Daniel Hope
Berlin – »die Leichtigkeit wieder erlernen«
von Margarete Zander
8. November 2021
Daniel Hope lebt seit fünf Jahren in Berlin. Dass es mal ein richtiges Zuhause sein würde, hätte er nicht gedacht. Doch seiner Frau zuliebe – einer Berliner Künstlerin – hat er es ausprobiert. „Die beste Entscheidung meines Lebens!“ Weil Berlin Geschichte persönlich erzählt, und Daniel Hope liebt Geschichte und Geschichten. Und schreibt sie mit viel Herz fort.
Daniel Hope strahlt mir aus dem Internet entgegen. Ein echter Spaziergang ist ihm zu riskant. Und so flanieren wir in unserer Fantasie durch seine Lieblingsstraßen und an Orte, die seine Biografie prägen. Der Brite, der in Durban in Südafrika geboren ist, besucht nicht nur gern die Orte, die ihn mit seinen Großeltern und Urgroßeltern verbinden. Mit Daniel Hope Berlin zu erkunden wird kein Abklappern der zehn beliebtesten Sehenswürdigkeiten von Berlin, das wird eine Anleitung zum Reisen, eine Einladung an jeden Einzelnen, sein persönliches Berlin zu finden.
Lachend erzählt Daniel Hope, wie er neulich das neue Au-pair-Mädchen für seine beiden Söhne vom Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ abgeholt hat. Natürlich ist er mit ihr auf dem Weg nach Charlottenburg quer durch die Stadtmitte gefahren. Sie sollte das Großstadtflair spüren, mit den alten und den neuen Gebäuden, breiten Bürgersteigen und endlos wirkenden Straßen und großen Grünflächen mitten drin. Das riesige Feld dessen 2711 unterschiedlich hohe Betonquader sich im Vorbeifahren mit dem Auto auf Augenhöhe wie Wellen bewegen, das Mahnmal für die Ermordeten Juden Europas wirkte geradezu magnetisch auf die junge Frau. „Das ist ein Ort des Nachdenkens“, erklärte ihr sein älterer Sohn.
„Nachdem wir das quasi eingesogen hatten, sind wir weiter zum Brandenburger Tor gegangen, was hell beleuchtet war und opulent und schön. Dieser Kontrast zwischen diesem dunklen Feld, diesem dunklen Mahnmal und diesem hell Erstrahlten, was nicht mal 100 Meter voneinander entfernt ist, das ist auch sehr typisch für Berlin, finde ich.“ Seine Gäste lassen sich ebenfalls gern mit dem berühmten Tor am Ende der Prachtstraße Unter den Linden fotografieren. Viele Fotos gehen direkt in alle Welt. Es ist ein stiller, irgendwie unspektakulärer und gleichermaßen sensationeller Erfolg dieses Triumphtores, dessen Bau 1789 begonnen hatte, auf dem die römische Siegesgöttin Victoria auf einem Wagen, von vier Pferden gezogen, den Frieden nach Berlin bringen soll.
Daniel Hope hat hier „einen der bewegendsten Abende erlebt, die ich mit Berlin in Verbindung bringe“. Bei einem Programm „Tausend Stimmen für die Vielfalt“, gegen das Vergessen der Gräueltaten der Nationalsozialisten, am 75. Jahrestag der Novemberpogrome, stand er hier auf der Bühne. Riesige Fotos von Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft, die vor dem Krieg Berlin zur Weltmetropole gemacht hatten und von den Nationalsozialisten ausgegrenzt und vernichtet worden waren, wurden auf die Pfeiler des Brandenburger Tores projiziert, darunter Max Reinhardt, Kurt Singer, Julius Moses, Lotte Jacobi. Und als das Bild des Königs der Tanzgeiger Efim Schachmeister erschien, da zauberte das Oci ciornie (Schwarze Augen) verstärkt durch das Knistern der Schellack-Schallplatte die besondere Berliner Stimmung der 20er-Jahre herbei. Und dann wurde der Sound ausgeblendet, und Daniel Hope und Jacques Ammon übernahmen. „Es gab also ein Spiel zwischen uns aktuell und Jefin Schachmeister 1929 in Berlin und das war unglaublich! Absolut unglaublich!“
