25 Jahre CRESCENDO
Mediale Zeitenwende
1. Dezember 2022
Es war eine Vision: klassische Musik für alle. Heute, nach 25 Jahren, ist CRESCENDO eine feste Größe in der Klassikwelt. Verleger Winfried Hanuschik schaut zurück auf ein Vierteljahrhundert Magazinarbeit. Und wirft einen nicht ganz sorgenfreien Blick in die Zukunft.
Ein kurzer Streifzug zurück ins Hale-Bopp Jahr 1997 zeigt, wie schnelllebig unsere Zeit ist. Die D‑Mark war die Währung der Stunde. Lehrstellen waren so rar wie heute Lehrlinge. War damals Arbeitslosigkeit das Thema, herrscht heute an allen Ecken und Enden Personalmangel. Unfassbar 1997 das Oderhochwasser, heute sterben dort massenhaft Fische. Der Tod von Lady Di hält 1997 die Uhren an – die ganze Welt trauert. Man stritt über die Deutsche Rechtschreibung wie derzeit über das Gendern. Harry Potter verzauberte erstmals Millionen von Leser, Amazon verkaufte nichts weiter als Bücher. Am 1. Dezember 1997 schließlich erschien die erste CRESCENDO-Ausgabe, mit der alles begann:
»Unsere tiefe Leidenschaft ist es, Menschen mit Kunst in Berührung zu bringen«
Unsere Idee war, ein Medium zu schaffen, das nicht allein Experten anspricht, sondern die spannende Welt der Klassik einem breiten Publikum nahebringt. Wir nannten das „Klassik für alle”. Das ist uns in der Tat gelungen. Statt auf die damals feuilletontypischen Belehrungstexte setzten wir auf Inspiration: CRESCENDO stand und steht bis heute für unmittelbare Freude an dieser Musik. Unsere tiefe Leidenschaft ist es, andere Menschen mit Kunst in Berührung zu bringen, sie teilhaben und Entdeckungen machen zu lassen. Wir wollen Auswahl, Orientierung, Inspiration schenken.
Während der letzten 25 Jahre hat sich daraus nun eine ganze Welt rund um die Themen Kultur und Lebensart entwickelt: der FESTSPIELGUIDE oder das Reisemagazin REISE & KULTUR, die Onlineplattformen CRESCENDO.DE, FESTSPIELGUIDE.DE und FOYER.DE, Newsletter wie die KlassikWoche und Live-Veranstaltungen – ich denke dabei an die CRESCENDO-Lounge bei verschiedenen Messen wie der IFA in Berlin und viele schöne Vernissagen mit unseren Lesern, Künstlern und Kunden.
Mit der Idee, klassische Musik an ungewöhnliche Orte zu bringen, waren wir am Anfang echte Exoten – das war Pionierarbeit. Aber es ist uns gelungen, die Menschen mit klassischer Musik in Berührung zu bringen und zu berühren, die vorher gar nicht wussten, dass die sie interessieren könnte. Von Anfang an galt es, Klassik erlebbar zu machen, Brücken zu bauen, Türen zu öffnen. Viele dieser Ideen und Innovationen, für die wir anfangs belächelt wurden, sind heute gang und gäbe.
Aber – und natürlich müssen wir uns dieser Frage immer wieder selbst stellen: Passt Klassik eigentlich noch in die heutige Zeit? Nun ja: Jeden Tag werden Menschen geboren, die noch nie Beethoven gehört haben. Aber wer will denn jahrhundertealte Musik hören, wenn doch allein bei Spotify täglich (!) bis zu 100.000 (!) neue Songs hochgeladen werden? Das mag sein, aber mein Eindruck ist, dass immer mehr Menschen sich nach Entschleunigung sehnen. Dafür ist klassische Musik perfekt: sich einlassen, einfach nur zuhören und auf eine Reise gehen. Und im Kopf kehrt Ruhe ein. Also: Die Renaissance der Klassik steht bevor!
