Ilona Schmiel
Zürich – wandeln in einer Mélange aus Kultur
von Corina Kolbe
5. Dezember 2021
Ilona Schmiel ist Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Im gar nicht verflixten siebten Jahr ihrer Intendanz konnte sie das Tonhalle-Orchester Zürich in einen prunkvoll restaurierten Konzertsaal zurückbegleiten.
Stolz blickt Ilona Schmiel zu den hohen Glasfenstern im Foyer der Tonhalle Zürich. Hinter einer großzügig geschnittenen Terrasse blitzt und blinkt das intensive Blau des Zürichsees und weiter in der Ferne die Alpengipfel.
Vom Foyer aus sind es nur wenige Schritte zu dem prächtigen Konzertsaal von 1895, der jetzt nach vierjähriger Renovierungszeit in neuem Glanz erstrahlt. In diesem Haus Gustav Mahlers Dritte Sinfonie unter Leitung von Musikdirektor Paavo Järvi zu erleben, sei überwältigend gewesen, sagt Schmiel, die seit 2014 Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft ist. Erst am Abend zuvor war das Orchester in großer Besetzung in sein altes Stammhaus zurückgekehrt, rund 1.300 Zuschauer waren dabei. Auf viele Konzertgänger hatte der historische Saal zum Schluss etwas muffig gewirkt.
Bei der denkmalgerechten Sanierung durch die Architektenbüros Boesch und Diener wurden vergoldete Stuckelemente und Deckengemälde gründlich entstaubt. Grau überstrichene Säulen aus Stuckmarmor präsentieren sich nun wieder im originalen Zartrosa. Nicht nur von der neuen Optik, auch von der Akustik ist Ilona Schmiel rundum begeistert: „Der Raum hat eine sehr warme Atmosphäre. Man hört jetzt mehr Bassfrequenzen und auch mehr Obertöne, die Klangmischung ist insgesamt transparenter geworden.“
Das nüchtern und klar gestaltete Foyer lohnt ebenfalls eine Besichtigung. Ursprünglich wurde die Tonhalle nach dem Vorbild des Pariser Palais du Trocadéro erbaut. Nur einen Steinwurf entfernt entwarfen die Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer auch das Zürcher Opernhaus. Der Pavillon der Tonhalle, zwei seitliche Türme und der Garten zum See, mussten dann in den 1930er-Jahren einem Kongresshaus im Stil der Moderne weichen.
Schmiel zeigt auf ein großes längliches Blumenfenster oben auf einer Galerie, das beide Epochen gewissermaßen miteinander verbindet. Hinter Glas wuchern üppige exotische Grünpflanzen, wie einst in einer Orangerie der Belle Époque. Man denkt auch spontan an die vertikalen Gärten, die heute in vielen Städten für Klimaschutz stehen. Solch eine grüne Oase wurde hier schon für die Schweizerische Landesausstellung 1939 geschaffen. Auch das bei der Sanierung aufgefrischte Foyer werde künftig bespielt, verspricht Schmiel. An den „tonhalleLATE“-Abenden mischt sich dann klassische Musik mit Electronic Beats. Und nach allen Konzerten, die bis auf wenige Ausnahmen ohne Pausen stattfinden sollen, sind dort Begegnungen zwischen Publikum und Solisten, Dirigenten und Orchestermusikern geplant.
Über die Treppen, die von der Terrasse hinunterführen, kommt man direkt zum See. Schmiel genießt es nach wie vor, ausgiebig am Ufer entlangzuspazieren. „Die zentrale Lage der Tonhalle ist einzigartig“, meint sie. Als eine der kleinsten Metropolen Europas ist Zürich sowieso wie geschaffen für Erkundungen zu Fuß. Museen, Oper und Schauspielhaus liegen nicht mehr als bequeme zehn Minuten auseinander. „Man kann in einer Mélange aus Kultur wandeln und zwischendurch in Bars und Cafés Pause machen“, schwärmt sie. Und die Nähe zur Natur ist überall spürbar.
