Augustin Hadelich
Toskana – die wahre Heimat
von Corina Kolbe
30. Januar 2022
Der Geiger Augustin Hadelich, geboren in der Küstenstadt Cecina, verbrachte seine Kindheit in der Toskana und musizierte unter Olivenbäumen. Auch nach seinem Umzug in die USA fühlt er sich in Italien zu Hause.
Silbrig grüne Olivenhaine und saftige Weinreben, so weit das Auge reicht: Das toskanische Dorf Riparbella bietet eine atemberaubende Aussicht auf die sanfte Hügellandschaft der Maremma. In westlicher Richtung glitzert am Horizont das Tyrrhenische Meer, nur knappe 15 Kilometer liegt es entfernt. In dieser Idylle nahe Pisa ist der Geiger Augustin Hadelich als Sohn deutscher Eltern aufgewachsen. „Auch wenn ich inzwischen in den USA lebe, wird die Toskana immer meine wahre Heimat bleiben“, sagt der Musiker. Nach der pandemiebedingten Pause stehen nun wieder zahlreiche Auftritte in Europa und Amerika in seinem Kalender. Zu den Orten seiner Kindheit aber kehrt er in den Ferien immer wieder gern zurück.
Geboren wurde Hadelich in der Küstenstadt Cecina, im Sommer ein wahres Paradies für Badeurlauber. „Meine Eltern, studierte Landwirte, kauften Anfang der 1980er-Jahre einen Hof in der Nähe von Riparbella. Vorher hatten sie in Afrika in der Entwicklungshilfe gearbeitet. Als sie hier[1]herzogen, hatte der Toskana-Boom noch nicht begonnen.“ Als Biobauern produzierten die Hadelichs vor allem Oliven und Wein, anfangs hielten sie auch Schweine, Ziegen und Hühner. „Von klein auf bin ich viel durch die Weinberge gelaufen“, erinnert er sich. „Wenn ich jetzt als Erwachsener irgendwo eine bestimmte Blume sehe oder einen Geruch wahrnehme, versetzt mich das blitzartig in meine Kindheit zurück.“ Auch das Licht und das milde Klima haben ihn geprägt. „Das Wetter in Deutschland kommt mir im Vergleich dazu oft ziemlich trist vor.“ Auf einem Foto sieht man ihn als Knirps während der Olivenernte Geige spielen. Hausmusik gehörte selbstverständlich dazu auf dem Bauernhof, auf dem er aufwuchs, alle Familienmitglieder spielten ein Instrument. Und so war es auch sein musikbegeisterter Vater, der ihm den ersten Unterricht auf der Violine gab, bevor Hadelich seine Ausbildung bei renommierten Virtuosen fortsetzte.
In Riparbella ging der kleine Augustin schließlich auch in den Kindergarten und zur Schule. „Am ersten Tag habe ich kein Wort verstanden. Doch schon nach kurzer Zeit konnte ich mit den anderen Kindern Italienisch sprechen. In dem Alter lernt man ja sehr schnell.“ Das Dorf, das im 19. Jahrhundert bei einem Erdbeben zerstört worden war, ist zwar nicht mehr so verschlafen wie vor 40 Jahren, seinen Charme hat es sich aber bis heute erhalten: Mit seinen historischen Palazzi und engen Gässchen ist es eine jener typischen kleinen Städte, in denen man Italien geradezu spüren und atmen kann. Auch kleine Kirchen wie etwa die Chiesa di San Giovanni Evangelista aus dem 19. Jahrhundert sind einen Besuch wert. Der Ort liegt auf einem Hügelkamm aus hellem Tuffstein, dem er wahrscheinlich auch seinen Namen verdankt. Denn Riparbella lässt sich ableiten vom lateinischen Ripa Albella, was so viel wie „weißer Abgrund“ bedeutet.
Wenige Kilometer weiter in Richtung Meer liegt der Giardino Scornabecchi, den man zu Fuß, mit dem Fahrrad oder hoch zu Ross erkunden kann. In diesem abwechslungsreichen Park lässt sich die vielfältige Pflanzenwelt der Macchia Mediterranea bestaunen, in einem 290 Hektar großen eingezäunten Bereich tummeln sich Wildschweine, auch Hirsche, Rehe und verschiedene Vogelarten sind hier zu Hause, und schließlich befindet sich hier auch die Attraktion für Groß und Klein: der Abenteuerpark Giardino Sospeso, wo man auf Bäume klettern, auf Hängebrücken balancieren und Bogenschießen üben kann.
