Rolf Bader
»Algorithmen sind nicht böse«
von Ilaria Heindrich
12. Juni 2023
Die Ausstellung „Can you hear it" im MK und G Hamburg befasst sich mit dem Verhältnis von Musik und Künstlicher Intelligenz. Ein Gespräch mit Musikwissenschaftler und Kurator Dr. Rolf Bader über Maschinen, Musik und menschliche Emotionen.
Künstliche Intelligenz (KI) ist ein zentrales Diskussionsthema unserer Zeit. Welche Chancen und welche Gefahren birgt sie? Und wie funktioniert sie überhaupt? Diese Fragen stellt die Ausstellung „Can You Hear It? Musik und Künstliche Intelligenz” im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) und präsentiert verschiedene Anwendungen von KI auf dem Gebiet der Musik. Das Spektrum der Themen ist vielfältig und reicht vom Einsatz der KI in Streamingdiensten über Emotionalität in der Filmmusik, neue Erkenntnisse der Musikethnologie und der Instrumentenakustik bis hin zu Hip-Hop als politisches und globalisiertes Phänomen.
Mit seinem Forschungsteam am Institut für Systematische Musikwissenschaft der Universität Hamburg führte Prof. Dr. Rolf Bader Studien in unterschiedlichen Kulturräumen und Kontexten durch, deren Ergebnisse in der Ausstellung im MK&G zu sehen sind.
CRESCENDO: Herr Professor Bader, Künstliche Intelligenz ist gegenwärtig ein gefragtes Thema. Haben Sie deshalb die Ausstellung „Can You Hear It“ ins Leben gerufen, um aufzuklären?
Rolf Bader: Aufklärung ist tatsächlich das Hauptziel der Ausstellung. Die ersten Ideen dafür hatten wir schon vor dem Lockdown. Dass KI jetzt so gehypt wird, konnten wir damals noch nicht wissen. Wir sahen aber schon, dass KI in immer mehr Bereichen eingesetzt wird. Da die Rechenleistung immer größer wird und die Datensätze vorliegen, mit denen man die KI „füttern“ kann, fanden wir dieses Thema wichtig. Schon lange ist klar, dass es die Gesellschaft umwälzen wird.
Ist die Ausstellung auch danach ausgerichtet?
In einem größeren Sinne geht es um die Vermittlung von Wissen, darum, dass die Besucher ein besseres Verständnis für KIs bekommen: Was ist KI überhaupt? Was kann sie? Und wie kann man mit ihr umgehen? Diese Ausstellung verfolgt auch das Ziel, durch Aufklärung die Angst vor den KIs zu nehmen. Deutschland ist ein Museum und in vielen Bereichen hoffnungslos veraltet. Das ist nicht gut für unsere Selbstbestimmung als Europäer und für den aufgeklärten Gedanken. Wir müssen updaten, sonst sind wir nicht mehr Herr unserer Lage.
„Es sind nie Algorithmen, die böse sind, wenn, dann sind es die Menschen.“
Mit dem Thema Angst sprechen Sie einen wichtigen Faktor an. Welches Klischee über KIs würden Sie gerne aus der Welt schaffen?
Oh, dass die KI die Weltherrschaft übernehmen wird (lacht). Jeder der mal KI programmiert hat, weiß, wie mühselig das überhaupt ist, so einen Algorithmus erstmal dazu bringen, was er tun soll. Es sind nie Algorithmen, die böse sind, wenn, dann sind es die Menschen. Man kann alles zum Guten und zum Schlechten einsetzen, und eine KI reproduziert letztendlich nur das, womit sie gefüttert wird. Mit einem Feuer kann man eben Essen kochen oder ein Haus anstecken.
Ist die Vorstellung von einer selbstdenkenden, kreativen KI also überzogen?
Es gibt letztendlich nie nur die eine KI. Ein KI-Rhythmus ist immer nur eine Art zu denken. Als Programmierer muss man erst einmal überlegen, worin die Denkstruktur bestehen soll, die man erzielen möchte, und erst wenn man die vernünftig zusammengebaut hat, kann etwas Gutes dabei herauskommen. Es stellt sich also die Frage, ob das Wort Kreativität hier passt. Aber natürlich habe ich schon darüber gestaunt, was KIs produzieren – Dinge, die mir nicht eingefallen wären.
