Axel Brüggemann über Wagnisse an Stadttheatern

Große Oper an kleinen Häusern

von Axel Brüggemann

14. Dezember 2018

Der Ring am Staatstheater in Oldenburg – kann das überhaupt gut gehen? Ja, wenn man die ­Perspektive verändert! Ein Plädoyer für mehr Wagnisse an unseren Stadttheatern.

Der Ring am Staats­theater in Olden­burg – kann das über­haupt gut gehen? Ja, wenn man die ­Perspek­tive verän­dert! Ein Plädoyer für mehr Wagnisse an unseren Stadt­thea­tern.

Wagner würde wahr­schein­lich toben. Was hat er sich gefreut, als das Dresdner Barock­theater in den Revo­lu­ti­ons­wirren einem Brand zum Opfer fiel. Endlich schien der Weg für ein neues Haus frei – so groß, dass seine gigan­ti­schen Opern Platz hätten: Pauken und Harfen, Hörner und gigan­ti­sche Strei­cher­gruppen! Ein Haus, das er später dann wirk­lich baute: das Bayreu­ther Fest­spiel­haus, eine Archi­tektur, so bombas­tisch wie Wagners Wahn­sinns­werke.

Bis heute ist die Musik Wagners über­bor­dend und sprengt, allein schon von den Ausmaßen der Partitur, so manch deut­sches Stadt­theater. Gleichsam gibt es kaum ein span­nen­deres Projekt für ein Ensemble, für Sänger, Chor und Gene­ral­mu­sik­di­rektor, als eine Oper von Wagner auf die Bretter (und seien sie auch noch so klein) zu bringen. Tristan, Meis­ter­singer, Parsifal und vor allem der Ring garan­tieren Musik am Limit. An großen Häusern wie , , oder Berlin geht es in der Regel darum, eine echte Alter­na­tive zu zu sein: ein Wett­kampf um die besten Sänger, die krea­tivsten Regie­kon­zepte, um Scoups und öffent­liche Aufmerk­sam­keit. Die Auffüh­rungen großer Wagner-Opern, beson­ders mit Mega­stars wie und Bühnen­bild­ex­pe­ri­menten wie denen von , sind in Wahr­heit viel­leicht nichts anderes als lang­wei­lige Effekt­ha­scherei, aber sie garan­tieren, dass das inter­na­tio­nale Feuil­leton anreist. Eine Zeit lang schien Bayreuth tatsäch­lich nicht mehr das Maß aller Wagner-Dinge zu sein. Aber inzwi­schen wurde auch hier wieder aufge­rüstet: Konkur­renz belebt das Walhall-Geschäft.

„Konkur­renz belebt das Walhall-Geschäft“

Von den kleinen Häusern hat sich die Opern­kritik – egal was sie sich einfallen lassen – schon lange zurück­ge­zogen. Selten, dass die FAZ oder die Süddeut­sche wie einst über Premieren in , , , oder berichten. Hier muss schon etwas Beson­deres auf das Programm gehievt werden. Etwas, das größer ist als das, was ein kleines, von öffent­li­chen Spar­zwängen gebeu­teltes Haus eigent­lich leisten kann. In der Regel wird dann Wagner gespielt. Mit durchaus langer Tradi­tion: Legendär war der Ring in Stutt­gart, insze­niert von vier unter­schied­li­chen Regis­seuren. Oder der von Chris­tine Mielitz in , 2001, der zum ersten großen Durch­bruch für und für Sänge­rinnen wie Lisa Gasteen wurde. „Wagnis Wagner“ nannte Mielitz damals ihr Projekt, den Ring an vier aufein­an­der­fol­genden Tagen aufzu­führen – zum ersten Mal seit der Eröff­nung der im Jahre 1876. Im vollen Bewusst­sein, mit ihrem Vorhaben an das Mach­bare eines Opern­hauses von der Größe Meinin­gens zu stoßen.

Ich habe neulich eine Reper­toire­auf­füh­rung des Sieg­fried in Olden­burg besucht. Auch hier wird derzeit am Ring geschmiedet. Ganz große Oper am ganz kleinen Haus – kann das gut gehen? Das Theater in Olden­burg ist das kleinste Staats­theater Deutsch­lands. Es wurde 1833 gebaut und beher­bergt – umgeben von goldenem Stuck – 540 Sitz- und 43 Steh­plätze (von denen einige für das Wagner-Orchester, das auch in den Logen sitzt, wegfallen). Aber Gene­ral­inten­dant Chris­tian Firm­bach und Gene­ral­mu­sik­di­rektor Hendrik Vest­mann waren wild entschlossen, ihren eigenen Ring zu schmieden.

