Renaud Capuçon
Aix-en-Provence – Licht, Klang und Savoir-vivre
7. Januar 2023
Die französische Kulturstadt Aix-en-Provence bietet Genuss für Auge, Ohr und Gaumen im Überfluss. Ein besonderes Highlight: das Festival de Pâques, kreativ kreiert und emotionsreich zum Leben erweckt vom Geiger und Aix-Liebhaber Renaud Capuçon.
Wer wissen möchte, was die Kunst des Savoir-vivre ausmacht, sollte nach Aix-en-Provence fahren. Die ganze Stadt verströmt eine wohlige Grundentspanntheit, das betörende Licht beflügelt die Maler bereits seit Jahrhunderten, und in der Luft liegt der Duft von Lavendel, frischen Kräutern und geröstetem Baguette. Nicht selten hat man bei einem Streifzug durch Aix das Gefühl, mit satten, warm leuchtenden Farbtönen in ein lebendiges Gemälde einzutauchen. Inmitten der Provence nahe Marseille gelegen, ist Aix bis heute inspirierender Zielpunkt für Maler und Kulturliebhaber gleichermaßen.
Das hat auch mit Renaud Capuçon zu tun – Weltklasse-Geiger, Intendant, Professor und musikalischer Tausendsassa, der Aix-en-Provence als idealen Schauplatz für das von ihm erschaffene „Festival de Pâques“ erkoren hat. An einem Tag Mitte April sitzt Renaud Capuçon im Café des Grand Théâtre de Provence, nippt kurz an seinem Espresso und grinst dann erwartungsvoll. Er hat nicht viel Zeit, schließlich laufen die letzten Festivaltage, doch der Leiter des Treibens wirkt beseelt im Flow. Das liegt seiner Meinung nach auch am Charakter der Stadt. „Egal, welcher Musiker – alle kommen hier mit einem Lächeln an“, sagt Renaud Capuçon.
»Ich liebe diese Mischung aus Licht, Kunst und Natur«
In der Tat kann man sich dem Zauber von Aix kaum entziehen. Oliven, Pinien und Zypressen prägen die Landschaft in der Region, das Meer ist nahe und der Ort selbst zieht mit seinen gelb getünchten Häusern, den unzähligen Gässchen, barocken Plätzen, bunten Märkten und edlen Boutiquen unmittelbar in den Bann. Ein wiederkehrendes Motiv im Stadtbild sind die zahlreichen Brunnen – schließlich stammt „Aix“ vom lateinischen Wort „Aqua“ ab, und so ist Wasser omnipräsent in der Stadt, was bereits die Römer zu schätzen wussten. In Aix spürt man die Geschichte wahrlich an jeder Straßenecke, gleichzeitig kommt die Stadt ausgesprochen jugendlich daher. Die Universität in Marseille ist nicht weit, außerdem gibt es in Aix ein eigenes Konservatorium, das bei Capuçons Festival Schauplatz verschiedener Meisterkurse ist.
„In Aix-en-Provence ist alles im Fluss“, sagt Capuçon und lässt seinen Blick durch die Fenster streifen. „Es ist eine derart charmante und gleichzeitig hochkulturelle Stadt – ich liebe diese Mischung aus Licht, Kunst und Natur.“ Dass sich Capuçon ausgerechnet Aix-en-Provence für sein Festival ausgesucht hat, war Fügung wie Intuition gleichermaßen. Vor knapp zehn Jahren fand sich der umtriebige Gestalter in einer denkbar luxuriösen Ausgangslage wieder: Da war ein Sponsor, der bereit war, eine große Summe zu investieren bei gleichzeitig vollkommener Freiheit, was die künstlerische und örtliche Gestaltung des Festivals betrifft. Wie hoch die gesponserte Summe genau ist, bleibt bis heute geheim – das Gesamtbudget des Festivals beträgt immerhin 3 Millionen Euro. Auf der Suche nach einem passenden Ort ist Capuçon damals auf Aix-en-Provence gestoßen, das aus Sicht des Geigers perfekt geeignet schien für die Umsetzung seiner Pläne. „Diese Stadt hat die ideale Größe, ein kulturaffines Publikum und attraktive Spielorte“, und nicht ohne Grund würde Aix manchmal als „das Salzburg Frankreichs“ bezeichnet, denn hier wie dort ist Hochkultur in fußläufiger Entfernung zu erleben. „Die Stadt hat uns von Beginn an vertraut“, erzählt der künstlerische Festivalleiter Capuçon. Mit dem geschäftsführenden Leiter Dominique Bluzet, dem Direktor des Grand Théâtre de Provence in Aix, hat Capuçon einen starken Partner gefunden, der das ganze Jahr über in der Stadt lebt und die lokalen Gegebenheiten kennt.
