Margarete Schütte-Lihotzky
Sozial und emanzipatorisch
von Ruth Renée Reif
22. Januar 2022
Die Einbauküche ist keine luxuriöse Erfindung, sondern entsprang der Wohnungsnot. Der Geburtstag ihrer Architektin Margarete Schütte-Lihotzky jährt sich am 23. Januar 2022 zum 125. Mal.
Der Urtyp der Einbauküche war 3,44 Meter lang und 1,96 Meter breit. Geschaffen hat ihn die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky. Berühmt wurde er unter dem Namen „Frankfurter Küche“. Lihotzky wurde 1925 von dem Architekten und Stadtplaner Ernst May nach Frankfurt geholt.
May hatte als Stadtrat für Bauwesen den Auftrag, die Wohnungsnot zu beseitigen und versammelte eine Gruppe fortschrittlicher Architekten um sich. Innerhalb von fünf Jahren sollten 12.000 Wohnungen entstehen. Das erste Projekt war eine Trabantensiedlung im Stadtteil Praunheim. Und im Zuge der Entwicklung von Grundrisstypen entwarf Lihotzky jenen Küchentyp, der als „Frankfurter Küche“ weltberühmt werden sollte.
Die kulturelle Atmosphäre des gebildeten Bürgertums
Margarete Lihotzky wurde 1897 in Wien geboren. Es habe in der Familie „die kulturelle Atmosphäre des gebildeten Bürgertums der Monarchie“ geherrscht, zitiert sie ihre Biografin Mona Horncastle. Der Großvater habe regelmäßig Musikabende veranstaltet. Es sei Theater gespielt und gesungen worden. Lihotzkys Wunsch Architektin zu werden, war nicht leicht zu erfüllen. Denn Frauen erhielten keinen Zugang zu kreativen Berufen. So waren viele bemüht, ihr diesen Wunsch auszureden. Sie blieb jedoch dabei und wurde zur ersten Architekturstudentin Wiens. Der Architekt und Bühnenbildner Oskar Strand erkannte ihr Talent und förderte sie.
Ein Kulturdenkmal zur Friedenserziehung
Horncastle erzählt von einem visionären Kulturzentrum mit Museen, Theater- und Konzertsälen, einer Bibliothek und Veranstaltungsräumen, das Strnad mit ihr entwarf, nachdem der Musikkritiker Eduard Hanslick im Gespräch mit Strnad beklagt hatte, dass in jedem Dorf ein Kriegsdenkmal stehe. „Man sollte für das Geld – zum Gedenken an die Toten zur Friedenserziehung – ein Kulturdenkmal errichten.“
1919 ließ Lihotzky sich in Wien mit einem Atelier in der Neuen Hofburg als selbstständige Architektin nieder. Als „systematisch, effizient, kostenbewusst, raumoptimierend, typisierend und tauglich für Massenproduktion“ beschreibt Horncastle ihre Entwürfe. Prägend für Lihotzkys weitere Arbeit war eine Reise in die Niederlande, wo sie genossenschaftlich gebaute Arbeitersiedlungen kennenlernte und Vorlesungen des Architekten Hendrik Petrus Berlage besuchte. Wieder in Wien, wirkte sie mit am Wohnbauprogramm.
Die große Herausforderung der Stadt war es, Wohnungen für die vielen Armen zu schaffen, die unter verheerenden hygienischen Bedingungen in der Stadt lebten und in Brettldörfern um die Stadt siedelten. 1921 arbeitete Lihotzky im Siedlungsamt der Stadt für die Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs. Die damit verbundenen Aufgaben festigten in ihr den Wunsch, mit der Architektur zum besseren Leben der Menschen beizutragen. Dabei lernte sie auch Ernst May kennen, durch den sie Teil des „Neuen Frankfurt“ wurde.
Wie Horncastle betont, war für Lihotzky die soziale Frage der architektonischen übergeordnet. Ziel war es, Wohnbau und Stadtplanung zugunsten des Gemeinwohls zu verändern. Die „Frankfurter Küche“, die Lihotzky im Zuge des Bauprogramms entwarf, war eine arbeitssparende Küche mit Einbaumöbeln auf kleinstem Raum bei größtmöglicher Kostenersparnis. Eingebaut sollte sie sein, damit die Mieter sie nicht kaufen mussten, sondern über die Miete finanzieren konnten.
»Die Frau sollte nicht in die Küche verbannt werden.«
Lihotzky ging bei ihrem Entwurf ganz systematisch vor. Als Vorbild nahm sie die Mitropa-Speisewagenküche, in der zwei Personen für rund 80 Gäste kochten. Davon ausgehend, analysierte Lihotzky die Arbeitsabläufe, zählte die Griffe und Schritte und ordnete die Schränke und Geräte entsprechend an. Auch wählte sie mit Bedacht den Ort, an dem sich die Küche in der Wohnung befinden sollte. „Ich habe das ganz wissenschaftlich gemacht“, zitiert Horncastle sie. „Der Weg zwischen Herd und Essplatz betrug nicht mehr als drei Meter. Das war ein wichtiger sozialer Aspekt: Die Frau sollte nicht in die Küche verbannt werden.“
So sah Lihotzky an der Längsseite des langgestreckten Raumes eine Schiebetür zum Wohnraum vor. Eine weitere Schiebetür befand sich an der Schmalseite zum Eingangsbereich. Dieser gegenüber sorgte ein großes Fenster für Tageslicht. Für die Decke entwarf Lihotzky eine verschiebbare Hängelampe. Die Schränke mit Betonsockeln reichten bis zur Decke, damit sich nirgendwo Schmutz ablagern konnte. Als Farbe der Möbel wählte sie blau, nachdem sie gehört hatte, Fliegen würden blau meiden.
Weltweiter Erfolg
Anfangs musste sie für ihre Arbeitsküche Überzeugungsarbeit leisten. Aber dann eroberte diese die Welt. In der Main-Region wurde sie 10.000-mal eingebaut. Der französische Arbeitsminister Louis Loucheur plante in seinem Wohnungsbauprogramm 260.000 Frankfurter Küchen ein. Vor allem in Schweden und den USA wurde die Frankfurter Küche ein Erfolg. Unter der Bezeichnung Einbauküche kehrte sie nach dem Zweiten Weltkrieg von dort wieder zurück. Margarete Lihotzky überrollte der Erfolg. „Ich bin keine Küche“, lautete ein vielzitierter Ausspruch von ihr, mit dem sie sich dagegen wehrte, auf die Frankfurter Küche reduziert zu werden.
Die Wohnung in Wien mit den von ihrem Mann Wilhelm Schütte gestalteten Möbeln, in der Margarete Schütte-Lihotzky bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 30 Jahre lang gelebt hatte, wird unter Denkmalschutz gestellt. Sie soll in ein Museum umfunktioniert werden. Weitere Informationen dazu unter: www.schuette-lihotzky.at