Karl Amadeus Hartmann u.a.
Playlist: Musik schenkt Hoffnung
von Ruth Renée Reif
20. März 2020
Musik schenkt Hoffnung. Komponisten fanden auch in schwierigen Zeiten die Kraft, Werke zu schaffen.
Musik sei keine Arche, auf der man eine Sintflut überdauern könne, schrieb Bertolt Brecht in einem – allerdings nicht abgeschickten – Brief an Paul Hindemith. Vielleicht aber kann Musik den Aufenthalt auf der Arche erleichtern. Komponisten fanden auch in schwierigen Zeiten die Kraft, Werke zu schaffen.
Die Playlist zu diesem Artikel finden Sie in der Naxos Music Library (NML)
Komponieren für die Schublade: Hartmanns Sinfonia tragica
Zog sich während der NS-Zeit in die innere Emigration zurück und komponierte nur für die Schublade: Karl Amadeus Hartmann
(Foto: © BSB Bildarchiv)
Karl Amadeus Hartmann zog sich während der NS-Zeit in die innere Emigration zurück. Seine Kompositionen in diesen Jahren schrieb er nur für die Schublade. Seine Sinfonia tragica für großes Orchester, die er 1940 komponierte, wurde erst 1989 vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Udo Zimmermann uraufgeführt.
Das Foto oben zeigt ihn mit Iannis Xenakis in München, wo Hartmmann nach dem Zweiten Weltkrieg die musica-viva-Reihe ins Leben rief. (Foto: © BSB Bildarchiv)
Komponieren im Gefangenenlager: Messiaens Quatuor pour la fin du temps
Olivier Messiaen vor dem Zweiten Weltkrieg
Olivier Messiaen brachte im Gefangenenlager Görlitz 1940 sein Quatuor pour la fin du temps zur Aufführung. Als er im Lager ankam, wurden ihm wie allen Gefangenen die Kleider ausgezogen. „Doch nackt, wie ich war, drückte ich meinen kleinen Seesack an mich, der alle meine Schätze enthielt, also eine kleine Bibliothek aus Taschenpartituren, die mich trösteten, wenn ich unter dem Hunger und der Kälte litt… Die Deutschen stuften mich als völlig harmlos ein…, und da sie ebenfalls Musik liebten, erlaubten sie mir nicht nur, meine Partituren zu behalten, sondern ein Offizier gab mir außerdem Bleistifte, Radiergummis und einige Notenblätter.
Komponierte auch bei Hunger und Kälte im Kriegsgefangenenlager: Olivier Messiaen
Im Kriegsgefangenenlager befanden sich auch ein Geiger, ein Klarinettist und der Cellist Étienne Pasquier. Ich schrieb ein bescheidenes kleines Trio für sie, das sie mir in den Waschräumen vorspielten, denn der Klarinettist hatte sein Instrument behalten, und irgendjemand hatte dem Cellisten ein Cello mit drei Saiten gegeben. Durch dieses erste Experiment mit dem Titel Intermède ermutigt, fügte ich nach und nach die übrigen sieben Sätze hinzu, So kam es, dass mein Quatuor pour la fin du Temps insgesamt aus acht Sätzen besteht.“
Komponieren ohne Anerkennung: Wyschnegradskys Also sprach Zarathustra
Zu seinen Lebzeiten wollte kein Musikverleger seine Kompositionen: Ivan Wyschnegradsky
Von Ivan Wyschnegradsky, der 1920 von St. Petersburg nach Paris und 1922 nach Berlin emigrierte, wollte Zeit seines Lebens kein Verlag ein Werk drucken. Dies änderte sich erst in den letzten beiden Jahren vor seinem Tod 1979.