Nun ist es leicht zu sagen: Lasst es lieber! Zu groß. Zu komplex. Zu viel Selbst­ver­wirk­li­chung! Tatsäch­lich wurde in der Auffüh­rung des Sieg­fried ziem­lich schnell klar, wie sehr das Haus, die Technik und das Ensemble am Limit operieren. Dass Inten­dant Firm­bach gleich zu Beginn auf die Bühne treten musste, um dem Publikum char­mant zu erklären, dass der Mime, Timothy Oliver, erkrankt sei, die Rolle nur spielen und Dan Karl­ström aus Leipzig einspringen würde, kann auch an großen Häusern passieren. Auch dass die Vorstel­lung nach den ersten Worten Mimes abge­bro­chen werden musste, weil die Compu­ter­technik der Dreh­bühne ihren Geist aufge­geben hat, kennen wir aus Bayreuth – das ist Theater! Wie es dazu kommen konnte, dass die Sprech­an­lage aus den Garde­roben „Hier eine Zeit­an­sage, es ist 17:45 Uhr“ in voller Laut­stärke in den Publi­kums­saal über­tragen wurde, weiß der Teufel. Aber all das sind Theater-Widrig­keiten, die passieren können. Und, ja, das sind perfekte Momente für ein Stadt­theater wie Olden­burg, das souverän beweisen konnte, dass hier, so nahe am Publikum, nur ein Gebot gilt: „Der Lappen muss sich (wieder) heben!“ Und das tat er dann auch.

„Große Oper an kleinen Häusern ist eine unglaub­liche Chance“

Natür­lich ist in den fünf Sieg­fried-Opern­stunden immer auch zu beob­achten, dass der Ring die Kapa­zi­täten eines kleinen Hauses schier sprengen kann. Wobei das Olden­burger Ensemble nie die Grenze zur Kata­strophe über­schreitet, wohl aber zuweilen an deren Rand tanzt. Man hörte, dass Hendrik Vest­mann alle Mühe hat, sein Ensemble zusam­men­zu­halten und weit­ge­hend unbe­schadet und gemeinsam durch die Partitur zu kommen. Was auch gelang, an einigen Stellen durchaus mit eigenen Gedanken und span­nender Lesart, wenn der große Rausch der Liebes­szene zwischen Brünn­hilde und Sieg­fried durch­funkelt, wenn der Zuhörer spürt: Hier hatte man genü­gend Probe­zeiten –über andere wurde eher mit rhyth­mi­scher Mono­tonie hinweg­ge­schum­melt.

Große Oper an kleinen Häusern ist aber auch eine unglaub­liche Chance, beson­ders, wenn Inten­dant und Gene­ral­mu­sik­di­rektor noch an das gute alte Stadt­theater glauben und die Hammer­par­tien nicht nur mit Sängern besetzen, die sie für die Auffüh­rung schnell ans Haus impor­tieren. Eines dieser Ensem­ble­mit­glieder in Olden­burg ist der unga­ri­sche Tenor Zoltán Nyári. Er hat auch an großen Häusern wie der Semper­oper gesungen, gehört nun aber zum festen Ensemble in Olden­burg. Er legt seinen Sieg­fried beein­dru­ckend klug an, sodass ihm im letzten Aufzug noch immer Atem, Stimme, Legato und Höhe bleiben, um ein Gänse­haut-Finale zu stemmen. Sicher, auf dem Weg dorthin schont er sich zuweilen, auch ihm fehlt (wie dem Orchester) zuweilen die Konzen­tra­tion, jede Nuance auszu­kosten, manches wird im Stak­kato durch­ge­rat­tert, aber man schaut Nyári gern zu, spürt, dass da noch viel Poten­zial ist, dass dieses Debüt ein Anfang sein könnte für das große Wagner-Fach an großen Häusern. Und am Ende besteht das Aben­teuer Stadt­theater ja auch darin, das Morgen im Heute zu hören.

„Das Olden­burger Ensemble singt zum großen Teil auf glei­chem Niveau wie die Gäste“

Das gilt auch für die Brünn­hilde von Nancy Weiß­bach. Sie sang bereits in Meiningen unter Kirill Petrenko und fiel beson­ders bei den Wagner-Fest­spielen in Erl auf. Nun ist sie dabei, ihre Stimm­zone im drama­ti­schen Fach auszu­dehnen. Ihre Stimme ist fast schon zu groß für das kleine Olden­bur­gi­sche Theater, aber ihr Volumen (auch hier würde man sich zuweilen etwas mehr Lyrik, mehr Legato, mehr Schmelz wünschen) steckt ihre Kollegen an. Nächstes Jahr wird Weiß­bach die Brünn­hilde in der Kassler Walküre singen. Für Sänger wie diese saß Wolf­gang Wagner einst in jedem Provinz­haus, das Wagner spielte, um neue Stimmen zu entde­cken.