Vom Brandenburger Tor sieht man schon die begehbare Glaskuppel des Reichstages, die Norman Foster entworfen hatte. Kurz vor dem Umbau hatten Christo und Jeanne-Claude „den Reichstag gerockt“. Damals, im Sommer 1995, wohnte Daniel Hope noch nicht in Berlin, aber er musste das unbedingt sehen und den silberfarbenen Stoff anfassen und ein Stück davon kaufen. In gewisser Weise war das wieder so ein Auslöser für eine lebendige Beziehung zu den sachlich nüchternen Fakten aus dem Geschichtsbuch. Gern beginnt Daniel Hope seine Spaziergänge mit Gästen am Gropiusbau. „Hier ist der Mauerstreifen noch sozusagen mitten in der Stadt. Wenn man links abbiegt an der Mauer, direkt beim Finanzministerium, dann ist man am Gelände des Bunkers. (Darauf verweist eine Tafel der Stiftung Topografie des Terrors.) Man läuft quasi durch die Mauer. Da kriegt man wirklich ein Gefühl für die Dimensionen dieses unüberwindlichen Todesstreifens.“
Auch das Finanzministerium hat für Daniel Hope einen Teil seines schaurigen Schreckens verloren. Finanzminister Schäuble hatte hier eine Konzertreihe ins Leben gerufen und ihn eingeladen. Dabei traf Daniel Hope den Jazzgitarrist Coco Schumann. Lachend und dankbar erinnert er sich, wie der berühmte Musiker auf ihn zukam, ihm die Hand gab und sagte „Ich bin der Coco!“ An diesem Haus, dem „Detlev-Rohwedder-Haus“, kann man die Geschichte Deutschlands der letzten 85 Jahren studieren und spüren, wie eine einschüchternde Herrschaft der Nationalsozialisten und des DDR Regimes auch durch die Architektur unterstützt wurde. Es gibt 2.100 Räume und die bis zu 440 Meter langen Flure haben eine Gesamtlänge von fast 6,8 Kilometern.
Direkt gegenüber wurde 2014 die Mall of Berlin eröffnet, ein Einkaufszentrum am oktogonal gestalteten Leipziger Platzes. Bis 1953 stand hier das mit 106.000 Quadratmetern Verkaufsfläche größte Kaufhaus Europas, das Wertheim. Im ehemaligen Tresor des Kaufhauses wurde 1991 der erste Techno-Club Berlins eröffnet, der jedoch 2005 umziehen musste.
Mit Daniel Hope geht es an einen seiner Lieblingsorte, ins Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Das ehemalige königliche Schauspielhaus von Karl Friedrich Schinkel feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. Auf den Rücken von Löwe und Panther flankieren zwei musizierende Engel als Schutzpatrone der Musik die eindrucksvolle Freitreppe zu diesem Platz, den Friedrich der Große im 17. Jahrhundert maßgeblich prägte. Nach dem Vorbild von Joseph Joachim und den Berliner Salons der 20er-Jahre lädt Daniel Hope zu Begegnungen mit großen Kulturschaffenden und Musikern ein. „Der Salon ist für die Menschen, die am Abend anwesend sind. Man muss nicht aufpassen, was man sagt, sondern man ist da, um zu reflektieren, über Musik, über Leben, über Kultur, über Berlin. Ich liebe dieses Format – es ist einfach, aber auch sehr ehrlich. Die Menschen öffnen sich anders, und in dem Moment, in dem es vorbei ist, ist es vorbei.“ Und so sehr er die Details gestaltet, so sehr empfiehlt einen Blick von oben. „Ich bin einer der wenigen, der mal auf dem Dach waren. Sebastian Nordmann hat mich mitgenommen. Berlin von oben ist auch ein sehr spannender Ort, finde ich. (Einen ähnlichen Blick hat man von der Aussichtsplattform des Französischen Doms direkt nebenan, der übrigens nie als Dom genutzt wurde.)