Städte in der Umgebung wie Pisa, Lucca oder Volterra wecken in Hadelich viele schöne Erinnerungen. „Den berühmten Schiefen Turm von Pisa sieht man so häufig auf Bildern, dass ich gar nicht mehr weiß, ob ich ihn zuerst in der Realität oder auf einem Foto entdeckt habe“, lacht er. In Lucca faszinierten ihn seit jeher die gewaltige Stadtmauer und die Türme der Altstadt, und Siena, wo er mit etwa acht Jahren an der Accademia Musicale Chigiana dem bekannten Geiger Uto Ughi vorspielte, erschien ihm damals als eine riesige Stadt. „Als ich dann Jahre später nach meinem Umzug nach New York wiederkehrte, kam mir Siena auf einmal ganz winzig vor.“
Als Erwachsener unternahm der Geiger viele Besichtigungstouren und lernte die Gegend als Tourist neu kennen, darunter Museen, die er als Kind nie gesehen hatte. „Besonders fasziniert hat mich die David-Statue von Michelangelo in der Galleria dell’Accademia in Florenz“, schwärmt er. „In Volterra gibt es außer[1]dem eine tolle Sammlung etruskischer Kunst.“ Bei einem Besuch im (zurzeit wegen Renovierungsarbeiten geschlossenen) Museo Etrusco Guarnacci beeindruckte ihn vor allem eine Bronzestatuette, deren überschlanke Silhouette im 20. Jahrhundert den Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti inspirierte. Die antike Figur, die auf eine eigentümliche Weise modern wirkt, wird „Ombra della sera“, auf Deutsch „Schatten des Abends“, genannt. Diesen Namen ließ sich offenbar der italienische Dichter Gabriele D’Annunzio einfallen.
Dass zur Kultur auch gutes Essen gehört, zur italienischen allemal, ist für Augustin Hadelich selbstverständlich. Auf dem Hof seiner Eltern konnte er aus nächster Nähe beobachten, wie qualitativ wertvolle, naturbelassene Nahrungsmittel hergestellt wurden. „Jeder, der ein so hochwertiges Olivenöl probiert, kommt wohl auf den Geschmack. Qualität hat allerdings ihren Preis. Wenn irgendwo toskanisches Öl allzu günstig angeboten wird, werde ich skeptisch.“ Er schwärmt auch von den Märkten, auf denen Obst, Gemüse und Fleisch aus der Region angeboten werden. „In Cecina, wo ich geboren wurde, kann man diese Waren meist direkt von den Bauern kaufen. Die Tomaten schmecken einfach besser, weil sie nicht schon grün geerntet und dann auf eine lange Reise geschickt werden. In Italien kann es sich eigentlich niemand erlauben, schlechtes Gemüse anzubieten, selbst im Supermarkt nicht.“
Dabei sind einfache Speisen auf der Basis einiger weniger Zutaten ganz nach seinem Geschmack. „Die italienische Küche ist schlichter als die französische. Tomaten, Mozzarella und Basilikum mit etwas Olivenöl – das passt wunderbar zusammen und ist rasch zubereitet.“ Vor seinen Konzerten jedoch isst er mittags eine große Portion Pasta oder Pizza. Ich brauche relativ viele Kohlenhydrate, um genug Energie zum Musizieren zu haben. Kurz vor dem Auftritt nehme ich aber lieber nichts mehr zu mir.“ Für gemütliche Abendessen mit Familie und Freunden bleibt Hadelich wegen seines vollen Terminplans nicht mehr so viel Zeit wie früher. In Riparbella kehrt er gern in sein Lieblingsrestaurant La Piazzetta zurück. Die Pizza sei dort unvergleichlich gut, schwärmt er. Was ihn übrigens auch über zweifelhafte kulinarische Erfahrungen im Ausland hinwegtröstet. „Viel zu häufig sieht man auf Speisekarten etwa Spaghetti alla Carbonara mit Sahnesauce – in Italien wäre das undenkbar.“
Auftrittstermine und weitere Informationen zu dem Geiger Augustin Hadelich unter: augustinhadelich.com