Das Grand Théâtre de Provence, ein moderner Bau nahe der Altstadt, ist bis heute das Zentrum des Festivals und Spielstätte für die großen Konzerte. Nur wenige Minuten davon entfernt liegt der von Platanen gesäumte Cours Mirabeau, das pulsierende Zentrum und die beliebte Flaniermeile von Aix. Verschiedenste Cafés und Geschäfte reihen sich hier aneinander, häufig finden farbenfrohe Märkte statt. Am Ende des Straßenzugs präsentiert sich ein imposanter Brunnen, die Fontaine du Roi René, welcher als steinerne Statue sanftmütig auf die Betrachter herunterlächelt. Sonnenverwöhnt und mit mildem Klima gesegnet, ist Aix-en-Provence zweifelsohne zu jeder Jahreszeit eine Reise wert, doch bei gutem Timing lässt sich in dieser vibrierenden Stadt auch jede Menge Kultur mitnehmen. So wartet der Geburtsort Paul Cézannes nicht nur mit etlichen lohnenswerten Museen auf, darunter das Musée Granet, sondern ist zudem auch eine Oase für Klassikfans. Bereits seit 70 Jahren gibt es das „Festival International d’Art Lyrique d’Aix-en-Provence“, das jeden Sommer aufs Neue Opernfans aus aller Welt in die charmante Stadt lockt. Mit dem „Festival de Pâques d’Aix-en-Provence“ bereichert seit 2013 nun ein weiteres Highlight den städtischen Kulturkalender. Als kreativer Kopf des Festivals hat es sich Capuçon zur Aufgabe gemacht, Jahr um Jahr ein Konzertprogramm zu erschaffen, das Publikum und Künstler gleichermaßen inspiriert, und lockt mit Bewährtem und Unbekanntem, mit Intellekt und reichlich Emotion.
»Es ist fantastisch, wie Musik beruhigen, trösten, erden und zentrieren kann«
„Ich wollte immer schon viel mehr als nur Geige spielen“, sagt Capuçon, und gleichwohl er als Solist aus dem Vollen schöpft, wäre ihm die Konzerttätigkeit alleine zu wenig. Stattdessen ist Capuçon ein umtriebiger Musiker und Kommunikator, der das Spiel auf der Bühne ebenso sehr liebt wie die Komposition außergewöhnlicher Konzertprogramme. Der agile Künstler kam 1976 in Chambéry zur Welt und geriet schon früh in den Bann der Musik. „Ich war schon als kleines Kind fasziniert von der Wirkungskraft der Musik, wie sie beruhigen, trösten, erden und zentrieren kann, und das finde ich bis heute fantastisch.“ Schon bald wurde die Geige sein Instrument, mit 14 wurde er am Pariser Konservatorium aufgenommen. Sein Spiel perfektionierte er in den folgenden Jahren bei einigen prägenden Lehrern, darunter Gérard Poulet, Thomas Brandis und Isaac Stern. Die Suche nach der vollendeten Interpretation erlebt Capuçon als einen nie endenden „Lebensprozess“. „Es geht nicht darum perfekt zu sein“, so der Musiker. Vielmehr gehe es darum, sicher zu sein, um dann maximal frei zu sein im Ausleben der Musik.
Steht Capuçon auf der Bühne, ist das im schönsten Falle ein Moment absoluter Präsenz und Hingabe. „Komplett versunken zu sein in der Musik und gleichzeitig in Kommunikation mit dem Publikum – das ist für mich der Idealzustand. Dann bin ich ganz bei mir. Und wenn Sie mir nur fünf Minuten zuhören bei meinem Spiel, wissen Sie viel mehr über mich als wenn wir zwei Stunden reden“, so Capuçon. Emotion und Intellekt gehen für ihn dabei Hand in Hand. „Da gibt es keinerlei Regeln für mich, das ist komplett instinktiv“, sagt der Musiker. Allerdings: Die Emotion sei immer das Erste, was er spüre – dann erst folge die intellektuelle Auseinandersetzung mit einem Werk.
