Axelrods Weinlese
Beethoven als Bacchus
von John Axelrod
10. Juli 2017
Wein rein, Musik raus: Die zwei „großen B“, Beethoven und Brahms, waren alles andere als Trunkverächter – bis zum gesundheitlichen Supergau.
„Musik ist der Wein, der zu neuen Erzeugungen begeistert, und ich bin der Bacchus, der für die Menschen diesen herrlichen Wein keltert und sie geistestrunken macht“, schreibt Ludwig van Beethoven. Ein rotwangiger, pummeliger und geselliger Beethoven entspricht nicht unserer Vorstellung vom großen deutschen Romantiker, den wir uns lieber als Tragiker mit zerfurchter Stirn denn als Komiker vorstellen. Beethovens Familienerfahrung mit dem Trinken war tatsächlich eher tragisch: Die meisten Historiker gehen davon aus, dass sein Vater schwerer Alkoholiker war. Nach dem Tod seiner Mutter – Beethoven war 17 – begann er selbst, große Mengen Wein zu trinken. Dann setzten die ersten Symptome seines Gehörverlusts ein und wurden immer schlimmer, mit 27 war sein Zustand bereits dramatisch. Man sagt, dass er den Schmerz jede Nacht mit drei Flaschen Frankenwein betäubte. Kein Wunder, dass seine Manuskripte kaum lesbar sind.
Außerdem traf er sich regelmäßig zum Trinken mit Freunden im Wirtshaus „Zum Weißen Schwan“ in Wien. An den Cellisten Nikolaus Zmenkall schreibt er: „Lass uns heute Abend um sieben im Schwan treffen und mehr von deren grässlichem Rotwein trinken.“ Dort gab es offenbar einen sehr säurehaltigen, billigen Wein aus regionalen Trauben vom Fuße des Wiener Kahlenbergs. Heute werden dort auschließlich internationale Sorten (Pinot Noir, Cabernet Sauvignon) und Hybride wie Blauer Zweigelt, Blauburgunder und St. Laurent angebaut.
Bei Beethoven fragt man sich schon, welchen Einfluss der Alkohol auf seine Musik hatte.
Bei Beethoven fragt man sich schon, welchen Einfluss der Alkohol auf seine Musik hatte, seine Gesundheit beeinträchtigte er in jedem Fall massiv. „Schade, schade, zu spät!“, sollen seine letzten Worte auf dem Sterbebett gewesen sein – gerade wollte man ihm zwölf Flaschen exzellenten Wein kredenzen! Forscher des Argonne National Laboratory in Illinois konnten nachweisen, dass es der Wein war, der den Komponisten am 26. März 1827 niederstreckte: Vor drei Jahren bewies eine umfangreiche Analyse von Haarproben und der Röntgenaufnahmen von Beethovens Schädel, dass der Komponistengigant an einer Bleivergiftung gestorben ist. Das Killer-Blei kam sicher nicht vom Kauen auf Bleistiften, sondern von der Tasse, aus der Beethoven trank, und vom Wein selbst, der damals oft mit Blei gesüßt wurde. Wie groß der Schaden war, den das anrichten konnte, war noch unbekannt.
Beethoven war nicht der erste Weinliebhaber der Musikgeschichte. Auch Brahms hatte ein ausgeprägtes Trinkverhalten. Seine Jugendjahre verbrachte er in Hamburgs Hafenbordellen, was sicher Einfluss auf seine späteren Trinkgewohnheiten nahm. Einmal wurde Brahms zum Abendessen eingeladen, und der Gastgeber, ein Weinkenner, entkorkte eine seiner besten Flaschen mit den Worten: „Das ist der Brahms unter meinen Weinen!“ Nachdem der Genannte einen Schluck probiert hatte, gab er zurück: „Dann würde ich jetzt gern den Beethoven probieren.“
Auch Brahms hatte ein ausgeprägtes Trinkverhalten.
Ganz im Sinne dieser beiden Säufer-Titanen würde ich Ihnen gerne den „Beethoven“ aus meinem Weinkeller vorstellen, der alles musikalische und kulinarische Elitedenken mit einem Schluck wegfegt. Schon das Etikett wird Sie zum Lachen bringen: „The Fat bastard“, ein preisgekrönter Cabernet Sauvignon aus dem französischen Languedoc-Roussillon. Er ist reich und komplex mit vielen Gewürznoten und deutlich tanninreich – perfekt zum Gulasch in einer Wiener Kellerschenke oder mit einem zünftigen Würstchen à la Brahms.
Der Name des Weins ist angeblich so entstanden: Als Winzer Thierry Boudinaud das Ergebnis seines neusten Experiments degustierte, soll er ausgerufen haben: „Was für ein fetter Bastard!“ Eben ein außergewöhnlich reichhaltiger und voller Wein. Der Bacchus unter den Weinen. Ja, vielleicht der Beethoven unter den Weinen!