Oper Frankfurt
Alles außer|irdisch?
von Jasmin Goll
10. April 2018
Das erlebt man wahrlich nicht alle Tage: die Opernrarität „L’Africaine – Vasco da Gama“ und noch dazu eine derart ‚abgespacte‘ Inszenierung, wie sie in Frankfurt zu sehen ist.
Das erlebt man wahrlich nicht alle Tage: die Opernrarität L’Africaine – Vasco da Gama und noch dazu eine derart ‚abgespacte‘ Inszenierung, wie sie in Frankfurt zu sehen ist. Als drittes Opernhaus nach Chemnitz und Berlin hat nun die Oper Frankfurt die Grand Opéra von Giacomo Meyerbeer aus der Taufe gehoben. 150 Jahre lang war das Werk unter dem Titel L’Africaine bekannt, auch wenn keine Afrikanerin in der Oper vorkommt. Erst 2013 wurde in Chemnitz mit der Aufführung der revidierten Fassung dieser grobe Fehler behoben. Grund damals war, dass Meyerbeer vor der Uraufführung starb. Er hielt für die Proben immer unterschiedliche Versionen bereit und vollendete das Werk erst kurz vor der Première. Also war es an dem Musikwissenschaftler François-Joseph Fétis, eine spielbare Fassung zu erstellen. Jedoch beließ er den Titel „L’Africaine“, weil die Oper in der Öffentlichkeit darunter bekannt war. Meyerbeer hatte das Werk während des fast 30-jährigen Entstehungsprozesses nämlich einmal grundlegend überarbeitet: Aus der Afrikanerin hatte er eine Inderin gemacht, weil er nun die Reise des portugiesischen Seefahrers Vasco da Gama nach Indien ins Zentrum stellte. Aber ob nun Afrikanerin oder Inderin – die Frankfurter Inszenierung umgeht dieses Problem gänzlich. Regisseur Tobias Kratzer macht aus der indischen Prinzessin Selika und ihrem Gefährten Nelusko Außerirdische in blauen Ganzkörperanzügen (mit Figuren aus „Avatar“ oder ‚Hulk in Blau‘ haben sie Ähnlichkeit). Als Vasco die beiden dem portugiesischen Rat, Geschäftsleuten in Anzügen, als Beweis für das ferne Land vorführt, geht dieser in Deckung und bewaffnet sich mit Bürostühlen. Die Reise von Portugal nach Indien funktionierte Kratzer zu einer Reise auf einen unbekannten Planeten um.
„Außerirdische in blauen Ganzkörperanzügen“
Auf den ersten Blick scheinen die szenische Umsetzung und der Werktext kaum mehr verbunden zu sein. Statt Seefahrer ist Vasco Astronaut, statt auf einen Schiffsbug schaut das Publikum auf das futuristische Innere eines Raumschiffs (Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier). Doch Kratzer hat Recht: Der Schauplatz Indien meint im Werktext weniger eine Verortung als einen Sehnsuchtsort, der auch abstrakt gedacht werden kann. Vasco sehnt sich nach dem Unbekannten, zu dem der Weltraum heutzutage zu großen Teilen zweifelsohne immer noch zählt. Doch rechtfertigt das, Selika und Nelusko als Fremde mit Aliens gleichzusetzen, die von den Portugiesen mehr als Spezies denn als Menschen wahrgenommen werden? Sind nur Aliens uns fremd? Soll dadurch nachempfindbar werden, wie man im 19. Jahrhundert Menschen anderer Kontinente wahrnahm? Nelusko tritt auch recht menschlich auf, kennt menschliches Empfinden wie Liebe und Hass. Doch die Beziehung zwischen Vasco und Selika scheint wenig glaubwürdig. Kratzer bezeichnet sie zwar selbst im Programmheft als „Triebfeder des gesamten Abends“, doch szenisch wird sie nur schwach angedeutet. Claudia Mahnke, konzentriert auf die Gesangspartie, drückt sich oft an den Bühnenrand und vermeidet jeglichen Blickkontakt mit Vasco. Es fehlt der Heirat und Selikas Selbstmord in den todbringenden Düften des Manzanillobaums damit an Motivation, da unklar bleibt, woher die Anziehungskraft zwischen beiden kommt. In der Hinsicht ist die Beziehung tatsächlich alles – außer irdisch.
Und es knirscht auch an anderer Stelle zwischen Werktext und Konzept. Ein Kern des Stücks, der religiöse Konflikt, der aus dem Fanatismus der Inder und Portugiesen erwächst und den etwa Vera Nemirova in ihrer Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin 2015 stark machte, findet wenig Beachtung. Dass Chor und Oberbrahmane indische Gottheiten besingen, läuft folglich ins Leere.
„Statt Seefahrer ist Vasco Astronaut“
Auf den Punkt zeigen sich Orchester und Chor am Premierenabend. Antonello Manacorda hält im Graben mit Bravour die Fäden zusammen und brilliert am meisten darin, wie er einzelne Instrumentengruppen hervorhebt und etwa die unbegleiteten Sängerensembles im zweiten Akt zu führt. Der Chor ist exakt geführt und szenisch präsent (Chor: Tilman Michael). Meyerbeer kultivierte eine spezifische Gesangsästhetik mit seinen Werken: schlank im Ton, klar in der Aussprache, differenziert in der Dynamik, weich im Stimmansatz, wechselnd zwischen Sprechen und Singen in ariosen Passagen. Michael Spyres als Vasco verfügt über diese Qualitäten, kann sich jedoch stimmlich bei großen Chorszenen nicht recht über die Masse erheben. Brian Mulligan gibt einen stimmgewaltigen Nelusko mit scharfer Artikulation. Claudia Mahnke beherrscht die herausfordernde Partie der Selika technisch, vor allem die fast halbstündigen Soloszene am Schluss ist anrührend, bleibt aber szenisch hinter ihrer Mitstreiterin: Ines, Vascos Liebe aus Kindertagen, wird von Kirstin MacKinnon verkörpert, die mit der Partie ihr Deutschland-Debüt gibt. Sie schattiert in ihrem Ausdruck, überstrahlt die Ensembles im zweiten Akt mit silbrigen Spitzentönen und ist gestisch wie mimisch ausdrucksstark.