„Und wenn man vom alten Osten spricht, ist der Fernsehturm ein zentraler Ort. In der Luft blüht die Fantasie noch viel mehr, als wenn man auf dem Boden ist, finde ich. Dort ist es einem klar, wo man ist und wie man geografisch platziert ist. Das vergisst man oft im Tumult der Stadt, aber in der Sekunde, wo man oben ist in Berlin, macht es etwas mit einem.“ Vom Fernsehturm hat man einen guten Blick auf die Plattenbauten und das alte Stadtviertel am Prenzlauer Berg. Am „Prenzlberg“ wie die Berliner ihn liebevoll nennen, hat Daniel Hope viele Freunde, doch er geht auch ganz gern mal allein hin und läuft ziellos „rund um das Zeiss-Großplanetarium“. Daniel Hope beschreibt den Ort bewusst vage, damit man nicht denkt, man müsse diesen oder jenen Platz auf einer Liste quasi abhaken, diese oder jene Straße besuchen. Das Flanieren ist sein Tipp, Schildern und Ornamenten folgen und manches dann später im Internet genauer erforschen.
„Durch die alten Häuser aus der Zeit zwischen 1889 und 1905 ist da ein wunderbares Parfum der Stadt, das ich einatmen kann, aber trotzdem bleibt es für mich ein fremdes Berlin. Ich habe von vornherein im alten Westen immer das Gefühl gehabt, hier war ich irgendwie. Und das ist tatsächlich so, meine ganze Familie war dort. Und so ist die Villa in Dahlem nicht nur ein Haus, das uns einmal gehört hat, sondern ein Ort, der Zeugnis ablegt“, schreibt Daniel Hope in seinem Buch Familienstücke.
Hat der Geiger sich damals bei der Recherche intensiv mit der Flucht seiner Großeltern und den Wunden auseinandergesetzt, schaut er heute mehr auf den Ururgroßvater und dessen Leben in Berlin. Julius Valentin gründete 1865 mit Emil Rathenau eine Dampfmaschinenfabrik. „Valentin Röhren und Eisen GmbH“. Häufig besucht Daniel Hope die Familiengruft, die Julius Valentin damals auf dem Friedhof Luisenstraße III bauen ließ. Die Grabanlage ist künstlerisch gestaltet, und der Geiger möchte sie gern inklusive der Statue, die hoffnungsvoll in den Himmel blickt, restaurieren lassen.
Wenn er ein bisschen Zeit hat, geht er hinüber auf den angrenzenden Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof am Fürstenbrunner Weg in Westend und besucht das Grab von Joseph Joachim. Überhaupt Friedhöfe. Sie sind ein Ort, Menschen und Leben der Vergangenheit zu begegnen, ihr Leben als Verbindung zum historischen Leben, zur Seele der Stadt zu begreifen. Geschichten zur Geschichte. Und wenn man das einmal erfahren hat, findet man immer mehr. Neulich ist er mit seinem Sohn den Ku’damm entlanggelaufen und hat staunend einen ziemlich großen Friedhof entdeckt. Den Friedhof Grunewald gibt es seit 1892. „Dort gibt es einen außergewöhnlichen Ort, wo alle Gräber exakt identisch sind und alle aus den letzten Jahren des Krieges, vom Mai 45. Es läuft einem kalt über den Rücken, und nicht mal 40 Meter davon entfernt ist der Ku’damm, wo das Herz und die Seele von Berlin mal war.“
Auch den Luisenstädtischen Friedhof direkt hinter dem Mauerpark kennt Daniel Hope gut. „Der jüngste Bach Sohn liegt dort, Wilhelm Friedemann Bach, und dann der Friedhof, wo Felix Mendelssohn-Bartholdy und seine Schwester Fanny liegen, der Dreifaltigkeits-Friedhof am Mehringdamm, der ist auch sehr zu empfehlen. Über solche Orte lernt man sehr viel über die Geschichte einer Stadt.“ „Wenn ich zurückkehre zu dem Friedhof zu meinen Urgroßeltern, da bin ich ganz schnell bei dem Wohlsein. Der Julius Valentin strahlt noch für mich als ein Neu-Denker in dieser Zeit. Es geht immer darum, zu erinnern und aufzubewahren, aber auch, die Leichtigkeit wieder zu lernen, die Leichtigkeit des Lebens.“
„Gezielt ein Quartier zu erkunden mit jemandem, der sich auskennt, das mache ich gern.“ Einen Wunsch für die nächste Tour hat er schon „Neulich habe ich mich mit dem Brandenburger Tor beschäftigt, habe dort Räume entdeckt, von denen ich gar nichts wusste. Dort gibt es ein riesiges Gebiet unter der Stadt. Mein Traum ist, tatsächlich diese Unterwelten-Tour zu machen.“
Weitere Informationen und Auftrittstermine von Daniel Hope unter: www.danielhope.com