Emotion und Intuition prägen auch Capuçons Arbeit in Aix-en-Provence. „Festival des Emotiones“ prangt auf den großen Werbeplakaten, und es ist mehr als ein Motto. Renaud Capuçon brennt ganz offensichtlich für die Musik und liebt es, die Menschen für seine Leidenschaft zu begeistern. Ob dann mal nach einem ersten Satz geklatscht wird, ist ihm vollkommen egal – Hauptsache, die Menschen werden in den Bann gezogen von der Energie auf der Bühne. „Um ein gutes Festival zu organisieren, muss man fähig sein, zu bewundern. Ich selbst bewundere maßlos und genieße es so sehr, meinen Kollegen zuzuhören und das mit anderen Menschen zu teilen“, sagt Capuçon.
Von dieser Begeisterung für großartig dargebotene Musik getrieben, feilt Capuçon das ganze Jahr über an den Programmen der nächsten Festspiele. Dabei gleiche die Erstellung des Festivals einem riesigen Puzzle, das sich ständig neu bilde. Mal stößt er hier auf ein spannendes Werk, mal dort auf eine reizvolle Idee oder einen mitreißenden Kollegen – in Folge kombiniert und gestaltet Capuçon, fragt Künstler an, recherchiert Stücke und erschafft nach und nach das Programm der neuen Saison. Dabei gehe es ihm allem voran darum, sein Publikum zu überraschen. Für die Umsetzung lädt er „Menschen ein, die ich bewundere und denen ich vertraue – meine musikalischen Freunde“. Es ist dieser familiäre Geist, der das Festival zur Osterzeit prägt, verbunden mit größtem musikalischen Anspruch und Können auf kleinem Raum. „Wir alle treffen uns hier. Manche bleiben ein paar Tage, man kommt ins Gespräch, genießt die Auftritte der anderen“, so Capuçon.
»Unser Programm soll anregen, Appetit machen und mit neuen Aromen faszinieren«
Sobald das Festival im Gang ist, fühle er sich wie ein „concierge de luxe“, sagt Capuçon und lacht. Dann empfängt er all seine Musikerkollegen und Freunde in Aix, umsorgt seine Gäste und macht sich bereits wieder auf die Suche nach neuen Inspirationen. „Ich bin komplett frei bei der Programmgestaltung – das ist die Basis“, sagt Capuçon mit feinem Lächeln, und man ahnt, dass in seinem Kopf bereits jede Menge neue Ideen auf ihre Umsetzung warten.
Was die Programme der vergangenen Jahre eint: Sie sind alle bunt gemischt, quer durch alle Genres und bewusst ohne Motto. Kammermusik, Solokonzerte, Symphoniekonzerte und Vokalabende reihen sich aneinander, große Namen stehen neben Newcomern. „Bloß keine Themen!“ ruft Capuçon und wischt die Vorstellung mit der Hand zur Seite. Das sei oft reines Marketing und funktioniere nur in seltenen Fällen. Statt sich selbst unnötige Grenzen zu setzen, vergleicht er seine Arbeit mit der eines kreativen Kochs, der nach der besten Mischung strebt. „Unser Programm soll anregen, Appetit machen und mit neuen Aromen faszinieren“, so der genussaffine Musiker, und gleich einem Kochbuch, bei dem einem während des Blätterns schon das Wasser im Mund zusammenläuft, soll schließlich auch das Festivalprogramm verführen.
Renaud Capuçon ist ein energiegeladener und vor Ideen sprühender Typ, der selten still sitzt und seine Worte mit eindrücklicher Gestik unterstreicht. Kommunikativ, neugierig und beseelt von der Schönheit der Musik, scheint Capuçon ununterbrochen im Dienste der Kunst unterwegs. Als renommierter Kammermusiker und Solist ist der Mann mit dem freundlich fokussierten Blick heute überall auf der Welt zu Hause, konzertiert auf den großen Bühnen und feilt an seinen neuen Programmen. Aix-en-Provence aber ist der Ort, an dem Capuçon Jahr für Jahr am längsten am Stück weilt, entsprechend fühlt der umtriebige Musiker dort am meisten Heimat. Erlaubt es die eng bemessene Zeit, schlendert er zum malerischen Place d‘Albertas, einem Ort „wie im Film“, erkundet die Ausstellungen im Musée Granet oder besucht den Tee-Salon La Maison Weibel. Gerade erst hat er das Programm für die nächste Saison veröffentlicht. Dann feiert das Festival sein zehnjähriges Bestehen, und abermals bietet sich dem Publikum ein genussvoller Mix an musikalischen Aromen. Die Amazing Keystone Big Band feiert mit Laurence Ferrari das Jubiläum, Capuçon erscheint mit Igor Levit im Duo, das B‘Rock Orchestra unter Leitung von René Jacobs wird ebenso Gast sein wie die Tschechische Philharmonie, die sich unter Leitung von Semjon Bytschkow Gustav Mahlers 6. Sinfonie widmet. Weitere Akzente setzen ein Soloklavierabend mit Alexandre Kantorow und eine Konzert-Performance von Barbara Hannigan zusammen mit den Labèque-Schwestern. Farbenfroh, verspielt und gefühlvoll ist es der wohl perfekte Soundtrack zum Leben in Aix-en-Provence.