Zu ihren Lieblingsorten gehört das Kunsthaus, wo sich eine der wichtigen Kunstsammlungen der Schweiz befindet. Gemälde etwa von Rembrandt, Monet, Picasso und Beckmann sind dort zu sehen, außerdem Werke von Warhol, Beuys und Baselitz oder Videoinstallationen aus der unmittelbaren Gegenwart.
Einen Teil der Kunstwerke kann man jetzt in einem lichten Erweiterungsbau des preisgekrönten Architekten David Chipperfield bewundern. Wer danach von Kunst noch nicht genug hat, dem empfiehlt Schmiel einen Abstecher zur traditionsreichen Brasserie Kronenhalle an der Rämistraße. Dort hängen echte Chagalls und Mirós, die der Sammler Gustav Zumsteg dem Lokal vermachte. Dazu werden typische Leckerbissen wie Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti serviert. Die vegane Version dieses beliebten Kalbsgerichts steht übrigens auf der Speisekarte von Hiltl, nach eigenen Angaben das älteste vegetarische Restaurant der Welt.
Von der Tonhalle aus ist es auch nur ein kurzer Weg zum Arboretum, einer prächtigen Parkanlage am See. In der Voliere Zürich, der meistfrequentierten Vogelnotfallstation der Schweiz, kann man exotisches und heimisches Federvieh beobachten. Von dort aus ist die im Renaissancestil erbaute Villa Wesendonck ebenfalls gut zu Fuß erreichbar. Dort lebte Richard Wagners Muse Mathilde Wesendonck, der Komponist wohnte zeitweise in der Villa Schönberg gleich nebenan. Heute beherbergt die Villa Wesendonck das Museum Rietberg mit seiner beeindruckenden Sammlung von Kunst aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien.
Für Ilona Schmiel ist dieses Haus ein Ort, an dem sie immer wieder gern in andere Welten eintaucht. Nach dem Museumsbesuch kann man im Rieterpark, der die Villa umgibt, frische Luft schnappen und einen Blick auf die sonnenverwöhnte „Goldküste“ auf der anderen Seeseite werfen.
Wer am linken Ufer an der „Pfnüselküste“ (auf Hochdeutsch: Schnupfenküste) bleiben will und irgendwann Hunger kriegt, der kommt über den Mythenquai und die Seestraße zum Restaurant Fischer’s Fritz. Schmiel schätzt die ungezwungene Atmosphäre und die reichhaltige Auswahl an fang[1]frischen Spezialitäten, etwa die sogenannten Fischknusperli – kross ausgebackene Fischstückchen.
Bei aller Freude über den Umzug in die historische Tonhalle erinnert sich Ilona Schmiel auch noch gern an das ehemalige Ausweichquartier des Orchesters. Die Tonhalle Maag in einer ehemaligen Zahnradfabrik im hippen Westen Zürichs ist zwar inzwischen Geschichte, Bühne und Sitzreihen sind längst entfernt, und bald folgt der komplette Abriss. Die Intendantin hofft aber, das neue Publikum, das von dieser alternativen Spielstätte angezogen wurde, bald in der Tonhalle am See wiederzusehen. In das quirlige Industriequartier kehrt sie immer wieder mal zurück, nicht zuletzt wegen des angesagten Lokals Frau Gerolds Garten hinter dem Hochhaus Freitag-Tower. Das Gelände versprüht einen lässigen Charme, den man sonst eher aus Berlin kennt. Es gibt einen Nutzgarten, einen Markt und viele Kunstaktionen. Im Winter verwandelt sich die Sonnenterrasse übrigens in einen Wintergarten, in dem man am Lagerfeuer gemütlich zusammensitzen kann.
Wer zum Abschluss in Zürich mal richtig Landluft schnuppern will, sollte mit der Dolderbahn, einer rot lackierten Zahnradbahn, auf den Adlisberg fahren. „Man kommt an Pferdeweiden vorbei zu einem Restaurant in einem Bauernhaus, wo man wunderbar essen kann“, erzählt Schmiel. „Und in der Ferne kann man ein bisschen von der Stadt sehen, bis irgendwann die Sonne untergeht.“