einige Bord Apes sind heute millionenschwer und Promis wie Madonna, Messi oder Snoop Dogg nutzen sie auch als Profilbild bei ihren Social Media Aktivitäten.
Drop
… bezeichnet die Veröffentlichung von einzigartigen Kunstwerken oder Objekten als NFT. Ein NFT Drop kann beispielsweise aus 10.000 Grafiken einer Kunstreihe bestehen oder ein seltenes Einzelkunstwerk sein. Die Drops werden in der Regel vorangekündigt und werden je nach Bekanntheitsgrad von ihren Fans ungeduldig erwartet. Accounts auf Twitter wie @NFTDrops posten täglich über neue NFT Drops.
Gas Fee
… muss beim Kauf eines NFTs an ein Blockchain-Netzwerk (z. B. Ethereum) entrichtet werden, um den Kauf zu verifizieren und zu dokumentieren.
Krypto-Wallet
… ist ein Must-have in der NFT-Welt. Über den digitalen „Geldbeutel“ können NFTs mit Kryptowährung gekauft und gelagert werden.
Metaverse
… ist eine Art Virtual-Reality-Internet, durch das wir uns alle als Avatare bewegen sollen. Facebook-Gründer Marc Zuckerberg glaubt fest daran und hat bereits sein Unternehmen in Meta umbenannt.
Minten
… bedeutet „prägen“ also das Erschaffen eines NFTs und die Übertragung auf eine Blockchain.
Smart Contract
… sichert ein NFT auf der Blockchain ab, ähnlich einem virtuellen Vertrag. Dadurch wird ein NFT seinem Eigentümer zugewiesen und später auch an andere Eigentümer übertragen. Ähnlich der Provenienz bei einem traditionellen Kunstwerk, aber fälschungssicher, präziser und sicher digital abgelegt.