Spät erkannte man seine Bedeutung: Ivan Wyschnegradsky im Jahr seines Todes 1979 in Paris an seinem Vierteltonklavier
Heute gilt er als Visionär und Vorläufer der Mikro-Intervalle. Er experimentierte mit Mikrotönen und konzipierte neue Instrumente. Die Töne verband er mit Farben, und so entwarf er eine farbige Notation. Auch befasste er sich mit der Philosophie Nietzsches. Beides kam in seiner Sinfonie für vier im Vierteltonabstand voneinander gestimmten Klaviere Also sprach Zarathustra op. 17 aus dem Jahr 1929⁄30 zusammen.
Komponieren im Kriege: Milhauds Streichquartett Nr. 2
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs warf ihn nieder, aber er überwand die Lähmung: Darius Milhaud
(Foto: © Centre de Musique Mediane pour Vikipedia)
Darius Milhaud schrieb 1914 in Aix-en-Provence an seinem Streichquartett Nr. 2, op. 16, als „an diesem schwülen Augusttag die Glockenschläge vom Rathaus den Krieg ohne Unterlass einläuteten!“ Nichts sei ihm so unvergesslich geblieben, „wie ihr eiliges Schlagen, das sich mit dem Schrillen der Grillen vermischte“. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, warfen ihn Krankheit und Ohnmachtsgefühle nieder und hinderten ihn an der Fertigstellung seiner Ersten Sinfonie. Doch die Vorstellung, dass „dies das einzige französische Werk“ auf dem Programm zum 50-jährigen Jubiläum des Chicago Symphony Orchestra sein würde, spornte ihn an. So überwand er die Lähmung.
Komponieren mit schwerer Verletzung: Xenakis« Achorripsis
Kam als politisch Verfolgter nach Paris und schuf trotz schwerer Verwundung ein einmaliges Werk: Iannis Xenakis
(Foto: © Adelmann Collection of Françoise Xenakis)
Iannis Xenakis kam 1947 als politisch Verfolgter nach Paris. Er strebte danach, eine vollkommen abstrakte Musik zu schaffen und zog mathematische Modelle für seine Kompositionen heran. „Ich glaube, durch meine Verwundung bin ich so geworden, wie ich bin“, erklärte er. In den 1940er-Jahren hatte sich Xenakis in Griechenland den Widerstandsgruppen angeschlossen. Im Februar 1947 war er durch das Geschoß eines Sherman-Panzers verletzt worden. Er verlor ein Auge und erlitt einen schweren Hörschaden. „All dies hat dazu geführt, dass ich nicht in der Wirklichkeit lebe“, bekannte er. „Es ist, als befände ich mich in einem Brunnenschacht. Meiner geschwächten Sinne wegen kann ich die mich umgebende Welt nicht unmittelbar erfassen. Ich glaube, aus diesem Grund hat sich mein Kopf mehr und mehr dem abstrakten Denken zugewandt.“ Seine Komposition Achorripsis für 21 Instrumente wurde 1958 uraufgeführt.
Komponieren für Frieden: Juns Duo für Cello und Harfe
Geriet ins Räderwerk der Politik und rief auf zu Frieden und Versöhnung: Isang Yun
(Foto: © Hans Pölkow / Boosey & Hawkes)
Isang Yun geriet ins Räderwerk der Politik zwischen Nord- und Südkorea. Zu seiner Musiksprache fand er in Deutschland durch die Rückbesinnung auf die chinesisch-koreanische Hofmusik. In seinen Kompositionen verschmelzen Ideen westlicher Moderne mit der vom Geist des Taos bestimmten Vorstellung eines fließenden Klangstroms und Farbenreichtums. In seinem letzten Lebensjahrzehnt gestaltete er seine Werke als Aufruf zur Versöhnung und Frieden. Mit seinem Duo für Cello und Harfe aus dem Jahr 1984 fand er zu einem neuen Ton lyrischer Sanglichkeit.
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Weiterführende Literatur:
Ferdinand Zehentreiter: „Komponisten im Exil. 16 Künstlerschicksale des 20. Jahrhunderts.“
Friedrich Geiger: „Musik in zwei Diktaturen, Verfolgung von Komponisten unter Hitler und Stalin.“