Markus Hinterhäuser und Teodor Currentzis
Das Salzburger Schweigen
von Axel Brüggemann
18. Juli 2022
Das Schweigen von Markus Hinterhäuser, dem Intendanten der Salzburger Festspiele, und die Causa Teodor Currentzis.
Markus Hinterhäuser schweigt in diesen Tagen am liebsten. Ein bisschen scheint es so, als wolle er einfach nur, dass diese Festspiele möglichst schnell vorbeigehen. Teodor Currentzis? Russen-Sponsoring? Augen zu! Mund zu! Ohren zu! Ja, fast scheint es so, dass man die Auftritte von musicAeterna am liebsten gar nicht mehr thematisieren möchte: nicht in Posts, keine Bilder von Proben – nichts! Der „Festspielsender Ö1“ verschenkt die Tickets für musicAeterna-Aufführungen inzwischen. Eine Taktik, die (noch) erschreckend gut funktioniert. Auch, weil Hinterhäuser das Schweigen inzwischen perfektioniert hat. Wenn so etwas wie ein schlechtes Gewissen schreien könnte, würde es das so laut tun. Und diese funktioniert weitaus besser als Hinterhäusers vorherige, typisch österreichische „Hinter verschlossenen Türen“-Taktik.
Wer Markus Hinterhäuser kennt, weiß, was damit gemeint ist. Als Alexander Pereira noch Intendant der Festspiele war, lud Hinterhäuser so ziemlich jeden Journalisten in irgendwelche Cafés ein, um dann gegen den Amtsinhaber abzuledern. Er, der intellektuelle Schöngeist, wäre doch besser als der amtierende, alte, eitle Gockel. Diese Pressearbeit perfektionierte Hinterhäuser, bis er endlich am Ziel angekommen war und selber Intendant wurde.
Und irgendwann saß er dann am Intendanten-Schreibtisch, am Ende seiner Träume. Statt Salzburg neu zu erfinden, bediente er schnell den Anna-Netrebko-Glamour, beflügelte den Igor-Levit-Boom und sprang auf so ziemlich jeden Zug auf, der längst woanders abgefahren war. Natürlich machte er sich auch Teodor Currentztis zu eigen. Doch nun, da ihm sein uninspirierter Best-Of-Laden um die Ohren fliegt, wirkt Hintehäuser ein bisschen wie König Macbeth, der den wandelnden (Blätter)wald auf sich zukommen sieht und überall Verschwörungen wittert – weil er mit eben diesen an die Macht gekommen ist.
Dabei handelt es sich in Wahrheit nur um Recherchen über das Salzburger Russen-Sponsoring, über Currentzis« offensichtliche Putin-Nähe – und um klare Fragen. Doch statt sie zu beantworten, versucht Hinterhäuser durch neue Verschwörungen, durch neue Hinter-Verschlossenen-Türen-Gesprächen und durch die Weitergabe von vertraulichen Dokumenten (um all das wird sich bald der Presserat kümmern) diese zu verhindern.
Inzwischen scheint er gemerkt zu haben, dass man hinter anderen verschlossenen Türen begonnen hat, ihn zu bemitleiden oder über ihn zu lachen, dass die „vertraulichen Gespräche“, die er führt, ebenso „vertraulich“ weitergegeben werden. Dass seine Presse-Lobby in erster Linie aus gestrigen, erz-konservativen Opis besteht. Also wechselte er noch einmal den Kurs – seither schweigt Markus Hinterhäuser.
Eine Taktik, die besser zu funktionieren scheint. Wie kann es sein, dass er vor zwei Monaten noch ein Statement von Currentzis erwartete und heute nicht mehr? Schweigen. Was sagt er dazu, dass der Vorstand von Currentzis« Orchester musicAeterna aus drei engen Putin-Vertrauten (dem Chef der VTB-Bank, der Chefin der Nationalbank und dem Gouverneur von St. Petersburg) besteht? Schweigen! Was sagt er dazu, dass Currentzis und musicAeterna, statt sich vom Sponsor VTB zu trennen, nach dem 24. Februar mit Gazprom einen neuen Super-Sponsor fanden, mit dem sie auf Russland-Tour gingen? Schweigen! Was sagt er dazu, dass Currentzis just mit dem VTB-Chef bei Putins Wirtschaftsforum auftrat? Schweigen! Was sagt er dazu, dass der Salzburg-Sänger, Dmitry Ulyanov, den Krieg Russlands gegen die Ukraine auf seiner Facebook-Seite mit einem Familienstreit vergleicht, „an dem alle schuldig sind“ und schreibt: „Nazi-Märsche in Lwiw anzuschauen, ist eine Katastrophe, Kiew zu bombardieren, ist auch eine Katastrophe. Ich vermute, dass es keinen anderen Ausweg gab.“ Schweigen!
Was wirklich erstaunt: Das Schweigen ist ein neues Leitmotiv der Festspiele und seiner Teilnehmer geworden. Auf Anfrage erklärt Hauptsponsor Siemens (der seine Geschäfte in Russland weitgehend eingestellt hat), dass man die „künstlerische Entscheidung“ dem Intendanten überlasse – aber ist die Verpflichtung von Putin-nahen Künstlerinnen und Künstlern wirklich eine rein „künstlerische“ Entscheidung? Auch die Politik, etwa Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer argumentiert gegenüber CRESCENDO damit, dass die „künstlerische Verantwortung“ bei Hinterhäuser liege. Und Baden-Württembergs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Theresia Bauer, antwortete auf meine Frage, warum Stuttgart Anna Netrebko nicht auftreten lässt, aber Currentzis als Chef eines der größten Orchester des Landes, des SWR, nicht in Frage stellt, so: „Als Kunstministerium (…) haben wir großes Verständnis, wenn sich Veranstalter von Künstlerinnen und Künstlern distanzieren, die mit dem russischen Régime sympathisieren oder sich von dort unterstützen lassen. Dass solche Positionierungen und Zusammenhänge kritisch beleuchtet werden, finden wir richtig.“ Ja, und jetzt?
Erstaunlich ist, dass auch viele Kolleginnen und Kollegen der Presse beschlossen haben, die Nähe der Salzburger Festspiele und besonders von Teodor Currentzis zu Russland nicht zu thematisieren, dass sie die Augen verschließen – in der Hoffnung, dass all das irgendwann vorbei sein wird. Eine Taktik, die bei Anna Netrebko bereits krachend gescheitert ist. Eine Taktik, die auch bei der documenta nicht funktioniert hat. Eine Taktik, die auch in Salzburg mehr als gefährlich ist. Vielleicht fährt der Hinterhäuser-Bus nicht vor der Blaubart-Première an die Wand. Vielleicht erst einmal auch nicht öffentlich. Aber am Ende ist es eine Frage des Gewissens. Wenn der Intendant selber beschließt, über seine eigenen Festspiele lieber zu schweigen als sie laut zu feiern – tja: Dann ist das nicht nur unsexy, uncool und ein intellektuelles Armutszeugnis – dann kann das einfach nicht gut gehen.
Wie war das mit Valery Gergiev? Wie viele Menschen haben viel zu lange gewusst, dass es mit ihm eigentlich nicht mehr geht – und jetzt? Jetzt sagen sie: „Das konnte ja niemand ahnen.“ Ein Satz, den Markus Hinterhäuser garantiert nicht mehr sagen kann. Alle Fakten liegen auf dem Tisch. So viele Fakten, dass man eigentlich darüber reden müsste. Aber auch weiterhin werden die Augen, der Mund und die Ohren verschlossen – Hauptsache, es geht weiter. Für wen eigentlich?