Wie viel vom Programmierer steckt also in der KI?
Das wirft die schwierige Frage nach dem Urheberrecht auf. Es gibt bereits Programmierer und Kollegen, die meinen, sie programmierten einen Sound, also seien sie Künstler. Sie kaufen zum Beispiel ein Keyboard, in dem tausende von Sounds bereits vorab gespeichert sind. Die wurden von einem Programmierer designt. Der Keyboarder drückt aber die Taste. Wer ist also der Kreative? Der Programmierer, der den Sound kreiert hat, oder der Musiker, der die Taste gedrückt hat? Damit wird die Copyright-Frage, die ohnehin schon problematisch ist, in der Zukunft noch viel komplizierter.
„Die Erkenntnis, wie simpel der Mensch doch hört, kann für viele erschreckend sein.“
Sie sind in der Forschung tätig. Wie kann die KI bei der Untersuchung von Musik helfen?
Sie kann zum Beispiel bei der Frage helfen, wie Musik auf uns wirkt. Wir haben in der Ausstellung eine Station „Filmmusik“. Da erkennt die KI Emotionen, die Zuschauer bei bestimmter Musik und Bildern empfinden – und das mit relativ einfachem Datensatz. Die Ausstellung ist in gewissem Maße auch eine narzisstische Zumutung. Viele Menschen denken, dass sie ungeheuer individuell und kompliziert hören, tun sie aber nicht. Die Frage, wie Menschen Musik hören, ist oft eng an Emotionen gekoppelt. Und die Erkenntnis, wie simpel der Mensch doch hört, kann für viele erschreckend sein.
Wie häufig wird die KI in der Musikwelt schon benutzt?
Bei Musikern tatsächlich noch relativ wenig. Momentan ist sie eher eine Art Gadget. Sie wird sich aber zum normalen Kompositionstool entwickeln wie alle anderen auch. Derzeit werden KIs vorwiegend bei der automatisierten Produktion in Tonstudios eingesetzt. Für Toningenieure sind sie eine riesige Erleichterung. Die KI kann sämtliche Plug-ins automatisch einstellen und damit eine Arbeit übernehmen, die eher lästig ist.
„Die Musiker, die die KI ersetzen wird, sind höchstens die, die nichts Neues erschaffen.“
Sehen Sie also keine Gefahr für Musiker?
Die Musik lebt immer noch davon, dass es einen Musiker gibt, der sie aufführt. Ich sehe die Gefahr eher bei Textern. Die Musiker, die die KI ersetzen wird, sind höchstens die, die nichts Neues erschaffen, die nicht kreativ sind, sondern nur recyceln – das kann die KI natürlich auch. Darin besteht ja der Nachteil einer KI, dass sie nur das reproduzieren kann, was sie einmal gelernt hat. Das Genie gibt es nur im Menschen. Wenn Musiker also auf dieser „Reproduzierbarkeitswelle“ schwimmen, sind sie natürlich ersetzbar.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass wir vorankommen! Die Politik sieht auch, dass dieses Land veraltet ist. Es muss eine Selbstverständlichkeit geben für den Transfer von Wissen in die Gesellschaft. Einfach, um mehr Bildung zu schaffen, auch in der Musik. Dass die Musik so in die Knie gegangen ist, liegt an der Neoliberalisierung der Musikwirtschaft. Es geht nur noch um die schnelle Vermarktung. Jeder alte Sound wird nochmal durchgenudelt. Früher hat man die Hörer noch erzogen, indem man sie auch mal schwieriger Musik ausgesetzt hat. Wenn es interessant ist, sind die Menschen vielleicht auch wieder bereit, mehr Geld dafür auszugeben. Wenn alles ein Brei ist, kann ich mir den auch vom Streamingdienst umsonst auftischen lassen. Das merken selbst die Plattenfirmen. Sie haben den Markt ausgewrungen, und jetzt ist nichts mehr drin.