ESSEN UND TRINKEN
Aix-en-Provence bietet nicht nur Kunst und Kultur im Überfluss, sondern auch jede Menge Gaumenfreuden und kulinarische Entdeckungen. Wer sich sein Menu selbst zusammenstellen möchte, besucht einfach einen der bunten Märkte, auf denen Köstlichkeiten aus der Region angeboten werden. Alle anderen haben wahrlich die Qual der Wahl: Von lauschigen Cafés über internationale Bars bis hin zu Spitzenküche in diversen Restaurants ist für jeden etwas dabei – so zeigt sich Aix auch hier als Stadt der Sinne. Wer auf Renaud Capuçons Spuren wandeln möchte, genießt eine gemütliche Auszeit im Teesalon La Maison Weibel, isst im zentral gelegenen L’Estello oder im herrlichen Innenhof des Hôtel de Gallifet zu Mittag und genehmigt sich nach den Konzerten einen ausgefallenen Drink in der Teddy-Bar, dem Bar-Restaurant des Grand Théâtre de Provence.
„L‘Estello“, 1 Cr Mirabeau, 13100 Aix-en-Provence
https://www.hoteldegallifet.com/fr
Teddy bar, Av. Max Juvénal, 13100 Aix-en-Provence
http://www.maisonweibel.com/
ÜBERNACHTEN
Nicht nur essen, auch nächtigen kann man in Aix wie Gott in Frankreich. Dabei bieten sich dem Besucher verschiedenste Varianten, angefangen von zahlreichen Privatunterkünften über Pensionen bis hin zu Hotels aller Art. Geschichtsträchtig und edel weilt man zum Beispiel im Hôtel des Augustins, während im Boutiquehotel Cézanne Design und Kunst im Vordergrund stehen und die einzelnen Zimmer mit Designermöbeln ausgestattet sind. Urfranzösisch und originell gibt sich das Hôtel Le Cardinal, das mit altmodischem Charme im eleganten Mazarin-Viertel aus dem 17. Jahrhundert gelegen ist. Renaud Capuçon schätzt derweil das Renaissance-Hotel, in dem er seit 10 Jahren während des Festivals übernachtet.
https://www.marriott.de/hotels/travel/mrsbr-renaissance-aix-en-provence-hotel/
https://hotel-augustins.com/
https://www.hotel-cardinal-aix.com/de
https://boutiquehotelcezanne.com/en/
KULTUR
Aix-en-Provence verführt mit Kultur und Kunst an nahezu jeder Ecke und fast alle Sehenswürdigkeiten sind fußläufig voneinander entfernt. Ob man das Atelier von Paul Cézanne besuchen möchte, die moderne Sammlung Fondation Vasarely oder das Musée des Tapisseries, das sich ganz der Textilkunst verschrieben hat: Kunstliebhaber werden voll auf ihre Kosten kommen. Ebenso reich ist das musikalische Angebot, bei dem die großen Festivals zur Osterzeit und im Hochsommer die fraglosen Höhepunkte darstellen. Für Renaud Capuçon atmet ganz Aix den Geist der Kultur, und so liebt der Musiker, in seinen freien Stunden in der Buchhandlung Goulard zu stöbern, am legendären Place des Quatre Dauphins vorbeizuschlendern oder dem Musée Granet mit seinen großartigen Ausstellungen einen Besuch abzustatten.
https://www.aixenprovencetourism.com/de/
https://festivalpaques.com/
Das Festival de Pâques 2023 – 10 ans d'émotions findet vom 31.März bis zum 16. April statt.
Programm und Tickets unter https://festivalpaques.com/articles/festival-de-paques-2023