»Demokratie ist auch, bei einer Wahl den Willen der Mehrheit als Entscheidung zu akzeptieren«
Was mich hingegen beunruhigt, sind ungerechte und falsche Diffamierungen namens „Lügenpresse“. Damit wird ein ganzer Berufsstand pauschal und undifferenziert verurteilt. Viel schlimmer aber ist die solchen Beschimpfungen zugrundeliegende Haltung, andere Meinungen dadurch zu entwerten, indem man sie als „Lüge“, also vorsätzliche (!) Falschaussage (!) demontiert. Und das nicht einmal auf einen einzelnen Text oder Autor bezogen, sondern auf eine ganze Branche. Das halte ich für eine immense Gefahr für unsere Demokratie. Denn deren Fundament ist nicht nur Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit, sondern auch das grundsätzliche Verständnis, dass es bei einer Wahl nicht um richtig oder falsch geht, sondern darum, den Willen der Mehrheit als Entscheidung zu akzeptieren – auch und gerade, wenn sie nicht der eigenen Meinung entspricht.
Wie wichtig die Arbeit unabhängiger Berichterstatter ist, sehen wir in Ländern, in denen mächtige Politiker und Unternehmer so viel Angst vor deren Recherchen haben, dass sie alles daran setzen, Journalisten mundtot zu machen: Aktuell sind weltweit 520 Journalisten und Medienmitarbeiter deshalb in Haft. 50 Journalisten sind allein in diesem Jahr aufgrund ihrer Arbeit getötet worden. Und das passiert mitnichten nur in autokratischen Ländern – auch in Deutschland werden Journalisten von Demonstranten verprügelt.
Ich glaube, viele Menschen da draußen realisieren nicht, was sie hier gerade aufs Spiel setzen. Immer weniger Menschen sind bereit, sich als Journalist dem Shitstorm und der physischen wie psychischen Gewalt auszusetzen. Damit verlieren wir als Gesellschaft genau die Personen, die da hinschauen, worüber andere gerne den Mantel des Schweigens legen. Dürfen wir das als Gesellschaft zulassen? Wehret den Anfängen!
Dazu kommt ein Effekt, der vielen Lesern gar nicht bewusst ist: Medien sind viel zu günstig! Denn nur mit den Einnahmen aus Abo und Kiosk könnten die wenigsten überleben. So müsste zum Beispiel eine Ausgabe der ZEIT ca. zehn Euro kosten. Wäre irgendjemand bereit, das zu bezahlen? Nein? Aber wer bezahlt die Differenz?
»Die Verantwortung für den Erhalt der freien Presse liegt bei uns allen«
Und genau da liegt das Problem: Während die Kosten massiv steigen – allein der Papierpreis hat sich innerhalb eines Jahres fast verdoppelt! – sind die Werbeeinnahmen rückläufig. Weil viele Werbetreibende ihre Budgets an Facebook & Co überweisen oder an Influencer, deren Meinung man kaufen kann. Ist ja auch viel einfacher… Das betrifft übrigens nicht nur Print, sondern gerade auch digitale Medien und das Privatfernsehen, die sich fast ausschließlich über Werbung finanzieren.
Sprich: Ohne Werbung gehen die Lichter aus für unabhängigen, professionellen Journalismus. Wohin das führt, sehen wir in den USA, wo viele Menschen schon heute bereits ausschließlich soziale Medien nutzen und gar nicht merken, wie leicht man mit „alternativen Fakten“ manipuliert werden kann, wenn eben kein Journalist recherchiert und kritisch nachfragen kann.
Die Verantwortung für den Erhalt der freien Presse und damit den Erhalt der Meinungsvielfalt liegt also in besonderem Maße bei den Werbetreibenden. Und irgendwie auch bei uns allen. Denn nur, wenn wir Geld für Medien ausgeben – als Leser oder Werbekunde –, kann unabhängiger Journalismus überleben.
Künstler, Partner, Weggefährten gratulieren: crescendo.de