Dem Ensem­ble­mit­glied Kihun Yoon als Albe­rich hört man die Freude an, endlich einmal drama­tisch aufdrehen zu können, Schau­spie­lerei mit Gesang zu vermengen und die Wände des kleinen Opern­hauses beben zu lassen. Sooyeon Lee hat in Olden­burg eher Rollen wie die Gilda in Rigo­letto, die Konstanze aus der Entfüh­rung oder in der Regi­ments­tochter gespielt – und es gehört zum Stad­theater, auch Rollen zu über­nehmen, die der eigenen Stimme viel­leicht nicht ganz liegen, so wie ihr Wald­vogel, in dessen spie­le­ri­schem Tiri­lieren bei ihr immer noch die Sehn­sucht nach einer großen Arie zu spüren ist.

Mit anderen Worten: Das Olden­burger Ensemble singt zum großen Teil auf glei­chem Niveau wie die Gäste, etwa der ameri­ka­ni­sche Bariton Thomas Hall, der als souve­räner Wanderer einen groß­ar­tigen Spagat zwischen wagner­haftem Schau­spiel und vokaler Beflis­sen­heit hinlegt, Marta Świderska als Erda, die eigent­lich an der Hambur­gi­schen Staats­oper zu Hause ist und der in Olden­burg das melan­cho­lisch träu­me­risch Verfüh­re­ri­sche der Erda zuweilen etwas abgeht, oder der Einspringer Dan Karl­ström, der sich als Mime von der Seiten­bühne anfäng­lich noch zurück­hält, dann aber immer mehr in den Sog des Gesche­hens und des Ensem­bles gerät.

„Die ganz große Oper an einem kleinen Haus ist eine wunder­bare Abwechs­lung vom Reper­toire­alltag“

Was wirk­lich enttäuscht an einem Abend der großen Oper am kleinen Haus ist, dass Regis­seur Paul Ester­házy und Bühnen­bildner Mathis Neid­hardt eine zutiefst biedere Insze­nie­rung im Stile von auf die Bühne stellen und ihr Ensemble gleich­zeitig durch eine sich perma­nent krei­sende Dreh­bühne mit unend­lich vielen Türen treiben, sodass selbst in den großen Szenen, in denen man sowohl den Sängern als auch dem Publikum Ruhe gönnen würde, die Konzen­tra­tion aller durch absurde Auf- und Abtritte und endlose Gänge gefährdet. Warum, verdammt, müssen Sieg­fried und Brünn­hilde in der großen Begeg­nungs­szene immer wieder in andere Zimmer verschwinden, warum muss Wotan dauernd irgend­welche Tölpel von irgend­wel­chen Bänken treiben, statt einfach mal innere Mono­loge zu führen? Warum muss der Wald­vogel als altes Mütter­chen dauernd einen Piep­matz im Käfig über die Szene tragen, statt sich mit vollem Einsatz um Sieg­fried zu kümmern?

Szenisch wird das wunderbar größen­wahn­sin­nige Olden­burger Haus dann eben doch plötz­lich ganz klein und unmutig: Die Insze­nie­rung will bewusst immer schön sein, mit fallendem Laub und Bühnen­qualm bis zum Umfallen. All das wäre gar nicht nötig gewesen. Sieg­fried als ausge­ruhtes und drama­ti­sches Kammer­spiel ohne Ablen­kung wäre voll­kommen genug, das Ensemble hätte mehr Ruhe durchaus getragen. Ja, mehr noch: So war ­andau­ernd zu sehen, dass Regis­seur Ester­házy seine Sänger mit gänz­lich unnützen Gängen immer wieder vom Wesent­li­chen abge­lenkt hat.

Und dennoch: Die ganz große Oper an einem kleinen Haus ist eine wunder­bare Abwechs­lung vom Reper­toire­alltag. Für das Orchester, die Sänger – und das Publikum! Im Foyer des Olden­bur­gi­schen Staats­thea­ters plau­derten viele junge Besu­cher über diesen Mara­thon­abend. Olden­burg hat ihnen eine Möglich­keit geboten, Wagners Größen­wahn am eigenen Leibe zu erfahren. Einen thea­tralen Ausnah­me­zu­stand, bei dem jeder weiß: Eigent­lich ist das Wahn­sinn, was wir hier machen – aber wir machen es trotzdem. Umso wich­tiger wäre es gewesen, auch in Regie­fragen viel­leicht etwas mutiger zu agieren. Mag sein, dass sich all das für seine Opern ganz anders vorge­stellt hat. Ande­rer­seits: Er wollte mit seinen Opern alle Menschen errei­chen. Und das geht nur, wenn die Stadt­theater so mutig sind wie das in Olden­burg und einfach mal das Unmög­liche möglich machen. Im Wissen, dass ein Ring kein Normal­zu­stand, sondern der Ausnah­me­zu­stand eines Stadt­thea­ters ist. Wenn man nicht Perfek­tion anstrebt, aber Vertrauen in das eigene Ensemble setzt, in das Publikum und in die Musik an sich.

Fotos: Stephan Walzl